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Alt 06.09.2023, 12:49   #1551  
Nante
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Bücher, die mir wichtig sind (in der Regel historische Sachbücher oder jetzt auch die Comic-Klassiker) kaufe ich weiter als Papier. Da geht es ohne Blättern einfach nicht.
Bei Romanen, die ich einfach so durchlese, spielt das nicht so eine große Rolle.

Bei manchen, gerade auch älteren Sachen ist es dann natürlich auch eine Geldfrage. - Die im letzten Beitrag erwähnte Jules-Verne-Ausgabe war glaube ich für 1,99 zu haben.
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Alt 06.09.2023, 13:01   #1552  
Peter L. Opmann
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Von der Jules-Verne-Ausgabe muß woanders die Rede gewesen sein. Meinst Du, für 1,99 Euro kann man die sich auch auf Papier zulegen? Oder wolltest Du eher sagen, bei einem solchen Dumping-Preis muß man aufpassen, daß man sich die Wohnung nicht noch mehr zumüllt?

Zurück zum Thema: Ich bin ja beim Digitalisieren meiner Videos. Kann man sich angesichts von Streaming vielleicht auch sparen, aber es ist immerhin ein Zugeständnis ans Digitalzeitalter. Ich habe die Videos, die ich schon übertragen habe, in die hinterste Kellerecke gepackt. Den entscheidenden Schritt, sie wegzuwerfen, habe ich aber noch vor mir...
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Alt 06.09.2023, 14:02   #1553  
Nante
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Nur Mut! Du schaffst es.
Ich habe auch fast 10 Jahre dazu gebraucht, nachdem mein Fernseher und der Video-Recorder vor einem viertel Jahrhundert gleichzeitig den Geist aufgaben.
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Alt 06.09.2023, 14:27   #1554  
underduck
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Wow! Frisch abgelaufene Garantie und dann sprechen sich die Kisten auch noch auf den Tag genau zum Boykott ab.

Was hattes du denn schlimmes angestellt?
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Alt 06.09.2023, 14:44   #1555  
Peter L. Opmann
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Zum Thema Wegwerfen von alten VHS-Videos:

Irgendwie habe ich doch etwas Sorge, daß ich mal Opfer eines Hackerangriffs werde und die ganzen schönen Filme dann weg sind.

Natürlich könnte auch ein Einbrecher kommen und den Schrank voll Videocassetten mitnehmen - aber das besorgt mich erstaunlicherweise etwas weniger.
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Alt 06.09.2023, 14:46   #1556  
Nante
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@underduck
Schlurzkuss.
Wird mir unvergessen bleiben, weil es mitten in der Berichterstattung über den UEFA-Pokal-Sieg vom Vortag eines späteren "Meisters der Herzen" erfolgte.

Zitat:
Natürlich könnte auch ein Einbrecher kommen und den Schrank voll Videocassetten mitnehmen - aber das besorgt mich erstaunlicherweise etwas weniger.
Es reicht eigentlich auch, daß irgendein Teil an Deinem Recorder den Geist aufgibt und es mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Ersatz dafür gibt.
(Ich habe den Recorder damals tatsächlich noch reparieren lassen. Aber da ich mir nie wieder einen Fernseher angeschafft habe, wurde er dann irgendwann auch entsorgt.)
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Alt 06.09.2023, 14:51   #1557  
underduck
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Schlurzkuss sein barfurcht kann!
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Alt 06.09.2023, 18:27   #1558  
Horatio
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Zum Thema Wegwerfen von alten VHS-Videos:

Irgendwie habe ich doch etwas Sorge, daß ich mal Opfer eines Hackerangriffs werde und die ganzen schönen Filme dann weg sind.

Natürlich könnte auch ein Einbrecher kommen und den Schrank voll Videocassetten mitnehmen - aber das besorgt mich erstaunlicherweise etwas weniger.
Ein Einbrecher, der eine VHS-Sammlung mit aus dem Fernsehen aufgenommenen Filmen klaut.
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Alt 08.09.2023, 08:56   #1559  
Peter L. Opmann
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Dieser Film ist als DVD günstig zu bekommen, den müßte ich also nicht so dringend digitalisieren. Aber den Vergleich mit „Lady für einen Tag“ finde ich ganz aufschlußreich. Hier also das Remake „Die unteren Zehntausend“ (1961), ebenfalls von Frank Capra. Der Originaltitel ist „Pocketful of Miracles“; er deutet an, daß es nun noch märchenhafter wird. Akzeptiert man das, dann gibt es gegen das Werk nichts Gravierendes einzuwenden. Allerdings ist es ein Beispiel dafür, daß ein Regisseur sich lieber eine schlechte Vorlage aussuchen sollte, statt eine gute, an der sich nicht viel verbessern läßt. Mir drängt sich der Gedanke auf: Capra muß einfach daran gelegen gewesen sein, einen sicheren Erfolg zu wiederholen.

Er hat ganz offensichtlich selbst gewußt, daß sich seine Komödie von 1933 kaum verbessern ließ, und deshalb ganze Szenen noch einmal exakt genauso inszeniert. Nur ließ er die Schauspieler ihre Darstellung deutlich dicker auftragen. „Die unteren Zehntausend“ ist weitaus opulenter als das Vorbild, und der Film ist mehr als eine halbe Stunde länger. Die Stars verleihen dem Remake mehr Glanz (wobei ich nicht weiß, ob die Darsteller in „Lady für einen Tag“ nicht auch Stars ihrer Zeit waren, zumindest Warren William und May Robson). Aber Capra kann damit nichts hinzufügen, was in dem alten Film nicht bereits da war.

Die Handlung brauche ich nicht nochmals zu erzählen. Bette Davis ist Apfel-Annie, Glenn Ford der Gangsterkönig, Hope Lange (die zu dieser Zeit noch eine größere Karriere vor sich zu haben schien) die mitfühlende Nachtclubsängerin, Thomas Mitchell der Billardhai, der sich als „Richter“ anreden läßt, Ann-Margret Annies Tochter. Eine größere Rolle als im alten Film hat Glenn Fords rechte Hand, gespielt von Peter Falk, dem man das Überspielen vielleicht am deutlichsten anmerkt. Capra fügt zudem eine Rahmenhandlung hinzu, die das Gangstermilieu stärker herausarbeiten soll: Ein Konkurrent von Ford aus Chicago (Sheldon Leonard) möchte in New York ins Geschäft einsteigen, und er macht Anstalten, darauf einzugehen, wenn Leonard ihm das angemessen bezahlt. Allerdings löst sich die Nebenhandlung am Ende in Wohlgefallen auf, da sich die beiden Gangster einfach einigen.

„Die unteren Zehntausend“ ist als modernes Märchen nicht schlecht. Aber das Original würde ich doch auf jeden Fall bevorzugen – weniger gekünstelt, anrührender, und die Gangsterkulisse der Prohibitionszeit mußte 1933 auch noch nicht so angestrengt nachgestellt werden. Der englischen wikipedia ist zu entnehmen, daß es größere Probleme gab, den Cast zusammenzustellen. Viele Hollywoodstars hielten die Story des Films für zu altmodisch, und es gab auch Animositäten zwischen mehreren Persönlichkeiten. Für Bette Davis war es schließlich ein Comeback, nachdem sie 1956 zuletzt auf der Leinwand zu sehen gewesen war. Zwar überstiegen die Einnahmen von rund fünf Millionen Dollar die Kosten des Films von 2,9 Millionen Dollar, aber es heißt, für Capra sei er ein Verlustgeschäft gewesen. Zumindest gab es ein paar Oscar-Nominierungen und je einen Golden Globe für Glenn Ford und Ann-Margret.
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Alt 08.09.2023, 11:35   #1560  
Nante
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Mich würde mal interessieren, wer damals auf den schwachsinnigen deutschen Titel gekommen ist. (Die unteren sind immer mehr als ZEHNTAUSEND!)

Fast möchte ich meinen, daß man an "Die oberen Zehntausend" ein paar Jahre früher anknüpfen wollte, wobei die Übertragung des Originals ("High Society") hier wenigstens gelungen war.

Der Film war ja auch ein Remake eines Films von 1940, wobei man es hier vielleicht nicht besser aber zumindest origineller gemacht hat.

Und Nein, ich werde nichts dazu schreiben, da ich zwar beide Filme kenne, aber nur noch eher vage Erinnerungen daran habe. Das einzige, was ich noch sicher weiß, ist, daß ich das Remake (natürlich) mal wieder als erstes gesehen habe und mir Katharine Hepburn als Kratzbürste deutlich besser gefallen hat als Grace Kelly.
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Alt 08.09.2023, 11:56   #1561  
Peter L. Opmann
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Schätze, der Verleih hielt das für ein gelungenes Wortspiel. Es ist übrigens nicht erkennbar, welcher der deutsche Verleih war - in USA war das United Artists.
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Alt 10.09.2023, 09:12   #1562  
Phantom
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Auch wenn ich das schon oft geschrieben habe: wenn hier keine Kommentare kommen, liegt das nicht daran, dass ich nicht mitlese. Aber wenn ich unterwegs bin (in den letzten zwei Wochen war ich in Wyoming, Utah und Colorado auf Tour), habe ich nur das Smartphone dabei, und damit anständige Sätze zu tippen, ist mir zu aufwändig. Auf dem "Turner Classic Movies"-Kanal habe ich auf meiner Reise übrigens ein paar alte Schinken gesehen, die ich hier bei Gelegenheit vorstellen kann. Noch fehlt aber die Zeit.

Nur schnell ein kurzer Einwurf:
Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
May Robson, die erst am Ende der Stummfilmzeit vom Theater zum Film gewechselt und hier bereits 75 Jahre alt war, erhielt für ihre Rolle der „Apfel-Annie“ eine Oscar-Nominierung. Bis heute ist niemand Älterer nominiert worden.
Soll das heißen, dass niemand mehr für den Oscar nominiert wurde, der älter als 75 ist? Das glaube ich nicht, da fallen mir spontan ein paar Namen ein: Anthony Hopkins (der hat doch den Oscar sogar bekommen), Judy Dench, John Williams.

Eure Erinnerungen daran, Informationen aus TV-Zeitschriften auszuschneiden, sind auch meine. Was war das für eine Zeit, als TV-Zeitschriften die einzige (für mich) verfügbare Quelle für Filminformationen waren! Später dann die Programmhefte der Programmkinos. Und manchmal bin ich auch in die Stadtbibliothek, um stundenlang nach Informationen zu Filmen zu suchen, die ich im Fernsehen gesehen hatte; viele Seiten wurden dann für teuer Geld kopiert. Und dann kam das Internet, und die ganzen Mühen wurden im Nachhinein entwertet.
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Alt 10.09.2023, 09:22   #1563  
Phantom
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Zitat:
Zitat von Nante Beitrag anzeigen
Mich würde mal interessieren, wer damals auf den schwachsinnigen deutschen Titel gekommen ist. (Die unteren sind immer mehr als ZEHNTAUSEND!)
Christian Morgenstern:

Zitat:
Zukunftssorgen
(...)
Er verlöscht die Kerze schweigend.
Doch dann, auf die Sonne zeigend,
spricht er: »Wenn nicht jetzt, so einst
kommt es, daß du nicht mehr scheinst,
wenigstens nicht uns, den – grausend
sag ichs –: unteren Zehntausend!«
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Alt 10.09.2023, 09:26   #1564  
Peter L. Opmann
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Ich hätte geschworen, daß ich das so gelesen habe, aber Du hast recht. Es steht in der wikipedia etwas anders:

Zitat:
Robson was the first Australian to be nominated for an acting Oscar, and, for many years, was also the oldest performer nominated.
Ich habe inzwischen mitbekommen, daß einige Leute hier mitlesen, würde mir aber doch wünschen, daß meine Kritiken öfter Widerspruch oder Zustimmung auslösen. Oder daß zumindest jemand Fehler von mir korrigiert... Damit ist natürlich niemand speziell angesprochen. Doch ich mache auf jeden Fall weiter.
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Alt 10.09.2023, 10:50   #1565  
Nante
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@Phantom

Danke! Das Gedicht von Morgenstern kann ich noch nicht. Und dann sogar eines, wo wieder Palmström auftritt!

Allerdings werde ich nach dem Lesen den Eindruck nicht los, hier sind andere "untere Zehntausend" gemeint.

Zitat:
Peter L. Opmann
Doch ich mache auf jeden Fall weiter.
Ja, bitte auf jeden Fall!!
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Alt 11.09.2023, 06:19   #1566  
Peter L. Opmann
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Ich möchte mal wieder eine Doku wiedergeben, nämlich „Buster Keaton: Lachen verboten!“ (1987) von Kevin Brownlow und David Gill. Offenbar habe ich ein Faible für Künstler, die an Hollywood gescheitert sind (nach der Abhandlung über Erich von Stroheim und, in gewissem Sinn, der über Marilyn Monroe). Und dazu gehört auch Joseph Keaton jr. Die Doku lief in zwei Teilen, offenbar gekürzt. Im Internet steht, sie sei zweieinhalb Stunden lang; meine Fassung hat nur etwa 1:40 Minuten. Wie er zu dem ungewöhnlichen Namen „Buster“ kam, erklärt Keaton selbst zu Beginn: Seine Eltern waren Vaudeville- und Medicine-Show-Künstler, und zu ihrer Truppe gehörte auch der Entfesselungskünstler Harry Houdini. Als kleines Kind fiel Keaton einmal in einem Hotel die Treppe herunter, ohne sich dabei zu verletzen, und Houdini sagte: „That sure was a buster!“ (also ein großer Sturz). Joseph Keaton sr. fand das einen guten Künstlernamen für seinen Sohn, denn er zeigte von klein auf Stürze und ähnliche Stunts auf der Bühne.

Keaton hatte weder eine ordentliche Schulbildung noch eine akrobatische Ausbildung; alles, was er konnte, eignete er sich in der Praxis an. Nicht nur fürs Vaudeville, er hatte auch ein erstaunliches Gespür für die Wirkung des Kinos. Geboren wurde er am 4. Oktober 1895 in Piqua/Kansas (wird auch als Pickaway angegeben). Da waren die Keatons aber nur auf der Durchreise. Mit vier Jahren trat er erstmals zusammen mit seinen Eltern auf. Sein Vater war ein komödiantischer trickreicher Tänzer, seine Mutter spielte mehrere Musikinstrumente. Mit Buster stellten sie eine Familie dar, in der der Sohn auf eigenwillige Weise erzogen wird. Dem Vater wurde Gewalttätigkeit nachgesagt (im Film „Neighbors“ erklärt er: „Er ist mein Sohn, und ich breche ihm das Genick so, wie ich will!“), aber Buster versicherte, die Nummern hätten ihm viel Spaß gemacht. Gegenüber einer Initiative zur Bekämpfung der Kinderarbeit wurde er als Zwerg ausgegeben.

Wegen des Alkoholismus des Vaters zerbrach die Familie, und Keaton ging 1916 auf der Suche nach Engagements nach New York. Roscoe („Fatty“) Arbuckle, den er vom Vaudeville her kannte, brachte ihn zum Film. Arbuckle arbeitete in einem Studio in der 48. Straße und dann in der Bronx für Produzent Joseph Schenck, später einer der Gründer der 20th Century Fox, und nahm Keaton in sein Team auf. Keaton wurde Arbuckles Regieassistent. Er interessierte sich von Anfang an brennend für die Filmtechnik. Wie Keaton von Arbuckle lernte, wird durch Ausschnitte aus dem Film „The Butcher Boy“ (1917) gezeigt. 1917 gingen sie nach Kalifornien, und 1919 kaufte Schenck für Keaton das alte Studio von Charlie Chaplin und verpflichtete ihn für 1000 Dollar pro Woche, acht Tworeelers (20-Minuten-Filme) pro Jahr zu produzieren. Keatons Assistent wurde Eddie Cline. Seine Gagschreiber produzierten keine Drehbücher, sondern entwickelten ihre Ideen beim Drehen. Keaton: „Wenn uns etwas gefiel, sagten wir: Das ist ein guter Anfang. Wenn wir uns über das Ende im Klaren waren, ging es los. Über den Mittelteil haben wir uns nie große Gedanken gemacht. Wir fanden immer, der Mittelteil ergibt sich von selbst.“

Bei Dreharbeiten zu „Das elektrische Haus“ (vollendet 1922) brach sich Keaton einen Knöchel – die Produktion stand still. Während der Genesung faßte er 1921 den Entschluß, Nathalie Talmadge zu heiraten, eine Schwester von Joe Schencks Frau Norma Talmadge. Er liebte sie, aber Nathalies Mutter wollte vor allem, daß sie eine gute Partie macht, und weil Keaton bei Schenck unter Vertrag war, blieb damit alles in der Familie. Einige Mitglieder der Talmadge-Familie blickten allerdings auf ihn herab und hielten ihn für einen billigen Komödianten. Keaton hat sein problematisches Verhältnis zu den Talmadges in seinem Film „My Wife’s Relations“ (1922) karikiert. 1922 passierte auch die Arbuckle-Affäre: Fatty Arbuckle wurde beschuldigt, am Tod einer Frau schuld zu sein, der er auf einer Party begegnet war. Nach drei Gerichtsverfahren und vielen reißerischen Schlagzeilen in der Presse wurde er schließlich freigesprochen. Seine Filmkarriere war aber damit beendet. Keaton spielte auf die Verfolgung eines Unschuldigen in seinem Film „Cops“ (1922) an (bereits weiter oben besprochen).

Keaton war der letzte der großen Filmkomiker, der sich an einen abendfüllenden Film wagte. David W. Griffith hatte in seinem Film „Intolerance“ (1915) vier Geschichten in unterschiedlichen Zeitebenen miteinander verwoben. Den nahm er sich zum Vorbild. Sein Film „The Three Ages“ (1923) spielte in der Steinzeit, im alten Rom und in der Moderne. Notfalls hätte Keaton drei Kurzfilme daraus machen können. In „Our Hospitality“ (1923) verzichtete er dann auf die Cartoon-Gags der Kurzfilmzeit und bemühte sich, alles glaubhaft zu machen. Das dramatische Ende des Films spielt sich im Truckee River in Nordkalifornien ab. Der Kameramann durfte nie die Kamera ausschalten, bevor Keaton es sagte. Vielleicht entstand ja dadurch, daß etwas schiefging, etwas Besseres, als er vorgehabt hatte. Man sieht, wie er von Stromschnellen fortgetrieben wird. Er war durch ein Seil um die Hüften gesichert, aber das Seil riß. Wäre er ertrunken, dann wäre zumindest das auf dem Film festgehalten worden. Der gefährlichste Stunt wurde in einer Kulisse in den Keaton-Studios gedreht. Er fängt seine im Fluß treibende Geliebte (Nathalie Talmadge, die durch eine Puppe ersetzt wurde) an der Kante eines Wasserfalls auf. Keaton schluckte so viel Wasser, daß ihm ein Arzt Erste Hilfe leisten mußte, aber er weigerte sich, ein Double einzusetzen.

Keaton sprang sogar oft für andere Schauspieler ein. In „Sherlock jr.“ (1924) doubelte er etwa einen Polizisten, auf dessen Motorrad er mitfährt, bei einem gefährlichen Sturz. In „The Three Ages“ sprang er von einem Hochhaus zu einem anderen. Er verschätzte sich aber, prallte gegen die Wand und stürzte ab. Außerhalb des Bildes war ein Sicherheitsnetz aufgehängt. Eddie Cline schlug vor, die Szene so umzuschreiben, daß die Aufnahme verwendet werden konnte. Der Sturz wurde somit von Markisen gebremst, und so gelangte Keaton auf den Boden. Er landet auf einem Feuerwehrauto, das gerade zu einem Einsatz abfährt. Die Szene wurde der größte Lacher des Films.

Bei den Dreharbeiten zu „Sherlock jr.“ kam es zu einem unvorhergesehenen Unfall. Keaton hängt am Rohr eines Wasserturms, während ein Zug unter ihm durchfährt. Das Rohr neigt sich, und Wasser strömt heraus. Keaton wollte sich auf die Schienen gleiten lassen. Er hatte unterschätzt, mit welcher Kraft das Wasser herausgeschossen kam, und stürzte mit dem Kopf auf die Eisenbahnschienen. Er hatte schreckliche Kopfschmerzen, und die Dreharbeiten wurden für einige Tage unterbrochen. Dann arbeitete er weiter, und das war’s – bis er zwölf Jahre später für eine allgemeine Untersuchung zum Arzt ging. Der fragte ihn: „Wann haben Sie sich eigentlich den Hals gebrochen?“ – „Nie.“ – „O doch“, sagte der Arzt. Buster überlegte und sagte: „Kann das vielleicht damals passiert sein, als ich mit dem Kopf auf die Schienen knallte?“ Und der Arzt sagte: „Durchaus möglich.“

Für „Sherlock jr.“ hatte sich Keaton eine Menge Gags ausgedacht, die sich, wie er befürchtete, nie zu einem Film zusammenfügen ließen. Also mußte ein Traum dafür herhalten. Keaton ist ein Kinovorführer, der während der Vorstellung einschläft und sich als eine der Figuren in dem Film sieht, den er vorführt. Er steigt auf die Leinwand und wird zu einem Teil der Handlung. Die Leinwand war eine zweite Bühne, die so ausgeleuchtet war, daß der Eindruck einer Kinoprojektion entsteht. Der Film wurde ein Erfolg; er spielte nahezu eine halbe Million Dollar ein. Aber die Kritiker bemängelten mangelnde Originalität. Keaton und sein Team fühlten sich ziemlich gehemmt, als sie nach einer Idee für den nächsten Film suchten. Die Idee kam durch einen seltsamen Zufall. 1919 wurden Bolschewisten in USA aufgegriffen und an Bord eines Schiffs nach Rußland deportiert. 1924 sollte dieses Schiff abgewrackt werden. Keaton charterte es für 25 000 Dollar und entwarf eine Handlung, die auf dem Schiff spielt.

In "The Navigator" ((1924) lassen ausländische Agenten das Schiff abdriften, aber zwei reiche Passagiere (Keaton und Kathryn McGuire) sind noch an Bord. Keiner von ihnen ist jemals in einer Küche gewesen, keiner hat eine Ahnung, wie man eine Tasse Tee zubereitet. Nun geht es nur noch darum zu überleben. Buster muß Tiefseetauchen lernen, um den Untergang des Schiffs zu verhindern. Keaton bestand darauf, den Tauchgang selbst zu machen, obwohl Tauchen in diesen Tagen noch sehr gefährlich war. Gedreht wurde am Lake Tahoe, dessen Wasser kristallklar war. Das Hauptproblem war das eiskalte Wasser, in dem Keaton höchstens 30 Minuten lang bleiben konnte und das das Glas der Kamera beschlagen ließ. Es dauerte vier Wochen, bis die Sequenz abgedreht war. In die Südsee abgetrieben, wird das Schiff von Kannibalen angegriffen. Als sie das Schiff erobern, flieht das Paar mit einem Rettungsboot auf das offene Meer. Als das Boot kentert, landen sie auf einem auftauchenden U-Boot. Keaton hatte „Der Navigator“ begonnen, ohne zu wissen, wie der Film ausgeht. Am Ende stand ein Triumph; es war Keatons erfolgreichster Film. Mit ihm stellte er sich neben Chaplin und Lloyd in eine Reihe, obwohl seine schönsten Filme erst noch gedreht werden sollten. (Ende Teil 1)

Geändert von Peter L. Opmann (11.09.2023 um 06:27 Uhr)
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Alt 12.09.2023, 06:14   #1567  
Peter L. Opmann
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"Buster Keaton: Lachen verboten", Teil 2:

Mit „Der Navigator“ hat Keaton den Höhepunkt seiner Karriere erreicht; der Erfolg sichert ihm seine Unabhängigkeit. Er war überall in der Welt bekannt und beliebt, und er wurde beinahe über Nacht so reich wie der Millionär, den er spielte. Zurückweisung ist ein Thema, das sich durch viele Keaton-Filme zieht. Zu diesem Zeitpunkt war es auch ein Thema in seinem wahren Leben. Er war Vater von zwei Jungen geworden, aber seine Frau Natalie hielt ihn zunehmend auf Distanz. Sie zogen von einem teuren Haus in ein noch teureres Haus. Das Geld dazu liehen sie sich von Joe Schenck. Und als Schenck ein Drehbuch kaufte, das Keaton gar nicht mochte, fühlte er sich dennoch verpflichtet, es zu realisieren: „Seven Chances“ (1925). Buster spielt einen Mann, der bis um sieben Uhr verheiratet sein muß, um ein Vermögen zu erben. Er ist bereit, jede zu heiraten.

In seiner Not gibt er eine Annonce auf, die ein durchschlagendes Echo findet. Keaton drehte mit 500 Frauen in den Straßen Hollywoods. Als beim Preview das Publikum bei dieser Szene kaum lachte, war Keaton entmutigt. Dagegen löste eine andere Stelle beim Publikum Gelächter aus. Keaton versuchte herauszufinden, warum es genau diese Stelle war. Keaton: „Ich rannte, von allen verfolgt, hinaus ins offene Land. Während ich einen Hügel hinunterhechtete, traf ich eher aus Versehen einen Felsen. Ich drehte mich in der Szene um, da kamen drei große Felsen hinter mir her. Ich mußte in Deckung gehen und ihnen ausweichen. Für einen neuen Schluß drapierten wir 1500 Felsstücke, von kleinen in Grapefruitgröße bis zu einem großen, der fast drei Meter Durchmesser hatte. Ich geriet mitten in diesen Steinschlag, und diese Szene rettete den Film.“ Eine Freundin: „Die Frauen waren in seinen Filmen immer nur als Dekorationsstücke wichtig. Er hatte kein Interesse an Liebesgeschichten. Seine schönste Szene hatte er in ,Go West‘ (1925).“ Es war eine Liebeserklärung an eine Kuh.

„Seven Chances“, „Go West“ und „Battling Butler“ waren für Joe Schenck ungeheure finanzielle Erfolge. 1926 gab er Keaton grünes Licht für seinen teuersten und spektakulärsten Film „The General“. Keaton: „Ich glaube, ich bin auf diesen Film stolzer als auf alle anderen Filme, die ich gemacht habe. Grundlage für den Film war eine tatsächliche Geschichte aus dem Bürgerkrieg. Ich habe sie ganz detailliert wiedergegeben. Soldaten der Nordstaaten schleichen sich als Zivilisten verkleidet nach Süden und stehlen die Lokomotive. Auf ihrer Fahrt verbrennen sie alle Brücken hinter sich.“ Die Ausstattung des Films basierte auf Fotos aus dem Bürgerkrieg von Mathew Brady. Keaton sagte zu seinen Leuten: „Macht es so authentisch, daß es wehtut.“ Gedreht wurde in Oregon. Die südlichen Eisenbahnstrecken waren zu überfüllt. „Wir haben dort Lokomotiven gekauft und sie mit wenig Aufwand in Bürgerkriegsloks umgebaut. Dazu bauten wir einen Personenzug und einen Frachtzug mit Viehwagen.“ 17 Güterwagen mit Ausrüstung gingen nach Cottage Grove, um den Ort aussehen zu lassen wie Marietta in Georgia. Aber der Regisseur Keaton hatte alles im Griff. Er ließ für ein modernes Publikum ein Kapitel amerikanischer Geschichte wiedererstehen, den Bürgerkrieg.

Die Nordstaatler stehlen den Zug und entführen sein Mädchen, Annabelle (Marion Mack). Mit voller Kraft macht sich Buster an die Verfolgung. Mit der Draisine kommt er nicht weit, also steigt er auf die Lokomotive um, und dann sieht er die Kanone. „Wir fanden eine Original-Kanone aus dem Bürgerkrieg, das erste Modell, das auf Schienen transportiert werden konnte. Wir ließen sie für unsere Zwecke nachbauen. Es sah aus wie eine Requisite, die wir für den Film erfunden hatten. Das war auch unsere Sorge, daß jemand sagte. Diese Kanone haben die erfunden, weil sie so lustig aussieht.“ Der erste Schuß aus der Kanone sollte so schwach sein, daß die Kugel nur bis zur eigenen Lokomotive flog. Damals hat der Filmcrew eine Pinzette das Leben gerettet: „Als wir die Kanone das erste Mal luden, hatten wir Glück, daß niemand an der Strecke stand, denn die Kugel flog viel zu weit am Wagen vorbei und landete irgendwo im Feld. Beim zweiten Mal nahmen wir weniger Schießpulver, aber die Kugel flog immer noch viel zu weit. Schließlich dosierten wir das Schießpulver, indem wir es Körnchen für Körnchen abzählten.“

Bei den Dreharbeiten ging es damals noch gemütlich zu. Keaton konnte zwischen den Szenen auch einmal entspannen. Wenn sich Gelegenheit zu einem Baseballspiel bot, war er nicht zu halten. Keaton drehte fast immer ohne Drehbuch und ließ gern schon bei der Probe die Kameras mitlaufen. Mack: „Ich hatte mein Kostüm an und war bereit zu drehen. Aber ich wußte nicht, daß ich in dieser Szene einen Wasserstrahl abbekommen sollte, sobald der Zug angehalten hatte. Niemand hatte mir etwas davon gesagt, und so kam alles, was Sie heute in dem Film sehen, völlig überraschend für mich. Ich war ziemlich sauer.“ Für die Schlacht am Rock River holte Keaton die Oregon National Guard: „Wir brauchten Artillerie, Armeesättel und alles mögliche bis hin zu den Uniformen in Grau und Blau. Wir hatten 500 Mann da oben, die wir alle eine Woche lang unterbringen mußten. Wir steckten sie in graue Uniformen und ließen sie von rechts nach links reiten. Dann bekamen sie die blauen Uniformen und liefen von links nach rechts.“ Das Filmteam gab den Statisten keine Stiefel – sie hatten keine. Sie behandelten sie wie echte Soldaten. Sie ließen sie antreten, um die Entfernung zu messen, und dann ließen sie durchzählen und gaben Anweisungen wie Befehle, die sie dann ausführen mußten.

Die zentrale Szene wurde bei Culp Creek gedreht, wo eine Eisenbahnbrücke in Originalgröße gebaut worden war, nur damit sie zerstört werden konnte. Die Crew ließ die Lokomotive drei oder vier Mal darüberfahren, bevor die Brücke angesägt wurde, damit sie in den Fluß stürzen konnte. An dem Tag, an dem die Brücke zusammenbrechen sollte, kamen die Leute der ganzen Gegend, um zuzusehen. Es war die teuerste Einstellung der gesamten Stummfilmzeit. Die Menge erschreckte: War da nicht jemand auf der Lokomotive? Eine Frau fiel in Ohnmacht, als die Puppe nach vorne kippte. Als der Zug abstürzte, ertönte ein schrecklich schrilles Pfeifen. Die Zuschauer hatten den Eindruck, als ob tatsächlich etwas Schreckliches passiert sei. Die Schlacht wurde mit sechs Kameras gedreht. Überall explodierte etwas, Bäume flogen durch die Luft, Pferde scheuten. Dann geschah etwas Unvorhergesehenes. Funken flogen aus der brennenden Lokomotive in den ausgetrockneten Wald.

Keaton war für alles verantwortlich, was da passierte. Aber er selbst ging jedes Risiko ein. Neun Männer wurden verletzt, die meisten durch Explosionen. Eine Augenzeugin: „Sie hatten den Waldbrand schnell gelöscht. Aber es gab so viel Rauch, daß sie nicht weiterdrehen konnten. Sie mußten warten, bis es regnete. Also haben sie alles eingepackt und sind zurück nach Los Angeles. Als es nicht mehr qualmte, haben sie den Film fertiggedreht. Aber das hat natürlich die Kosten beträchtlich in die Höhe getrieben.“ Keaton hatte sein Budget schon weit überschritten. Aber er war überzeugt, daß das, was er hier drehte, ein Meisterwerk war. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen ist das sicher auch richtig. Aber als der Film damals in New York zum ersten Mal aufgeführt wurde, waren die Reaktionen gemischt. Es gab ein paar positive Kritiken, aber die New York Times schrieb: „Mr. Keaton kann an seine vorigen Erfolge nicht anknüpfen.“ In der Variety stand: „Der Film ist alles andere als komisch.“ Und Life Magazine warf ihm schlechten Geschmack vor. Keatons Lieblingsfilm hat die enormen Kosten nie eingespielt, und Schenck stellte ihm jemanden zur Seite, der die Produktion überwachte. Dieser Mann, Harry Brand, hatte einen wesentlichen Einfluß auf „Steamboat Bill jr.“

Keaton hatte bereits alles für eine Flutkatastrophe am Mississippi vorbereitet, die allerdings am Sacramento in Kalifornien gedreht werden sollte, als der echte Mississippi über die Ufer trat. Harry Brand sah die Wochenschaubilder der Katastrophe und alarmierte Joe Schenck. Keaton: „Ich sagte: Ich kann höchstens alles auf einen Wirbelsturm abstimmen, aber dann müßten wir vieles umbauen. Brand sagte: Das ist besser, mach das so.“ Und sie bauten alles um, um es dann für den Film wieder einzureißen. Flugzeugmotoren lieferten den nötigen Wind. Die Idee des Wirbelsturms faszinierte Keaton, und die Gags wurden immer aufwendiger. Es gibt die Szene, in der die Vorderfront eines Hauses auf Keaton herabfällt. Es ist einer der spektakulärsten Stunts, die je gedreht worden sind, und war äußerst gefährlich. Die ganze Wand war eine Platte, die an Seilen hing. Sie wog etwa 500 Kilo. Hätte Buster nur ein paar Zentimeter neben seiner Markierung gestanden, hätte ihn die Wand wie einen Zeltnagel in den Boden gedrückt. Keaton arbeitete damals zusammen mit seinem Co-Regisseur Charles Reisner. Reisner war sehr religiös und bei den Christian Scientists; alle hatten den ganzen Tag gebetet, bevor die Einstellung gedreht wurde. Er konnte es nicht mit ansehen. Kurz bevor Buster diese Einstellung drehte, hatte er die Nachricht von Schenck erhalten, daß seine Freiheit als Produzent eingeschränkt würde.

Er wechselte dann notgedrungen zu MGM. Auch zuhause hatte er Probleme, und er hatte einen Punkt erreicht, an dem ihm eigentlich alles ziemlich egal war. Als Keaton 1928 zu MGM kam, war es wohl das renommierteste Studio der Welt, das auf riesige Erfolge wie „Ben Hur“ und „The Big Parade“ (beide 1925) zurückblickte. 52 Filme wurden hier jedes Jahr produziert. Dafür verantwortlich waren Irving Thalberg und Louis B. Mayer. Und über allem schwebte ein Präsident, Nicholas Schenck, ein Bruder Joe Schencks, der in einem palastartigen Landsitz an der Ostküste wohnte. Er hatte in der Firma die absolute Kontrolle über jede Produktion. Jeder Regisseur spielte nur die zweite Geige. In dieser Umgebung sollte Keaton nun die Arbeit aufnehmen. Er hatte Edward Sedgwick an seiner Seite, einen alten Freund aus Vaudevilletagen, und er konnte einige Leute aus seiner alten Mannschaft mitbringen.

Seinen ersten Film bei MGM widmete er einem Gegenstand, der ihm sehr ans Herz gewachsen war, der Filmkamera. Die meisten seiner Filme wurden von Larry Weingarten produziert, der wohl eher einen Sinn für intellektuelle Komödien hatte. „The Cameraman“ (1928) wurde einer von Keatons Lieblingsfilmen. Er spielte einen Straßenfotografen, der in eine Parade gerät und dabei einen Wochenschau-Kameramann sieht. Er tauscht seinen Fotoapparat gegen eine gebrauchte Filmkamera ein. Natürlich war es ein uraltes Modell, und als frisch gebackener Wochenschau-Kameramann hatte er damit ziemliche Probleme. Völlig ungewohnt war für Keaton die Arbeit mit einem Drehbuch, und dieses war besonders kompliziert, auch wenn es ihm noch viel Raum für Improvisationen ließ. Noch dazu stellte sich heraus, daß es völlig unmöglich war, in New York auf der Straße zu drehen. Wo immer sie eine Kamera aufstellten, hatte sich in Sekundenschnelle eine riesige Menschenmenge angesammelt. Also strich er die Szenen in New York auf ein Minimum zusammen. An einem Sonntagmorgen um fünf Uhr drehten sie die paar Straßenszenen, die möglich waren. Dann kamen sie nach Hollywood zurück und drehten den Film hier weiter. Auf dem Gelände der MGM inszenierte Keaton den Bandenkrieg in Chinatown. Keaton nutzte alles, was es auf dem MGM-Gelände gab. Das Studio stellte ihm für eine seiner schönsten Einstellungen sogar einen Aufzug zur Verfügung.

Der enorme Erfolg des Films war für das Studio nicht der Beweis, daß Keaton recht gehabt hatte, sondern daß sie recht gehabt hatten. Sie bestanden darauf, daß sein nächster Film noch genauer geschrieben und kalkuliert würde. Zu allem Überfluß war auch noch seine Ehe in Gefahr. Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes hatten sich Buster und Natalie mehr und mehr entfremdet. Buster hatte sich in eine andere Frau verliebt, in Dorothy Sebastian, den Star seines neuen Films „Spite Marriage“ (1929). Keaton spielt Elmer, der eine Schauspielerin anhimmelt, aber zu schüchtern ist, sich zu erklären. Seinem Traum ein Stück näher kommt Elmer, als er eine kleine Rolle in dem Stück erhält, in dem sie die Hauptrolle spielt. Keaton hatte den Film ursprünglich als Tonfilm drehen wollen, aber MGM brachte ihn als Stummfilm mit Musikuntermalung und gelegentlichen Toneffekten heraus. Auch wenn es kein großer Kassenerfolg wurde, ist „Spite Marriage“ doch der letzte typische Keaton-Film.

Eine Hausregel von MGM verbot dem Star, sich körperlichen Gefahren auszusetzen. Regieassistent Andy Nealis: „Er stieg auf einen Tisch und fiel voll aufs Gesicht. Ich erschrak, aber er sagte: Das ist alles Probe. Ich übe nur.“ Bei Dreharbeiten an Bord seiner Yacht für „Spite Marriage“ riskierte Keaton einige gefährliche Stunts. Aber in seinem Vertrag stand, daß er das tun durfte. Seine Akrobatennummern durfte er machen, weil MGM wußte, daß er sie beherrscht. Aber sonst gestatteten sie ihm gar nichts. Sobald Pferde oder Autos ins Spiel kamen, war ihnen das Risiko zu groß.

MGM wandte sich nun dem Tonfilm zu. Aber es dauerte mehr als ein Jahr, bis sie einen geeigneten Stoff für Keaton gefunden hatten: „Free and easy“ (1930). Er hatte vor dem Übergang zum Tonfilm keine Angst, denn er hatte eine schöne Baritonstimme. Kein Stottern, kein Lispeln, keine Probleme. Sprechen oder singen, das hatte er sein ganzes Leben lang getan. Das Problem war nicht die Stimme, sondern die Figur. MGM versuchte, sie zu verändern. Sie machte den traurigen Clown aus ihm, der um Mitleid kämpft – was er nie getan hatte. Keaton begann, über die Hoffnungslosigkeit seiner Situation nachzudenken. Keaton: „Alle New Yorker Bühnenregisseure, Autoren und Musiker waren inzwischen nach Hollywood gekommen. Kaum begannen sie, an einem Skript zu arbeiten, spickten sie es mit kleinen Scherzen und komischen Sätzen. Ich hatte das Gefühl, die ganze MGM war damit beschäftigt, meine Gags auszuarbeiten. Alle lachten sich kaputt über die Dialoge, die ihre neuen Autoren geschrieben hatten. Sie achteten kaum noch auf die Handlung.“

Louis B. Mayer stand dafür, daß in allen Fragen der Produzent das letzte Wort hat. Irving Thalberg bewunderte Keaton zwar sehr, aber er erwartete von ihm, daß er sich exakt an das Drehbuch hielt. Irgendwann war dann der Punkt erreicht, an dem er überhaupt nicht mehr tun konnte, was er für gut hielt, weil viel zu viele Leute mitmischten. Eine Szene in „Free and easy“ illustriert die Situation, in der sich Keaton befand. Ein Regisseur glaubt, Elmer erklären zu müssen, wie er sich in einer großen Szene zu verhalten hat: „Schauen Sie nicht in die Kamera und warten Sie auf die Reaktion ihres Partners. Es kostet viel Geld, wenn Sie eine Panne bauen. Und vor allem lachen Sie! Schließlich ist es ein komischer Film.“ Sie suchten Storys und Stoffe aus, ohne mit Keaton darüber zu reden. Er versuchte immer nur bis zu einem gewissen Punkt, sich dagegen zu wehren. Ein Freund: „Er hat nie Krach geschlagen. Er verließ immer nur den Drehort. Er sagte: Wir sehen uns dann morgen, und ging weg und kehrte einige Tage nicht zurück.“

Die Produktionsfirma schickte verärgert Telegramme. Denn diese Unterbrechungen waren ziemlich kostspielig. Nachdem man ihm die kreative Kontrolle entzogen hatte, waren diese Tricks seine einzige Waffe. Auch hatte er angefangen zu trinken. Thalberg überredete ihn, mit Natalie einen Urlaub in Europa zu verbringen. Aber auch diese Reise brachte keinen frischen Wind in ihre Beziehung. Das nächste Drehbuch, „Sidewalks of New York“ (1931), gefiel Keaton überhaupt nicht. Aber er beugte sich dem Produzenten. Einer der zwei Regisseure war Jules White, der bisher nur Komödien mit Hunden gedreht hatte. Aber der Film spielte mehr Geld ein als alle Filme, die er vorher gedreht hatte, keineswegs zu seiner Freude, denn wie stand er jetzt vor MGM da?

Das Jahr 1932 brachte eine seltsame Entwicklung. MGM spannte ihn mit einem New Yorker Nachtclubkomiker zusammen, Jimmy Durante. Keaton zog sich sofort in den Hintergrund zurück. Sein Kampf gegen die beherrschenden Dialoge war verloren, als Durante die Szene betrat. Und MGM warf ihm vor, den Anschluß verpaßt zu haben. Es war ein Versuch, ein Komikerduo zusammenzubringen, von dem man sich ungeheuren Erfolg versprach. Sam Marx, Dramaturg: „So sehr ich Jimmy Durante schätze, er war eine völlig andere Art von Komiker. Vornehme Zurückhaltung war nicht seine Art. Es hat mir manchmal richtig wehgetan, wenn ich ihre Filme bei den Voraufführungen gesehen habe.“ Schon von der ersten Zusammenarbeit an hat sich Keaton nicht wohlgefühlt: „Und dann gaben sie mir jemanden wie Jimmy Durante, der nie den Mund halten kann. Er redet immer, egal, was passiert.“

Das, was Keaton wollte, konnte ihm das Studio nicht geben – Unabhängigkeit. Er wurde immer unglücklicher, bis er sich endlich entschloß, mit seiner Ehe Schluß zu machen. Was ihn am meisten traf, war der Verlust seiner Kinder. Natalie nahm ihren Mädchennamen wieder an, die Kinder wuchsen von da an unter dem Namen Talmadge auf. Keaton war zum Alkoholiker geworden. Er hatte alles verloren außer seinem Gehalt, und das verlor er am Spieltisch. Marion Mack: „Buster machte nach seiner Scheidung einen ziemlich unglücklichen Eindruck. Sie hatten sich sicher einmal sehr geliebt. Aber ich glaube, Buster hat zuviel getrunken. Natalie konnte das nicht mehr ertragen.“ Keaton: „Ich trank zuviel. Und als ich merkte, daß die anderen bessere Geschichten schreiben konnten als ich, fing ich an, mit ihnen zu streiten. Man braucht nicht mehr als zwei Mißerfolge nacheinander, um in Ungnade zu fallen.“ Buster war ein Alkoholiker, der nichts vertragen konnte. Nach zwei Drinks wußte er nicht mehr, was er tat. Aber er trank immer weiter. Dann wies man ihn in eine Anstalt ein. 1933 heiratete er die Krankenschwester Mae Scribbens. Er litt an starken Störungen, der Alkohol trübte sein Wahrnehmungsvermögen. Man sieht es in den letzten Filmen auch auf der Leinwand.

1933 schien das Team Durante/Keaton festgeschrieben zu sein. Keaton lebte jetzt in einem großen Bus. Vielleicht fühlte er sich an seine Yacht erinnert, die Natalie verkauft hatte. Wenn er arbeitete, wohnte er auf dem Parkplatz von MGM. Dort fanden regelmäßig Partys statt. Das kam schließlich auch Louis B. Mayer zu Ohren. Er wollte keinen Skandal auf dem Studiogelände – schließlich waren bei dem Bus eine Menge Mädchen aufgetaucht. Es wurde unwahrscheinlich viel getrunken, und wahrscheinlich wurde auch ziemlich hoch gespielt. Mayer schickte den Studiomanager hin, um für Ruhe zu sorgen. Er wußte nicht, daß der oft selbst an den Partys teilgenommen hatte. Als er erkannte, daß er nichts erreichte, ging er persönlich hin. Und es gab einen Riesenkrach mit Buster. Mayer haßte Keaton, und Keaton hat ihn als den schlimmsten Feind bezeichnet, den er in einem Studio hatte. Erst wies Keaton Mayer aus dem Wagen, und dann erteilte Mayer Keaton Studioverbot. Das war der endgültige Abgang von Buster Keaton. Und er verabschiedete sich mit einem wunderbaren Satz: „Ihr Studioleute habt meinen Charakter verdorben.“ Keaton war zu dieser Zeit 37 Jahre alt.

Am Ende von „The Cameraman“ wird Buster von MGM News gefeuert, und er stellt sich wieder hinter seinen alten Fotoapparat. Da erzählt ihm sein Mädchen, daß sie gerade seine Filme gesehen habe, und sie seien fantastisch. Es dauerte 30 Jahre, bis Buster Keaton in seinem Leben dasselbe erfuhr. Als eine neue Generation seine Stummfilme sah, feierte sie ihn als ein Genie der Leinwand. Und er lebte lange genug, um diese Anerkennung genießen zu können.
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Alt 12.09.2023, 06:55   #1568  
Nante
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Respekt, Du hast die Doku Klasse geschildert! Für jemand, der sie nicht gesehen hat, liest es sich prima.

Zu Keaton habe ich nie so recht den Zugang gefunden. Wahrscheinlich, weil er in der DDR zumindest für mich praktisch nicht stattfand. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, daß seine Filme gezeigt wurden oder daß ich in der Bibliothek eine Biografie von ihm gesehen hätte; - alles im starken Gegensatz zu Chaplin.

Ob das nun daran lag, daß die zuständigen Funktionäre mit seinem Humor nichts anfangen konnten oder weil man aus ihm kein "Opfer des Antikommunismus" wie Chaplin machen konnte? Keine Ahnung.

Den "General" habe ich mir vor ca. 10 Jahren angschaut. Die ersten zwei Drittel gefallen mir sehr gut, das "Große Finale" mit der Schlacht dagegen fand ich etwas zu wirr.
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Alt 12.09.2023, 07:25   #1569  
Peter L. Opmann
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Das Problem war, daß er in "The General" Scherze mit dem Krieg machte. Er fuchtelt zum Beispiel mit seinem Degen herum; dabei löst sich die Klinge vom Heft, fliegt durch die Luft und tötet einen Nordstaatler, der sich gerade an die Südstaaten-Linien heranpirscht. Der Bürgerkrieg war damals gerade 60 Jahre her, und es gab noch Leute, die ihn erlebt hatten. Solche Gags kosteten den Film seinen Erfolg. Die Folgen waren für Keaton fatal.
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Alt 12.09.2023, 07:52   #1570  
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Ich denke, in der DDR hat man ihm eher angekreidet, daß hier die falsche Seite "die Guten " waren. Sowohl in dokumentarischen wie künstlerischen Verarbeitungen des Themas "Sezessionskrieg" war die "Pro Nord" -Ausrichtung kompromisslos eindeutig; - in diesem Fall meiner Meinung nach auch zu recht.
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Alt 12.09.2023, 08:04   #1571  
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Also warum Buster Keaton in der DDR nicht wohl gelitten war, kann ich nicht beurteilen.

Bei "The General" muß man natürlich auch berücksichtigen, daß der Film so teuer war, daß er nur mit einem Spitzenerfolg hätte Gewinn einfahren können. Genau daran ist von Stroheim auch gescheitert - und sicher noch manche andere Superproduktionen der 1920er Jahre.
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Alt 12.09.2023, 09:35   #1572  
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Hab' eben mal in die Filmgeschichte von Jerzy Toeplitz (bedeutender polnischer Filmhistoriker, sein Werk erschien ab 1955) reingeschaut. Es fällt auf, daß Toeplitz Charlie Chaplin ungleich mehr Aufmerksamkeit widmet als Keaton. Aber es gibt doch zumindest einen Absatz, in dem er ihn würdigt:

Zitat:
Mit der komischen stummen Pantomime verschwand - nach hoffnungslosem Kampf und wiederholten Versuchen, "sich anzupassen" - einer der führenden Komiker der Weltkinematografie, Buster Keaton, von der Leinwand. Die Einführung des Dialogs bedeutete das Ende der künstlerischen Konzeption von Keatons Filmgestalt. Stumm, mit starrer, unbeweglicher Maske, war Buster Keaton allein deshalb echt und akzeptabel, weil er sich aus einem lebendigen Menschen in eine Figur aus der klassischen Pantomime verwandelte. Er war eine neue, filmische Ausführung des Harlekins - immer gleichbleibend und eindeutig, vertraut und verständlich. Als er aber zu sprechen begann, wurde das Gestaltungsgesetz der Harlekiniade aufgehoben, und unter der Maske kam ein lebendiger Mensch zum Vorschein, der - infolge der geistlosen Drehbücher - auch nicht viel zu sagen hatte. In seinen Ton- und Sprechfilmen konnte Buster Keaton nicht mehr der "führende" Komiker bleiben und mußte seine Stelle an den dynamischen, wie ein Pferd schnaubenden Jimmy Durante, allgemein "Schnozzle" (Langnase) genannt, abtreten.
Erschien auf deutsch erstmals im Henschelverlag Berlin 1972.
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Alt 12.09.2023, 10:25   #1573  
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Ich würde sagen, daß trifft es.

Chaplin hat sich zwar auch lange gegen den "Sprechfilm" gewehrt, aber er war immer sein eigener Boss und konnte so den allmählichen Übergang schaffen; - und sich natürlich auch seine eigenen Texte schreiben.
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Alt 14.09.2023, 06:15   #1574  
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Eine Premiere: Dies ist der erste finnische Film, der hier besprochen wird – „Ariel. Abgebrannt in Helsinki“ (1988) von Aki Kaurismäki. Er fiel mir ein, als die Brüder Kaurismäki gerade wieder auf mehreren Festivals von sich reden machten. „Ariel“ war der erste Film aus ihrem Werk, den ich gesehen habe. Er lief 1989 im Studentenkino, erregte aber in der gesamten Kulturszene einiges Aufsehen. Eigentlich interessiert mich an einem Film ja meist die Story, und in diesem Film ist an der Story nichts Besonderes, abgesehen davon, daß sie sich ziemlich elegant durch mehrere Genres hangelt. Stil und Form des Films fand man aber damals einhellig so neuartig und ungewöhnlich, daß am Kinobesuch für mich kein Weg vorbei führte. Beim Wiedersehen besticht „Ariel“ meinem Empfinden nach immer noch, auch wenn mir der Gedanke kam, daß man diese extrem elliptische Erzählweise und die leicht ironische Lakonie später auch bei Tarantino gesehen hat.

Trotzdem ein paar Worte über die Handlung: Bergarbeiter Turo Pajala ist ein großer Pechvogel. Sein Bergwerk schließt und entläßt alle Mitarbeiter. Er erbt ein Cabrio, dessen Verdeck sich nicht schließen läßt, und fährt mit seinen Ersparnissen, die ihm schon nach kurzer Zeit geraubt werden, nach Helsinki. Das nimmt er alles gleichmütig hin. Ohne Geld verdingt er sich als Hilfsarbeiter und wohnt im Obdachlosenasyl. Er lernt die Politesse und alleinerziehende Mutter Susanna Haavisto kennen, als sie ihm gerade ein Knöllchen verpaßt, freundet sich mit ihr an, landet aber kurz darauf im Gefängnis. Einen der Räuber, die ihm sein Geld abgeknöpft haben, hat er nämlich zufällig wiedergetroffen und ihn zusammengeschlagen, allerdings direkt vor einer Überwachungskamera. Im Knast lernt er Matti Pellonpää kennen, der offenbar schon seit ewigen Zeiten sitzt, und zusammen beschließen sie zu türmen und Finnland zu verlassen. Für falsche Pässe und den Schiffstransfer müssen sie eine Bank überfallen. Ihre Schleuser legen sie aufs Kreuz, erschießen Pellonpää, aber ziehen gegen Pajala den Kürzeren. Er, Haavisto und ihr kleiner Sohn gehen an Bord des Schiffs „Ariel“, das sie nach Mexiko bringen wird.

Die Grundstimmung des Films ist depressiv. Das hier gezeigte Finnland lädt zu nicht viel anderem ein als zu Selbstmord. Gleichzeitig gibt es immer wieder Szenen, die in ihrer Lakonie unwiderstehlich komisch sind. Ich habe glaube ich eine Schwäche für Filme, in denen ein Paar Knall auf Fall beschließt zu heiraten – dieser gehört dazu. Unvergeßlich ist daneben auch die Szene, in der der sterbende Pellonpää auf der Rückbank des Cabrios liegt und sagt: „Was soll denn der Knopf hier?“ Und das Verdeck schließt sich wie ein Sargdeckel. Geredet wird in diesem Film sehr wenig. Etliche Passagen bleiben völlig stumm. Man hat den Eindruck, daß die Hauptdarsteller alle in ihrem Leben Schicksalsschläge erlebt haben, aber nicht darüber sprechen. Von Pajala erfahren wir bei seiner Ankunft im Gefängnis wenigstens, daß er keine Angehörigen mehr hat. Kontrastiert wird die vorherrschende Melancholie durch den Soundtrack: sehr schmalzige Schlagerlieder – einmal wird ein Blues gespielt. Allerdings verändert sich die Stimmung zum Ende des Films hin unmerklich. Den Helden gelingt immer mehr, und wir wissen zwar nicht, ob sie in Mexiko wirklich ein besseres Leben haben werden, als sie das Schiff betreten, aber der unterlegte hymnische Song „Somewhere over the Rainbow“ legt es nahe.

Ich war jetzt beim Wiedersehen neugierig, ob mir Filmzitate auffallen, die ich damals vielleicht noch nicht erkannt habe. Aber es sind keine erkennbar. Kaurismäki spielt lediglich mit Kinogenres und macht etwas Neues aus ihnen, indem er die wohlbekannten Muster nur knapp anreißt, was wiederum einen komischen Effekt ergibt. Ein bißchen hat das auch den Charme des Amateurhaften, wenn auch der Film handwerklich einwandfrei gemacht ist. Mir haben nicht alle Filme der Kaurismäkis so gut gefallen wie „Ariel“, so daß ich ihre Arbeit irgendwann in den 90ern nicht mehr weiterverfolgt habe. Aber ein paar ihrer Filme habe ich noch auf Video, und die werde ich mir demnächst auch mal wieder ansehen.
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Alt 15.09.2023, 21:58   #1575  
Peter L. Opmann
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Heute abend habe ich mir die Doku „Buster Keaton rides again“ (1965) von John Spotton angesehen, die auf meiner Keaton-Cassette mit drauf ist. Die ersten Minuten habe ich damals leider verpaßt. Es wird in Kurzform so ziemlich dasselbe erzählt wie in dem Film von Brownlow/Gill. Aber Spotton bietet außerdem Aufnahmen von den Dreharbeiten zu dem Keaton-Kurzfilm „The Railrodder“ in Kanada (wo Keaton damals Bürgermeister eines Städtchens war) und erzählt die Entstehungsgeschichte dieses Kurzfilms, der gedreht wurde, weil Keaton zu dieser Zeit von der Öffentlichkeit und der Kinokritik wiederentdeckt worden war.

„The Railrodder“ wurde ähnlich wie seine Stummfilme gedreht, das heißt, Keaton ließ sich die meisten Gags auf einer Eisenbahnstrecke in Kanada unmittelbar vor dem Dreh einfallen. Mit beinahe 70 absolviert er wieder ziemlich gefährliche Szenen. Natürlich fällt er nicht mehr in die Tiefe oder läßt Gegenstände auf sich fallen. Aber er ist auf einer Mini-Eisenbahn unterwegs und riskiert den Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Zug oder ist von einer riesigen Landkarte eingehüllt, während er über eine sehr hohe Brücke fährt. Er selbst hält das alles nicht für gefährlich, sondern für „child’s play“.

In dem Dokumentarfilm wird deutlich, daß Keaton zwar aus dem Scheinwerferlicht verschwunden, aber all die Jahre seit seinem Rausschmiß bei MGM immer aktiv geblieben war. Er trat in Shows auf (TV, Zirkus etc.) und wirkte in eher unbedeutenden Filmen mit. Außerdem arbeitete er als Gagman. Am Ende, wird erzählt, habe er immer davon geredet, sich zur Ruhe setzen zu wollen, aber wenn er eine Woche lang kein neues Engagement bekam, habe er ebenso geklagt, daß er von aller Welt vergessen worden sei. Mit seiner dritten Frau war er über 25 Jahre lang bis zu seinem Tod verheiratet, und man bekommt den Eindruck, sie mußte immer auf ihn aufpassen, da er Alkoholiker und gesundheitlich angeschlagen war. Außerdem hatte er ein paar Helfer, die ihm die Presse so weit wie möglich vom Halse hielten. Sein Publikum ließ er aber stets nahe an sich heran, und besondere Liebe hatte er zu Kindern. Allerdings wird nur gezeigt, wie er Autogramme gibt.

Man bekommt den Eindruck, daß ihn sein Karriereknick um 1930 schwer getroffen hat, daß das aber nicht völlig unerwartet für ihn kam, da er in seiner Jugend bereits das Ende der Medicine Shows und dann des Vaudeville-Theaters erlebt hatte. Für ihn ging es trotzdem immer irgendwie weiter. Ab der Tonfilmzeit war er zunehmend kein großer Star mehr, aber er war zufrieden mit der Arbeit, die er bekam. Nach Abschluß dieses Dokumentarfilms lebte er noch etwa ein Jahr. Er starb – als starker Raucher – an Lungenkrebs.
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