Comics ökonomisch betrachtet

  • Der französischen Comicbranche scheint es mittlerweile (trotz aller Bestseller) dermaßen mies zu gehen, daß sich die Unruhe der letzten Monate zu einem wahren Aufstand hochgeschaukelt hat, der mittlerweile die Spitzen in Wirtschaft und Politik erreicht hat.

    Falls es so etwas wie einen Anfang gegeben hat, einen Anlaß, der den ganzen Prozeß in Gang gesetzt hat, dann war es die Ankündigung zweier Comicautoren, sich aus dem Geschäft zu verabschieden: Am 27. Mai 2014 verkündeten der Zeichner Bruno Maïorana (Garulfo, D), 48, und der Szenarist Frank Bonifay (La trilogie noire, Zoo, La Compagnie des Glaces), 55, ihren Entschluß über ihre Facebook-Seiten. Sie beklagen sich über ein Dumping, das die Branche ins Prekariat dränge, über überzogene Ansprüche von Verlegern und Redakteuren, an geplatzte Aufträge, sobald die Wirtschaft verkühlt sei, kurzum die Zustände würden immer fürchterlicher.
    Als Beleg wurde auf den Dokumentarfilm Sous les Bulles von Maiana Bidegain verwiesen, der schon 2013 auf dem Festival in Angoulême gezeigt wurde, und als DVD erhältlich ist.

    2. Akt 1. Szene: Am 10. Juni nutzt die Comicgewerkschaft SNAC den Anlaß für einen offenen Brief an die Kulturministerin Aurélie Filipetti zum selben Thema, der Reformen einklagt, der die Lebensumstände der Kreativen verbessert. Falls das nicht geschähe, drohten der Branche nach dem September 2014 gemeinsame Aktionen der Comickreativen. In dieser Phase unterschrieben 748 Künstler den offenen Brief.

    2. Akt 2. Szene: 21. Juni. 403 weitere Comickreative haben den offenen Brief unterzeichnet, so daß insgesamt 1151 Personen das Vorhaben teilen, darunter Preisträger aus Angoulême wie Zep, Max Cabanes und Boucq. Wer die letzten Jahrgänge der ACBD-Reporte kennt, kann abschätzen, daß sich damit der Löwenanteil der Professionellen engagiert hat.

    3. Akt: Seit dem 26. Juni wird nun verhandelt ...

    http://www.toutenbd.com/article.php3?id_article=5218 (27. Mai)
    http://www.toutenbd.com/article.php3?id_article=5241 (10. Juni)
    http://www.toutenbd.com/article.php3?id_article=5255 (21. Juni)

  • Ich habe gehört, von Mittwoch 14 Uhr bis Donnerstag früh sollen alle Comiczeichner streiken. Das gibt sicher wieder ein großes Durcheinander. Stellt euch rechtzeitig darauf ein!

    eck:Drt

  • Ich habe gehört, von Mittwoch 14 Uhr bis Donnerstag früh sollen alle Comiczeichner streiken. Das gibt sicher wieder ein großes Durcheinander. Stellt euch rechtzeitig darauf ein!
    eck:Drt

    Ist natürlich ganz bewusster Schwachsinn den du hier schreibst, aber sei's drum.
    Es ist ja klar dass du als Verleger kein Interesse daran hast die Zeichner+Texter organisiert zu sehen.

  • Eine schnelle Lösung wird es für das Problem nicht geben.
    Im nächsten COMIC! Jahrbuch des ICOM (2015) werde ich einige Aspekte des Themas beleuchten, die eine Rolle spielen. Aber die Bedingungen des Marktes ändern sich durch die modernen Kommunikationsmittel so rasant, daß da immer die Gefahr einer Fehleinschätzung besteht.

    Gewerkschaften sind schön und gut; allerdings ist ihr Einfluß begrenzt. Und die prekäre Lage läßt sich durch schön formulierte Forderungen nicht herbeistreiken.
    Schließlich gibt es noch das Publikum, und dessen Verhalten sich nicht erzwingen. Seit dem 4, Oktober gibt es vom Zeichner/Autor Marko ein Plakat bzw. Aufsteller, der das Autorenleben im Stil eines Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiels zuspitzt.
    Nur wenn das Publikum mitspielt, kann meiner Meinung eine konstruktive Lösung gelingen. Aber das Publikum hat ein Janusgesicht: Ich gehe davon aus, daß wohl alle Comicautoren mal als begeisterte Leser angefangen haben. Außerdem zieht sich das Publikum quer durch die Bevölkerung, und ich glaube nicht, daß sich alle Teil von den bisherigen Maßnahmen angesprochen fühlen.
    Die Gewerkschaft muß sich noch einiges einfallen lassen, wenn sie sich durchsetzen will ...

  • Was haben wir? :kratz:

    Keine Lobby? Comics werden im deutschsprachigen Raum immer noch gern als "Kinderkram" angesehen. So zumindest mein Eindruck. Außer Asterix und Tim & Struppi haben die wenigsten "Normalos" etwas derartiges im Schrank stehen...

  • Früher wäre in diesem Fall "Holz & Kunststoff" zuständig gewesen, heute die IG Metall.
    Wo sind denn Comiczeichner und Autoren allgemein organisiert?

    Mehr als ein Westfale kann der Mensch nicht werden!

    Einmal editiert, zuletzt von FrankDrake (17. Oktober 2014 um 16:35)

  • (...)Wo sind den Comiczeichner und Autoren allgemein organisiert?

    Also die Profis die ich kenne sind Mitglieder bei ver.di, im Bereich Publizistik & Kunst sowie in der Illustratoren Organisation e.V.

    Die Problematik bei den französischen Kollegen dürfte sein, dass es dort keine Künstler-Sozial-Kasse gibt wie bei uns. Die KSK in Deutschland übernimmt die Hälfte der Krankenkassen- und Rentenbeiträge bei freien Berufen (ähnlich dem Arbeitgeber-Anteil bei Angestellten).

  • Die amerikanische Szene hat sich anders organisiert.

    Solange sie aktiv sind, kommen die Kreativen über die Runden - aber der kleinste Zwischenfall kann zu existenzgefährdenden Kosten führen. Dann reagiert die Community relativ schnell und versucht dem Kollegen oder der Kollegin zu helfen. Über Spenden oder karikatative Auktionen wird die entsprechende Summe dann innerhalb weniger Wochen aufgetrieben - oder nicht.
    Besonders Berufsanfänger sind gefährdet, wenn teure Krankheitskosten entstehen (Zähne, schwere Verletzungen) oder sie Opfer von Naturkatastrophen werden. Soweit ich es beurteilen kann, wird in der Szene Solidarität untereinander erwartet. Schließlich ist niemand davor gefeit, nie krank zu werden oder in eine Notlage zu geraten.

  • Die Problematik bei den französischen Kollegen dürfte sein, dass es dort keine Künstler-Sozial-Kasse gibt wie bei uns.


    Bist du sicher? Es gibt in Frankreich die RAAP.
    Die steht allerdings nicht in der französischen Wikipedia (oder es fehlt zumindest eine Weiterleitung).

  • Der Bericht ist mittlerweile zwei Jahre alt, dennoch finde ich ihn wegen der Zahlen aufschlußreich. Leider wird nirgendwo eine Quelle angegeben, die sich nachprüfen läßt. Ich nehme an, die Interviewten haben diese Daten genannt, und dann sind die im Raum stehen geblieben.

    Quelle: Albert Möller: Europas Comic-Hauptstadt Brüssel. In Belgien sind die gezeichneten Geschichten genauso Kulturgut wie Pommes und Schokolade, Weltzeit-Beitrag vom 23.07.2012
    http://www.deutschlandradiokultur.de/europas-comic-…ticle_id=216183

  • Mittlerweile hat der erste öffentliche Schlagabtausch zwischen den Comiczeichnern auf der einen Seite sowie den Verlegern und Politikern auf der anderen Seite stattgefunden.

    Dabei traten neue Probleme zutage. Der Geschäftsführer des Comic-Majors Média Participations, Vincent Montagne, der zugleich der aktuelle Präsident des Verlegerverbandes SNE (das Gegenstück zum Börsenverein des Buchhandels) ist, findet die Verbindung Honorar nach Seitenzahl für den Vorschuß problematisch. Die habe keinerlei Bezug zu den erwartbaren Umsätzen und belaste die Kalkulation.

    Wer selbst mal längere erzählerische Prosa verfaßt und diese irgendwo eingereicht hat, kennt den Unterschied zwischen dem Manuskript (des Urhebers) und dem Roman (das Produkt für den Handel), auf den heute noch Wert gelegt wird. Ein weiteres Zitat, mit dem sich die ehemalige Kulturministerin Aurélie Filipetti den Zorn der Kreativen auf sich gezogen hat, lautete: "Autor wird man erst durch den Blick eines Verlegers / Herausgebers / Redakteurs, denn nicht alle Texte werden zu Büchern. Der Verleger macht daraus Literatur."

    Die Verleger besetzen eine Schlüsselposition und die meisten Autoren werden von ihnen als hoffnungslose Amateure betrachtet, während sich die Verantwortlichen in den Verlagen als Professionelle sehen, die etwas vom Geschäft verstehen und Zahlen sehen wollen. Und in den letzten drei Jahren habe es keinerlei Wachstum gegeben; erst wenn der Comicmarkt wieder wachse, sei er bereit, sich auf Verhandlungen einzulassen.

    Das letzte Wort wird das nicht gewesen sein. (Fortsetzung folgt)


    Quellen: http://www.du9.org/humeur/vues-ephemeres-octobre-2014/
    http://www.sgdl.tv/forum-sgdl-la-…uteurs-106.html (Videodokumentation der Veranstaltung)

  • Wladimir Labaere betreut bei Casterman seit fünf Jahren das Label Sakka, in dem Mangas und andere Comics aus Asien erscheinen. Sein Interesse für die japanische Kultur hat ihn über einige Umwege zu den Mangas geführt. Er hat ein Jahr in Japan gelebt und versteht die Sprache; deshalb kann er den Markt in Übersee mit dem französischen Comicmarkt vergleichen.
    Christian Missia Dio (actuaBD.com) hat ihn interviewt und einige Tatsachen zutage gefördert, die einige Mythen über das ferne Comicland platzen lassen.

    Laut Labaere erscheinen in Japan monatlich 150 Mangatitel; hochgerechnet auf das Jahr ergibt das 1800 neue Titel (inklusive der Comicmagazine wie Shonen Jump, Morning etc.). Das entspricht einem Drittel des frankophonen Marktes und dürfte eher dem niederländisch-flämischen Markt gleichen.
    Die japanischen Autoren sind auch nur Menschen, die irgendwann erschöpft sind. Seit 2000 wurde in Frankreich das veröffentlicht, was in den letzten 20 bis 30 Jahren in Japan erschienen ist. Dadurch ist die Backlist jetzt abgearbeitet, und die Verlage müssen sich für ihre Übersetzungen / Lizenzen mit dem begnügen, was aktuell entsteht. Das Angebot schrumpft also.
    Und Jiro Taniguchi ist in Europa bekannter als im eigenen Land, während seine Auflagen wohl trotz seines unangefochtenen Images erstaunlich niedrig sind. Für eines seiner bekanntesten Werke, Quartier lointain (Haruka na Machi e (遥かな町へ; dt. Vertraute Fremde, Carlsen, 2007), gibt Labaere eine Gesamtauflage über sämtliche Fassungen (Japan, Frankreich, Deutschland ...) von wenig mehr als 300.000 Exemplaren an.
    Mangas und Anime werden als Soft Power betrachtet, durch den Nippon seine Kultur und Lebensart exportiert statt der Hardware der 1980er Jahre (wie Autos, Elektronikgeräte).

  • Zum Vergleich einige Zitate über die deutsche Szene, der Fokus liegt hier auf Hamburg. Der Artikel stammt aus Impulse. Das Unternehmer-Magazin.

    Quelle: Amadeus Ulrich: Comiczeichner zwischen Leidenschaft und Brotjob (30. August 2014)

  • Quelle: dpa, zitiert nach: BerlinOnline

    Wenn ich die Zahlen der verschiedenen Beiträge auf einen gemeinsamen Nenner bringe, dürfte die Kalkulation folgendermaßen aussehen: Umsatz brutto pro Album 4.000 bis 6.000 €, davon gehen ab: Steuern, Kosten für Material und Geräte, sonstiger Support (Homepage/Blog, Reisekosten zu Messen und Börsen), Ateliermiete und Sonstiges. Davon bleibt unter dem Strich ein Einkommen von 2.000 € netto im Monat, häufig mit fünfzehn- oder sechzehnstündigen Arbeitstagen.

  • Das Interview führte Andreas Düllick am 24. August 2010 in Berlin-Weißensee, anlässlich der Ausstellung 60 Jahre OL in der Kunstgießerei Flierl.

  • Durch den Film Snowpiercer von Bong Joon-Ho geriet die Comicvorlage Le Transperceneige 2010 in den Fokus der Öffentlichkeit. Über dreißig Jahren entstanden drei Teile, die Casterman in einer Gesamtausgabe neu auflegte. Für rue89/Le Nouvel Observateur interviewte Aurélie Champagne den Zeichner Jean-Marc Rochette. Sein bekanntestes Werk dürfte Edmond, das Schwein (Carlsen) sein, ein satirischer Funny, während Le Transperceneige realistisch gezeichnet ist. Dabei plaudert Rochette unvermeidlicherweise über die Arbeitsbedingungen, und wie die sich in den Jahrzehnten verändert haben.

    Zitat

    “Aujourd’hui, pas d’économie pour cette BD”
    (...)Aujourd’hui, je ne crois pas qu’on pourrait proposer une BD comme ça. Il n’y aurait pas l’économie : 250 pages avec un scénario pareil, il faudrait mettre beaucoup d’argent. Ou alors, il faudrait travailler comme certains romanciers qui passent trois-quatre ans de leur vie à servir leur grande œuvre. A l’époque, on l’a pas fait dans cette optique-à. On était des feuilletonnistes. On gagnait notre argent avec le magazine, pas avec des bouquins. On en vivait d’ailleurs. Disons comme un petit prof de dessin peut vivre. On mangeait et on payait notre loyer.


    (Meine ziemlich freie) Übersetzung:
    "Unter den heutigen ökonomischen Bedingungen wäre so ein Comic nicht mehr möglich"
    (...) Ich glaube nicht, daß es heute möglich wäre, so einen Comic zu machen. An Wirtschaftlichkeit haben wir damals [bei (A suivre)] nicht gedacht: 250 Seiten mit einem derartigen Szenario, das erfordert schon eine Menge Geld. Nun ja, wir sind vorgegangen wie manche Romanciers, die drei oder vier Jahre ihres Lebens dem Dienst an ihrem großen Werk widmen. Zu der Zeit haben wir das nicht so gemacht. Wir sind vorgegangen wie bei einem Fortsetzungsroman. Unser Geld haben wir mit dem Magazin verdient, nicht mit den Alben. Wir haben uns durchgewurschtelt. So ungefähr wie kleine Zeichenlehrer haben wir gelebt. Für Essen und Miete war gesorgt."

    4 Mal editiert, zuletzt von Servalan (5. November 2014 um 10:16) aus folgendem Grund: Korrektur

  • (Meine ziemlich freie) Übersetzung:
    Zu der Zeit haben wir kein Hochglanz gemacht.

    Natürlich nicht. "A l’époque, on l’a pas fait dans cette optique-à" bezieht sich darauf, dass sie es nicht so gemacht haben wie Schriftsteller, also nicht mit einer "optique à long terme", mit einer langfristigen Perspektive, gearbeitet haben. Und die Schriftsteller haben nicht "drei Viertel des Jahres ihres Lebens" dem Werk geopfert, sondern drei bis vier Jahre, "trois-quatre ans de leur vie" oder "trois, quatre ans".

    Das soll deine Arbeit hier nicht schmälern. Sollte aber auch verständlich sein, oder?

    eck;)rt

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