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Alt 27.02.2023, 06:09   #926  
Peter L. Opmann
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Noch ein Film, den ich aus dem Fernsehen kenne. Wieder mal einer, den ich nicht mehr so genau in Erinnerung habe, aber es liegt auf der Hand, wie ich jetzt auf ihn komme. „Der Marathon-Mann“ (1976) von John Schlesinger handelt gewissermaßen vom Kampf gegen eine Nazi-Verschwörung. Ich glaube, Schlesinger ist es mit seiner Darstellung von Nazi-Aktivitäten 30 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ernster als Hitchcock in „Berüchtigt“, aber letztlich ist das auch nur ein MacGuffin, und man hätte das Ganze auch mit Rauschgift oder etwas anderem machen können. Bei der Nacherzählung der Story muß ich mich wieder mal teilweise auf wikipedia stützen. Ich merke, daß Drehbuchautor William Goldman die Handlung so verwickelt darbietet, daß ich möglicherweise einst, als ich den Film gesehen habe, nicht alles richtig verstanden habe. Was aber die Wirkung des Thrillers nicht beeinträchtigt hat.

Dustin Hoffman ist Student in New York und trainiert nebenbei im Central Park für einen Marathonlauf. Sein älterer Bruder (Roy Scheider) arbeitet, wie sich später herausstellt, für einen Nazi-Zahnarzt (Laurence Olivier) als Geldbote. Olivier hat in einem Vernichtungslager Juden ihre mitgenommenen Juwelen abgenommen, bevor sie in die Gaskammer geschickt wurden. Nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur floh er nach Südamerika, während Helfer diese Diamanten in einem New Yorker Schließfach deponierten und ihm von Zeit zu Zeit daraus erlöstes Geld schickten. Davon ahnt Hoffman nichts. Er wird aber in diese Geschichte verwickelt, als der Diamantenverwalter mit einem Juden in Streit gerät und beide bei einem Autocrash sterben. Nun ist Olivier von seinem Restvermögen abgeschnitten. Er beschließt, die Juwelen selbst abzuholen und sich nicht mehr auf Kuriere zu verlassen.

Kurz darauf werden Hoffman und seine neue Freundin (Marthe Keller) im Central Park von Handlangern Oliviers bedroht – er vermutet fälschlich, Scheider habe seinen Bruder in alles eingeweiht. Dann fällt Scheider selbst Olivier bei einem Treffen zum Opfer; der Nazi trägt ein Messer im Ärmel seines Mantels verborgen. Scheider war gleichzeitig Geheimagent, der den Machenschaften der Nazis in Südamerika nachspürte. Hoffman, nun endgültig alarmiert, will sich bei Keller verstecken, aber es erweist sich, daß sie in die Nazi-Verschwörung verwickelt ist. Hoffman wird entführt und landet auf einem Zahnarztstuhl – dem von Olivier. Der wendet jetzt noch einmal seine alten Foltermethoden an, um herauszufinden, wer alles von seinem Schließfach-Schatz weiß. Plötzlich taucht ein US-Ermittler auf und verhilft Hoffman zur Flucht. Während sie davonfahren, fragt er ihn aus, wie das Verhör des Nazi-Arztes verlaufen ist. Hoffman weiß aber nichts, und so bringt er ihn zu Olivier zurück – es war ein weiteres Täuschungsmanöver. Olivier bohrt wieder an Hoffmans Zahnnerven herum, aber er kann sich losreißen und seinen Verfolgern rennend entkommen. Das Marathon-Training macht sich bezahlt.

Hoffman fährt wieder zu Keller, aber diesmal erwartet er Oliviers Bande. Es kommt zum Showdown. Der Film hat jedoch noch eine Schlußsequenz, der das übliche Ende übertrumpft. Olivier holt jetzt seine Juwelen und will sie, in ständiger Angst, von ehemaligen Opfern, die das KZ überlebt haben, erkannt zu werden, an Juwelenhändler verkaufen. Einen Juden, der sich erinnert, bringt er mit seinem Messer um. Aber dann steht er Hoffman gegenüber, der ihn mit vorgehaltener Pistole zwingt, die Juwelen zu essen. Es kommt zu einem Handgemenge; Oliviers Aktenmappe fällt herunter, und die Edelsteine springen heraus. Als er versucht, sie zu retten, stürzt er in sein eigenes Messer.

Zwei Dinge sind mir hauptsächlich im Gedächtnis geblieben: Natürlich die Folterung mit den Mitteln des Zahnarztes (glücklicherweise hatte ich da die Plombierung meiner Backenzähne schon hinter mir). Es ist eine Form von Gewalt, die im Film bis dahin noch nicht vorgekommen war und die dadurch zusätzlich bizarr erscheint, daß Olivier immer wieder fragt: „Sind Sie außer Gefahr?“ Er will damit auf eine Losung hinaus, die Hoffman aber nicht kennt. Zweitens war für mich aber auch Oliviers Weg durch das New Yorker Juwelierviertel eindrücklich. Das wirkt halb-dokumentarisch, wenngleich es mir aus Distanz betrachtet auch sehr klischeehaft erscheint. Der Film suggeriert, New York sei voll von reichen Juden, die häufig als Juweliere in relativ kleinen Läden äußerst lukrativen Geschäften nachgehen.

Laurence Olivier hat darüber hinaus eine bemerkenswerte Rolle. Ganz anders als Claude Rains setzt er mit äußerster Brutalität seine Ziele durch – er ist ein Nazi der übelsten Sorte. Aber eine Figur, die durch und durch böse ist, kann den Betrachter nie richtig berühren. Und so ist er zugleich ein Mann mit dunkler Vergangenheit, der in ständiger Furcht lebt, daß sie ihn einholen könnte. Er muß seinen einstigen Opfern jetzt das verkaufen, was er ihnen geraubt hat, und obwohl er recht geschickt den Biedermann spielt (witzigerweise einen Deutschen, der sich als Engländer ausgibt), läßt er doch immer ein bißchen seine Unsicherheit spüren. Er war für den Oscar für die beste Nebenrolle zumindest nominiert.
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Alt 27.02.2023, 06:34   #927  
Marvel Boy
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Ja, der Film fühlt auf den Zahn der Zeit und dreht die Schraube ein bisschen mehr in Richtung der Horrorfilme die da kommen sollten ohne etwas mit ihnen zu tun zu haben.

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Alt 27.02.2023, 07:07   #928  
Peter L. Opmann
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Ich überlege mir gerade: Gab es im KZ eigentlich Zahnärzte? Aber egal...
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Alt 27.02.2023, 09:15   #929  
Rusty
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Gab es im KZ eigentlich Zahnärzte?
Wo bleibt dein logisches Denkvermögen als Journalist?
Na sicher gab es dort Zahnärzte! Zur Betreuung der SS-Schergen und ihrer Familien.
Ob diese "Ärzte" dann auch für das herausbrechen der Goldzähne der ermordeten Juden zuständig waren weiß ich nicht.
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Alt 27.02.2023, 09:20   #930  
Crackajack Jackson
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Zitat:
Zitat von Rusty Beitrag anzeigen
Ob diese "Ärzte" dann auch für das herausbrechen der Goldzähne der ermordeten Juden zuständig waren weiß ich nicht.
Ich glaube, dazu wurden Juden ausgewählt, die das tun mussten.
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Alt 27.02.2023, 09:53   #931  
Peter L. Opmann
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Es heißt, in der Story gebe es riesige logische Löcher. Obwohl Goldman für seine Romanvorlage damals 500 000 Dollar kassierte. Aber ich glaube, die Logik ist bei diesem Film tatsächlich nicht das Ausschlaggebende.
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Alt 27.02.2023, 10:01   #932  
pecush
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Ich muss nochmal zu Polanski zurückkommen. Ich habe gerade den Tarantino-Roman "Es war einmal in Hollywood" gelesen; Rezi findet ihr im Panini-Fan-Forum.
Da gibt es eine Einordnung von Polanskis Werk im Vergleich zu Hitchcocks, die mir sehr zugesagt hat:
"Aber da, wo ein Hitchcock-Thriller funktionionierte, um zu unterhalten, wollte Polanskis Film verstören. Hitchcock konnte ebenfalls verstören, und das tat er auch [...]. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Bei Polanski war die Verstörung des Publikums der entscheidende Punkt."
(S. 65)
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Alt 27.02.2023, 10:48   #933  
Peter L. Opmann
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Hast Du Dich da im Thread vertan, pecush?

Ich bin bisher auf Roman Polanskis Werk noch nicht eingegangen. Und mir fiel auch nicht auf, daß jemand von Euch mal ausführlicher auf ihn zu sprechen gekommen wäre. Kannst aber natürlich gern mal was über einen Polanski-Film schreiben.
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Alt 27.02.2023, 11:21   #934  
pecush
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Ne, vertan nicht. Zwar hast du (leider) noch keinen Polanski gehabt, der Name fiel aber schon mehrfach, "wenn ich mich nicht irre", um Ralf Wolter zu zitieren.
Und Hitch war auf jeden Fall schon dabei.
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Alt 27.02.2023, 11:30   #935  
Servalan
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
„Der Marathon-Mann“ (1976) von John Schlesinger handelt gewissermaßen vom Kampf gegen eine Nazi-Verschwörung. (...)

Dustin Hoffman ist Student in New York und trainiert nebenbei im Central Park für einen Marathonlauf.
Kann sein, daß die Thriller-Story Logiklöcher hat, interessanter finde ich die Details. Für einen Spannungsfilm ist der nämlich ziemlich politisch.
Ich halte den Film für komplex genug, um bei weiteren Sichtungen mehr zu entdecken.

Der Student in New York befaßt sich nämlich mit der McCarthy-Ära, also der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Das wird ziemlich explizit mit einer Vorlesung dargestellt. Wenn ich mich recht erinnere, kann das der Umstand gewesen sein, weshalb der Student vom Zahnarzt verdächtigt wurde, mehr zu wissen.
Der politische Subtext läuft quasi nebenbei auch Marathon.
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Alt 27.02.2023, 11:45   #936  
Peter L. Opmann
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Das mit McCarthy habe ich in wikipedia gelesen, aber ich habe mich nicht mehr erinnert. Und ich weiß auch nicht: War es 1976, also etwa 20 Jahre später, brisant, sich mit dem McCarthyismus auseinanderzusetzen?
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Alt 27.02.2023, 11:49   #937  
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@ pecush: Ein paar Polanski-Filme habe ich gesehen, habe mich aber noch für keinen entscheiden können. Es waren "Das Messer im Wasser", "Ekel", "Tanz der Vampire", "Rosemaries Baby", "Chinatown" und "Frantic". Welchen würdest Du empfehlen - oder einen anderen?
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Alt 27.02.2023, 11:52   #938  
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Im Film wird das als brisanter Stoff inszeniert. Und in der damaligen Gegenwart befinden wir uns ja in den Nachwehen von '68; die Proteste gegen den Vietnamkrieg waren noch in frischer Erinnerung, und in der Bundesrepublik war die Aufarbeitung der Naziverbrechen ein heißes Eisen.
Soweit ich mich erinnere, wird die McCarthy-Ära im Film als dunkle Epoche berachtet, von der jeder die Finger lassen soll, der sich nicht verbrennen will. Der Student riskiert mit diesem Thema schon einiges.
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Alt 27.02.2023, 11:58   #939  
pecush
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Die genannten habe ich alle gesehen.
Ich denke, sein "Standardwerk" wird immer "Rosemary's Baby" bleiben; ich erinnere mich gut daran, dass bei der Veröffentlichung von "Die neun Pforten" oft gesagt wurde, dass sei eben kein neuer "Rosemary's Baby" - war auch ein okkulter Thriller, aber eben nicht so gut (und das Buch um Längen besser, da ausführlicher).
Ich mag auch sehr "Der Mieter", und "Bitter Moon" ist so ein Film, dessen Faszination sich im Laufe der Jahre für mich gewandelt hat. Als Teenager gab es andere Gründe, den zu schauen, als heute.
"Der Pianist" ist natürlich auch super, und sicherlich auch "Der Gott des Gemetzels" (den ich leider noch nicht gesehen habe), aber die großen Regisseure werden nunmal meist auf ihr Frühwerk reduziert.
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Alt 27.02.2023, 13:00   #940  
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@ Servalan: Danke für den Hinweis. Ich glaube, das ist an mir vorbeigegangen, als ich den Film in den 80ern gesehen habe - da war ich auch noch zu jung, um das erfassen und einordnen zu können.

@ pecush: Also, ich bespreche hier nicht wahllos Filme, sondern solche, die mich irgendwie gepackt haben, auch wenn ich mich teilweise nicht mehr an sehr viel erinnere. Von Polanski kämen am ehesten "Tanz der Vampire" oder "Chinatown" in Frage; die zählen für mich aber auch nicht zu den unvergeßlichsten Filmen. Aber ich behalte das Thema Polanski mal im Hinterkopf.
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Alt 27.02.2023, 13:47   #941  
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Sowohl im Nazi-Strang als auch bei der McCarthy-Ära geht es um tödlichen Antisemitismus. Der Student hat ja ein persönliches Interesse, weil sein Vater während der McCarthy-Ära in den Selbstmord getrieben wurde, und trägt den ziemlich jüdischen Namen Babe Levy.
Außerdem ist er kein gewöhnlicher Student mehr, denn er will den Abschluß Ph.D. in Geschichte machen. Die gezeigte Veranstaltung dürfte also ein Doktorandenseminar oder ein Graduiertenkolleg gewesen sein. In der Hinsicht gehört er zum akademischen Mittelbau; er hat die ersten Schritten seiner Karriere an der Uni schon hinter sich, sprich die gewöhnlichen Abschlüsse.
Für das Fußvolk der Geschichtsstudenten dürfte die McCarthy-Ära als Thema zu heiß gewesen sein, um überhaupt angesprochen zu werden. Babe Levy geht ein hohes Risiko ein und traut sich etwas, weil er jetzt endlich eine Position innehat, die ihm einen gewissen Rückhalt gibt. Der Professor kann das heikle Thema nicht einfach beiseitewischen, weil ihn eine Nervensäge belästigt, vielmehr muß er beim Thema bleiben und Levy antworten.
Wie gesagt, auf der politischen Ebene lief ziemlich viel subtil.
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Alt 28.02.2023, 06:31   #942  
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Jetzt kommen ein paar Filme, die fast jeder kennen dürfte und die ich deshalb immer wieder zurückgestellt habe. Aber es gibt zu ihnen halt auch einiges zu sagen. Ich beginne mit dem berühmten Western „Zwölf Uhr mittags“ (1952) von Fred Zinneman. Eine sehr einfache Geschichte, bei der ein politischer Subtext mitläuft, um eine geschätzte Kollegin zu zitieren. Man kann den Film aber auch schlicht als Actionreißer sehen, und obwohl er gar nicht so viel Action aufweist, funktioniert er auch so einwandfrei. Er ist in USA wohl nicht so umstritten, wie ich bisher dachte. Doch John Wayne und Howard Hawks erschien er sehr „unamerikanisch“, weil niemand dem bedrohten Sheriff zu Hilfe kommt. Und Drehbuchautor Carl Foreman arbeitete mit so deutlichen Anspielungen auf die McCarthy-Hexenjagd, dass manche – einschließlich der Academy of Motion Picture Arts and Sciences – sehr verstimmt waren. Immerhin erhielt der Film jedoch vier Oscars.

Wer weiß, vielleicht gibt es ja jemanden, der „Zwölf Uhr mittags“ noch nicht kennt: Genau in dem Moment, als Gary Cooper seinen Dienst als Stadtsheriff quittiert und sich anschickt, Grace Kelly, eine Quäkerin, zu heiraten, trifft die Nachricht ein, daß ein brutaler Gangster, den er hinter Gitter gebracht hat, vorzeitig aus der Haft entlassen worden ist. Witzigerweise heißt er im Film Frank Miller, und er wird sich mit drei Kumpanen (darunter Lee van Cleef als junger Mann) treffen, um mit Cooper abzurechnen. Die Bürger überreden Cooper, mit seiner Frau schnellstens die Stadt zu verlassen, obwohl der neue Sheriff erst einen Tag später eintreffen wird, aber kurz darauf kehrt er um – er fühlt die Pflicht, sich der Bande zu stellen. Und er ist auch überzeugt, daß er in kürzester Frist eine Bürgerwehr aufgestellt haben wird. Nun folgt ein langer Mittelteil des Films, in dem eigentlich gar nicht viel passiert. Cooper ruft dazu auf, ihn bei der Abwehr der Revolvermänner zu unterstützen. Aber niemand will ihm helfen. Es gibt fruchtlose Diskussionen, Freunde sind plötzlich für ihn nicht zu sprechen oder entschuldigen sich vielmals: Sie sind Familienväter oder zu alt. Ein noch unreifer Hilfssheriff (Lloyd Bridges) legt sein Amt nieder, weil Cooper ihn nicht den Helden spielen läßt. Nur eine Schnapsdrossel und ein 14-jähriger Junge sind bereit, Cooper zu unterstützen – beide kann er nicht brauchen.

Kelly hat eine eigene kleine Geschichte: Sie lehnt jegliche Gewalt ab, nachdem ihr Vater und ihr Bruder bei einer Schießerei sterben mußten. Nun lernt sie eine Mexikanerin (Katy Jurado) kennen, die mal die Geliebte von Cooper war. Sie schätzt die Lage absolut nüchtern ein und reist ab, weil sie ihn, auf den sie große Stücke hält, in diesem Konflikt für unterlegen hält. Die beiden Frauen wollen zusammen mit dem nächsten Zug die Stadt verlassen. Mit ebendiesem Zug trifft Miller ein. Gemeinsam mit seinen Kumpanen sucht er die Stadt nach Cooper ab. Der sitzt weinend – wegen der extremen Anspannung und weil er ganz auf sich allein gestellt ist – in seinem Sheriffbüro; als er den Zug hört, geht er auf die Straße. Sobald der erste Schuß fällt, springt Kelly aus dem noch wartenden Zug und läuft zu ihrem Mann. Zwei Banditen kann Cooper erledigen, beim dritten hat er weniger Glück, aber Kelly erschießt ihn von hinten aus einem Fenster heraus. Frank Miller, der allein noch übrig ist, nimmt Kelly als Geisel, aber sie reißt sich los, und im gleichen Moment erschießt ihn Cooper. Die Bürger, die sich in ihren Häusern verkrochen hatten, kommen heraus und sehen sich das Ergebnis der Schießerei an. Cooper steht wie unbeteiligt dabei und wirft seinen Sheriffstern in den Staub. Dann verläßt er mit seiner Frau die Stadt.

„Zwölf Uhr mittags“ baut eine unerträgliche Spannung auf, weil man genau weiß, wann Miller in der Stadt eintreffen wird, und die Lage für Cooper immer aussichtsloser wird. Der Film läuft beinahe in Echtzeit ab, und es wird immer wieder eine Standuhr eingeblendet, deren Zeiger unaufhaltsam vorrücken (manche finden, dieses Stilmittel wurde übertrieben eingesetzt). Die Filmmusik von Dimitri Tiomkin verstärkt die Wirkung noch. Cooper, der zu dieser Zeit beliebteste Westerndarsteller, hatte in den Jahren zuvor keinen richtigen Kassenerfolg mehr – er wurde für seine Paraderolle zu alt. Hier wirkt er sehr gequält; das war nicht nur gespielt, weil er unter einem Magengeschwür litt. Er fand hier zu einem neuen überzeugenden Ausdruck.

Ich kann mir vorstellen, daß man diesen Film in Europa mit anderen Augen sieht als in USA. Auf mich wirkte er sehr realistisch. Ein Held, der allen Gefahren stets lachend ins Auge sieht und sie mit schlafwandlerischer Sicherheit besteht, ist oftmals angenehm zu betrachten, aber es ist klar, daß er eine Kinofantasie ist. Gary Cooper dagegen hat in diesem Film Angst, nur etwas weniger als die Menschen, die er um Hilfe bittet. Die Amerikaner störte dagegen, daß die Stadtbewohner so wenig Pioniergeist zeigen und sich lieber mit der Gangsterbande arrangieren wollen, als ihre friedliche Welt gegen sie zu verteidigen. Einige meinten, so etwas wäre in der Wildwestzeit niemals vorgekommen - das war aber die Erfahrung der hysterischen Kommunistenjagd des Senators Joseph McCarthy und des Komitees für unamerikanische Umtriebe, vor dem Drehbuchautor Foreman ebenfalls aussagen mußte.
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Alt 28.02.2023, 06:44   #943  
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Den Film hab ich als jugentlicher gesehen, noch bevor ich über Mc Carthy stolperte und somit war mir der Zusammenhang bis heute nicht bewußt.

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Alt 28.02.2023, 12:52   #944  
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Tja, was soll man da groß schreiben? Der Film ist ein Meisterwerk .

Die Hintergründe mit dem McCarthy-Ära sehe ich allerdings nicht so deutlich; - schon allein, weil die große Zeit von McCarthy erst NACH dem Film begann.
Die persönliche Vita der Beteiligten spricht zwar eher dagegen, aber man könnte ohne viel Mühe die Parabel auch umdrehen.

Ich sehe ihn eher als allgemeine Entzauberung einiger Westernmythen, ohne den Helden bloßzustellen.
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Alt 28.02.2023, 13:13   #945  
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Entzauberung von Westernmythen - sehe ich ganz genauso.

Aber Carl Foreman war tatsächlich einer, der unter der Kommunistenhatz schwer zu leiden hatte. Ich habe gestern extra nochmal nachgesehen, ob das mit dem Film von 1952 zeitlich hinkommt, und bei wikipedia wird das so auf den Punkt gebracht:

Zitat:
Obwohl der namensgebende Senator Joseph McCarthy nur von 1950 bis 1955 öffentlich in Erscheinung trat, wird der gesamte Zeitraum der Verfolgung echter oder vermeintlicher Kommunisten und deren Sympathisanten, der so genannten Fellow travellers, von 1947 bis etwa 1956 heute als McCarthy-Ära bezeichnet.
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Alt 01.03.2023, 06:46   #946  
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„Blade Runner“ (1982) ist ein Science Fiction-Film, der in mehrfacher Hinsicht mit mir zu tun hat. Schon einige Monate, bevor er ins Kino kam, habe ich einen zweiseitigen Schülerzeitungs-Artikel über Philip K. Dick geschrieben, auf dessen Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ der Film basiert. Damit will ich nicht renommieren; vielmehr frage ich mich, was meine Quellen waren. Ich hatte damals schon das eine oder andere von ihm gelesen (der erste Roman war „Das Jahr der Krisen“/„The Crack in Space“, der zu seinen schwächeren gehört, mich aber ungeheuer ansprach), aber viel kannte ich noch nicht. Ich hatte das „Lexikon der Science Fiction-Literatur“, aber auch das war nicht alles, was ich über Dick wußte. Ausgerechnet „Do Androids…“ benutzte dann Stanislaw Lem als Musterbeispiel eines schlechten SF-Romans. Ein gravierender Denkfehler war für ihn, daß Androiden revoltieren, obwohl sie gar nicht wissen, daß sie keine Menschen sind.

Den Film, der vom Roman teilweise deutlich abweicht, aber die von Lem kritisierte Prämisse übernimmt, habe ich dann immer wieder gesehen, und ich kam erst nach und nach auf alle Zusammenhänge in der Story. Ich wußte wiederum nicht, daß „Blade Runner“ anfangs nicht so viel Publikum hatte (vielleicht ein weiteres Opfer von „E.T.“) und erst nach und nach zum Kultfilm wurde. An den Director’s Cut, in dem der Off-Kommentar fehlt, mußte ich mich mühsam gewöhnen. Vor etwa 15 Jahren kam ich dann mit der vierstündigen Dokumentation „Dangerous Days“ in Berührung, als ich mir die DVD besorgte, und erfuhr noch einmal einiges, was ich über Scotts Werk nicht wußte. Insbesondere, daß „Blade Runner“ einer der letzten SF-Filme war, die ohne Computereffekte auskamen.

Auch hier möchte ich auf die Story eingehen (es mag ja inzwischen eine Menge Jüngere geben, die „Blade Runner“ nicht kennen). Harrison Ford ist ein Androidenjäger, der sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, jetzt aber zurückgeholt wird, weil vier Replikanten (so werden die hier offiziell genannt) von dem Planeten abgehauen sind, wo sie zu dessen Kolonisation Sklavenarbeit verrichteten, und nun unerkannt wieder auf der Erde sind. Ford soll sie „ausknipsen“, auch wenn man ihnen eine Sicherung eingebaut hat: Sie leben nur vier Jahre lang (auch das wissen sie übrigens). Ein anderer Blade Runner ist bereits beinahe getötet worden, als er auf einen von ihnen traf. Ford versucht zuerst herauszufinden, warum sie bei der Tyrell Corporation einbrechen wollten (obwohl der Firmenchef der Konstrukteur der Replikanten ist). Er stellt mittels des Voight-Kampff-Tests fest, daß Tyrells Sekretärin (Sean Young) selbst eine Replikantin ist. Sie hat künstlich implantierte Erinnerungen an ihre angebliche Kindheit und weiß es daher selbst nicht. Ford tröstet sie; es bahnt sich eine Beziehung zwischen ihnen an.

Schritt für Schritt kommt Ford mit seinen Ermittlungen weiter und tötet zwei der Replikanten. Die beiden übrigen (Rutger Hauer und Daryl Hannah) erschleichen sich das Vertrauen eines Mitarbeiters Tyrells und verschaffen sich durch ihn Zugang zu ihrem „Vater“; sie wollen länger leben. Der enttäuscht sie jedoch: Er will und kann ihnen nicht helfen; medizinisch ist eine längere Lebenserwartung nicht drin. Hauer tötet ihn darauf. Inzwischen hat Ford auch Hannah aufgespürt und „versetzt sie in den Ruhestand“. In Hauer hat er aber offenbar seinen Meister gefunden. Er erweist sich ihm bei weitem überlegen und jagt ihn über Hochhausdächer. Als Ford schließlich abzustürzen droht, rettet ihn Hauer. Man denkt zunächst: Damit sich der Androidenjäger nicht durch einen Unfall von seiner Rache davonstehlen kann. Aber Hauer ist tatsächlich so weit, daß er im Töten keinen Sinn mehr sieht. In dem Moment, als die beiden konfrontiert sind, endet Hauers Lebenszeit. Ford kehrt zu Young zurück, und hier gibt es nun zwei mögliche Filmschlüsse. Die Produktionsfirma wollte, daß Ford und Young fliehen können und sie zudem eine Replikantin ohne Zeitbeschränkung ist. Scott hatte ein offenes Ende vorgesehen. Auch bei ihm fliehen Ford und Young, aber man hat den Eindruck, daß sie nicht weit kommen werden. Und es gibt noch einen deutlichen Hinweis darauf, daß auch Ford, ohne es zu ahnen, ein Replikant ist. Auch er hat offenbar eine künstlich implantierte Erinnerung. Ich glaube, Dick hätte das Scott-Ende gefallen – er starb, bevor der Film in die Kinos kam.

„Blade Runner“ war und ist enorm einflußreich. Scott entwarf eine neuartige Zukunft, die nicht leuchtend weiß war, wie bis dahin oft üblich, und von der Gegenwart gar nicht weit abwich – man sieht allerdings, wie Entwicklungen weitergehen: Umweltverschmutzung, soziale Prozesse, Architektur, Werbung… In einer Menge Filmen sieht man seitdem eine Blade Runner-Welt. In „Dangerous Days“ ist von einem Architekturbüro die Rede, wo man sich den Film regelmäßig ansieht, um Anregungen für die eigene Arbeit zu gewinnen. Es ist auch interessant, wie in dem Film Verfremdungseffekte durch traditionelle Mittel wie Modellbau oder Matte painting erzielt werden. „Blade Runner“ hatte ein relativ niedriges Budget; Scott legte dennoch Wert auf ungewöhnliche Bilder in nahezu jeder Einstellung. Übrigens ist die Zukunft, die hier entworfen wird (2019), inzwischen Vergangenheit, und man hat das Gefühl, einiges ist wirklich so gekommen, wie vor 40 Jahren vorhergesagt. Es gäbe noch eine Menge zu diesem Film zu sagen, aber vielleicht kommen wir in der Diskussion ja noch auf das eine oder andere.
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Alt 01.03.2023, 06:53   #947  
Marvel Boy
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Auch heute wieder nur meine meinung in Kurzform.
Der Film hat mich damals enttäuscht und auch nach mehreren Sichtungen kann ich ihm wenig abgewinnen.
Aber Kultfilme sind ja immer etwas problematisch.

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Alt 01.03.2023, 07:08   #948  
Peter L. Opmann
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Da würde mich aber doch interessieren, warum er Dir nicht gefallen hat. Kannst Du generell mit Science Fiction nichts anfangen?
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Alt 01.03.2023, 07:38   #949  
pecush
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"Blade Runner" war für mich eine "schwere" Geburt.
Ich war - der ein oder andere mag es wissen - immer ein großer Harrison-Ford-Fan; "BR" habe ich aber erst sehr spät gesehen.
In einer ganz miesen VHS-Aufzeichnung, das ohnehin arg dunkle Bild war kaum zu erkennen. Meine Mutter und meine Schwester befanden sich wohl auch in der Nähe, als ich den sehen wollte - und die haben nur geschwätzt. 1. Versuch fehlgeschlagen.
Auch der 2., einige Zeit später, kam zur falschen Zeit. Es gibt Filme, für die muss man in der richtigen Stimmung sein, die kann man nicht immer schauen. Da quälte ich mich mehr durch den Film.
Erst beim dritten Sehen, gefiel mir das richtig, richtig gut. Ich habe den seitdem ein paar Male, aber nicht so oft gesehen wie manch anderen Ford-Film (siehe Punkt 2), aber ich mag den aufgrund seines Bildes und vor allem seines Soundtracks sehr.
Zu Letzterem vielleicht noch was: Als ich noch mit meiner Mama zum Einkaufen fuhr, kaufte ich mir eine günstige (um nicht zu sagen billige) CD - "Science Fiction Movie Themes". Darauf werden eine Menge Sci-Fi-Lieder (aber auch Indiana Jones) arg kurios nachgespielt; wenn man die Original-Lieder nicht kennt, haben die aber ihren Reiz. Vor allem, wenn man zehn/zwölf oder so ist.
Und da war eben auch "Blade Runner" drauf. Von daher hatte ich die tolle Soundtrack-Melodie immer im Kopf.
Die Original-Aufnahme habe ich mir aber nie gekauft.
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Alt 01.03.2023, 08:02   #950  
Peter L. Opmann
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Auf die Soundtracks gehe ich zu selten ein. Die Filmmusik hier von Vangelis trägt sicher auch zur Wirkung bei. Das war wirklich ein futuristischer Sound, der aber nach meinem Verständnis hauptsächlich das Melodramatische in "Blade Runner" ansprach.

Ich bin nicht ganz sicher, aber ich habe den Film wohl zuerst im Kino gesehen.
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