• „Kid“ (1984) ist der Abschlußfilm, den Hal Hartley an der State University of New York drehte. Für solche Filme wohl nicht unüblich, wurde er erst 1985 fertig und 1986 erstmals öffentlich vorgeführt. Er ist etwa 30 Minuten lang. Hartleys Stil ist schon deutlich erkennbar. Obwohl der Film einfache Alltagsbegebenheiten erzählt, ist eine Handlung nur in groben Umrissen erkennbar. Ricky Ludwig lebt in einer tristen Vorstadt. Nachdem ihn seine Freundin verlassen hat, will er weg. Stattdessen kommt er mit verschiedenen Leuten seiner Nachbarschaft in Kontakt und führt mit ihnen philosophische Gespräche. Dabei kommt er Pamela Stewart näher, ohne daß es aber zu erotischen Verwicklungen kommt. Als die beiden von ihrem Freund (George Feaster) überrascht werden, bekommt Ludwig eine Abreibung.

    Die einzige Mitwirkende, die, soweit ich sehe, eine Karriere als Schauspielerin hatte, Karen Sillas, spielt in dem Film eine undefinierbare Rolle. Als Ludwig mit dicker Lippe auf der Straße liegt, zieht sie gewissermaßen das Fazit des Films. Trotz der Unzugänglichkeit hat „Kid“ durchaus etwas Faszinierendes, aber auch Verstörendes. Pausenlos wird geredet, aber alle reden offensichtlich aneinander vorbei und hören sich auch nicht gegenseitig zu. Soziale Beziehungen entstehen nur rudimentär. Das Ganze hat aber auch komische Momente. Es ist nicht meine Art von Unterhaltung, aber man kann sich den Film gut ansehen. Ich kann mir vorstellen, daß er auf Filmfestivals positiv aufgenommen wurde. Zur Musik, die mich ein wenig an die in Jarmuschs „Dead Man“ erinnert hat, gibt es leider im Abspann keine Angaben.

    Noch ein 30minütiges Frühwerk von Hartley: „Die Freundin des Kartographen“ (1987). Das ist der zugänglichste der drei Filme, was nicht bedeutet, daß er konventionell ist. Es geht tatsächlich um einen Kartographen (Steven Geiger) und eine Frau (Marissa Chibas), die vorübergehend seine Freundin ist. Sie taucht plötzlich in seiner Wohnung auf und benimmt sich so, als ob beide schon eine lange Beziehung hätten. Er interessiert sich eigentlich nur für Vermessungen und Karten, sie dagegen möchte ihre Liebe leben. Das ist ziemlich witzig inszeniert. Wiederum kommt aber keine richtige Beziehung zustande, und am Ende, als er endlich richtig Feuer gefangen hat, verläßt sie ihn, wobei weder ihr Auftauchen noch ihr Abgang irgendwie nachvollziehbar wäre.

    Auch hier bleibt Hartley seinem Stil weitgehend treu. Ich habe den Eindruck, er achtete genau darauf, daß sein Film nicht irgendwo bekannten Erzählmustern folgt. Ich finde es bemerkenswert, daß seine Arbeiten trotzdem nie verrätselt und angestrengt künstlerisch erscheinen. Mich würde jetzt interessieren, wie seine Filme rüberkommen, die normale Spielfilmlänge haben. Leider habe ich unmittelbar keine Möglichkeit, mir einen anzusehen. „Die Freundin des Kartographen“ hat einen ähnlichen Soundtrack wie "Kid", wiederum ohne Angaben, woher die Musik stammt. Marissa Chibas ist Theaterschauspielerin und Filmemacherin in New York.

  • Ich habe noch einige sehr alte Filme zu digitalisieren. Daher habe ich nun zu „Die lustige Witwe“ (1925) von Erich von Stroheim gegriffen. Von diesem Regisseur ist hier schon mehrmals die Rede gewesen. Er hat die Umstellung vom Kino der Regisseure auf das Kino der Studios und Produzenten miterlebt und ist ihr zum Opfer gefallen. Seine zunehmend verschwenderischen Filme in den 1920er Jahren sind ihm alle aus der Hand genommen und von anderen fertiggestellt, umgeschnitten und zusammengekürzt worden. Stroheim bestand auf absoluten Realismus, egal, wie teuer die Dreharbeiten wurden. Karrieren bei Universal, MGM und Paramount verbaute er sich so selbst. Doch Hollywood wußte, daß er die Massen ins Kino locken konnte, und so ließ ihn MGM nach einigen Fehlschlägen die Lehar-Operette verfilmen. Es wurde tatsächlich einer der erfolgreichsten Filme des Jahres und machte die Hauptdarsteller Mae Murray und John Gilbert zu Superstars. Vielleicht ist „Die lustige Witwe“ der Stroheim-Film (abgesehen von seinem ersten, „Blinde Ehemänner“), der noch am ehesten so geworden ist, wie Stroheim das beabsichtigt hatte. Allerdings sah er ihn als bloße Auftragsarbeit. Er mochte weder den Stoff noch seine Hauptdarsteller. Aber ich finde, es ist trotzdem alles in allem ein sehr guter Film geworden.

    Ich kenne die Operette nicht, aber Stroheim, der das Drehbuch mitverfaßt hat, hat wohl nur Motive der „lustigen Witwe“ verwendet. Mae Murray ist eine amerikanische Tänzerin auf Europa-Tournee und landet in (dem Fantasiestaat) Monteblanco im selben Hotel wie ein Prinz des Landes, John Gilbert. Gilbert ist ein Weiberheld, interessiert sich aber nach und nach ernsthafter für Murray, eine moderne und selbstbewußte Frau (für damalige Verhältnisse). Ein Cousin Gilberts, Roy d’Arcy, wird als Thronfolger gehandelt. Auch er macht Murray den Hof, stellt sich aber schnell als Ekel heraus. Allerdings erlebt sie mit Gilbert eine große Enttäuschung: Wegen des Standesunterschieds erlaubt das Königspaar ihm nicht, sie zu heiraten. Er darf sie nicht einmal wiedersehen. Sie dagegen glaubt, er habe sie einfach sitzengelassen; das Mißverständnis kann nicht aufgeklärt werden. Kurz darauf heiratet sie stattdessen aus Trotz einen Baron (Tully Marshall), der sehr reich ist und darum im Fürstentum die Fäden zieht. Weil der unmittelbar nach der Hochzeit stirbt und ihr sein Vermögen hinterläßt, wird sie nach kurzer Trauer zur „lustigen Witwe“.

    In Paris steigt sie zum Mittelpunkt der Hautevolee auf. Kronprinz d’Arcy überlegt nun, sie zur Frau zu nehmen, damit ihr (das heißt: Marshalls) Geld weiter sein Fürstentum am Laufen hält. Murray weiß zwar, daß er sich nur ihres Geldes wegen um sie bemüht, aber seinen Vetter Gilbert schätzt sie genauso ein. Um Gilbert zu verletzten, sagt sie ihm, sie werde d’Arcy heiraten. Dann kommt es allerdings zum Streit zwischen den Cousins, und sie verabreden ein Duell. Murrays Gefühle für Gilbert erwachen aufs Neue. Sie bittet ihn, vom Duell zurückzutreten, aber das geht gegen seine Ehre. Weil er denkt, sie habe für d’Arcy gebeten, schießt er jedoch in die Luft und läßt sich von ihm erschießen. Die Tragödie ist komplett. Kurz darauf kommt d’Arcy bei einem Attentat ums Leben. Gilbert erwacht im Krankenhaus – es war nur ein Streifschuß. Murray sitzt an seinem Bett, weiß nun, daß er sie wirklich liebt – und endlich kann die richtige Hochzeit stattfinden!

    Der Schluß des Films ist natürlich lächerlich. Ich kann gut nachvollziehen, daß der Stoff Stroheim überhaupt nicht interessiert hat. Aber in vielen einzelnen Szenen beweist er doch seine Meisterschaft. Nur er konnte ein Hofzeremoniell überzeugend inszenieren. Zwar bleiben alle Figuren Klischees, aber immer wieder mal erwachen sie zum Leben, insbesondere Mae Murray. Die Hauptfiguren und auch einige der Nebenfiguren werden dann zu beinahe glaubwürdigen Menschen mit echten Gefühlen, getrieben von ihren Stimmungen, Irrtümern unterworfen, und manchmal sind sie imstande, sich liebend gegenseitig zu verstehen (auch wenn Stroheim daran wohl nicht recht geglaubt hat). Daneben ist der Film auch sehr unterhaltsam. Er ist ein herzzerreißender Irrgarten der Liebe. In einigen Momenten habe ich den ebenfalls ziemlich lustigen Marilyn-Monroe-Film „Der Prinz und die Tänzerin“ vorweggenommen gesehen (habe ich bereits besprochen).

    Über die Entstehung von Stroheims „lustiger Witwe“ gibt es eine Menge Anekdoten: über seine Auseinandersetzungen mit Louis B. Meyer, der sich angeblich als Beschützer von Mae Murray verstand, seine Probleme mit der angeblich launischen Murray und auch mit Gilbert (beide Stars erlebten übrigens einen jähen Karriereabsturz; sie bekam schon kurz darauf keine Rollen mehr, weil sie MGM hochmütig den Rücken kehrte, er mußte sich mit unbedeutenden Filmen und Nebenrollen begnügen und soff sich in jungen Jahren zu Tode). Ich glaube, daß die meisten Anekdoten über „Die lustige Witwe“ erfunden oder jedenfalls stark übertrieben sind. Im Film ist davon nichts zu sehen; alle Beteiligten sind handwerklich absolut professionell und geben ihr Bestes. Allerdings ist der Film wohl doch von MGM um zwei auf zehn Rollen gekürzt worden; manche Szenen im Pariser „Maxim's“ erschienen offenbar, obwohl es noch keine Filmkontrolle gab, zu gewagt. Ich fürchte, man würde heute das, was 1925 gewagt war, nicht mehr erkennen können. Mae Murray soll sich beklagt haben, daß Stroheim ihre Rolle als Hure anlegte; darauf deutet aber im Film nichts hin.

  • Es führt wohl kein Weg daran vorbei, nach Stroheims „lustiger Witwe“ die von Ernst Lubitsch (1934) zum Vergleich heranzuziehen. Beide Male produzierten MGM und Irving Thalberg. Die Filme liegen nur neun Jahre auseinander, aber gehören dennoch unterschiedlichen Epochen an. Man brauchte jetzt für die Rolle der Witwe Sonja eine ausgebildete Sängerin. Ich denke, das Lubitsch-Werk ist allgemein näher an der Operettenvorlage. Franz Lehar hat damals sogar persönlich die Filmmusik mit dem MGM-Studioorchester eingespielt. Aber vor allem haben wir hier zwei Regisseure, die an den Stoff völlig unterschiedlich herangegangen sind. Während Stroheim an den Figuren, ihren Motiven und Gefühlen ernsthaft interessiert war, schuf Lubitsch eine amüsante Schaumschlägerei, die nichts mehr als ein bißchen anzügliche Unterhaltung sein sollte.

    Der Prinz ist hier zum Grafen (Maurice Chevalier) degradiert, der aber hinter den Frauen noch viel mehr her ist, als das im Stummfilm der Fall war. Lubitsch dreht die Sache herum und läßt alle Frauen von Marshowia sich nach ihm verzehren. Nur die vollverschleierte Witwe (Jeanette MacDonald) würdigt ihn keines Blickes. Chevalier klettert über hohe Mauern, um sie zu treffen, aber sie zeigt ihm weiter die kalte Schulter. Nach dieser Begegnung wird ihr jedoch klar, daß ihr Leben freudlos ist, seit ihr Mann gestorben ist. Sie reist ab nach Paris. Wie bei Stroheim ist das für das Fürstentum ein großes Problem, da sie den Kleinstaat fast allein finanziert. Chevalier ist indessen bei einem heimlichen Rendezvous mit der Königin ertappt worden. Der König erkennt: Das ist der richtige Mann, um die lustige Witwe zu betören und zurückzuholen, und schickt ihn in geheimer Mission nach Paris.

    Dort laufen sie einander über den Weg, noch bevor ein Rendezvous arrangiert werden kann. Doch nicht nur sie ahnt nichts von seinem Auftrag – er erkennt sie ohne Schleier nicht. Und so geht ihre Annäherung erneut schief, und als sie endlich wissen, mit wem sie es wechselseitig zu tun haben, scheint es zu spät zu sein. Sie nimmt ihm übel, daß ihm anscheinend jede hübsche Frau recht ist, und er kann sie nicht davon überzeugen, daß er sich wirklich in sie verliebt hat (hat er das?). Chevalier wird nach diesem Reinfall nach Marshowia zurückbeordert und vor Gericht gestellt. Aber MacDonald kommt und besucht ihn im Gefängnis. Beide ahnen nicht, daß die Begegnung in der Zelle schon wieder arrangiert ist: Der König und sein Hofstaat haben beschlossen, beide so lange hinter Schloß und Riegel zu lassen, bis sie sich endlich ineinander verliebt haben. Und am Ende klappt es tatsächlich.

    Thalberg gab für diesen Film vergleichsweise viel Geld aus (1,6 Millionen Dollar) und engagierte das schon bewährte Team Lubitsch-MacDonald-Chevalier. Aber es war etwas schwierig. Der Filmoperette hatte wenige Jahre nach Einführung des Tonfilms das Filmmusical bereits den Rang abgelaufen. Immerhin konnte Jeanette MacDonald danach noch ein paar Erfolge mit ähnlichen Operettenfilmen feiern, bevor sie Anfang der 1940er Jahre ihre Karriere beendete. Lubitsch hielt sich hier eng an die Vorlage, wohl um speziell die Operettenfreunde anzusprechen und spickte den Film im übrigen mit den für ihn typischen ironischen Gags. Frivole Dinge spielen sich häufig hinter verschlossenen Türen ab, und wenn sich die Türen öffnen, wird dem Zuschauer klar, was vorgegangen ist. Obwohl es so kaum direkt anstößige Szenen gibt, haben die Kritiker ihm damals übelgenommen, daß er der berühmten Operette einen leicht schmuddeligen Überzug gab. Für Lubitsch war es wohl die einzige Möglichkeit, den inzwischen geltenden Filmcode auszutricksen. Für mich machen diese Gags den Film aber nicht unvergeßlich, und ich sagte ja schon, daß ich kein Operettenfan bin. Lubitsch hat jedenfalls danach noch ein paar große Komödien gedreht: „Blaubarts achte Frau“, „Ninotschka“, „Rendezvous nach Ladenschluß“ oder „Sein oder Nichtsein“.

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  • Ein Schlüsselfilm für das Verständnis des Phänomens Marlene Dietrich: „Marokko“ (1930) von Josef von Sternberg. Sie war in Deutschland eben mit „Der blaue Engel“ groß herausgekommen. Sternberg, der in Hollywood bereits einen Namen hatte, verschaffte ihr darauf sofort bei der Paramount einen Vertrag. Auch für das Studio zeichnete sich ab, daß sie das Zeug hatte, in USA ebenfalls ein Star zu werden. Sternberg war jedoch der Meinung, daß das amerikanische Publikum nicht zuerst den „blauen Engel“ zu sehen bekommen sollte, der sie als eigenwillige femme fatale einführte. In Hollywood drehte er mit ihr einen Film, in dem sie am Ende alles für einen Mann aufgibt, nämlich „Marokko“, ein Melodram im Rahmen des Mythos Fremdenlegion. Für einen weiteren Schauspieler war der Film sehr wichtig, nämlich für den Mann, dem sie verfällt: Gary Cooper. Er war bis dahin weitgehend auf Western festgelegt, zu diesem Zeitpunkt noch kein ernstzunehmendes Genre. Hier war er nun der romantische Liebhaber. Cooper beklagte sich, daß Sternberg sich ganz darauf konzentrierte, die Dietrich möglichst wirkungsvoll zu inszenieren. Dennoch konnte er sich neben ihr behaupten.

    Dietrich ist wie im „blauen Engel“ eine Nachtclubsängerin. Sie provoziert diesmal nicht durch ihr ordinäres Auftreten, sondern indem sie Männerkleider (Frack und Zylinder) trägt und eine Frau im Publikum (flüchtig) küßt. Wegen diesem Film setzten sich damals Hosenanzüge für Frauen durch. Die Story des Films, wiederum nach dem Roman eines Deutschen, wenn auch nicht vom Kaliber eines Heinrich Mann, ist denkbar einfach. Marlene Dietrich lernt bei ihrer Ankunft in Marrakesch einen reichen Snob (Adolphe Menjou) und einen einfachen Fremdenlegionär (Cooper) kennen. Hier muß der Mythos Fremdenlegion ein wenig erläutert werden: Weil man früher als Angehöriger dieser Armee nicht heiraten durfte und, wenn man verheiratet war, als Lediger geführt wurde, kam es zur Vorstellung, daß Männer bevorzugt nach einer gescheiterten Romanze (oder mehreren) der Fremdenlegion beitraten. So ist es jedenfalls bei Cooper – wobei der Zuschauer nie Details seiner großen Enttäuschung erfährt. Und Dietrich ist in der gleichen Lage. Sie merkt als erste, daß sie sich doch wieder verliebt. Er bleibt immer halbherzig und flüchtet, sobald seine Beziehung zu ihr ernst zu werden droht. Menjou ist sich seines Reichtums wegen ziemlich sicher, daß er sie gewinnen wird, aber so tolerant, daß er sie notfalls auch mit Cooper ziehen läßt. Eine Dreiecksgeschichte also, in der einmal nicht zwei Männer um eine Frau kämpfen.

    Cooper hat dauernd flüchtige Affären. Das bringt ihn in Konflikt mit seinem Vorgesetzten (Ullrich Haupt), der meint, er habe sich auch an seine Frau herangemacht. Cooper wandert dafür ins Gefängnis, aber Menjou erwirkt auf Drängen von Dietrich seine Freilassung. Haupt schickt Cooper darauf auf ein Himmelfahrtskommando, bei dem allerdings er selbst umkommt. Menjou und Dietrich wollen eben ihre Hochzeit feiern, als die Fremdenlegionäre in die Stadt zurückkehren. Dietrich kann nicht anders: Sie verläßt das Fest, um herauszufinden, ob Cooper auch nichts passiert ist. Als sie ihn nach Tagen findet, ist er aber nur sinnlos betrunken. Wieder läßt er sie abblitzen, aber er hat ihren Namen in die Tischplatte geschnitzt – das ist der Beweis, daß auch er sie liebt. Seine Abteilung muß aber gleich zum nächsten Einsatz ausrücken. Dietrich läßt sich von Menjou zum Stadttor fahren, um ihm nachzublicken. Eine Gruppe armer Frauen folgt als eine Art Troß den Soldaten. Da streift sie ihre Schuhe ab und läuft barfuß durch den Sand ihm nach.

    Trotz der exotischen Orient-Kulisse (jedoch komplett in Kalifornien nachgebaut) hat „Marokko“ wenig von einem Abenteuerfilm. Ganz im Mittelpunkt stehen die Begegnungen von Dietrich und Cooper und auch ein wenig die mit Menjou. Seine Spannung bezieht der Film ganz von den überlebensgroßen Gefühlen, die Sternberg soweit wie möglich auskostet. Obwohl der Typus der Dietrich ganz von Sternberg gemacht ist (sie trat damals gegen Greta Garbo an, die Galionsfigur der MGM), wirkt sie wie ein Star von eigenem Recht. Interesse weckt der Film nur durch seine Figuren und ihre stets nur angedeuteten Beziehungen, nicht durch die Handlung. „Marokko“ brachte Paramount eine Menge damals dringend benötigtes Geld ein. „Der blaue Engel“ kam einige Wochen später in die amerikanischen Kinos und war ebenfalls erfolgreich. Ob sich die Box-office-Ergebnisse mit denen von „Marokko“ vergleichen lassen, habe ich nicht herausbekommen, aber ich halte das wegen des kleinstädtischen deutschen Milieus und mancher Besonderheiten des Lola-Lola-Films für nicht sehr wahrscheinlich.

  • In den 1990er Jahren sendete Arte eine Reihe von Max-Linder-Filmen. Ich habe eine Videocassette mit 22 solchen Kurzkomödien gefüllt. Wahrscheinlich liefen noch mehr; vielleicht stoße ich bei anderen Cassetten noch auf den einen oder anderen Film.Von dem Franzosen Max Linder (in Wirklichkeit hieß er Gabriel-Maximilian Leuvielle) hatte ich bis dahin noch nie gehört. Dabei ist Linder ein wichtiger Filmpionier, der für Pathé einige der ersten Slapstickfilme drehte. Er hat einen Eintrag in der wikipedia und wird in den meisten filmgeschichtlichen Werken erwähnt, aber besonders viel erfährt man über ihn nicht. Seine Tochter Maud Linder drehte 1983 einen Dokumentarfilm über ihn, der aber sein Leben allein aus Filmszenen rekonstruiert und auch nicht sehr ins Detail geht. In Frankreich dürfte Linder weniger in Vergessenheit geraten sein als im Rest der Filmwelt. Auf jeden Fall war Linder schon einige Jahre, bevor es die ersten Charlie-Chaplin-Filme gab, ein Filmstar, und Chaplin, Mack Sennett, Buster Keaton und andere US-Komiker sollen sich ihn zum Vorbild genommen haben.

    Linder wurde 1883 in der französischen Provinz geboren, ging zum Theater und schaffte ab 1906 beim Film – damals noch ein Jahrmarktsvergnügen – den Durchbruch. Er soll auch Varieté-Erfahrung gehabt haben. Seine Filme dauern oft nur etwa zehn Minuten, was damals aber nicht ungewöhnlich war. Linder drehte zeitweise täglich einen Film. Insgesamt hat er wohl rund 500 Filme gemacht, von denen nur etwa 100 erhalten geblieben sind (aber immerhin!). Seine Kunstfigur Max wurde schnell in Frankreich und bald auch in ganz Europa bekannt. Der Erste Weltkrieg unterbrach seine Karriere. Linder wurde Soldat und trug durch Giftgas ein Nervenleiden davon. Nach Kriegsende wollte er weiterfilmen, war aber nicht mehr so leistungsfähig und auch beim Publikum nicht mehr so gefragt. In USA drehte er für Essanay Kurzfilme sowie auf eigene Kosten ein paar längere Filme (darunter die Douglas-Fairbanks-Parodie „The three Must-Get-Theres"), die aber nicht recht einschlugen. Ich weiß nicht, ob es eine Folge seiner Nervenkrankheit war, aber Linder hatte ein paar Marotten – er war hypochondrisch, überängstlich, pedantisch und neigte zudem zu Depressionen. 1925 beging er gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord.

    Ich greife mal seinen Film „Max lernt Englisch“ (1914) heraus, an dem zwar inhaltlich manches nicht stimmt, der aber dennoch viel Charme hat. Max will mit dem Zug nach Paris fahren. Er sucht sich ein Abteil aus, in dem eine junge Frau sitzt. Er ist sofort von ihr angetan. Um mit ihr ins Gespräch zu kommen, fragt er sie, ob er rauchen darf. Sie bedeutet ihm aber, daß sie kein Französisch versteht. Nach dem Filmtitel zu urteilen, ist sie Engländerin. Durch Zeichen macht er ihr klar, was er gefragt hat. Sie hat nichts dagegen – selbst rauchen möchte sie aber nicht (gespielter Hustenanfall). Max überreicht ihr einen gezeichneten Blumenstrauß und will noch mehr von ihr wissen. In ein Skizzenbuch malt er einen Zug und ein Fragezeichen hinein. Sie zeichnet auch: einen Eiffelturm und ein großes Haus – sie fährt also wie er nach Paris. Max geht jetzt aufs Ganze. Er zeichnet sich selbst und ein flammendes Herz. Sie dagegen zeichnet eine Gießkanne und einen Wasserschwall, mit dem das Herz gelöscht wird. Max reißt nun aus einem Blatt ein Herz aus. Sie will es ihm wegnehmen und vernichten. Weil er protestiert, faltet sie es und steckt es in ihre Bluse. Während dieser mühsamen Konversation zeigen beide durch Blicke und Gesten, daß sich zwischen ihnen noch mehr abspielt, ein witziger Flirt. Sie ist von seinem Annäherungsversuch zumindest geschmeichelt.

    Als sie am Pariser Bahnhof ankommen, trennen sie sich. Wenig später geht Max spazieren und blickt in ein Schaufenster. Da sieht er sie als Verkäuferin in dem Laden. Beide freuen sich, sich wiederzusehen. Sein Papierherz bewahrt sie noch immer in ihrer Bluse auf. Allerdings kommt ein Kunde, und Max versteckt sich in einer ausgestellten Duschkabine. Die Frau will den Kunden bedienen, aber der Ladeninhaber scheucht sie weg. Dieses Geschäft will er selbst machen. Er stellt demonstrativ die Dusche an, in der Max steht. Er wird patschnaß. Der Ladeninhaber und der Kunde unterhalten sich angeregt und bemerken ihn noch nicht. Schließlich wird es aber Max zu viel, und er steigt aus der Dusche heraus. Der Film ist zuende – offenbar kein happy end, denn die Frau sehen wir nicht wieder.

    Max ist ein Dandy mit Frack und Zylinder – er gerät immer wieder in haarsträubende Abenteuer (in diesem Film fehlen freilich Slapstickelemente), aber man sieht ihn nie arbeiten. Zudem hat er eine große Schwäche für die Frauen. Seine Partnerin hier ist Cecile Guyon (1890 – 1927), eine Profi-Schauspielerin. Da in Max-Linder-Filmen weder der Cast noch die Crew angegeben werden, war es nicht einfach, ihren Namen herauszufinden. Ob Linder zu ihr ein persönliches Verhältnis hatte, weiß ich nicht, auch nicht, ob sie öfter seine Filmpartnerin war. In dem bekannten Stummfilm „Germinal“ von Albert Capellani (1913) spielte sie eine Nebenrolle. Linder und Guyon stellen auf jeden Fall ihren Flirt sehr lebendig dar; man vergißt, daß zwischen diesen Filmaufnahmen und unserer Gegenwart schon mehr als 100 Jahre liegen. Allerdings kann ich mir vorstellen, daß an „Max lernt Englisch“ viel improvisiert ist. Die Filmstory wurde vermutlich nur grob abgesprochen. Max lernt überhaupt nicht Englisch. Wie die Frau ohne Sprachkenntnisse durch Frankreich reist, wird nicht plausibel gemacht, auch nicht, daß sie in Paris einen Job hat, bei dem sie ohne Französisch kaum auskommen kann. Freilich ist eine nonverbale Kommunikation in einem Stummfilm sehr reizvoll. Einen richtigen Schluß hat der Film nicht. Der durchnäßte Max, der damit vielleicht für seine Kühnheit bestraft wird, ist dennoch sehr komisch. Beim Betrachten der meisten Linder-Filme bin ich überrascht, wie viel von dem schon da ist, was ich für Erfindungen von Chaplin gehalten hätte. Aber das Vaudeville verbindet die beiden Komiker.

  • Ist aber aktuell auch nicht so wichtig, da die neue Software eh macht, was sie will. Manche Foren haben die alte Schrift aus dem vB-Forum übernommen und die neuen Texte werden automatisch in Verdana gesetzt.

    Peter kommt mit der Schrift Span ins Forum. Die lässt sich aber etwas schwerer lesen als Verdana.

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