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Alt 28.01.2024, 20:25   #11  
God_W.
Captain Rezi
 
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Der Untergang von Númenor (J. R. R. Tolkien)

Nachdem ich mich mit „Die Kinder Húrins“, „Beren und Lúthien“ und „Der Fall von Gondolin“ ausführlicher mit den großen Geschichten des ersten Zeitalters beschäftigt habe stand nun mit „Der Fall von Númenor“ das zweite Zeitalter von Mittelerde auf dem Programm. Man könnte jetzt meinen, dass im vorliegenden Band einfach die Geschichte aus der „Akallabêth“, wie sie im Silmarillion auf vergleichsweise schlanken 40 Seiten dargelegt wurde, kommentiert, zerlegt und mit einigen Ergänzungen ausgebreitet wird, um mit Altbekanntem nochmal Kohle zu generieren. Dem ist zum Glück nicht so, denn auch wenn man es auf dem Cover nicht sieht, wichtig ist bei dem hier vorliegenden Buch vor allem der Untertitel, der ihm im Inneren verpasst wurde. Dort steht nämlich geschrieben: Der Untergang von Númenor und andere Geschichten aus dem Zweiten Zeitalter von Mittelerde.



Dieser Untertitel ist Programm und für mich auch der Knackpunkt, weshalb dieses Werk so wertvoll im Gesamtkonstrukt um Tolkiens Hauptwerk wird. Hier werden alle Erzählungen, Storybruchstücke, Ideenschnipsel, Notizen und Anmerkungen zusammengetragen, die J. R. R. Tolkien zum zweiten Zeitalter seiner großartigen Welt hatte. Dazu ein paar Kommentare seines Sohnes Christopher, der zu Beginn der Entstehung dieser Sammlung noch mitarbeiten konnte, bevor Brian Sibley, der neue Herausgeber von Tolkiens Nachlass komplett übernahm.

Über das zweite Zeitalter war bislang am allerwenigsten bekannt, denn das Silmarillion umspannt zwar Tolkiens Mittelerde in Gesamtheit, beschäftigte sich allerdings zum größten Teil mit der Entstehung und dem ersten Zeitalter dieser faszinierenden Welt. Das zweite Zeitalter wird – wie bereits erwähnt – mit der 40-Seitigen Akallabêth abgehandelt, bevor es ins dritte Zeitalter übergeht, welches im Silmarillion nur grob umrissen wird, denn den Kern der Geschehnisse dieser Zeit dürfen wir ja ausführlich in „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ miterleben. Im zweiten Zeitalter gibt es also noch am meisten zu entdecken, was jetzt endlich in gesammelter Form ermöglicht wird.



Natürlich gab es schon viel vom hier enthaltenen Material, aber eben zumeist nur gestückelt, in verschiedenen Veröffentlichungen und teilweise auch nur auf Englisch. Wir haben also einiges an deutschen Erstveröffentlichungen in diesem Buch. Neben dem Silmarillion wurden alle bekannten Informationen zum zweiten Zeitalter aus den „Nachrichten aus Mittelerde“, dem „Herrn der Ringe“ inklusive Anhänge, verschiedenen Bänden der „History of Middle-earth“ und weiteren Quellen wie Randnotizen, Briefen von Tolkien selbst und seinem unvollendeten Zeitreiseroman „The Lost Road“ zusammengetragen. Das alles wurde dann, unabhängig von der Entstehungszeit, in einen chronologischen Rahmen gebracht, was uns ermöglicht die Vorgänge des zweiten Zeitalters in einem geordneten Ablauf nachzuvollziehen, egal an welchem Ort sie gerade stattfinden. So springt man in Mittelerde von Ort zu Ort, von Charakter zu Charakter und nach und nach erschließt sich ein Gesamtbild, in welcher Abfolge welche Ereignisse stattfanden, wer wen wo und wann getroffen hat, was auf Númenor geschah, während in Mittelerde jenes passiert ist und so weiter.

Nicht jede dieser Informationen ist fertig ausformuliert, manchmal sind es also nur nüchtern vorgetragene Informationen, öfter aber auch kleinere oder größere Geschichten, oder auch nur Teilstücke einer solchen. Also in etwa so, wie man es aus dem Silmarillion kennt. All das wurde sorgfältig kommentiert und stets in den richtigen Kontext gesetzt, um den Leser mitzunehmen, was prima funktioniert. Für mich ein wirklich toller Band, mit einem sinnigen Hintergrund, der absolut seine Daseinsberechtigung hat. Ja, wer alles andere von Tolkien bereits verschlungen hat bekommt vielleicht nur wenig Neues geboten, aber konnten Leser der Anhänge des Herrn der Ringe, des Silmarillion, der Nachrichten aus Mittelerde und vielleicht sogar der englischen Ausgaben der History of Middle-earth das alles auch passend miteinander verknüpfen, um das Gesamtbild zu sehen? Ich bezweifle es ehrlich gesagt.



Dennoch, das zweite Zeitalter ist weiterhin der Zeitraum aus Mittelerdes Historie, zu dem es die wenigsten Informationen und mit Abstand die größten Lücken zwischen einzelnen Ereignissen gibt. Vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb sich die Macher der Serie „Die Ringe der Macht“ diese Epoche herausgepickt haben, möglichst viele Freiheiten zu haben. Bei der ersten Sichtung der Show war ich ein wenig enttäuscht und sogar leicht angesäuert ob so mancher Entscheidung und Änderung im Vergleich zur Vorlage. Nach der Lektüre dieses Buches sehe ich das entspannter und halte mich da an einige Zeilen, die J. R. R. Tolkien selbst in einem Brief an den Lektor Milton Waldman geschrieben hat: „Ich wollte manche der großen Erzählungen ganz ausführen, für viele Andere aber nur ihren Platz im Zusammenhang bestimmen und es bei Skizzen belassen. Die Zyklen sollten zu einem majestätischen Ganzen verbunden sein und doch für andere Geister und Hände Raum lassen, die Farbe, Musik und Bewegung hinzutun könnten.“

In diesen Worten erkenne ich eine Ermutigung des Autors sein Werk zu ergänzen, Geschichten in seiner Welt zu erzählen, Lücken zu füllen und, wie er es selbst sehr häufig getan hat, Dinge anzupassen, behutsam zu ändern oder zu beugen. So oft wie Tolkien seine eigenen Erzählungen abgeändert und angepasst hat, wie er verschiedene Versionen ein und der selben Geschichte erstellte, wie können wir da sagen, was er an seinen Ideen noch alles bearbeitet hätte, würde er bis heute die Möglichkeit dazu haben? Mit diesen Gedanken im Hinterkopf habe ich die erste Staffel der „Ringe der Macht“ (diesmal zusammen mit Krümelchen) erneut gesehen und ich muss sagen, im Vergleich zur Erstsichtung war ich positiv überrascht.



Nein, die Serie ist nicht perfekt, ja man hätte sie stringenter und packender erzählen können, vielleicht auch müssen, und nicht jeder Charakter versteht es, mich für sein Schicksal zu interessieren. Aber ich erkenne da auch ganz viel Gutes wieder. Mal abgesehen von der großartigen Optik und der unglaublichen Detailverliebtheit was Kostüme, Sets und Requisiten angeht. Wie gesagt, man weiß einfach vieles aus dem zweiten Zeitalter nicht und da haben die Showrunner eben ihre eigene Version draus gestrickt, Dinge, Handlungsstränge und Figuren ergänzt, und einige Änderungen vorgenommen, von denen mich die Meisten jetzt nicht mehr stören.

Galadriel als Kriegerin beispielsweise. Man weiß eben ganz viel von ihrer früheren Zeit nicht, allerdings wird bei Tolkien klar erwähnt, dass sie die Reitkunst besser beherrschte als die meisten Männer. Das Reiten war eher eine kriegerische Disziplin, wohingegen die Frauen eher im Tanz ihre Passion fanden. Das legt nahe, dass Sie auch in anderen Kriegsdisziplinen außergewöhnliche Talente hatte. Dass Sauron gutaussehend war und in Númenor eingekerkert wurde, bevor er die Völker später mit schönen Worten zum Schmieden der Ringe verführte, ist ebenfalls verbrieft. Wie er dort hin kam? Ob Galadriel zu der Zeit bei ihm war? Kein Wort, warum also nicht? Solche Dinge gibt es sehr viele, die einen verbrieften Kern beinhalten, dann aber ausgekleidet, angepasst oder verändert wurden. Das liegt zuweilen auch am zeitlichen Rahmen, der im Buch knapp dreieinhalbtausend Jahre umspannt. Das geht einfach nicht 1:1. Durin und Disa harmonieren einfach prächtig, dass die Zwergenlady keinen Bart hat? Geschenkt! Elendil und Isildur? Prima! Die angeblich so große Vorhersehbarkeit, wer der Typ aus dem Kometen ist? Ich sah da sehr viele Möglichkeiten, auch wenn man die Hintergründe kennt. Klar ist, dass es nicht Sauron sein kann, aber sowohl Saruman als auch Tom Bombadil, über dessen Alter und Herkunft man gar nichts weiß, sind lange Zeit absolut schlüssige Möglichkeiten. Aus diesen Gründen kann ich mit all den Neuerungen und Änderungen einfach sehr gut leben, kann all die Hater nicht mehr wirklich verstehen, und freue mich mittlerweile einfach, noch mehr Abenteuer aus Tolkiens Welt in filmischer Form erleben zu dürfen, auch wenn es etwas gemächlich gestartet ist. Aber hey, früher gab man Serien oft 1-2 Staffeln die Chance sich zu finden, vielleicht machen wir das hier auch mal wieder?



Einziger wirklich großer Kritikpunkt an der Show ist für mich der dunkelhäutige Elb Arondir. Das liegt aber ganz und gar nicht an seiner Hautfarbe, sondern an der Liebesgeschichte mit der Menschenfrau Bronwyn. Das ist einfach eine Erfindung, die für meine Begriffe gar nicht geht. Dabei geht es mir nicht um Rassismus oder irgend solchen Blödsinn, sondern darum, dass die Verbindung zwischen einem Elb und einem Menschen in Tolkiens Werk eine sehr seltene, ganz besondere Stellung einnimmt und es wird absolut klar mehrfach sehr deutlich erwähnt, dass es bis zu Arwen und Aragorn (Herr der Ringe) lediglich zwei Verbindungen zwischen Elben und Menschen gab. Das waren Beren und Lúthien, die Tolkien gerne als Synonyme für sich und seine geliebte Ehefrau sah, weshalb deren Namen auch auf dem Grabstein des Autors und seiner Gattin stehen, sowie Tuor und Idril (Der Fall von Gondolin), beide also im ersten Zeitalter. Diese inflationäre Nutzung von Elben, die sich in Mitglieder anderer Volksstämme verlieben nimmt dem Ganzen so langsam dass Besondere. Peter Jackson tat es schon in den Hobbit-Filmen – da war es ein Zwerg, weshalb wenigstens Tolkiens Historie bzgl. Elb-Mensch-Verbindungen unangetastet blieb – jetzt haben wir schon wieder so einen Fall. Diesen wichtigen und außerordentlich eindeutigen Punkt in Tolkiens Schaffen zu ignorieren halte ich für respektlos oder zumindest maximal unaufmerksam muss ich sagen.



Aber zurück zum Buch. Wie gesagt die mit 430 Seiten umfassendste Zusammenstellung von allem Wissenswerten, was Tolkien über diese Ära geschrieben hat, in möglichst perfekter Weise aufgearbeitet und mit einigen Farbtafeln von Alan Lee wunderschön illustriert. Kein durchgehend spannender Pageturner, aber auch weniger sperrig als das Silmarillion. Eine klare Empfehlung für Wissensbegierige in Sachen Tolkien und für Freunde der Serie „Die Ringe der Macht“ fast schon ein Muss. Das Buch endet dann sogar sehr spannend, denn ein sehr wichtiges Ereignis, das „Verhängnis auf den Schwertelfeldern“ wird bereits angetriggert, geschieht aber erst zu Beginn des dritten Zeitalters. Im „Herrn der Ringe“ nur kurz behandelt werde ich mir das demnächst, neben vielen anderen Texten, in den „Nachrichten aus Mittelerde“ genauer anschauen.

8/10

VG, God_W.
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