03.01.2022, 21:16 | #1 |
Captain Rezi
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Providence - Alan Moore macht den Lovecraft
Es ist schon einige Jahre her, da hat Comic-Gott Alan Moore sich das Gesamtwerk von Howard Phillips Lovecraft vorgenommen, einmal durch die Mangel gedreht, mit Meta-Ebenen versehen sowie expliziten Darstellungen garniert und anschließend auf Prosa- und Comic-Seiten gebannt.
Das Ergebnis hat nicht jedem geschmeckt und sicherlich polarisiert, dennoch scheint das Interesse groß genug, dass Panini nach den Trades vor einigen Jahren (Neonomicon & Providence 1-3) die Strecke "kürzlich" in zwei Deluxe-Bänden im schnieken Hardcover versammelt hat. Lange habe ich gezögert, jetzt nehme ich mir die Teile mal vor. |
03.01.2022, 21:17 | #2 |
Captain Rezi
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Providence – Deluxe Edition 1 (Alan Moore)
Ich bin mit Rezis im Hintertreffen, deshalb nur ganz kurz, was mir sowohl bei Lovecraft als auch bei Moore oft schwerfällt, aber der Herausforderung stelle ich mich. Der stumpfe, recht inhaltslose Monster-Porno, als welcher das Werk ab und an dargestellt wird, ist es sicher nicht. Klar, da gibt es recht harte, explizite Szenen, die von Natur aus wohl einfach am deutlichsten im Gedächtnis bleiben, eben weil Mister Moore hier mal wieder mit Tabus kokettiert und die Grenzen des guten Geschmacks auslotet, doch ohne Sinn und Verstand geht das Ganze sicher nicht vonstatten und wer Lovecrafts Schaffen im Groben kennt wird eine Fülle von Anspielungen und Verflechtungen erkennen, was schon mit Namen von Rockbands beginnt… Dieser ob seiner Brutalität und Intensität gegebenenfalls schockierende Teil der Story wird in „The Courtyard“ #1+2 sowie in den vier folgenden Heften Neonomicon #1-4 abgehandelt, in denen zuerst ein beinharter Undercover-Agent auf Spurensuche ist, um einen Drogenring auffliegen zu lassen, was in einer überraschenden Wendung gipfelt, und anschließend eine sexsüchtige FBI-Agentin mit ihrem Partner auf der Suche nach Hinweisen zu den Vorgängen in „The Courtyard“ in einen klaustrophobischen Höllentrip gerät, der nichts für zarte Gemüter ist. Das kann man mögen oder verabscheuen, aber es ist weder inhaltslos noch jemals langweilig. Äußerst dicht und beklemmend erzählt gehört der Abschnitt zu den wenigen Passagen in Horror-Comics, die mir tatsächlich ein beunruhigendes, klaustrophobisches Gefühl vermitteln konnten. Wie gesagt, sicher nicht für jeden was, ich fands stark, wenn auch nicht überragend, Fans von Japanischen Monster-Hentais müssen eh zugreifen. Dann kommt die Kehrtwende und wir starten mit den ersten vier Heften von „Providence“. Kehrtwende, weil die Erzählgeschwindigkeit deutlich zurückgefahren wird und sich der explizite „Auf-die-Fresse-Provokation-auf-Teufel-komm-raus“-Ton sich ins Gegenteil verkehrt. Hier kommt das Mysteriöse und Beängstigende auf leisen Sohlen und auf äußerst subtile, zu Beginn extrem verwirrende Art und Weise. Insgesamt bin ich bislang aber doch ein wenig enttäuscht von diesen ersten vier Heften. Es liest sich echt anstrengend, was nicht ausschließlich an der großen Textlastigkeit liegt, sondern vielmehr an den ständigen Wiederholungen. Da wird in Comicform eine Geschichte erzählt, naja, eigentlich eher ein großes Rätsel vor uns ausgebreitet, nur um dann auf seitenlangem Text in Form von Tagebucheinträgen zwei Drittel der soeben erlebten Vorgänge nochmals lang und breit auszuführen. Ja, stellenweise ist das wirklich interessant, weil dabei „das Blut im Rinnstein“, also die Aussagen und Erkenntnisse zwischen den Panels und zwischen den Zeilen nochmals herausgearbeitet werden, andererseits sind dem aufmerksamen Leser viele dieser Kleinigkeiten auch während des Comic-Parts schon aufgefallen. Sich jedes mal nach einer Comicpassage durch fünf oder sechs Seiten Fließtext zu lesen, bevor auf den letzten ein oder zwei Seiten zumindest ein wenig Neues passiert, und es dann wieder im Comicstyle weitergeht, bevor uns diese Passage dann erneut in Textform vorgekaut wird, usw…, nein, das ist vielleicht ganz stimmungsvoll geschrieben, aber insgesamt (bislang) leider wenig fesselnd. Das Füllhorn von Reminiszenzen an den Gentleman aus Providence, gleich an einen ganzen Schwung seiner Erzählungen und die Einbindung verschiedenster Motive und Versatzstücke aus dessen Gesamtwerk sind eine wahre Freude, und dabei habe ich vermutlich nur einen Teil davon tatsächlich entlarvt. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los Moore hätte lieber eine Novelle statt einem Comic schreiben, und sich in diesem Fall ganz auf seine Schreibkunst verlassen sollen. Das hätte eine stimmige Sache werden können. Dennoch bin ich gespannt, wohin sich die gerade erst begonnene Reise des Schreiberlings, den wir durch Neuengland begleiten, noch entwickeln wird. Vielleicht reißt der Meister das Ruder ja nochmal rum. 7/10 VG, God_W. |
03.01.2022, 21:20 | #3 |
Dr. Znegilletnirepus
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Tut er.
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03.01.2022, 21:56 | #4 |
Captain Rezi
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Bin schon dabei, aber noch nicht gänzlich überzeugt, habe allerdings noch einen guten Schwung Hefte vor mir.
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04.01.2022, 00:23 | #5 |
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Die Tagebuchseiten fand ich ebenfalls sehr anstrengend. Hat nicht geholfen, dass ich auch die Schrift nicht sonderlich gut lesbar fand. "The Courtyard" wurde übrigens nicht von Alan Moore geschrieben. Zumindest nicht der Comic. Dieser wurde von Antony Johnson verfasst. Es ist aber eine Adaption einer Prosageschichte von Alan Moore. In dem Band sind nicht nur Anspielungen auf HPL und sein Werk zu finden sondern auch auf dessen Umfeld und seine Einflüsse. Das hat mir damals alles recht gut gefallen.
"Providence" hingegen fand ich bestenfalls durchwachsen. Die letzten beiden Kapitel haben mir ganz gut gefallen. Bis dahin war das sehr ermüdend. Hat sich gezogen wie Kaugummi. Daran sind nicht zuletzt die angesprochenen Tagebuchseiten schuld. Die sollten wohl ein wenig "Watchmen"-Flair erzeugen. Da hat Moore ja ähnliches gemacht. Die Dekonstruktion hat für mich nicht funktioniert. Das mag daran liegen, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie Lovecraft oder dessen Werk betreffen sollte. Was nun Querverweise usw. angeht fand ich es wiederum eher simpel. Den Werbespruch, dass Moore hier ein "WATCHMEN des Horrorcomics" vorlegt, sehe ich jedenfalls nicht so. Mehr als ganz nett fand ich es nicht. Vielleicht habe ich aber auch zu große Erwartungen gehabt. "Watchmen" ist einer meiner liebsten Comics, Lovecraft habe ich ebenfalls rauf und runter gelesen. Dem konnte Moore vielleicht gar nicht gerecht werden. Vielleicht muss ich es auch mal am Stück lesen. Wer weiß. |
04.01.2022, 02:48 | #6 |
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Solltest Du nicht tun.
Auch ich halte es für nur mäßig gelungen. "Ermüdend" trifft es sehr gut... |
04.01.2022, 11:13 | #7 |
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Das klingt nicht ermutigend. Nun ja, habe dafür eigentlich eh keine Zeit. Ist halt eine Sache, die ich echt gerne (mehr) gemocht hätte.
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04.01.2022, 11:18 | #8 |
Dr. Znegilletnirepus
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Ich fand die Grundstimmung arg beklemmend und Lovecraft insofern gut getroffen als man merkt, dass alles in eine unabwendbar falsche Richtung läuft. Die auf die Spitze getriebene Körperwechselgeschichte hatte mich damals ganz kalt erwischt. Die konnte ich nicht so leicht abschütteln wie den "Neonomicon-Porno".
Und das Ende fand ich grandios. Will hier aber nicht spoilern. |
04.01.2022, 11:44 | #9 | |
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Zitat:
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04.01.2022, 12:56 | #10 |
Dr. Znegilletnirepus
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04.01.2022, 13:14 | #11 |
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Körperwechsel bzw. dass der Körper einer Person von einer anderen (i. d. R. einem Vorfahren) übernommen wird, gibt es z. B. in "The Thing on the Doorstep" und "The Case of Charles Dexter Ward". Das Ziel gibt es bei Lovecraft so explizit nicht. Der wurde selten so deutlich. Man kann sich allerdings durchaus fragen, was Ephraim in Edwards Körper mit Edward in Asenaths Körper noch so getrieben hat. Insofern …
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04.01.2022, 13:16 | #12 |
Dr. Znegilletnirepus
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Wie gesagt, hier bleiben keine Fragen offen.
Und unter blasphemischen Ritualen hatte ich mir durchaus noch anderes vorstellen können als die Nummer in Neonomicon. |
04.01.2022, 13:27 | #13 |
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Weil Moore es ins extrem treibt. Das hat Lovecraft im Grunde nie gemacht. Wenn man von "The Loved Dead" absieht. Und das mag an Eddy gelegen haben. Lovecraft wurde oft eine unterschwellige sexuelle Komponente nachgesagt. Vieles kann man auch auf diese Art lesen. Moore holt das an die Oberfläche. Vermutlich auch sehr bewusst. Ob Lovecraft selbst ähnliche Hintergedanken hatte muss zwangsläufig offen bleiben, ob eine psychoanalytische Betrachtung unterm Strich sinnvoll ist, steht letzten Endes dahin. Aber das ist der Zug, auf den Moore hier aufspringt.
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04.01.2022, 15:14 | #14 |
Captain Rezi
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Ui, hab die letzten Beiträge jetzt schnell geskippt, da wird ja intensiv gespoilert. Bin auf jeden Fall gespannt, wie Band zwei ausgeht, scheint insgesamt ja mal wieder ganz schön zu polarisieren der Herr Moore.
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04.01.2022, 15:43 | #15 |
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Macht er vermutlich mit Absicht. Der Sack.
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04.01.2022, 15:44 | #16 |
Dr. Znegilletnirepus
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Quatsch. Finde ihn gut und gut ist.
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04.01.2022, 15:48 | #17 |
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Jetzt fehlt einer aus dem PF. Namen habe ich verdrängt. War aber ein bissel Anti-Moore. Einer aus dem "Rudel". Also eigentlich kein Verlust.
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04.01.2022, 22:23 | #18 |
Captain Rezi
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Da gibt es ja schon einige, also Anti-Moore-Comicleser. Vor allem Leute denen alles zu viel Text ist, was über ein durchschnittliches Batman-Heft raus geht.
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04.01.2022, 22:34 | #19 |
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Welch Unfug. Ich schätze die meisten seiner Werke immens (!).
Einige sind absolute Meisterwerke der Comickunst. Seine schwächeren Sachen sind zumeist noch überdurchschnittlich... |
04.01.2022, 22:42 | #20 |
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Bis auf "Spawn/WildC.A.T.s". Das war fürchterlich dämlich. Habe ich sogar weggeben. Wobei das auch für "Promethea" gilt. Ich weiß aber nicht, ob das dämlich ist. Ich hatte den ersten Band von Speed. Fünf oder sechs US-Hefte. Bin trotz einiger Versuche nie über die dritte Ausgabe geschafft. Und die hatte ich nicht mal abgeschlossen. Ich habe keine Ahnung was das sollte. Ein Bekannter, der die Serie schätzt, meinte mal, dass "Promethea" so ist, als würde man Alan Moore beim Menstruieren zu sehen. Was diese Beschreibung aussagen soll weiß der Fuchs.
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04.01.2022, 23:04 | #21 |
Captain Rezi
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Ich bin da ganz bei Dir excelsior! Ich hoffe Du hast Dich nicht angesprochen gefühlt! Sollte auch nix gegen Batman-Leser sein, lese ich ja selbst gerne, aber der Standard-Superheld kommt heutzutage mit vergleichsweise wenig Text aus und Moore ist da für Manche echt zu viel Lesestoff. Hab das schon öfter gehört und gelesen.
Ich habe ja auch schon Einiges von Moore gelesen und wurde so gut wie nie enttäuscht, From Hell ist wohl der beste Comic, den ich je gelesen habe, seine Watchmen, Miracle Man, die ersten zwei Drittel des Swampie Runs (den rest kenne ich ja noch nicht) usw... alles ganz groß. In Kürze erscheint sein Cinema Purgatorio beim Dantes Verlag (von J.R. Nielsen übersetzt und mit Anhang versehen), da bin ich äußerst gespannt drauf! Die Lost Girls warten auch noch auf dem Lese-K2. @Kain: Spawn/WildC.A.T.S. fand ich spaßig und unterhaltsam, kenne die WildC.A.T.S. aber auch sonst nicht. |
04.01.2022, 23:20 | #22 |
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Musst Du auch nicht kennen. Ich finde die originalen "WildC.A.T.s" ganz nett. Aber das ist nichts Besonderes. Auch nicht die Ausgaben von Moore. Wobei mir die alle besser gefallen haben, als die angesprochene Mini. Die war echt nichts.
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05.01.2022, 01:27 | #23 |
Dr. Znegilletnirepus
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Promethea habe ich hier noch liegen. Allerdings nach dem ersten Trade auf englisch. Da habe ich bei Moore leichten Respekt vor.
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05.01.2022, 01:33 | #24 | |
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Zitat:
Es gab noch irgendetwas mit Fashion (Beast?), das hat mir nicht besonders gut gefallen. |
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05.01.2022, 02:00 | #25 |
Captain Rezi
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Das glaub ich, deshalb werde ich erstmal die auf deutsch verfügbaren Sachen lesen. Da hab ich noch ne Weile zu tun, denn zu viel Moore am Stück geht dann doch nicht.
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