Jetzt kommt der Rest von Buster Keaton, jedenfalls was ich von ihm auf Video habe. Es sind die ersten beiden Filme, die Keaton für die MGM gemacht hat, zugleich seine letzten beiden Stummfilme. Ich beginne mit „Der Kameramann“ (1928) von Edward Sedgwick und Buster Keaton. Leider hat das ZDF damals (das war offenbar 1991, denn der Bundestag beschloss da laut einem Nachrichtenclip, Berlin zur Bundeshauptstadt zu machen) keine gute Kopie ausgestrahlt – sie war sehr dunkel und teils auch grieselig. Bei youtube gibt es restaurierte Fassungen, allerdings nicht mit deutschen Zwischentiteln.
Mit Regisseur Sedgwick, den er von früher kannte, kam Keaton gut klar; Clyde Bruckman, mit dem er ebenfalls schon zusammengearbeitet hatte, war am Drehbuch beteiligt. Laut der englischen wikipedia schrieben insgesamt 22 Autoren an diesem Drehbuch, aber es scheint, als hätte Keaton das Skript wenig beachtet und noch viel improvisiert. Deshalb wird er als zweiter Regisseur geführt. Die Story besteht aus drei nur wenig miteinander verbundenen Teilen. Buster ist zu Anfang Porträtfotograf, der bei einer Parade die wunderschöne Marceline Day kennenlernt, der er augenblicklich verfallen ist, die aber noch mehr Verehrer hat. Es gelingt ihm, sie in einem Büro aufzuspüren – die Firma ist ausgerechnet „MGM News Reel“, wo aktuelle Filme für die Kinowochenschau gedreht werden. Nur um ihr nahe sein zu können, vertauscht er seine Foto- mit einer Filmkamera. Seine ersten Probefilme für die Firma erweisen sich allerdings als Fiasko (alles ist mehrfach belichtet – was Salvador Dali vermutlich gefallen hätte).
Buster will eine zweite Chance. Zumindest gelingt es ihm vorerst, sich mit Day am Sonntag zu verabreden. Sie gehen gemeinsam ins Schwimmbad, wo erneut eine Menge schief geht. Obwohl es stattlichere und gutaussehendere Männer gibt, die sich um sie bemühen, hält sie aber zu ihm. Im dritten Teil des Films erhält Buster seine Chance – er wird zu einem Straßenfest in Chinatown geschickt. Allen außer ihm ist klar, daß dort ein blutiger Bandenkrieg droht. Deshalb will den Job sonst niemand übernehmen. Buster, der die Gefahr nicht bemerkt, filmt als einziger eifrig den Krieg der Gangs. Als er zur MGM zurückkehrt, stellt sich jedoch heraus, daß er vergessen hat, eine Filmrolle einzulegen. Auch Day geht nun lieber mit einem anderen Typen zum Motorbootfahren. Buster ist allerdings mit einem Ruderboot in der Nähe. Als das Motorboot kentert, rettet er Day. Den Ruhm heimst sein Rivale ein, der sie in Wahrheit ihrem Schicksal überlassen hatte. Ein Äffchen, das Buster zugelaufen ist, hat jedoch die ganze Aktion gefilmt. Zudem stellt sich heraus, daß auf dieser Filmcassette auch seine Aufnahmen vom Bandenkrieg drauf sind. Für die spektakulären Bilder aus Chinatown erntet Buster bei MGM News Reel höchstes Lob, und Day erkennt, wer sie wirklich aus dem Wasser gezogen hat. Wieder gibt es eine große Straßenparade – Buster denkt, wegen ihm. Es wird aber Charles Lindbergh für seine Atlantiküberquerung gefeiert.
„Der Kameramann“ ist insgesamt ziemlich witzig. Die Figur Buster hat sich leicht verändert. War er bisher jemand, der traumwandlerisch alle Gefahren meisterte, wird er nun eher zum Tolpatsch, der nur versehentlich sein Ziel erreicht. Er wird in zahlreichen Massenszenen herumgestoßen und über den Haufen gerannt. Waghalsige Stunts von ihm sieht man kaum noch (nur einmal klettert er an einem fahrenden Bus herum, um seinem Mädchen nahe sein zu können). MGM erlaubte nicht, daß er sich einem Verletzungsrisiko aussetzte, und die Stunts, die er ausführte, konnte ihm kein Double abnehmen. Aber seine Figur ist noch erkennbar, zumal es sich hier noch immer um stummen Slapstick handelt. Mir gefällt auch Marceline Day als leading lady recht gut, mit der er aber offenbar nur dieses eine Mal zusammengearbeitet hat.
Es war in gewissem Sinn perfide, daß Keatons Abstieg, nachdem er durch den verlustreichen Film „The General“ seine eigene Produktionsgesellschaft und sein Studio verloren hatte, langsam und schleichend vor sich ging. Beim „Kameramann“ hatte er noch vieles selbst in der Hand, und der Film war zwar kein Kassenknüller, aber nach wie vor einträglich. Keaton war zu dieser Zeit einer der bestverdienenden Stars bei MGM. Aber er sank, besonders in der Tonfilmzeit, zunehmend zum bloßen Angestellten herab, dessen kreative Leistungen nicht mehr gefragt waren und der immer mehr in die Filmrolle eines Deppen gedrängt wurde (insbesondere als Partner von Jimmy Durante). Man kann sich also diesen Film mit einer gewissen Wehmut ansehen.