Vom Schreiben zum Verfilmen

  • Hab' nochmal am Anfang nachgelesen. Mir war das gar nicht mehr bewußt, daß ich diesen Thread mal gestartet habe. Also ich hatte nicht vor, hier regelmäßig etwas zu schreiben - es sei denn, ich hätte in den Gratis-Buchregalen öfter Filmliteratur gefunden. War aber nicht der Fall. Meist stößt man nur auf Romane von Nora Roberts.

    Aber ich habe natürlich nichts dagegen, wenn andere diesen Thread weiterführen.

    • Upton Sinclair: Oil! (Albert & Charles Boni 1927) | Petroleum (Malik-Verlag 1927) und Öl! (März Verlag GmbH 1984, Manesse Verlag 2013)
    • There Will Be Blood (USA 2007, Ghoulardi Film Company und Scott Rudin Productions), Drehbuch und Regie: Paul Thomas Anderson, 158 min, FSK: 12, JMK: 14


    Durch die Vorliebe insbesondere meiner Mutter bin ich mit den Fernsehserien Dallas und Dynasty | Der Denver-Clan aufgewachsen, also Soap Operas, in denen US-Firmen aus der Ölbranche im Mittelpunkt standen. Wie realistisch die gewesen sind, konnte ich nicht beurteilen, aber wegen der erzählerischen Kniffe, zum Beispiel eine ganze Staffel im Rückblick als Traum umzuwerten, fand ich, dass die Macher sich sehr viele Freiheiten herausnahmen.
    Von Upton Sinclairs Klassiker The Jungle (1906) | Der Dschungel (1922) über die Schlachthöfe in Chicago hatte ich mir eine Comicadaption von Peter Kuper zugelegt, weshalb ich am liebsten die Vorlage dazu gelesen hätte. Als ich in einem Antiquariat Öl! aus dem März Verlag entdeckte, griff ich zu. Das war irgendwann in den 1990ern, so dass ich von einer Verfilmung noch nichts ahnen konnte.
    Upton Sinclair verfolgte als Sozialist eine klare Agenda, indem er bei Mißständen den Finger in die Wunde legte und menschenverachtende Praktiken anklagte. Deswegen erschienen seine Werke zeitweise im Selbstverlag. Seine Romane basieren auf einer sozialpolitischen Grundlage und sind insofern als Schlüsselromane fiktionialisierte Reportagen, die das Publikum leicht entschlüsseln konnte. So behandelt Öl! den Teapot Dome Skandal aus den 1920er Jahren, in den der 29. Präsident der USA, Warren G. Harding, und seine korrupte Ohio Gang aus Politikern und Industriellen verwickelt waren. Bis zum Watergate-Skandal in den 1970er Jahren war das der größte Skandal in den Vereinigten Staaten.
    Auch international war Sinclair erfolgreich, denn in der Weimarer Republik verkaufte der Malik Verlag von der deutschen Fassung in zwei Jahren 100.000 Exemplare. Wegen einer Sexszene in einem Motel, war das Buch in Boston verboten; weshalb der Verlag 150 Exemplare mit neun geschwärzten Seiten veröffentlichte, die als "Feigenblatt-Edition" in den Verkauf kamen. Sinclair protestierte gegen das Verbot und hoffte, vor Gericht den Bann aufheben zu können; durch die Kontroverse entwickelte sich der Roman zu einem Bestseller.
    Der Roman bietet ein komplexes Bild einer Gesellschaft, in der Erdöl den Waltran als Lichtquelle abgelöst hatte und die Verwendung als Treibstoff für Automobile einen weiteren Absatzmarkt versprach. Jenseits der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, bleibt das ein Roman, der auch heute noch erschreckend aktuell ist, und auf differenzierte Weise ein plattes Schwarz-Weiß-Schema vermeidet. Somit ist er auch für all jene lesbar, die nicht Upton Sinclairs linken Standpunkt teilen.

    Paul Thomas Anderson ist ein eigenwilliger Autorenfilmer, der Ende der 1990er Jahre mit seinen Filmen Boogie Nights und Magnolia sowohl bei der Filmkritik als auch beim Publikum landen konnte. Obwohl er sich in der Branche etabliert hat, ist sein Werk übersichtlich geblieben, weil zwischen seinen Filmen meist mehrere Jahre liegen. Die positive Resonanz beim Publikum und der professionellen Kritik beweisen, dass Anderson sein hohes Niveau halten kann.
    Das gilt auch für There Will Be Blood, der mit Lob überschüttet wurde, zahlreiche Preise erhielt und zu den besten Filmen des Jahrzehnts gezählt wird. Die Rechte an Sinclairs Buch kaufte 2004 der Journalist und Gastrokritiker Eric Schlosser und suchte dann einen Regisseur, der sich ebenso wie er für den Roman begeistern konnte. Schlosser fand ihn in Anderson, doch den interessierte in erster Linie der Konflikt zwischen zwei Familien in der Wüste. Während Anderson die ersten 150 bis 200 Seiten in den Bann schlugen, entwickelte er eine Story, die sich immer weiter von der Vorlage entfernte.
    Andersons Film ist mittlerweile ein moderner Klassiker, was nicht zuletzt am Casting liegt. Der Brite Daniel Day-Lewis ist besonders wählerisch bei seinen Rollen, in die er sich extrem hineinsteigert. In Paul Dano findet er einen eindrucksvollen Antagonisten. Hinzu kommt eine bildgewaltige Kamera, durch die die Landschaft zu mehr wird als nur eine Kulisse. Abgerundet wird die Qualität des Films durch einen avantgardistisch-sinfonischen Soundtrack. Der unabhängig produzierte Film mit einer Länge von mehr als zweieinhalb Stunden setzte einen Maßstab durch die Tatsache, dass er sich erfolgreich am Kinomarkt behaupten konnte. Durch seine Dramaturgie und Inszenierung besitzt der Klassiker eine alttestamentarische Wucht.

  • Zitat

    Während Anderson die ersten 150 bis 200 Seiten in den Bann schlugen, entwickelte er eine Story, die sich immer weiter von der Vorlage entfernte.

    Ist zwar schon Jahrzehnte her, daß ich Öl! gelesen habe aber den Eindruck mit der Entfernung von der Vorlage hatte ich auch. Aber wie Du schon geschrieben hast, macht ihn das wahrscheinlich eher zu einem Klassiker als das Buch selbst.

    Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.

    • Michel Houellebecq: Les Particules élémentaires. Roman (Flammarion 1998, Éditions J'ai lu 2003) | Elementarteilchen. Roman (DuMont 1999 und 2014, List 2001, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2006, Axel Springer Verlag 2012)
    • Elementarteilchen (Deutschland 2006, Constantin Film Produktion GmbH, Moovie - The art of entertainment GmbH, Medienfonds German Film Productions GmbH & Co. KG und Degeto Film GmbH), Drehbuch und Regie: Oskar Roehler, 108 min, FSK: 12, JMK: 14


    Zu meinen Zeiten auf der Uni habe ich mich vorwiegend über den Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur informiert. Auf diese Weise hörte ich den Namen Houellebecq das erste Mal. Im überwiegend linken französischen Kulturbetrieb provozierte der rechte Schriftsteller, so dass jedes neue Buch von ihm von einem Skandal begleitet wurde. Seine Romane wurden fleißig übersetzt und als Hörspiel oder für die Bühne bearbeitet, wodurch ich die Gelegenheit bekam, mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Durch das Hörspiel kannte ich schon den Plot in groben Zügen, weshalb ich mich an die französische Originalfassung des Romans traute.
    Mit Frédéric Beigbeder und Virginie Despentes gehörte Houellebecq zu den jungen Leuten, die den Literaturbetrieb der Grande Nation aufmischten und kräftig durchlüfteten. Im Gegensatz zu der zeitgenössischen deutschen Literatur war das keine Wohlfühlprosa für die eigene Wellness, sondern sperrige Werke mit unbequemen Thesen aus einer konservativen Sicht. Mit dem wenigsten, was Houellebecq da von Stapel ließ, war ich einverstanden; zugleich brachte er mir als Teil seiner Generation ein Frankreich näher, in dem Le Pen und seine Partei immer populärer wurden. Durch seine Prosa konnte ich nachvollziehen, wie sich da Ressentiments und Vorurteile festsetzen, ohne mich mit den Wahlkampfslogans der Rechtsradikalen befassen zu müssen. Außerdem fielen seine Romane im weitesten Sinne in das Genre Science Fiction, das sowieso verfolgte.
    Seinen Essay über den Rassisten H.P. Lovecraft mußte ich unbedingt gelesen haben. Houellebecqs Romane hat durchaus sprachliche Qualitäten, die ich zu schätzen weiß; aber irgendwann glaubte ich dann auch, seine Masche mit den verstörenden Essays oder pornographischen Passagen durchschaut zu haben. Was er mir an Erkenntnis bringen konnte, den Honig hatte ich aus seinen Werken gesogen; dadurch wurde er schlicht langweilig, und ich suchte mir andere Lektüre.

    Mit Oskar Roehler erging es mir ähnlich. Seinen Spielfilm Die Unberührbare über seine Mutter Gisela Elsner feierte ich, zumal das der erste Film von ihm gewesen ist, der mir auffiel. In den nächsten Jahren habe ich im Kino fleißig verfolgt, was er auf die Leinwand gebracht hat, bis es mir mit Der alte Affe Angst dann reichte. Von ihm kam nichts Neues mehr, stattdessen lieferte Roehler seine altbekannten Bilder aus seiner Berliner Blase, die nur wenig mit dem zu tun hatten, was ich hier in der Provinz erlebte; dafür war mir mein sauer verdientes Geld zu schade.
    Was ich seiner Verfilmung von Houellebecq zugutehalte, ist das Staraufgebot, das er hier vor die Kamera bekam: Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Corinna Harfouch, Nina Hoss, Jasmin Tabatabai und andere, die schon gut lieferten. Wie erwartet, versetzte Roehler den Stoff nach Berlin, was funktionierte; doch so richtig begeisterte mich die Umsetzung nicht. Für eine deutsche Kinoproduktion war sie okay, aber im Vergleich zur literarischen Vorlage war der Film schwach und durchschnittlich.
    Wer Houellebecqs Roman nicht kennt, wird die Verfilmung genießen können, doch ihr Impact hält nicht vor. Sie hinterläßt keine bleibende Erinnerung, während das Kultbuch des Franzosen bei mir zu einer Erfahrung geworden ist, die ich mit der Zeit um die Jahrtausendwende verbinde. Roehlers Verfilmung eine unter vielen, leider.

    • Wilhelm Hauff: Mærchenalmanach auf das Jahr 1828 (Franckh 1827) | Das Wirtshaus im Spessart (Enßlin & Laiblins 1935, Wilhelm Limpert 1940, Georg Westermann 1948 und 1951, Donauland 1958, Abel & Müller 1959, Fackelverlag 1965, Buchverlag Der Morgen 1968, Goldmann 1971, Aufbau Verlag 1972 und 1976, Fleischhauer & Spohn 1978, Silberburg 1978, Verlag Ralph Suchier 1980, Lesen und Freizeit Verlage 1985, Kinderbuchverlag DDR 1988, Gelka 1989, Neuer Kaiser 1999, Swan 1999, Vitalis 1999, Hamburger Lesehefte 2008, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft 2014, Europäischer Literaturverlag 2014, Vero Verlag 2019, Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH 2019, dearbooks 2021, Kloeden 2024)
    • Das Wirtshaus im Spessart (Bundesrepublik Deutschland 1958, Bavaria Film und Georg Witt-Film), Drehbuch: Heinz Pauck, Luiselotte Enderle und Curt Hanno Gutbrod, Regie: Kurt Hoffmann, 99 min, FSK: 12
    • Das kalte Herz (Deutschland 2016, Schmidtz Katze Filmkollektiv und Degeto Film GmbH), Drehbuch: Christian Zipperle, Johannes Naber, Steffen Reuter und Andreas Marschall, Regie: Johannes Naber, 119 min, FSK: 12, JMK: 12


    Zu den frühesten Schullektüren, an die ich mich erinnern kann, gehörte in der Mittelstufe dieser deutsche Klassiker. Vorher waren da rororo aktuell-Titel Pflicht, aber bei denen habe ich vergessen, wie die geheißen haben. Mein Taschenbuch stammte aus einem Klassensatz des Goldmann Verlags, falls ich mich nicht irre; auf jeden Fall gefiel mir, dass es sich dabei um reguläre Bücher handelte und nicht um eine lieblose gelbe Reclam-Ausgabe mit zu engem Satzspiegel und durchscheinenden Seiten.
    Ergo gab der Deutschlehrer vor, in welchem Tempo und mit welchen Vorgaben ich mir den Hauff zu Gemüte führte. Für Kunstmärchen fühlte ich mich zu alt, weshalb ich glaube, dass ich das Buch aus eigenem Antrieb kaum gewählt hätte. Trotz meiner kindlichen Vorbehalte las sich der Stoff angenehm, denn weder langweilte ich mich, noch hatte ich Schwierigkeiten mit dem Zugang. Das Märchen schilderte mir eine bürgerliche Welt aus dem Deutschland des 19. Jahrhunderts, zum Glück ohne pädagogischen Zeigefinger. Ich bin mir sicher, dass eines der Lernziele das Konzept einer Rahmengeschichte mit ihren Binnenerzählungen gewesen ist.
    Heute erinnere ich mich nur noch an die Räubergeschichte aus dem Rahmen und "Das kalte Herz", was wohl auch daran liegt, dass unsere Familie regelmäßig im Schwarzwald Urlaub gemacht hat. Bei der Geschichte um Peter Munk kommt hinzu, dass es eine naive, eben kindgerechte Kritik am kalten Kapitalismus gewesen ist, die mit starken Bildern gearbeitet hat.

    Die zweite Verfilmung Das Wirtshaus im Spessart von Kurt Hoffmann habe ich irgendwann im Fernsehen verfolgt. Sie gefiel mir erster Linie wegen der burschikosen Liselotte Pulver, die schauspielerisch glänzen durfte, wobei sie als Comtesse Franziska von und zu Sandau eine eigenwillige Weiblichkeit verkörpern dürfte, die zwar sympathisch angelegt war, aber nicht der Lächerlichkeit preisgegeben wurde. Für einen deutschen Film aus den 1950ern wurde ich zwar gut unterhalten, doch der Eindruck blieb ziemlich blaß.
    Denn mein besonderes Highlight waren die beiden Wolfgangs: Wolfgang Müller und Wolfgang Neuß. Durch diesen Film entdeckte ich vor allem Neuß, den Mann mit der Pauke, den Haschrebellen und zahnlosen Späthippie. Vor dem Hintergrund der braven Gesellschaft der Bundesrepublik war das ein Mensch mit Ecken und Kanten, ein Charakter, der gern mal provozierte und sein eigenes Ding machte. Aus meiner Dicht verkörperte er ein ähnliches Kaliber wie Coluche. Ich bewundere Neuß bis heute.

    Seit 1923 ist Das kalte Herz neunmal verfilmt worden. Von denen könnten mich jetzt nur noch die DEFA-Variante, die Adaption der Augsburger Puppenkiste und der Animationsfilm von 2013 locken. In der 3sat-Mediathek bin ich über die letzte Verfilmung mit Frederick Lau, Henriette Confurius, Moritz Bleibtreu, Milan Peschel und Jule Böwe gestolpert, die ich mir wegen des prominenten Castings gegönnt habe.
    Der Verfilmung war anzumerken, dass sie nicht Welt kosten durfte, denn die Tricks und Effekte waren bescheiden, die Sets waren übersichtlich, und die Dramaturgie hatte ihre Schwächen, so dass ich gewisse Längen spürte. Insgesamt empfand ich die Fassung trotz der Außenaufnahmen theaterhaft; eine Kinokarte hätte ich mir dafür nicht geleistet.

    • William Shakespeare: Coriolanus (vermutlich um 1608)
    • Coriolanus (Großbritannien 2011, Icon Entertainment International, Hermetof Pictures, BBC Films, Lonely Dragon, Lip Sync Productions LLC, Magna Films, Artemis Films, Magnolia Mae Films, Atlantic Swiss Productions, Synchronistic Pictures und Kalkronkie), Drehbuch: John Logan, Regie: Ralph Fiennes, 123 min, FSK: 16


    Coriolanus ist ein weniger bekanntes Werk Shakespeares und gewissermaßen ein Geheimtipp geblieben, einige sehen in ihm ein ungeliebtes Meisterwerk. Nun ließe sich einwenden, dass es sich dabei um ein Stück für die Bühne handelt, also kein genuin literarisches Werk; aber ich möchte einwenden, dass es sich dabei um eine meiner drei Lektüren für die Abiturprüfung handelt. Damals habe ich dafür eine Diogenes-Kassette mit der Schlegel-Tieck'schen Übersetzung zurückgegriffen, und bei dieser Übertragung ins Deutsche handelt es sich um einen Klassiker, der viel dazu beigetragen hat, den Barden aus Stratford-upon-Avon in unserem Sprachraum zu vereinnahmen und ihn quasi im Geiste zu einem von uns gemacht hat.
    Eigentlich wollte ich meine Abiturprüfung über Comics machen, weshalb ich mich rasch umentscheiden mußte. Meine Auswahl entsprang denn eher einem vagen Gefühl, weil ich einen Teil der Stücke noch gar nicht kannte, und ich dabei auf volles Risiko ins Blaue tippte. Deswegen kannte ich Coriolanus nur in groben Zügen, aber das reichte mir. Die Tragödie über einen römischen Kriegshelden, der sich in einen Berserker verwandelte, faszinierte mich wegen seines unberechenbaren und jähzornigen Charakters. Das politische Lehrstück trat in den Hintergrund, weil ich in dem Protagonisten einen höchst modernen und lebendigen Menschen von heute sah, der etwas Naives an sich hatte und doch zugleich brutal rigoros sein konnte.
    General Caius Martius ist eine martialische Kampfmaschine, die für die Herrscher Roms die Kastanien aus dem Feuer holt und als nützlicher Idiot funktioniert, bis ihn der Aufstieg als Senator an seine persönlichen Grenzen bringt. Coriolanus steigt aus, verläßt Rom und seine Familie und liefert sich seinem Erzfeind Aufidius aus. Schon sein Alleingang als Berserker hatte einen suizidalen Unterton, und der bleibt erhalten, indem er sich fortsetzt. Insofern empfand ich Coriolanus als Toten auf Urlaub, der mit seinem Leben längst abgeschlossen hat und fast wie der Antiheld aus einem Film Noir wirkt. Obwohl er keine Identifikationsfigur ist, treiben ihn moralische Prinzipien, für die er bis ans Äußerste geht.

    Umso verwunderter war ich, als ich in der 3sat-Mediathek auf diese einzige Verfilmung stieß, die auf der 61. Berlinale für den Goldenen Bären nominiert war. Ralph Fiennes führt Regie und spielt den Titelhelden, wobei er den Stoff modernisiert, indem er ihn in die Jugoslawienkriege der 1990er versetzt. Gedreht wurde in den zerstörten Gegenden von Belgrad und Montenegro, wo Vanessa Redgrave, Brian Cox und Gerard Butler in ihren Rollen glänzen. Zunächst fremdelte ich mit der Inszenierung, die mich jedoch bald fesseln konnte.
    Drehbuchautor John Logan griff auf den ursprünglichen Dramentext zurück, was in der Originalfassung flüssig rüberkommt; für die deutsche Synchronisation wurde zu meinem Leidwesen auf keine aktuelle Übersetzung zurückgegriffen, sondern auf eine verstaubt wirkende, bei der ich immer wieder das Papier rascheln hörte. Ralph Fiennes bietet hier eine Mischung aus Staatsdrama und Actionfilm, bei dem der Machismo des Krieges das Testosteron bis zum Anschlag bringt. Sein Anti-Braveheart empfehle ich guten Gewissens weiter; eine gelungene Shakespeare-Verfilmung.

  • Ich kenne dieses Stück auch nicht, aber ich kenne manches von Shakespeare nicht. Im Kindler Literatur Lexikon von 1974 steht, die bedeutendste Inszenierung stamme von Bertolt Brecht. Außerdem wird da eine weitere Verfilmung angeführt: "Coriolano, eroe senza patria", Regie: Giorgio Ferroni, Italien/Frankreich 1963.

  • In der deutschen Wikipedia war die Version von Fiennes als einzige Verfilmung aufgeführt. Kann schon sein, dass sich die italienische Adaptation auftreiben läßt, aber das erfordert bestimmt einigen Aufwand. Besonders anspruchsvoll scheint die nicht zu sein, denn in der englischen Fassung heißt der obskure Sandalenfilm reißerisch Thunder of Battle, und auf deutsch wird der als Schlacht der Gladiatoren aka Der Tribun von Rom vertrieben. Da erwarte ich nicht viel.

  • Bin weit davon entfernt, diesen Film zu empfehlen - klingt wirklich nach einem Sandalenfilm. Aber er war halt angegeben.

    Vielleicht ist die Spur von Brecht ergiebiger. Aber ich kann erst morgen in meine Brecht-Literatur reinschauen.

  • Soweit ich das recherchieren konnte, hat sich Brecht zwischen 1951 und 1955 mit Shakespeares Coriolanus befaßt, aber zu Brechts Lebzeiten ist es nie zu einer Aufführung gekommen.
    Diese Prämisse hat ein anderer deutscher Schriftsteller aufgegriffen und zu einem "deutschen Trauerspiel" verarbeitet, das am 15. Januar 1966 im Berliner Schillertheater seine Uraufführung hatte. Die Plebejer proben den Aufstand von Günter Grass verknüpft Brechts Proben für eine Aufführung am Deutschen Theater Berlin mit dem 17. Juni 1953, also dem Aufstand in der DDR.
    Als Sekundärliteratur hatte ich mir ein dreibändiges UTB Shakespeare Handbuch geholt, in dem ein Aufsatz "Die Plebejer proben den Aufstand" hieß.

  • In der Brecht-Biografie von Frederic Ewen wird das Stück nur kurz erwähnt:

    Zitat

    Die Diskussion um die anderen Stücke waren faszinierend, wobei Brecht probierte, fragte, ständig prüfte. Diesen "dialektischen" Prozeß wandte er mit besonderem Erfolg in einem Stück wie etwa seiner Bearbeitung von Shakespeares "Coriolan" an.

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