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Alt 24.06.2014, 12:44   #1  
michidiers
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gold01 'Der Tag im Moor' Comic-Lesung mit Oliver Grajewski (2014)

„Der Tag im Moor“
Comic-Lesung mit Oliver Grajewski
Freitag, 20. Juni, 17:00 Uhr, Rathaus, Raum Nr. 117, 1. Stock (Rathausplatz 1)



Inhalt: Eigentlich wollte Oliver nur seine Eltern in Schleswig-Holstein besuchen – doch merkwürdige Vorfälle im Moor und ein alter Zeitungsartikel bringen ihn auf die Spur eines Geheimnisses.
Bei seinen Nachforschungen trifft er alte Freunde und neue, wie den „Weißen Alb“ oder die Taxifahrerin, die sich Gedanken über Vampire macht. Er erinnert sich an Erlebnisse aus seiner Jugendzeit und, nachdem alle Hinweise zusammengefügt sind, findet er in einem versteckten Teil des Moors Vogelmenschen, die sich dort niedergelassen haben, um eine neue Form des Zusammenlebens zu erproben.
Oliver Grajewski verbindet in dieser Geschichte Autobiographisches, Dokumentarisches und Fantastisches. Analog dazu erweitern seine Zeichnungen den klassischen Comic durch ungewohnt vielfältige Techniken und gewagte Seitenkompositionen. Er zitiert Bilder der realen Alltagswelt, ohne deren Beliebigkeit zu doppeln. Zeichnungen mit Tusche und Bleistift verbinden sich mit digitaler Fotografie und informeller Computergrafik. Bildfolgen der klassischen Comictradition verschmelzen zu ganzseitigen Kompositionen, die sich über den permanenten Stilwechsel der Zeichnungen und über die Textführung wieder entzerren lassen. Doppelseitige Kompositionen und eine All-Over-Struktur binden ruhige Landschaftsbilder und schlichte, wie nebenbei skizzierten Figuren ein. Unterschiedlich und unerwartet entfaltet sich für den Leser jede einzelne Episode der Geschichte neu.







Geändert von michidiers (24.06.2014 um 21:56 Uhr)
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Alt 26.06.2014, 16:20   #2  
michidiers
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Am Ende der Lesung hatte ich die Möglichkeit, dem Künstler ein paar Fragen zu diesem Werk zu stellen.

1. Du hast in deinem vorherigen Buch „tokio, rückwärtstagebuch“ eine dokumentarische Bildergeschichte über die japanische Hauptstadt erzählt. Davor gab es die „Tigerboy-Magazine 16 - 19” und das „Tigerboybuch” im Verbrecher Verlag. In dem vorliegenden Band „Der Tag im Moor“ geht es wieder auf eine Reise: diesmal jedoch in die provinzielle Moorlandschaft nach Schleswig-Holstein. Noch unterschiedlicher geht es hinsichtlich der Handlungsorte wohl nicht?

Ich bin kein klassischer Comic Zeichner, sondern bildender Künstler, der konzeptionell mit dem Medium Comic arbeitet. Die Bücher sind Teil meines Gesamtwerkes, in Galerie, Museum und Medien. Die Konzeption eines Buches ist hier nicht „nur” Comic. Da Kunst Entwicklung bedeutet, ist die folgende Arbeit anders als die vorherige. „Tigerboy” beispielsweise war auch immer „Reise” aber in kurzen Kapiteln, tagebuchartig oder traumhaft.

2. Die Geschichte trägt ganz offenbar biografische Züge. Was verbindet dein reales Leben mit den fantastischen Vorgängen, die dort im Comic erzählt werden?

Aus allen auftretenden Figuren spreche ich zum Leser. Mit meiner Person geht der Leser durch die Geschichte. Es gibt keinen Dissens der Personen darüber, wie es um die Welt steht. Alles ist in Umbruch und Zerfall. In der Geschichte spitzt sich dieser Umstand besonders deutlich in der Mutation zu. In meiner Zivildienstzeit habe ich für eine Schule für geistig und körperlich behinderte Kinder gearbeitet. Da haben wir morgens, per Bus aus dem Landkreis die Kinder abgeholt. Weite Strecken für ein paar Kinder. Aber der Bus nach Brokdorf war in kürzester Strecke und Zeit gefüllt. Und 50% der Kinder hatten Eltern, die im AKW arbeiteten ... Daran habe ich mich bei der Konstruktion des Buches wieder erinnert und dies zum Aufhänger genommen, diese Geschichte weiterzuspinnen. Dazu kam: mich interessieren neue politische Konzepte, die Wege aus gesellschaftlichen Sackgassen zeigen. Viele Orte und Personen sind „echt” in Namen und Bild. Andere Orte und Personen sind Konstruktionen.

3. Welchem Genre würdest du dieses Werk am liebsten zugeordnet wissen? Mir fällt da spontan ein Wort wie Ökohorror ein. Aber du wolltest dem Leser doch sicher mehr erzählen, als eine Gruselgeschichte, oder?

Es handelt sich um eine Spuk-Doku-Fiktion. Ökohorror ist wahrscheinlich nicht falsch. Zunächst einmal wollte ich dem Leser nicht in erster Linie etwas erzählen, sondern mir – in einer Art und Weise, wie ich es sonst nirgendwo anders sehe. In zweiter Linie wollte ich über das Unbehagen der ungelösten gesellschaftlichen Probleme reden und, mit leichter Überspitzung der Situation, darauf hinaus: welche Folgen wir alle tragen werden müssen, falls wir keine Lösungen finden. Wenn ich z.B. die Tageszeitung lese oder Nachrichten ansehe, durchläuft mich häufig ein „Grusel”, der damit zusammenhängt, dass viele Konflikte seit meiner Kindheit und eben schon davor bestehen und diese scheinbar in ihren Ausmaßen zunehmen, obschon augenscheinlich unendlich viele Menschen dafür bezahlt werden, die Probleme zu lösen. Also war mir die Idee sehr nah, eine Spukatmosphäre in der Geschichte auszubreiten, da neben Fiktion ja auch aktuelle Themen aufgegriffen werden.

4. Hast du heutzutage ein Gefühl von wohligem Unbehagen, wenn du durch ein Moorgebiet wanderst? (Anm. mir geht es seit meiner Kindheit so, und ein Moor beginnt fast direkt hinter meinem Haus)

Ich hatte als Kind keine Berührung mit Moor, da aus dem Rheinland nach Schleswig-Holstein kommend. Sherlock Holmes „Der Hund von Baskerville” war ein Buch im Englischunterricht. Hier habe ich Bilder der damaligen Verfilmung im Kopf. Und diese Bilder überschneiden sich mit visuellen Eindrücken von knapp hinter der Nordsee aus meinen Kindertagen. Ich wollte von der Konstruktion meines Moores aber ehr so etwas wie: Die Form einer Welt, die etwas unübersichtlich für unsere zivilisierte Welt ist; verschwommene Verstecke, einen Ort für Flucht aber auch der Ruhe. Auf das Moor hinter dem eigenen Haus konnte ich leider nicht zurückreifen.

5. Waren Superheldencomics wie die mutierten X-Men oder die Fantastischen Vier, die sich durch eine kosmische Strahlung körperlich veränderten, eine Inspiration für den Comic?

Natürlich habe ich Superhelden als Kind geliebt; gerade die Marvels. Auf die X-Men hat mich erst die Rezension von Andreas Platthaus gebracht. Das leuchtet mir aber durchaus ein, obwohl ich meinen Mutanten keine heldenhaften Züge gegeben habe. Manche sind „cool”, denn sie müssen sich und etwas in der Geschichte bewegen. Eigentlich geht es darum, wie Minderheiten gesellschaftliche Entwicklungen anstoßen können und müssen.

6. Du greifst bei der grafischen Umsetzung neben dem üblichen Zeichenstift auch auf Fotomontagen und Computerbilder zurück. Das halte ich für eine recht kühne Idee. Wann kam diese Idee erstmals? Und gab es ein Vorbild dafür?

Ein Vorbild gibt es nicht aber ich arbeite mit meinen Lieblingsmedien und mische. Als ausgebildeter Künstler (eben nicht ausgebildeter Erzähler) arbeite ich, vor der linearen Erzählung, mit Bildarchiven zu verschiedenen Themen und Kapiteln. Die Erzählung muss visuell begründet sein und umgekehrt. Es geht um eine Verschlingung oder eben Einheit von Form und Inhalt. Die Archive, aus denen das spätere Zeichenmaterial hervorgeht bestehen aus „found footage” jedweder Medien, eigenen Fotos, Filmen und Zeichnungen der letzten 35 Jahren. Für die Atmosphäre der „Moorbuches” war eine All-Over-Struktur wichtig, die den Leser nicht aus den Seiten entkommen läßt: Kein Weg zur Flucht. Was mir bei Comics häufig nicht gefällt, ist, dass sie sozusagen „totgeinkt” sind. Häufig sehen die Vorzeichnungen besser aus, als das fertige Bild. Um eine rauere Bildsprache zu erhalten, zeichne ich nicht vor, sondern jede Form der Zeichnung landet im Buch: krakelig, kritzelig, hyperreal, fotoreal, und eben auch überzeichnete Fotos, Filmstils, Scans von Stoffmustern, Plastikfolien in Hintergründen etc. Ich versuche diese Unterschiedlichkeiten in einem „Strom” so zu organisieren, dass sie beim Lesen dann sogar in den Hintergrund treten aber formal trotzdem ungewöhnlich auftreten. Meinem Gehirn macht das Spaß und so gehe ich davon aus, dass auch andere davon positiv überrascht werden.

7. In einer Rezension habe ich von einer „systemkritisch-ökosozialistischen Botschaft“ gelesen. Weitere Reviews gehen in eine vollkommen andere Richtung. Ist die Story so konzipiert dass sich jeder ein Ende ausdenken muss, bzw. die unheimlichen Vorgänge im Moor für sich zu interpretieren hat?

Kulturproduktion ist ein Arbeitsfeld, welches sich für mich vielmehr mit gesellschaftsverändernden Ideen als mit Gelderwerb verbindet. Sonst könnte ich in der Werbung, Yellowpress oder für das Fernsehen, für Doppelhaushälften, Swimmingpools, Autos etc. arbeiten. Es geht mir um die Inhalte von Arbeit: Wie können wir die Umstände, die unsere Lebensqualität einschränken, besser gestalten? Habe ich als ausgebildeter Bildproduzent dazu eine Idee, die Menschen anders und komprimierter berührt als beispielsweise ein wissenschaftlicher Text? Ich finde Menschen, mit Sendungsbewusstsein und einer Klarheit, im Anliegen mit der Zukunft, erfrischend. Personen des Buches, wie Jan Jannsen, der Alb, die Taxifahrerin oder der Schaffner sind Bedenkenträger in unserer bunten „Enthaltungswelt”, in der es uns scheinbar so gut geht. Bevor sie sich einmischen, teilen sie uns ihre Bedenken mit. Das halte ich für ein ziemlich klares Handlungskonzept. Das ist auch nicht beliebig auslegbar. Unterschiedliche Leser sehen unterschiedliche Schichten. Viele sehen, aufgrund der aufwendigen Visualisierung, erstmal gar nicht richtig durch. Bücher dürfen herausfordern. Mein erster Tipp: zweimal lesen. Und der zweite: Damit zufrieden sein, was man sieht, egal welchen Layer man erwischt.

8. Das Ende wirkt nicht abgeschlossen. Wird es noch eine Fortsetzung geben?

Das Buch ist abgeschlossen konzipiert, endet aber sehr offen. Am Ende der Geschichte hat man einen Rundumschlag an Anfängen erlebt, viele Rückblenden und einiges in der Gegenwart. Das kann so stehen bleiben aber es wird einen zweiten Teil geben, der wie eine zweite Staffel einer Serie funktionieren sollte: alte Bekannte und neue Unbekannte, Probleme werden gelöst - manches wird schlimmer. Andere Orte der Handlung kommen hinzu, aber das Moor als der stillste und nebligste Ort bleibt. Da sich das Buch zeitlich mit Kunst- und anderen Aufträgen überschneidet, peile ich den Comicsalon 2018 dafür an.

Vita:
Oliver Grajewski, geboren 1968 in Leverkusen, studierte Bildende Kunst (Malerei, Zeichnung, Fotografie) an der Hochschule der Künste in Berlin und an der Chelsea School of Art and Design in London. Er lebt in Berlin und arbeitet als bildender Künstler konzeptionell mit dem Medium Comic, für Zeitungen, Magazine, Web, Film, Galerien und Museen. Seit 1999 sind 5 „Tigerboy”-Ausgaben auto-biografischer Geschichten im Verbrecher Verlag erschienen. Bei Starfruit Publications erschien 2009 das „tokio, rückwärtstagebuch” zusammen mit Kathrin Röggla. Die Graphic Novel „Der Tag im Moor" erschien 2012 bei Breitkopf Editionen. Ausstellungen u. a.: „Swimming Pool im Zeichenfeld", Ministerium für Bildung und Kultur, 2013; „Im scheußlichen Garten", Künstlerhaus Dortmund, 2012; „Jetzt wird alles wieder gut“, Comic Salon Erlangen, 2010; „Textbild“ mit Jürgen Palmtag, Galerie
Albstadt, 2007; „Vampire Ihr!“ mit Hannes Trüjen, Städtische Galerie Nordhorn, 2007.

Anmerkung: Im Laufe der kommenden Woche werde ich noch eine Rezension mit meiner eigenen Meinung über das Buch hier einstellen.

Geändert von michidiers (04.07.2014 um 11:42 Uhr)
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Alt 02.07.2014, 15:56   #3  
michidiers
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Den Comic/die Graphic Novel "Der Tag im Moor" von dem Künstler habe ich nunmehr gelesen und eine Rezension hier verfasst:

http://www.sammlerforen.net/showpost...postcount=2677
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