Comicautor und Zeichner Charles Haegeman bezieht eine neue, düstere Wohnung in einem bedrohlich wirkenden Gebäude in Brüssel. Die Haushälterin Madame Spiegel macht einen äußerst mysteriösen Eindruck und verströmt eine noch viel bedrohlichere Aura als die übrigen, ohnehin schon sehr eigenartig wirkenden Bewohner des Hauses von markanter Architektur. Haegemann selbst besitzt ebenfalls ein düsteres, dem Morbiden nicht abgeneigtes Gemüt und als er erfährt, dass sich der Vormieter der Wohnung selbst das Leben nahm und die Bude als verflucht gilt, bestärkt ihn das nur noch mehr in seinem Entschluss hier einzuziehen, denn er arbeitet gerade einem ganz speziellen, postapokalyptisch angehauchten und von Morbidität geprägten Comic. Die Atmosphäre seiner neuen Bleibe wird ihm bei der Fertigstellung des Werkes sicherlich behilflich sein, so denkt er zumindest. Als ihm jedoch kurz nach seinem Einzug das Tagebuch des Toten in die Hände fällt und mehr und mehr seltsame und unerklärliche Vorkommnisse eintreten zieht es Charles immer stärker in einen morbiden, blutigen und grausigen Strudel aus Furcht, Schrecken und geistigem Verfall.
Nach einigen Alben Pharao ist dies mein zweiter Hulet, und zugleich der Erste, bei welchem der Künstler auch als Autor fungiert. „Wehe wenn sie losgelassen“ könnte ein passendes Motto sein, denn die entfesselten, beinahe schon wahnhaften Bilder, die Hulet bei Pharao bei der ein oder anderen Vision einstreuen konnte, finden hier in weit größerem Ausmaß Anwendung. Insgesamt gesehen macht der Mann auch als Autor einen guten Job, schafft im Einklang mit seinen Bildern eine dichte und bedrohliche Atmosphäre und weiß so manches mal auch mit einer unvorhergesehenen Wendung zu überraschen. Ansonsten ist der Titel absolut Programm. Es wird morbide, es wird gruselig, es wird erschreckend. Irgendwo zwischen Gothic Horror und Kafkas Verwandlung führt uns Hulet in finstere Katakomben und seelische Abgründe. Ein zuweilen surreal anmutender Trip, der nicht durchgehend stringent daherkommt, aber gesamtheitlich zu fesseln weiß und in Erinnerung bleibt.
Das letzte Kapitel mit dem Besuch des Schlachtfeldes von Waterloo war für mich persönlich nochmal ein besonderes Schmankerl, weil wir die Stätte bei unserer Belgien-Reise 2017 ebenfalls besucht haben. Ich habe das Gefühl für Hulet selbst war L'État Morbide ein recht persönliches Werk, denn ich habe den Eindruck, dass er viel von seiner eigenen Persönlichkeit einfließen ließ und sich auch in seinem Protagonisten wiederspiegelte. Eine dem morbiden zugewandte, düstere Seele mit einer gewissen Schwere, so zumindest mein Empfinden. Sicherlich ist der Band nicht perfekt, aber die Bilder sind beeindruckend, die Geschichte zumeist, wenn auch nicht durchgehend, spannend erzählt und das Mysterium weckt auf alle Fälle die Neugier. Aufmachung mit allen drei Alben und tollem Bonusmaterial sind top.
7,5-8/10
VG, God_W.