Comic-Vernichtung 1998

[nc-schmitt]

Dieser Artikel erschien ursprünglich in TREFFER Nr. 5.

Gigantische Comic-Vernichtungsaktion biblischen Ausmaßes!
425.000 Comic-Hefte durch den Schredder gejagt!

von Alfred Mühlenbach


Es ist ein trüber wolkenverhangener Novembermorgen an diesem Mittwoch, dem 25.11.98. Das Thermostat zeigt 5 Grad plus und es ist glücklicherweise noch trocken. Schon seit drei Stunden verrichten die fleißigen Mitarbeiter des Rohstoffverwerters TRIENEKENS GMBH ihr Tagewerk in der Halle 2 des weitläufigen Geländes. Sie sind damit beschäftigt Unmengen von gebrauchtem Papier auf ein Förderband zu kippen, welches direkt in eine Schredderanlage führt. Nur ein unheilvolles knirschen und rascheln legt Zeugnis von dem Vorgang des zermahlens innerhalb der Anlage ab. Das Gewerk ist rundherum mit schweren Blechen verkleidet, die den Lärm reduzieren und die Anlage für die Mitarbeiter sichert. Wer da reinfallen würde, hätte nicht mal Zeit zum Schreien! Zehn Meter weiter schieben sich vollautomatisch kubikmetergroße Ballen über ein zweites Förderband aus der Maschine wieder heraus. Auch die Verdrahtung der Pakete, die die Ballen in Form halten, geschieht automatisch. Lediglich ein Staplerfahrer ist nötig, um die endlose Kette der Papierpacken abzugreifen und sie direkt auf LKW‘s zu verladen, die dann diese Fracht an spezielle Verarbeitungsbetriebe weiter transportieren. Dort werden aus der Rohmasse neue Papiersorten hergestellt und dann wieder zu Prospekten, Hochglanzbroschüren, Comics, Zeitungen und vieles mehr erneut verarbeitet.

Aber hier vor Ort ist von den einstigen Druckerzeugnissen nur noch eine in sich verknüllte und gepreßte Masse erkennbar, deren zerrissene Schnipsel bis zur Unkenntlichkeit in sich verwirbelt sind.

Da schiebt sich langsam durch das Werkstor ein weiterer LKW. Es ist keiner von der Firma Trienekens mit der so typischen blau-gelb-grünen Lackierung. Dieser im schmucklosen Grau daherkommende Kleinlaster ist vom Thomas Schmitt Verlag angemietet. Seine Ladung besteht aus 8 Paletten mit etwa 380 Kartons in verschiedenen Packnormen. Er fährt vor bis zum Band der Schredderanlage und rangiert umständlich rückwärts heran. Dort warten bereits drei Personen, die sich durch ihre seriöse Kleidung von den anderen Mitarbeitern mit deren einfarbigen Arbeitsanzügen unterscheiden. Neben dem Verleger Thomas Schmitt steht der Verwertungsingenieur Manfred Bruchhagen und ein bekannter Kölner Notar.

Als die Paletten abgeladen und durchgezählt sind, fliegen die ersten Kartons im hohen Bogen durch die Luft und fallen klatschend auf das Förderband. Dort zerplatzen sie und geben ihren farbigen Inhalt frei. Es sind die Cubitus-Piccolos, mit denen Thomas Schmitt 1996 an den bundesdeutschen Kiosken glänzte. Mit geübten professionellen Handgriffen befördern die Mitarbeiter von Trienekens die Streifenhefte leidenschaftslos auf das Band. Der Notar überzeugt sich stichprobenartig von den Inhalten der Kartons. Manfred Bruchhagen bückt sich nach einem der Piccolos und ein kleines Leuchten tritt kurz in seine Augen. „Von diesen Heften habe ich als Kind hunderte gehabt. Da gab‘s diesen Sigurd. Von dem hatte ich alles. Doch irgendwann hat mein Vater alles auf den Müll gekippt. Damals wurde verbrannt oder deponiert. Da gab‘s noch kein Recycling!“, stellt er beinahe sentimental fest.

„Eigentlich Schade“, erklärt Thomas Schmitt, der mit unbeweglicher Miene beobachtet, wie Karton auf Karton in dem alles vernichtenden Schlund verschwindet. „Ich hätte die Piccolos ja lieber an Kindergärten verteilt. Aber laut Lizenzvertrag bin ich verpflichtet die Überproduktion unter notarieller Aufsicht zu vernichten!“

Der 1996 angestrebte Erfolg wurde nicht erreicht. Von insgesamt 600.000 gedruckten Piccolos (12 verschiedene Geschichten á 50.000 Exemplare) gingen etwa 175.000 Stück über die Ladentheke. Der Break-even lag bei 169.000 verkauften Streifenheftchen. „Von Gewinn kann da kaum die Rede sein. Wenn man bedenkt, daß zwei Jahre Arbeit und Vorplanung in diese Objekte eingeflossen sind, so hat sich der ganze Aufwand kaum gelohnt“, gibt Thomas Schmitt zu.

Langsam leeren sich die Paletten. Das grausame mahlende Geräusch klingt fast unerträglich in den Ohren wenn man bedenkt, was da gerade an Werten sinnlos zerstört wird. Nun schieben sich die ersten Ballen mit der vermengten Masse, bestehend aus Fetzen von Piccolos, Kartons und anderen ehemaligen Druckerzeugnissen, die zur Mischung dazu geworfen wurden, hinten an der Maschine über das zweite Förderband wieder aus der Anlage heraus. Der Kontrolle des Notars entgeht nichts. Ab und zu begegnen sich die schweigenden Blicke der drei so unterschiedlichen Menschen, deren berufliche Verantwortlichkeit sie an diesem Tag so schicksalhaft zusammengeführt hat.

Zirka zwei Stunden hat diese Aktion dann gedauert. Über 2,5 Tonnen Comics sind unwiederbringlich vernichtet worden. Der LKW hat die leeren Paletten wieder geladen und startet mit einer stinkenden Rußwolke. Es ist fast ein herzliches, weil mitleidendes, Verabschieden zwischen Thomas Schmitt, dem Ingenieur und dem Notar. Eine traurige Pflicht wurde heute erfüllt und mit gesenkten Köpfen eilen die drei auseinander weil nun der Himmel seine Pforten geöffnet hat und -als ob er weint- schüttet es nun wie aus Eimern. Ein krönender Abschluß einer deprimierenden Arbeit.


E N D E