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Alt 09.05.2020, 18:31   #201  
Peter L. Opmann
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Schlöndorff hat mit "Die Blechtrommel" den Oscar für den besten ausländischen Film gewonnen - nicht vergessen!

Ich habe den Roman gelesen - mehr oder weniger. Das Problem war, daß mich der Film so stark beim Lesen beeinflußte, daß ich begann, zu blättern und querzulesen, bis ich zur nächsten Stelle kam, die im Film ebenfalls wichtig war.

Die beste Szene im Film ist für mich die, wo der Gauleiter zu Besuch kommt und Oskar Mazerath im Verborgenen mit seiner Trommel den Marschrhythmus der Musiker durcheinanderbringt. Am Ende fangen die Leute, die nur als Staffage für den Aufmarsch des Nazi-Bonzen dienten, an zu tanzen. Das ist Rock'n'Roll!
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Alt 30.08.2020, 16:36   #202  
Servalan
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  • Alexandre Dumas der Ältere: Le Comte de Monte-Cristo | Der Graf von Monte Christo (1844-1846)
  • Le Comte de Monte-Cristo | Der Graf von Monte Christo (Frankreich / Italien 1943), Drehbuch: Charles Spaak, Regie: Robert Vernay, 2 x 90 min schwarzweiß
Wo haben die den alten Schinken bloß ausgegraben? Die Fassung hat schon deutlich Staub angesetzt und wirklich ziemlich theatralisch, denn es gibt kaum Außenaufnahmen. Die Kriegsproduktion fährt prunkvoll Kostüme und Ausstattung auf, ansonsten wirkt sie ziemlich steif. Zum Ausgleich gibt es Massenszenen auf Bällen und im Theatersaal.

Den Roman habe ich mit Genuß auf französisch gelesen, zwei Bände zu je knapp 800 Seiten. Trotz der Länge der Verfilmung ist die Adaption erheblich gekürzt. Die beiden Filme sind klassisches Erzählkino, bei dem es kaum zu Actionszenen kommt, die werden eher gemieden.
Mit seinen zahlreichen Subplots baut Dumas eine dichte Story auf, das Panorama eines Gesellschaftsromans. Die kleinen Details des verschachtelten Plots funkeln. Dagegen ist die Verfilmung grob gestrickt.
Besonders im ersten Teil mit den jungen Figuren fällt auf, daß sich das Alter der Schauspieler nur mit Aufwand verjüngen läßt. Der Hauptdarsteller Pierre Richard-Willm war damals schon in den 40ern und zeigt ein deutliches Profil, weshalb der junge Edmond Dantès mich nicht von seiner Jugend überzeugen kann.

Die Story an sich ist überzeugend, deshalb läßt sich die Verfilmung auch heute noch sehen. Die muß sich allerdings mit einer passablen Note begnügen: 7/10.

Geändert von Servalan (30.08.2020 um 17:09 Uhr)
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Alt 31.08.2020, 19:54   #203  
Servalan
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  • Uwe Tellkamp: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land. Roman (Suhrkamp 2008, Weltbild 2009)
  • Der Turm (Deutschland 2012, teamWorx), Drehbuch: Thomas Kirchner, Regie: Christian Schwochow, 2 x 90 min, FSK: 12
Der Roman wurde mit Preisen gewürdigt: Uwe-Johnson-Preis, Deutscher Buchpreis, Deutscher Nationalpreis und dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ähnlich verhielt es sich mit der Verfilmung, die bekam den Bambi, die Goldene Kamera, den Grimme-Preis, den Jupiter Filmpreis und eine Auszeichnung durch die Deutsche Akademie für Fernsehen.
In dem Roman habe ich bei Erscheinen mal geblättert und einige Zeilen gelesen. Die ganzen Auszeichnungen haben mich eher abgeschreckt.

Den Zweiteiler habe ich damals bei der Erstausstrahlung gesehen, letztes Wochenende habe ich ihn mir zum zweiten Mal angeschaut. Die Story mischt Historisches und Familiäres mit einem Stasi-und-NVA-Drama. Von der Optik befindet sich die Geschichte in der Mitte zwischen Das Leben der anderen und der Serie Weissensee.
Die Umsetzung war konventionell chronologisch, ohne verschreckende Experimente. Die drei Stunden vergehen ziemlich kurzweilig, mir gefällt das Drama, weil Holzhammerklischees vermieden werden.
Warum Buch und Film Der Turm heißen, darüber hat mich Wikipedia aufgeklärt. Lohnt sich.
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Alt 31.08.2020, 20:37   #204  
Peter L. Opmann
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Heute läuft übrigens "Die Blechtrommel" von Volker Schlöndorff bundesweit in vielen Kinos - offenbar leider nur heute.

Wie ich hörte, handelt es sich um eine neu geschnittene und digital aufgefrischte Fassung (4 K). Leider schaffe ich es heute nicht, ihn mir anzusehen, aber ich komme auch ohne Bildschärfen-Brillanz aus und werde ihn mir demnächst nochmal auf Video ansehen.
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Alt 10.12.2020, 16:36   #205  
Servalan
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  • Klaus Mann: Mephisto – Roman einer Karriere (Querido 1936, Aufbau 1956, Rowohlt 1981)
  • Mephisto (Bundesrepublik Deutschland / Ungarn 1981), Drehbuch: István Szabó und Péter Dobai; Regie: István Szabó, 144 min, FSK: 12
Den habe ich jetzt zum ersten Mal in der Mediathek gesehen. Obwohl der beim Filmfestival in Cannes lief und mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet wurde, hatte ich lange Vorbehalte, die in erster Linie Klaus Maria Brandauer geschuldet sind. Den hatte ich lange Zeit als selbstverliebten Schauspieler betrachtet, der mehr als von sich selbst überzeugt ist - also so ähnlich wie Hendrik Höffgen in seiner Rolle.
Zuerst habe ich meine Vorurteile bestätigt gefühlt, denn Brandauer spielt sehr exaltiert. Dadurch hatte ich anfangs meine Schwierigkeiten, emotional in den Film zu kommen. Als Brandauer zum ersten Mal den Mephisto spielt, war der Bann gebrochen. Teilweise overactet Brandauer ähnlich wie Klaus Kinski, aber das ergibt sich aus der Rolle.

Im Vorspann distanziert sich die Verfilmung vom Roman, dort heißt es "nach Motiven". Szabó nutzt das Schauspiel an sich grandios. Er nutzt das Mittel Film im besten Sinne, und mit Rolf Hoppe als Freund/Gegenpart kommt da eine mitreißende Dynamik ins Spiel.
Anders als im gewöhnlichen Kino wird auf Dialoge mit Schuß-Gegenschuß-Perspektiven weitgehend verzichtet. Häufig sind die Dialoge ja auch verkappte Monologe, und da eignet sich das Fallen der Vierten Wand hervorragend dafür; Die Redner setzen sich selbst eitel in Szene.

Ein Klassiker, der in den knapp 40 Jahren gut gealtert ist. Und thematisch ist der Plot um die Politikferne oder -nähe der Kunst eh zeitlos.
Den Roman habe ich bislang nicht gelesen, und das wird sich kaum ändern. Der Film setzt schon seinen eigenen Maßstab.

Geändert von Servalan (10.12.2020 um 19:07 Uhr)
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Alt 04.01.2021, 20:27   #206  
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  • Agatha Christie: Death on the Nile | Der Tod auf dem Nil (Collins Crime Club 1937)
  • Death on the Nile | Tod auf dem Nil (Großbritannien 1978), Drehbuch: Anthony Shaffer, Regie: John Guillermin, 134 min, FSK: 12
Ein sehr britischer Kriminalfilm, in weiten Teilen ein Kammerspiel im Cataract Hotel und auf dem Nildampfer SS Karnak, der mit Starbesetzung glänzt, allen voran Peter Ustinov als Hercule Poirot. Gut ins Bild gesetzt werden die antiken Bauwerke, hier die Pyramiden von Gizeh sowie die Tempel von Karnak und Abu Simbel.
Poirot ermittelt den Mordfall Lady Linnet Ridgeway Doyle, die sich gerade in den Flitterwochen mit ihrem Mann Simon Doyle befand. Ägypter treten nur am äußersten Rand auf, zu den Verdächtigen zählen fast sämtliche Passagiere, reiche Briten, die jeder ein Motiv, eine Gelegenheit und allesamt schwache Alibis haben. Bis Poirot den Fall gelöst hat, werden zwei Zeugen ermordet. Poirot geht seinem Metier unter den Fittichen des Kolonialoffiziers Colonel Johnny Race nach, die beide natürlich über jeden Verdacht erhaben sind.

Von Agatha Christie habe ich einen Sammelband von Poirot-Geschichten gelesen, allerdings war die Vorlage nicht darunter. Die Verfilmung bringt Spaß und hat sich zum Klassiker entwickelt, der jedoch einige Längen hat.
Großen Schauwert besitzen die Szenen mit den galoppierenden Pferden vor den Pyramiden, die Besteigung einer der Pyramiden sowie die monumentalen Kulissen in Karnak und Abu Simbel. Da geht die Kamera in die Vollen. Ägypter sind Teil der Kulisse, insofern wirkt das historische Ambiente britisch kolonial.
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Alt 25.01.2021, 20:38   #207  
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  • Wolfgang Herrndorf: Tschick (Rowohlt Berlin 2010)
  • Tschick (Deutschland 2016), Drehbuch: Lars Hubrich, Hark Bohm und Fatih Akin, Regie: Fatih Akin, 93 min, FSK: 12, JMK: 14
Den wollte ich schon immer mal sehen. Das Coming of Age Road Movie ist schon großes Kino.
Zuerst habe ich als Hörspiel im NDR oder im Deutschlandfunk mitbekommen, seinerzeit kurz nach Erscheinen des Buches, das ich bisher noch nicht gelesen habe. Wenn ich es in die Finger bekomme, ändert sich das.
Die Verfilmung bleibt dicht an der Vorlage, der Abspann-Cartoon über Tschicks weiteres Schicksal ist meines Wissens die einzige Freiheit, die sich der Film nimmt.
Die beiden Hauptdarsteller Tristan Göbel und Anand Batbileg überzeugen in ihren Rollen ebenso wie Isa-Darstellerin Nicole Mercedes Müller, hinzu kommt der geniale Soundtrack, der die Atmosphäre unterstützt. Trotz der Rückblende weist der Film eine eher episodische Struktur mit etlichen Begegnungen auf, was dem Genre geschuldet ist.

Alles paßt gut zu zusammen, ärgerlich finde ich, daß in der ARD-Mediathek leider nur eine auf 86 Minuten verstümmelte Fassung abrufbar ist. Das holterdipolternde Ende, bei der Nebenrollen wie Maik Klingenbergs Verteidigerin rausgeschnitten wurden, wirkt auf mich vermurkst. Schade. Dabei hat doch die ARD Degeto mitproduziert. Ich verstehe nicht, was die Schnittparade für einen Sinn haben soll.
Der Film leidet an sich kaum an den Kürzungen, was für ihn spricht. Er bleibt trotzdem großartig. Eine Empfehlung.
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Alt 15.01.2022, 16:51   #208  
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  • Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken (Ullstein 2009-2018)
  • Die Känguru-Chroniken (Deutschland 2020), Drehbuch: Marc-Uwe Kling, Regie: Dani Levy, 92 min, FSK: 0, JMK: 10
Eigentlich gab es vor den Büchern den Podcast bei Radio Fritz. Kennengelernt habe ich die Reihe mit den ersten Büchern, und die anekdotischen Kurzepisoden haben mich beeindruckt. Wo Kling und seine Figuren politisch einzuordnen sind, wird schon ziemlich deutlich, aber im Gegensatz zu vielen Linken, fabuliert er verspielt und kann sich selbst auf die Schippe nehmen - sonst wäre der Inhalt wohl plumpe Agitpropaganda.
Außerdem geht er differenziert zur Sache, indem mit der Figur des anarchistischen Marc-Uwe Kling und des kommunistischen Kängurus die Reibereien innerhalb der linken Szene aufs Korn nimmt. Die Nazis und Rechten bekommen natürlich ihr Fett weg.
Ich rechne es dem Film hoch an, daß er zeigt, daß es außer den beiden Lagern auch gewöhnliche Menschen gibt (und nicht alle Deutschen Nazis sind*).

Die Verfilmung hat mir gefallen, weil Kling die Stärken filmischer Mittel erkannt hat und mit ihnen souverän locker umgeht. Der Vorspann mit dem Audiokommentar aus dem Off oder die Diskussion um Flugeigenschaften von getretenen Hunden sind schon kleine Kabinettstückchen. Filmgeschichte wird das Werk wohl kaum werden, allerdings ist es für eine deutsche Komödie schon ordentlich - dafür meinen Respekt.

*Schade, daß wir in einer Zeit leben, in der das schon eine Anmerkung wert ist.

Der Film steht noch bis zum 18. März in der ZDFmediathek.
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Alt 21.01.2022, 16:24   #209  
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  • James Herriot: If Only They Could Talk (Michael Joseph Ltd. 1970), It Shouldn’t Happen to a Vet (Michael Joseph Ltd. 1972), Let Sleeping Vets Lie (Michael Joseph Ltd. 1973), Vet in Harness (Michael Joseph Ltd. 1974), Vets Might Fly (Michael Joseph Ltd. 1976), Vet in a Spin (Michael Joseph Ltd. 1977), The Lord God Made Them All (Michael Joseph Ltd. 1981), Every Living Thing (Michael Joseph Ltd. 1992), deutsche Ausgaben bei Rowohlt
  • All Creatures Great and Small | Der Doktor und das liebe Vieh (BBC 1977-1990), 7 Staffeln
  • All Creatures Great and Small | Der Doktor und das liebe Vieh (BBC ab 2020), bislang 2 Staffeln
Diese Neuauflage mußte ich mir ansehen, schließlich bin ich mit der BBC-Serie in den 1970er und 1980er Jahren aufgewachsen. Die ersten drei Staffeln mit Carol Drinkwater als Helen gehören zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen, in denen es um Alltägliches ging (wie St. Pauli Landungsbrücken oder Großstadtrevier). Vielleicht lag es daran, dass ich älter geworden war und höhere Ansprüche stellte, aber die Staffeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg spielten, überzeugten mich nicht mehr so richtig. Irgendwie war da die Luft raus.

Zunächst war ich skeptisch, doch die Neugier trieb mich dazu, mir die erste Staffel des Remakes inklusive Weihnachtsspecial anzutun. Um meine Englischkenntnisse frisch zu halten, habe ich sie mir in der Originalversion angesehen. Der nordenglische und schottische Akzent verlangen schon ein konzentriertes Hinhören, was ich gern getan habe.
Die episodische Struktur der Vorlage kommt der Serie zugute, weil die Folgen ziemlich organisch wirken. In den letzten Jahrzehnten hat sich filmtechnisch einiges getan, was gut genutzt wurde; Drohnenaufnahmen sind heute üblich, während ich mich an Luftaufnahmen in der alten BBC-Serie nicht erinnern kann.
Was ich als kleinen Makel empfand, war das körperliche Auftreten der drei Hauptdarsteller. Robert Hardy, Peter Davison und Christopher Timothy besaßen noch eine unterschiedliche Statur, durch die ich sie rasch unterscheiden konnte; Nicolas Ralph, Samuel West und Callum Woodhouse hingegen scheinen dieselben Ernährungsberater und Fitnesstrainer zu haben. Außerdem finde ich, dass die alte BBC-Version dreckiger und matschiger war, in der neuen Version wirkt das Landleben wie aus einem Hochglanzprospekt für müde Großstädter.

Falls mir mal die Bücher in die Hand fallen, werde ich sie gerne lesen.
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Alt 13.02.2022, 19:22   #210  
Servalan
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  • Otfried Preußler: Krabat (Arena Verlag 1971)
  • Krabat (Deutschland 2008), Drehbuch: Marco Kreuzpaintner und Michael Gutmann, Regie: Marco Kreuzpaintner, 115 min, FSK: 12, JMK: 12
Der erfolgreiche und mit vielen Preisen ausgezeichnete Kinder- und Jugendbuchautor Otfried Preußler hat sich die phantastische Geschichte um den Müllersburschen Krabat nicht ausgedacht. Sie ist ursprünglich eine sorbische Volkssage. Nach Karel Zemans tschechoslowakisch-deutschem Zeichentrickfilm 1977 ist der Realfilm mit Starbesetzung die zweite Verfilmung des Buches. Neben den Hauptdarstellern David Kross, Daniel Brühl, Christian Redl, Robert Stadlober, Hanno Kofler und Charly Hübner glänzt hier Thomas Wlaschiha, der durch HBO-Serie Game of Thrones international berühmt wurde.
In Deutschland wird das filmische Schaffen in erster Linie vom Genre des Krimis geprägt, der in etlichen Fernsehkanälen tägliches Brot ist. Fantasy und Science Fiction zählen nicht (mehr) zum Standard, obwohl das Öffentlich-Rechtliche Fernsehen in meiner Kindheit etliche tschechoslowakische Fernsehserien wie Die Besucher, Die Märchenbraut und Luzie, der Schrecken der Straße mitproduziert hat, die mir in guter Erinnerung sind. Ein Serie oder ein Franchise vom Format eines Dr Who fehlt jedoch.
Die Dreharbeiten dauerten drei Jahre, fanden teilweise unter widrigen Bedingungen und kosteten acht Millionen Euro, für einen europäischen Film schon eine Hausnummer. Die Weltpremiere fand 2008 auf dem Filmfestival in Toronto statt. In den deutschen Kinos lockte er 1.486.444 Zuschauer vor die große Leinwand und spielte ungefähr neun Millionen Euro ein.

Der Film beeindruckt mit großartigen Landschaftsaufnahmen, schlägt allerdings einen düsteren Ton an, der für kleine Kinder nicht geeignet ist. Durch den sagenhaften Hintergrund spielt er in einer zeitlosen harten Vergangenheit und konzentriert sich auf ein übersichtliches Ensemble, das zur Identifikation einlädt. Mit Krabats Kampf um seine (erste) Liebe ist das auch ein Coming of Age-Film, der Otfried Preußler gefallen hat.
Mich hat der Film neugierig auf das Buch gemacht.

Geändert von Servalan (17.02.2022 um 20:48 Uhr) Grund: Da ist mir wohl im Übereifer etwas durcheinder geraten
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Alt 13.02.2022, 19:57   #211  
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Die DDR-Verfilmung bezieht sich zwar auch auf die sorbischen Krabat-Legenden hat aber garantiert nicht den Roman von Preußler als Grundlage.
Diese ist der gleichnamige Roman von Jurij Brězan, der aber auch sehr frei umgesetzt wird.

Nachtrag: OK, Hinweis wurde schon eingearbeitet.
Trotzdem ist "Die schwarze Mühle" für Liebhaber des Krabat-Stoffes auch eine Empfehlung, wenn auch eine recht düstere Bearbeitung.

Geändert von Nante (14.02.2022 um 08:53 Uhr)
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Alt 10.04.2022, 14:02   #212  
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  • Liza Marklund: Studio Sex (Piratförlaget 1999), deutsche Ausgabe: Studio 6 (Hoffmann und Campe 2001)
  • Annika Bengtzon: Studio Sex | Ein Fall für Annika Bengtzon: Studio 6 Staffel 1 Episode 3 (Folge 3), (Schweden 2012, Yellow Bird), Drehbuch: Antonia Pyk, Regie: Agneta Fagerström-Olsson, 90 min
2018 war ich mehrere Monate im Krankenhaus. Dort gab es eine kleine Bibliothek, in der sich auch dieser Kriminalroman befand. Damals hatte ich schon die ersten beiden Folgen der Fernsehadaption gesehen; besonders der erste Fall, Nobels Testament, hatte mich mit spektakulären Szenen, guter Bildkomposition und reichlich Spannung überzeugt.
Das Buch überraschte mich dann durch eingeschobene Tagebuchausschnitte, die ich zunächst dem ermordeten Mädchen zuordnete. Besonders am Anfang der Ermittlungen widmet sich Marklund über Seiten etlichen Details, wodurch sich ein Gefühl von Zeitlupe vermittelt. Thematisch geht es um Gewalt in Beziehungen, wobei psychische Abhängigkeiten besonders perfide wirken, was Marklund ziemlich eindringlich schildert.

Die Verfilmung muß natürlich gewisse Zugeständnisse machen und wirkt auf mich entschärft und auf Familientauglichkeit abgemildert. Weil die Kamera schon früh das Tagebuch zeigt, muß es anders inszeniert werden.
Als Boulevardreporterin hat Annika Bengtzon natürlich einen anderen Blickwinkel auf das Verbrechen als die Polizei. Sie trägt ihr persönliches Päckchen, was in dieser Episode deutlich wird.
Mit dem Roman kann die Verfilmung jedoch leider nicht mithalten. Der ist gute Unterhaltung, aber kein literarisches Meisterwerk.
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Alt 12.04.2022, 14:56   #213  
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  • Caroline Graham: Faithful unto Death (Headline 1997) | Treu bis in den Tod (Goldmann 1999)
  • Midsomer Murders | Inspector Barnaby Staffel 1 Episode 3 (Folge 4) "Faithful unto Death | Treu bis in den Tod" (Vereinigtes Königreich 1998, Bentley Productions und Independent Television für ITV), Drehbuch: Douglas Watkinson, Regie: Baz Taylor, 101 min
Mit inzwischen 133 Folgen in 23 Staffeln hat sich die familientaugliche Krimiserie um die DCIs Barnaby in der fiktiven englischen Grafschaft Midsomer zu einem Standard entwickelt. Mir wurde sie zuerst als Agatha Christie auf Speed empfohlen, und die ersten Folgen - damals im Original - habe ich auf youtube gesehen. Die Verfilmung nach der Romanvorlage in der ersten Staffel gehört noch in die Frühphase, denn mittlerweile basieren die Folgen nur noch lose auf dem literarischen Vorbild. (Hier gilt in etwa das gleiche wie der Unterschied zwischen Marvel Comics und dem MCU.)

Wie den im vorigen Post genannten Krimi habe ich diesen beim selben Krankenhausaufenthalt mit Vergnügen gelesen. Das muß zugeben, Caroline Graham versteht sich exzellent einen komplexen, aber nicht verkopften Plot und hat ein Gespür für Pacing und Timing. Nebencharaktere kann sie in wenigen Sätzen porträtieren und liefert letzten Endes einen verspielten postmodernen Roman ab, der locker daherkommt.
Wegen all dieser Qualitäten muß die Fernsehfassung eng an der Vorlage bleiben, doch die filmische Umsetzung bleibt überzeugend - obwohl sie im Rückblick betrachtet schon etwas altmodisch wirkt.
Der große Unterschied besteht im Finale.
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Alt 07.05.2022, 11:56   #214  
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  • Stanisław Lem: Dzienniki gwiazdowe (Wydawnictwo Literackie 1957 und 1971) | Sterntagebücher (Suhrkamp 1978) und Kongres futurologiczny (Wydawnictwo Literackie 1971) | Der futurologische Kongreß (Suhrkamp 1979)
  • Ijon Tichy: Raumpilot Staffel 1 Episoden 1-6 (Deutschland 2006-2007), Idee, Drehbuch und Regie: Randa Chahoud, Dennis Jacobsen und Oliver Jahn, 6 à 14 min
Lem gehört zu meinen Lieblingsschriftstellern, und in seinen späten Jahren habe ich seine Beiträge auf Telepolis mit Interesse verfolgt. Lem starb 2006, also bevor die Serie gesendet wurde, und so bleibt der Gedanke, wie ihm die Adaption gefallen hätte, reine Spekulation.

Wegen ihres Looks findet sich die Serie in der ZDF-Mediathek unter den Retro-Serien und -Filmen. Ich hoffe, sie findet da noch einiges an Publikum, denn ich mag diese Version.
Den pseudo-osteuropäischen Akzent fand ich zunächst gewöhnungsbedüftig, aber irgendwie paßt er auch zur skurrilen Note. Im Making of wurde deutlich, daß der improvisierte No-Budget über die wirklichen Anstrengungen hinweg täuscht, denn die Spezialeffekte erforderten genau soviel Einsatz wie bei ernster Science Fiction.
Der verspielte und leicht verpeilte Charakter von Ijon Tichy, der in dieser Fassung ein verlotterter Alkoholiker mit reichlich Phantasie ist, kommt sehr gut rüber. Ob Lem mit diesem Münchhausen-Spleen einverstanden gewesen wäre, weiß ich nicht, zumal der in jeder Folge das Outro bildet.
Mich erinnerte die Serie an die tschechische Barrandov-Science-Fiction, Raumpatrouille Orion und die klassischen Dr Who-Folgen. Dabei kommen auch viele Klischees über Osteuropäer wie Polen und Tschechen zutage, die deutlich überzeichnet werden.

Mir hat's gefallen. Inzwischen scheint sie sich in dem Genre zu einem Klassiker gewandelt zu haben. Na ja, besonders groß ist die Konkurrenz ja nicht.
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Alt 02.06.2022, 15:02   #215  
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  • Joseph Conrad: “An Outpost of Progress | Ein Vorposten des Fortschritts” (1896, erstmals veröffentlicht im Magazin Cosmopolis 1897 sowie im Kurzgeschichtenband Tales of Unrest 1898)
  • Posto avançado do progresso | An Outpost of Progress (Portugal 2016), Drehbuch und Regie: Hugo Vieira da Silva, 117 min
Zu meinen Schulzeiten habe ich in fremdsprachige Literaturen reingeschnuppert, indem ich mir Anthologien mit Kurzgeschichten besorgt habe. Darunter war auch Das Diogenes Lesebuch englischer Erzähler. Dort habe ich eben jene Kurzgeschichte von Joseph Conrad gelesen, und eigentlich nur zur Kenntnis genommen, denn mir fehlte das Gespür für Feinheiten. Damals zog ich Rudyard Kipling vor und entdeckte George Orwell für mich.
Während meines Studium sammelte ich Penguin Popular Classics, weil die so billig wie Reclam waren, aber trotzdem als echte Taschenbücher daherkamen. Die englischsprachigen Klassiker im Original betrachtete ich als Lesevorrat für schlechte Zeiten. Und als es dann soweit war, widmete ich mich zuerst der Vorlage von einem frühen Hitchcock, Secret Agent von Joseph Conrad. Tja, dann platzte der Knoten und seither gehört der ehemalige Seemann zu meinen liebsten Literaten.
In seinen Stories wirkt er teilweise wie eine Vorwegnahme von Kafka oder Beckett, denn seine Antihelden scheitern über kurz oder lang, egal, wie sehr sie sich anstrengen. In der Kurzgeschichte geht es um den Elfenbeinhandel im Kongo, der zwei Kolonialbeamten zum Schicksal wird. Die beiden Weißen sind auf dem Schwarzen Kontinent hoffnungslos überfordert und finden letztlich den Tod.

Die portugiesische Verfilmung lief 2016 auf der Berlinale und war vor kurzem noch in der arte mediathek. Der portugiesische Regisseur nimmt sich gewisse Freiheiten heraus und beleuchtet insbesondere die portugiesische Kolonie Angola am Kongo-Fluß: Die beiden unerfahrenen Beamten João de Mattos und Sant`Anna tragen weiße Kolonialistenuniformen, während sie durch den Urwald stolpern.
Der Film gliedert sich in zwei Teile, die ungefähr gleich lang. Nachdem die beiden Beamten die Umgebung erkundet und die Einheimischen kennengelernt haben, plätschert die Handlung so vor sich hin. Im zweiten Teil wird es dann plötzlich spannend, wenn Bewaffnete auftauchen und Elfenbein gehandelt wird.
Der Adaption fehlt Conrads Prägnanz und seine sachlichen Pointen. Ich empfand ihn als gestreckt, teilweise verlor er sich in Nichtigkeiten. Joseph Conrad kommt bei mir auf 9/10, die Verfilmung nur auf 6,5/10.
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Alt 10.08.2022, 17:10   #216  
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  • Ken Kesey: One Flew Over the Cuckoo's Nest (Viking Press 1962, Signet Books 1962) | Einer flog über das Kuckucksnest (März Verlag 1972, Rowohlt Verlag 1982)
  • One Flew Over the Cuckoo's Nest | Einer flog über das Kuckucksnest (USA 1975, Fantasy Films), Drehbuch: Lawrence Hauben und Bo Goldman, Regie: Miloš Forman, 133 min
Den Film habe ich natürlich zuerst gesehen, damals bei der ersten Ausstrahlung im Fernsehen.
Als mir das Buch später in einem Antiquariat eher zufällig in die Hände geriet, habe ich zugegriffen. Ich habe nie gezielt danach gesucht, dennoch fand ich den Stoff interessant genug, um ihn mir nicht entgehen zu lassen.

Da war zum einen der allgemeine psychiatrische Hintergrund einer Geschlossenen Station mit eindrucksvollen Charakteren, an vorderster Stelle natürlich der eigenwillige Troublemaker Randle Patrick McMurphy und die unerbittlich gnadenlose Schwester Ratched. Durch den biographischen Hintergrund von Kesey kam noch der zeithistorische Aspekt dazu, also die Geheimdienstexperimente an Patienten unter dem Label MK Ultra, und die Psychiatrie in den 1960ern war eher eine Tortur der Insassen als eine Therapie, besonders wenn ich an Dinge wie die sogenannte Elektroschocktherapie denke, unter der auch Epileptiker leiden mußten.
Das Buch habe ich mit wohligem Schaudern gelesen (ich hoffe, solche Zeiten sind für Psychiatriepatienten vorbei), es hat mich als literarisches Werk beeindruckt, obwohl ich den Film unerreicht finde - aber das sind Klagen auf höchstem Niveau.
Meine Lektüre liegt ein paar Jährchen zurück, und daß der Roman heute als ein bedeutendes Werk der US-Belletristik des 20. Jahrhunderts gilt, finde ich eine verdiente Würdigung. In den USA sollte wohl jeder den Roman gelesen haben, hier in Europa reicht es meiner Meinung nach für eine Empfehlung.

Wer sich etwas auf Filmgeschichte einbildet, sollte den Film gesehen haben, sonst kann ich ihn nicht ernst nehmen. Auf vielen Bestenlisten befindet er sich in den Top 100, und nach 1934 war es 1976 der erste Film, der in den fünf wichtigsten Kategorien den Oscar gewann.
Neben Jack Nicholson und Louise Fletcher darf das Publikum hier unter anderem Danny DeVito, Bud Cort (Harold aus Harold & Maude), Christopher Lloyd (aus Zurück in die Zukunft) und Brad Dourif bewundern. Den als taubstumm geltenden „Chief“ Bromden, ein indigener Hüne, spielt 2,01 m große Muskogee Will Sampson.
Der All Time Classic lief vor kurzem in arte.

Der Roman bekommt von mir 9.0-9.5/10, der Film 10/10.

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Alt 30.12.2022, 16:49   #217  
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Monte Christo, die zweite:
  • Alexandre Dumas der Ältere: Le Comte de Monte-Cristo | Der Graf von Monte Christo (1844-1846)
  • Le Comte de Monte-Cristo | Der Graf von Monte Christo (Frankreich / Italien / Deutschland 1998), Drehbuch: Didier Decoin, Regie: Josée Dayan, 388 min in vier Teilen
Nochmal ein paar Anmerkungen zum Roman von Dumas: Wegen seines Umfangs geht das Epos über ein banales Rachedrama weit hinaus und schildert die Verstrickungen der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten unter-, mit- und gegeneinander. Besonders der Anfang wirkt aus heutiger Sicht ziemlich umständlich, weil die Exposition recht schematisch verläuft. Nach dieser Hürde entfaltet das Sprachkunstwerk jedoch seinen Sog, und das liegt nicht zuletzt an den zahlreichen Details - das sind quasi Mikroerzählungen, die eine eigene Faszination haben, wie das Leben der Gefangenen auf dem Château d’If oder Abbé Farias Erzählung über die Intrige zur Papstwahl.
Darüber hinaus zeichnet der Roman nach, wie sich der Alltag in gut 25 Jahren im 19. Jahrhundert verändert hat: Von den Segelschiffen zu den ersten Motorbooten, die neue Pünktlichkeit (der Graf wirkt teilweise wie ein Vorläufer von Phileas Fogg), in einem der Subplots gibt es ein lesbisches Liebespaar, das durchbrennt ... Also diese Vorlage ist schon fast postmodern und ziemlich woke, da bräuchte niemand etwas zu switchen, um heutigen Sehgewohnheiten zu entsprechen.

Gestern habe ich den Vierteiler in der Mediathek von Servus TV gebinget. Dabei fühlte ich mich in die Zeit der Adventsvierteiler aus meiner Kindheit zurückversetzt. Drehbuch und Regie haben vor allem am Anfang heftig gestrafft, so daß der Film auf der Gefängnisinsel einsetzt, wo Dantès durchdreht, bevor er Abbé Faria kennenlernt.
Im Wikipediaeintrag wurde die besondere Leistung von Guillaume Depardieu gewürdigt, Gérard Depardieus Sohn, der den jungen Edmond spielt. Aber der hat bloß zwei kurze Szenen, weshalb ich ihn wie einen besseren Statisten mit einer kleinen Sprechrolle empfunden habe. Ornella Mutis älteste Tochter Naike Rivelli wurde ebenfalls jedesmal im Vorspann erwähnt, doch die hatte bloß ein besseres stummes Cameo.
Bei dem Vierteiler fühlte ich mich gut unterhalten, weil er ziemlich werkgetreu vorging. Am meisten geärgert habe ich mich über das verkitschte Ende, das ich wie ein Zugeständnis an ein Massenpublikum empfand, während der Roman Einsichten in menschliches Verhalten gewährt, das von einer Lebenserfahrung zehrt.
Gérard Depardieu ist schon ein guter Schauspieler, zu den Chamäleons seiner Branche zählt er jedoch nicht. Auch wenn die anderen in ihren Rollen zugeben, Dantès nicht erkannt zu haben, bleibt Depardieu für das Publikum immer Depardieu. Zur Drehzeit war er schon etwas stabiler, die Proportion eines Obelix hatte er jedoch noch nicht.
Diese Fassung glänzt vor allem mit Produktionswerten und war damals bei der Erstausstrahlung ein Publikumserfolg. Vor allem die Architektur, die Kostüme, die Außenaufnahmen und die Kamera sorgen für reichlich Eyecandy. Inzwischen hat sich im Filmhandwerk einiges geändert, dennoch wirkt der Vierteiler nicht veraltet, obwohl er gewisse Längen hat.
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Alt 30.12.2022, 18:51   #218  
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@ Servalan

Hast du zufällig mal die Serie "Der Name der Rose" mit dem Spielfilm verglichen?

Buch und Spielfilm fand ich beides super, die Serie gibt's noch eine Woche bei Servus TV; bin am überlegen, ob ich die die nächsten Tage anschaue.

Wenn man weiß, wo man ist, kann man sein, wo man will... (alter Fliegerspruch)
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Alt 22.01.2023, 16:57   #219  
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  • Umberto Eco: Il nome della rosa (Gruppo Editoriale Fabbri-Bompiani 1980) | Der Name der Rose. Roman (Hanser 1982, dtv 1986)
  • Der Name der Rose | Le Nom de la rose | Il nome della rosa | The Name of the Rose (Bundesrepublik Deutschland / Frankreich / Italien 1986), Drehbuch: Andrew Birkin, Gérard Brach, Howard Franklin und Alain Godard, Regie: Jean-Jacques Annaud, 126 min, FSK: 16
  • Der Name der Rose | Il nome della rosa | The Name of the Rose (Italien / Deutschland 2019, 11 Marzo Film, Palomar, Rai Fiction und Tele München Gruppe), Drehbuch: Giacomo Battiato, Andrea Porporati, John Turturro und Nigel Williams, Regie: Giacomo Battiato, 8 á 50 bis 54 min
Danke für den Tip! Die Serie wäre mir sonst leicht durch die Lappen gegangen.
Wie du an meinem Zögern gemerkt hast, hatte ich lange an meinem Urteil zu knabbern.

Den Roman habe ich noch während meiner Schulzeit gelesen, allerdings in der Taschenbuchausgabe von dtv. Insofern weiß ich nicht mehr, wie mich die Trailer der Eichinger-Verfilmung beeinflußt haben oder ob ich nur ein paar Berichte aus der Fernsehzeitschrift aufgeschnappt habe. Auf jeden Fall hat sich mir Ecos Spruch eingeprägt, die ersten hundert Seiten seien nur da, um sich durchzubeißen, erst danach fange der Plot richtig an.
Keine Ahnung, ob das mein erster Eco gewesen ist. Nachher im Studium war er jedenfalls eine feste Größe: Das Spektrum reichte vom UTB-Band Wie schreibt man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit bis zu seinen Werken über Semiotik. Da kamen einige Zentimeter im Regal zusammen. Die Nachschrift zum ‚Namen der Rose‘ habe ich mir natürlich auch besorgt.
Durch Jacques Martin habe ich die Antike dem Mittelalter vorgezogen, so daß ich als Laiin an das Buch herangegangen bin. Je tiefer ich in die Materie herabgestiegen bin, umso interessanter fand ich den Roman. Als Hintergrundlektüre habe ich mir später aus dem Greno-Verlag Die Geschichte der Inquisition von Henry Charles Lea besorgt, weil die gerade günstig greifbar war.
Die Aufklärung der Mordserie durch William von Baskerville empfand ich als Lotsen, der mir die Orientierung im vielschichtigen Plot erleichterte. Das Prinzip des uneigentlichen Sprechens wird ja im Roman selbst durchexerziert: Die beiden Parteien auf dem Konzil streiten auf der Oberfläche um die Armut Christi, de facto dreht es sich aber um die Frage, ob die römisch-katholische Kirche weltlichen Besitz haben darf oder nicht - also etwas Hochpolitisches. Hinzu kommt das Damoklesschwert über dem Bettelorden der Franziskaner, der unter Umständen als Häretiker und Ketzer auf der schwarzen Liste landen konnte.

Die Eichinger-Verfilmung mit Sean Connery habe ich im Kino gesehen. Von Jean-Jacques Annaud kannte ich Am Anfang war das Feuer (1981), insofern hatte ich schon eine gewisse Erwartung, die der Film in weiten Teilen eingelöst hat. Bald darauf habe ich mir das Sonderheft zum Film von psychologie heute zugelegt.
Damals war ich von der Verfilmung begeistert, besonders die Architektur des Klosters von Dante Ferretti hat mich schwer beeindruckt. Hinzu kam das Casting mit den Charakterköpfen, allen voran Ron Perlman als Salvatore und Fjodor Schaljapin als Jorge von Burgos.
Natürlich legte der Film den Schwerpunkt auf Action und Body Horror, weniger auf kirchliche Debatten. Außerdem konnte er mit einer FSK: 16-Freigabe recht drastisch werden und mußte wegen der begrenzten Laufzeit die geraffte Handlung pointiert herüberbringen.
Nach 2000 habe ich mir die DVD zugelegt und mehrmals gesehen. Sie gefällt mir immer noch, allerdings muß ich gewisse Abstriche machen. Die Hütten an der Abtei fallen doch sehr in das Klischee vom dreckigen Mittelalter, und Valentina Vargas mit ihren fettigen Haaren kommt mir sehr animalisch vor - mehr ein Klischee von einer Frau als ein Charakter.

Die achtteilige Fernsehserie hat natürlich einen epischen Atem. Da sie jederzeit aus der Mediathek abrufbar war, nehme ich an, das auch ein jüngeres Publikum angesprochen war, vielleicht ab zehn oder zwölf Jahren.
Bei den ersten Folgen dachte ich noch, die Serie verliert sich in Nebensächlichkeiten, aber das gab sich recht schnell. Sie mußte sich gegen meine visuellen Eindrücke aus der Eichinger-Verfilmung durchsetzen - was ihr gelungen ist. Hauptdarsteller John Turturro hat nicht nur am Drehbuch mitgeschrieben, sondern auch einen Produktionsposten bekleidet. Ihm scheint wohl etwas am Stoff gelegen zu sein.
Mittlerweile ist eine neue Generation herangewachsen, und 33 Jahre nach der ersten Verfilmung haben sich die Sehgewohnheiten doch deutlich geändert. Obwohl die Serie bloß durchwachsene Kritiken bekommen hat, finde ich ihre Vorzüge beachtlich. John Turturro kann mich als William von Baskerville überzeugen, hingegen bleiben Jorge von Burgos und die meisten anderen Mönche ziemlich blaß. Salvatore entspricht hingegen dem Klischee vom dumpfbackigen Psychopathen, der Frauen riecht.
Das Leben in der Abtei wird teilweise besser als bei Terra X dargestellt: Salvatores Papiermühle, in der die Lumpen zerfasert werden, zum Beispiel und der Glasmaler, der William aus einem Kristall eine neue Linse schleift und einfaßt, das waren großartige Szenen.

Die optimale Verfilmung wäre aus meiner rein subjektiven Sicht eine, die die Vorzüge des Films von 1986 und der Serie von 2019 kombiniert ...
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Alt 28.01.2023, 19:43   #220  
Servalan
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  • Jules Verne: Voyages extraordinaires Tome 12: Le Tour du monde en quatre-vingts jours (Hetzel 1873) | Reise um die Erde in 80 Tagen (erstmals Verlag der Gebrüder Légrády 1873)
  • Around the World in 80 Days | In 80 Tagen um die Welt (USA 1989, Avala Film und Harmony Gold), Drehbuch: John Gay, Regie: Buzz Kulik, 266 min in drei Teilen, FSK: 12
  • Around the World in 80 Days | In 80 Tagen um die Welt (Frankreich / Italien / Deutschland 2021, Gemeinschaftsprojekt der European Alliance durch Federation Entertainment, France Télévision, RAI Radiotelevisione Italiana, Seven West Media, Slim Film + Television und ZDF), Idee und Drehbuch: Ashley Pharoah und Caleb Ranson, Regie: Steve Barron, Brian Kelly und Charles Beeson, 8 à 47 min
In meiner Kindheit habe ich zwei Romane von Jules Verne gelesen: 20.000 Meilen unter dem Meer und In 80 Tagen um die Welt; denn das waren die einzigen, die sich in der doch recht überschaubaren Bibliothek meiner Eltern befanden. Schon damals fand ich es seltsam, daß beide den gleichen Umfang hatten, um die 200 Seiten.
Damit mein Französisch nicht einrostet, habe ich mir später die günstigen Taschenbuchausgaben von J'ai lu zugelegt, und dabei stach mir der tatsächliche Unterschied ins Auge: Das Abenteuer von Phileas Fogg und Passepartout hatte wirklich kaum mehr Seiten, während das Abenteuer um Kapitän Nemo und seine Nautilus ein barocker Schmöker war.
Obwohl der Klassiker heute zum Repertoire gehört, war die Weltreise unter Zeitdruck in den 1870ern ein Medienevent, den Verne mit seinen Mitarbeitern gewissermaßen am Reißbrett entworfen hat. Er hatte erhebliche Schwierigkeiten, aus der von Edgar Allan Poe geborgten Idee, einen Stoff zu entwickeln, der sich Roman schimpfen durfte. Nun ja, der Plot um die Wette eines skurrilen Engländers mit seinem französischen Butler bleibt dünn; und das dürfte einer Gründe sein, warum sich das Rennen um die Welt so gut für Verfilmungen eignet. Der Plot wird zu einem neutralen Hintergrund, auf den die modernen Bearbeiter ihre zeitgenössische Version projizieren können, quasi eine eingebaute Vorlage, den Stoff zu aktualisieren.

1989 habe ich mein Abi gebaut und später in einem Hiwi-Job mein erstes Geld verdient; dann kam noch der Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs dazu; genug gute Gründe also, um den Dreiteiler von 1989 bei seiner Erstausstrahlung zu versäumen. Wenn ich das mitbekommen hätte, ich hätte die Miniserie sehen wollen.
Woanders hat schon jemand von dieser Verfilmung mit Pierce Brosnan, Michael Palin und Peter Ustinov geschwärmt. Nun ja, vor kurzem bot mir Servus TV die Gelegenheit, meinen Patzer von damals auszuwetzen und sie nachzuholen.
Mit seinem All-Star-Ensemble auch in den kleinen Nebenrollen setzt er die Tradition gewisser Kinofilme aus den 1960ern fort, in denen episodisch ein Panorama ausgerollt wird, das anhand einer prägnanten Idee vielen bekannten Gesichtern eine Möglichkeit für Gastauftritte verschafft; ich denke da an Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten oder wie ich in 25 Stunden und 11 Minuten von London nach Paris flog (1965) oder Eine total, total verrückte Welt (1963), alles Spielfilme mit deutlicher Überlänge.
Die Verne-Verfilmung setzt dieses Spiel auf der anderen Seite des Castings fort, indem Prominente aus der damaligen Gegenwart Foggs und Passepartouts Reiseweg kreuzen: von Sarah Bernhardt über Jesse James bis zu Cornelius Vanderbilt. Foggs Rolle als Underdog bei der Wette, kann gewisse Ähnlichkeit mit der Chuzpe der berühmten Eisenbahnräuber nicht leugnen; wenn bei Vanderbilt sein Inkognito auffliegt und er mit Aouda von der Yacht geworfen wird, gleicht das Szenen in Die Gentlemen bitten zur Kasse, wo die Oberschicht über den Coup not amused ist.
Ich kann die Schwärmerei verstehen, denn auch mich hat diese Verfilmung köstlich amüsiert. Sie baut die Frauenrollen deutlich aus, allen voran Prinzessin Aouda, die ja erst zu Anfang des zweiten Teils auftritt; dann gibt es noch die Frau des Erfinders der "Purpurnen Wolke"; die Kaiserin von China und nicht zuletzt Sarah Bernhardt, die später sogar im Reform Club aufkreuzt.
Über die beiden letzten Teile entwickelt sich zwischen Phileas Fogg und Prinzessin Aouda eine Zuneigung, die in einer Heirat gipfelt; und in dieser Version ist es Passepartout, der über den Pfarrer erkennen muß, daß sie bei ihrer Reise einen Tag gewonnen haben.

Die neueste Verfilmung als jetzt erste Staffel einer Teil eines Verne-Universums tritt in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin von 1989: Die modernen Elemente werden auf den neuesten Stand gebracht, siehe die feministischen und anti-rassistischen Updates. Fast 150 Jahre nach dem ersten Erscheinen des Romans gewährt sich die Umsetzung größere Freiheiten: Aus dem knorrigen Privatdetektiv Wilbur Fix wird kurzerhand die Reporterin Abigail Fix, Tochter von Foggs Freund Bernard Fortescue.
In der 1989er Fassung fand ich die USA-Folge dem Reisetempo angemessen; 2021 erscheint sie mir fast zu kurz, US Marshal Bass Reeves hat mir besser gefallen als Jesse James. Ärgerlich hingegen empfand ich Episode 6 auf der einsamen Insel, weil das storytechnisch auf mich dilettantisch wirkte. Von Ashley Pharoah stammen Life on Mars und Ashes to Ashes! Die Folge kam bei mir wie ein Filler an: "Hallo Leute, wir lassen den Plot mal im Leerlauf, damit sich die Charaktere entwickeln können." Das kam billiger rüber als ein Studentenfilm von der Filmhochschule.
Das Finale schließlich hatte etwas von einem neuen Anfang; aus den ungleichen Reisegefährten ist ein kraftvolles, selbstbewußtes Trio geworden, irgendwie Steampunk-Superhelden. Ich bin gespannt auf die zweite Staffel, die ja unter die Meere führen soll ...

Geändert von Servalan (29.01.2023 um 02:44 Uhr)
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Alt 29.01.2023, 19:47   #221  
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  • J. G. Ballard: Crash. A Novel (Jonathan Cape 1973, Farrar, Straus and Giroux 2001) | Crash. Roman (erstmals Edition Phantasia 1985)
  • Crash (Kanada / Großbritannien 1996, The Movie Network und Telefilm Canada), Drehbuch und Regie: David Cronenberg, 100 min, FSK: 18
James Graham Ballards Werke sind schon ein spezieller Fall: Oberflächlich betrachtet fallen die meisten in das Science Fiction Genre, allerdings wehrt sich der Bewunderer von William S. Burroughs gegen eine leichte Lektüre. Seine Kurzgeschichten bezeichnet er gern als "condensed novels" (ungefähr konzentrierte Romane) und nutzt experimentelle Erzählstrukturen, die das Publikum schon mal irritieren können.
Wie in Fantasy und Science Fiction bilden mehrere seiner Einzelbände großere Einheiten und erschaffen im Worldbuilding ein geschlossenes Universum. Crash bestätigt die Erwartung, denn mit den folgenden Romanen Concrete Island (1974) und High-Rise (1975) bildet sie eine Trilogie. Die drei Romane sind augenscheinlich in der damaligen Gegenwart angesiedelt, wo sie Situationen wie Laborexperimente eskalieren lassen, bis die Menschen ihre finsterste Seite zeigen und sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen.
Crash verführt das Publikum mit einer Story um eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich gegenseitig absichtlich in Autounfälle verwickeln, um den Crash als erotischen Orgasmus genießen zu können. Jeder Crash bedeutet jedoch den Verlust der Kontrolle und birgt das Risiko, dabei tödlich verletzt zu werden. Für die konspirativ organisierte Clique wäre dieser Crash der ultimative Kick, der von einigen wie eine Erlösung des irdischen Einerlei herbeigesehnt wird.
Ballard verschränkt hier eine bitterböse, schwarzhumorige Kritik der vom Wohlstand träge gewordenen und gelangweilten Gesellschaft mit den Mitteln der Pornographie. Die Autounfälle und daraus resultierenden Krankenhausaufenthalte werden wie dekadente sexuelle Akte zelebriert. Harter Toback!

Cronenberg hat sich seit seinem Debüt als Spezialist für Body Horror etabliert. Meist verschmelzen Technik und Körper zu etwas Grenzwertigem, das einige als eklig empfinden, während die psychischen und sozialen Nebenwirkungen faszinierend sein können. Er nutzt die Verfilmung für drastische Szenen, in denen der Autofetisch durch den sektenartigen Unfallkult auf die Spitze getrieben.
Wie Gewalt auf diese Weise mit Sex kombiniert wurde, führte in Großbritannien zum Skandal. Der Kunstfilm wurde verrissen, als "krank", "verdorben" und "pervers" abgetan, so daß die öffentliche Stimmung gegen ihn Kinoaufführungen in einigen Stadtteilen Londons verhinderte, obwohl die britische Zensurbehörde BBFC ihn ab 18 freigegeben hatte.
Cronenberg konnte sich mit einer Uraufführung auf den 49. Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1996 schmücken, wo der Film in der prestigeträchtigen Sektion Wettbewerb lief. Zu seinen Verteidigern gehören der englische Schriftsteller Martin Amis und Martin Scorsese. Amis verwies darauf, daß das Buch 1973 durch die Autothematik noch eine größere Wucht hatte als 1996.
Cronenberg hat ohne Zweifel bessere Filme als Crash gedreht; aber gerade im letzten Jahrzehnt dürfte der Stoff ein weiteres Mal gealtert sein. Heute erregen selbst die skurrilsten erotischen Vorlieben ein müdes Gähnen, und Unfallfetischisten auf einem CSD dürften von den woken Avantgardisten herzlich willkommen geheißen werden. Mich würde es nicht wundern, wenn Cronenbergs Film demnächst auf FSK: 16 oder gar FSK: 12 herabgestuft würde.
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Alt 13.02.2023, 15:17   #222  
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  • Bertolt Brecht (Text) / Kurt Weill (Musik): Die Dreigroschenoper, Uraufführung: Theater am Schiffbauerdamm, Berlin am 31. August 1928
  • Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm (Deutschland / Belgien 2018, Zeitsprung Pictures GmbH, Velvet Films, Südwestrundfunk, Arte, Rundfunk Berlin-Brandenburg und Norddeutscher Rundfunk), Drehbuch und Regie: Joachim A. Lang, 135 min, FSK: 6
Der Film nimmt Anleihen bei Brechts Epischem Theater, indem die Inszenierung immer wieder unterbrochen und das Publikum direkt angesprochen. Der künstlerisch radikale Ansatz beginnt mit den Vorbereitungen der Uraufführung der Dreigroschenoper im Theater am Schiffbauerdamm, wo hinter den Kulissen ein finanzielles Desaster befürchtet wird, weil Brecht politischer Ansatz das Publikum verschrecken könnte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn das Publikum ist begeistert und so wird das Theaterstück mit Musik zum erfolgreichsten Stück auf deutschen Bühnen bis 1933.

Die Verfilmung selbst wird zum Thema des Film; in einer fiktiven Alternativen Geschichte pitcht Brecht seinen Erfolg beim Produzenten der Nero Film, Seymour Nebenzahl, und die Zuschauer sehen, wie Brechts Worte Gestalt annehmen und zu Filmszenen werden.
In einer Mischung aus Making of und Reaction Video kommentieren die beiden Verhandlungspartner das Geschehen, manchmal aus dem Off, häufig erscheinen sie jedoch im Set. Während der Produzent gute emotionale Unterhaltung bieten will, versteht Brecht den Film als symbolisch verschlüsselten politischen Kommentar zum aktuellen Zeitgeschehen. Je länger der Film fortschreitet, umso schärfer wird der Konflikt; die Verfilmung droht zu scheitern, denn in zwei Prozessen kämpfen Brecht und Weill gegen die Nero Film um ihre künstlerische Freiheit.
Der Film spiegelt den Bruch durch ein alternatives Ende, in dem Polly nicht mehr durch Mackie Messer umgebracht wird. Vielmehr verwandeln sich die 30er Jahre in eine Gegenwartskulisse, wo sich das Geschehen zwischen der Straße und einer futuristischen Bank sowie einem Gefängnis abspielt.

Über die Freigabe ab 6 Jahren wundere ich mich schon, denn das übervoll ausgestattete Ensemble mit einer Kleidung, bei der Fetisch anklingt, und der Wimmelbildcharakter der Revueszenen können selbst erwachsene Zuschauer überfordern. Der ausformulierte Subtext darüber, wie Wirtschaft und Politik in einer bürgerlichen Welt funktionieren, hat etwas von einem Universitätseminar.
2018 eröffnete die Uraufführung dieses Films das Filmfest München, was die Kritik nicht von harschen Verrissen abhielt. Wegen des Zeitkolorits drängen sich Vergleiche mit Babylon Berlin geradezu auf; die Szenen mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung auf den Straßen erinnerte mich an Les Misérables. Der Cast wirkt fast eine All Star Besetzung dessen, was im deutschen Film Rang und Namen hat, wohl auch, um bei der fiebrigen Tour de Force ein Mindestmaß an Orientierung zu bieten.

Ob sich der Film im Laufe der Zeit bewähren wird, halte ich für fraglich, dazu ist er zu sehr ein radikales ästhetisches Experiment, beinahe ein Manifest. Wer sich näher mit Verfilmungen beschäftigen will, sollte ihn zumindest einmal gesehen haben.
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Alt 16.03.2023, 15:27   #223  
Servalan
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  • Marquis Donatien Alphonse François de Sade: Les Cent Vingt Journées de Sodome, ou l'École du libertinage (1785 geschrieben, erstmals 1904 veröffentlicht) | Die 120 Tage von Sodom oder die Schule der Libertinage (Privatdruck 1909, Könemann 1995)
  • Salò o le 120 giornate di Sodoma | Salò oder Die 120 Tage von Sodom (Italien / Frankreich 1975), Drehbuch: Pier Paolo Pasolini, Sergio Citti und Pupi Avati, Regie: Pier Paolo Pasolini und Randy Barbato, 145 min (ungekürzte Fassung) bzw. 117 min, ungekürzte Fassung ohne FSK-Freigabe bzw. FSK: 18
Ob ich zu diesen beiden Werken eine Rezension verfasse, damit habe ich lange mit mir gerungen. Aber beide finden sich in der Wikipedia und stellen einen grotesken Fall dar, denn sie flirten mit ihrer eigenen Ungenießbarkeit. Ich kann jeden verstehen, der den Schinken von de Sade entrüstet in die Ecke pfeffert, weil der ihn so anwidert; und andererseits habe ich schon mehrere Filmvorführungen erlebt, in denen eigentlich aufgeschlossene Besucher das Kino angesichts der Obszönitäten angewidert nach wenigen Minuten verlassen haben. Wir haben es aus meiner Sicht mit einem Anti-Buch und einem Anti-Film zu tun, die unerträglich unangenehm sein wollen. Die Werke sind also bei einem Lektüreabbruch nicht gescheitert, vielmehr haben sie einen höheren Zweck erreicht und sich als bittere Erfahrung in das persönliche Erleben eingegraben.

De Sade war lange Zeit mit einem Bann belegt, und seine Werke waren - zumindest in meiner Kindheit - nur unter dem Ladentisch oder bei obskuren Versandbuchhandlungen zu Mondpreisen ausschließlich für Erwachsene zu bekommen. Insofern bildete der Name des Marquis eine Art Mythos der perversen Verderbtheit, ein Ausbund eines feudalen Lüstlings, vor dem niemand sicher war, ein monumentaler Erotomane, der eher wegen seiner Obsession bekannt geworden ist und weniger wegen seiner Qualität. Er fiel in die Kategorie übelste Pornographie und die widersprach jeder Form des geringsten literarischen Anspruches.
Umso überraschter war ich, als 1995 in den Universitätsbuchhandlungen plötzlich Paletten einer günstigen Werkausgabe in fünf Bänden bei Könemann erschienen. Neugierig geworden, legte ich mir die zu. Ich habe beileibe nicht alle Bände komplett durchgelesen, aber je mehr ich von ihm las, desto deutlicher erkannte ich seine Qualitäten, zumindest in der Auswahl, die ich zur Verfügung hatte.
Ähnlich wie Russ Meyer im Film zieht Marquis de Sade tradierte Erzählformen durch den Kakao und macht sich über deren Prinzipien lustig, indem er sie auf den Kopf stellt oder Purzelbäume schlagen läßt. Denn de Sade ist durchaus in der Lage, seine Tonlage zu verstellen und mit Mustern zu spielen, obwohl seine Fixierung auf Sex Schlimmes befürchten ließe. Sowohl in der Prosa als auch im Theater weiß er zu glänzen.

Die 120 Tage von Sodom haben einen experimentellen Touch und wirken weniger wie ein Buch aus dem 18. Jahrhundert, sondern eher wie ein postmoderner Schelmenroman. So nutzt er das grobe Muster einer streng mathematischen Mechanik, die wie im Decamerone das Erzählen die grausamen Handlungen strukturiert. Wie bei einem Kartenspiel haben wir es mit vier Ordnungen zu tun, an deren Spitzen die Libertins stehen, die die Orgie organisieren. Die vier Libertins sind ältere Edelmänner: Der Herzog von Blangis; sein Bruder, der Bischof; der pensionierte Richter Präsident Curval und der bürgerliche Steuerpächter Durcet stellen Typen der obersten Gesellschaft dar, die zwar diesen niederträchtigen Vertrag miteinander eingehen, aber sich eigentlich gegenseitig hassen und verachten.
Außerdem laufen die Tage nicht gleichmäßig ab. Wie in einem Rollenspielbuch beginnt der Roman mit einer exzessiven Charakteristik der Hauptfiguren bis in die entlegensten Details. Diese Zeitlupe nimmt im Laufe der Handlung ab und wird einer technizistischen Bürokratie überwuchert, die buchhalterisch einzelne Aktionen verzeichnet und durchnummeriert.
Das Manuskript entstand 1785, als de Sade in der Bastille einsaß und besteht aus einer zwölf Meter langen Rolle, die der Marquis in 37 Tagen vollgeschrieben hat.

Pasolini interpretiert in seiner Verfilmung die Handlung als Vorlage für einen zeitgeschichtlichen Kommentar, der den Stoff in die Gegenwart transponiert. Denn das im Titel erwähnte Salò war das ferne Echo des Faschismus, nachdem der italienische Diktator Benito Mussolini zunächst gestürzt worden war und ab 1943 nur noch über einen Rumpfstaat herrschte, der von deutschen Besatzern geschützt wurde, bis das Marionettenregime 1945 fiel.
Der Film beginnt mit Szenen, in denen die Opfer bei Menschenjagden gefangen und auf Lastwagen in ihr schloßähnliches Gefängnis verfrachtet werden. Hier werden sie gedemütigt, vergewaltigt und gefoltert, bis die Libertins ihrer überdrüssig werden und sie ermorden lassen.
Bei meinen Vorführungen wurde der indizierte Film durch einen begleitenden Vortrag eingeleitet, zudem durften nur Personen ab 18 Jahren zuschauen. Bei dem Film habe ich mich gerne in die letzte Reihe gesetzt, weil ich es aufschlußreich fand, wie sich das Publikum verhielt. (Meine zwei oder drei Vorführungen besuchte ich, bevor der Begriff Tortureporn geläufig wurde.)

Beide Werke halte ich für einen Lakmustest, um herauszufinden, ob der persönliche moralische Kompaß noch funktioniert.

Geändert von Servalan (16.03.2023 um 15:50 Uhr)
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Alt 16.03.2023, 16:17   #224  
Ringmeister
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Verstehe ich das richtig, dass es zwei ungekürzte Fassungen (145 bzw. 117 Minuten). Wie kann das sein?

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Alt 16.03.2023, 16:34   #225  
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Nein, es gibt nur eine ungekürzte Fassung, die mit 145 min; aber es gibt in den unterschiedlichen Ländern verschiedene gekürzte Versionen, von denen ich nur eine aufgeführt habe. Bei denen schwanken die Zeitangaben und reichen von 111 min über 113 min und 114 min bis zu 117 min. Dem Klumpatsch habe ich mir gespart, um nicht für völlige Verwirrung zu sorgen.
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