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Alt 25.11.2022, 07:15   #301  
Peter L. Opmann
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Das ist kein Problem. Niemandem muß hier irgendwas gefallen.

Interessant wäre nur, warum Dir eventuell der Film von Rappeneau nicht gefallen hat. Aber ich ahne schon, was Du dazu sagst...
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Alt 25.11.2022, 07:24   #302  
Marvel Boy
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Zu lange her und ich kann mich da, weil er mir nicht gefallen hat, nicht mehr an Einzelheiten erinnern.

Mal schauen, vielleicht bin ich ja zur Weihnachtszeit nicht so kurz angebunden, da hab ich eventuell ein bischen Zeit zum Luftholen, und zum Schreiben.

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Alt 25.11.2022, 07:35   #303  
Peter L. Opmann
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Nach dem französischen nun ein italienischer Film (einen spanischen hatte ich immerhin auch schon mal): „La Strada (Das Lied der Straße)“ (1954) von Federico Fellini. Ich hatte ihn schon früher im Blick, aber leider habe ich ihn auch schon länger nicht mehr gesehen und muß mich bei der Inhaltsangabe teilweise auf fremdes Material stützen. Doch ich kann sagen, daß dieser Film bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen hat. Das Besondere ist für mich, daß Anthony Quinn trotz all des Leids, das er verursacht, nicht als Bösewicht erscheint, sondern in gewissem Sinn auch als Opfer der Umstände. Wäre es nicht so, würde „La Strada“ sicher viel von seiner Wirkung einbüßen.

Viel weiß ich über den wirtschaftlichen Erfolg dieses Films gar nicht, aber er begründete das zu Zeiten ziemlich große Medienimperium von Leo Kirch (der auch mal mein oberster Chef war). 1955 borgte er sich das Geld zusammen, um direkt in Cinecitta die Filmrechte für Deutschland zu kaufen. So begann mit „La Strada“ sein Aufstieg als Filmhändler. Wikipedia ist zu entnehmen, daß „La Strada“ im selben Jahr den ersten Oscar als „bester ausländischer Film“ gewann. Es muß also damals ein Aufsehen erregendes Werk gewesen sein, und das läßt sich noch heute nachvollziehen.

Man kann den Film wohl dem italienischen Neorealismus zuordnen, den Fellini danach hinter sich ließ. Trotz der sozialen Härte, die zum Ausdruck kommt, ist er aber auch poetisch, was vor allem der oft pantomimischen Darstellung von Giulietta Masina, Fellinis Ehefrau, zuzuschreiben ist. Nun, worum geht es? Anthony Quinn ist der Jahrmarktsartist Zampano (der Name wurde sprichwörtlich); er tritt mit nur einer einzigen unablässig wiederholten Nummer auf: Eine um seine Brust gelegte Kette sprengt er durch Anspannung seiner Muskeln. Dazu braucht er eine Assistentin. Die findet er in Gelsomina (Masina), die er regelrecht ihrer Familie abkauft. Masina ist ein dummes junges Mädchen, das zwar mit Zampano folgsam mitgeht, aber das Schaustellergewerbe erst lernen muß. Anfangs blickt sie jedoch beinahe bewundernd zu ihrem Lehrer Quinn auf. Der behandelt sie aber oft schlecht; er ist offenbar völlig gefühllos.

Feministinnen dürften über die Milieuschilderung entsetzt sein, aber es wird auch deutlich, daß die Umgangsformen in der Schausteller-Szene nicht unüblich sind. Quinn, der täglich in einer anderen Stadt den starken Mann markiert, ist doch vom Wohlwollen und den Spenden des Publikums völlig abhängig und kommt in der Nachkriegszeit nur mit Ach und Krach über die Runden. Deshalb kann er auch keine Assistentin brauchen, die seinen Auftritt vermasselt. Trotz aller Schwierigkeiten könnte sich zwischen beiden eine Vertrauensbasis entwickeln, aber Quinn läßt das nicht zu. Eines Tages hat Masina genug und läuft weg. Sie lernt einen anderen Schausteller (Richard Basehart) kennen, einen Seiltänzer und Clown, der umgänglicher ist – für sie eine ganz neue Erfahrung. Quinn findet sie und zwingt sie, zu ihm zurückzukehren, aber Basehart hat vor ihm überhaupt keinen Respekt, was sie noch mehr verwundert.

Zwei Zwischenfälle bringen Masina dann dazu, mehr auf Distanz zu Quinn zu gehen: Zunächst stiehlt er bei einer Übernachtung in einem Kloster Silberschmuck. Dann begegnet er Basehart, als der eine Autopanne hat, und verprügelt ihn wegen seiner Spötteleien so hart, daß er stirbt. Masina ist darauf so verstört, daß sie für seine Auftritte nicht mehr zu gebrauchen ist. Er läßt sie zurück. Quinn fährt fort, mit seiner Kraftnummer umherzureisen – was bleibt ihm auch anderes übrig? Jahre später trifft er eine Frau, die eine Melodie spielt, die er von Masina kennt. Er erfährt, was aus ihr geworden ist - sie ist inzwischen ebenfalls gestorben. Er erkennt, daß er allein auf sich gestellt ist, und bricht zusammen. Alle Gefühle, die er immerzu unterdrückt hat, brechen aus ihm heraus.

Ein Film also, der auf eine Schlußpointe verzichtet. Man kann ihm – anders als „Cyrano de Bergerac“ – sicher kein hohles Pathos vorwerfen, aber die auf die Spitze getriebene Tragik kann irritieren. Gleichwohl ist der Zuschauer ergriffen – so ging es mir jedenfalls, als ich den Film sah. „La Strada“ bedeutete nicht nur für Fellini den Durchbruch, sondern zeigte auch Anthony Quinn in seiner ersten wichtigen Hauptrolle. Er hatte da allerdings schon viele Jahre im Filmgeschäft hinter sich, in der er meist kleine Rollen hatte und oft Mexikaner darstellte (unter anderem in dem ungewöhnlichen Western „Der Ritt zum Ox-Bow“, auf den ich vielleicht auch noch zu sprechen komme). Vor einiger Zeit habe ich auf einem Flohmarkt mal Quinns Autobiografie gekauft, die ich überraschend prätentiös und fast unlesbar fand. Richard Basehart gilt als Charakterdarsteller, ist mir aber nur in diesem Film aufgefallen. Dabei war er in einem Film dabei, den ich hier schon besprochen habe: „Willkommen, Mr. Chance“. Über Giulietta Masina kann ich auch nicht viel sagen, weil sie fast nur in europäischen und hauptsächlich italienischen Produktionen mitwirkte. Und wer kennt sich da schon richtig aus?
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Alt 25.11.2022, 07:51   #304  
Peter L. Opmann
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Ins Inhaltsverzeichnis in Post # 1 habe ich jetzt auch die Filme aufgenommen, die ich nicht selbst besprochen habe.
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Alt 25.11.2022, 15:41   #305  
Servalan
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Karel Zeman wurde ja hier schon erwähnt - von Nante, wenn ich mich recht entsinne. Seine Trickfilme haben schon ihren Reiz, auch für mich, und die Trickspezialisten in der damaligen Tschechoslowakei hatten einen guten Ruf. Die mit deutschem Geld koproduzierten Kinderserien mit phantastischen oder Science-Fiction-Elementen haben Generationen geprägt. Ich erinnere nur an die Studio Barrandov-Serien "Pan Tau" (Classic Series), "Die Besucher" und "Die Märchenbraut".
Für mich ist Karel Zeman ein direkter Erbe des Filmpioniers Georges Méliès, zumal er dieselben Quellen für seine Inspiration gewählt hat, nämlich die klassischen Buchillustrationen der Hetzel-Ausgaben von Jules Vernes Romanen.

Der erste Spielfilm, den ich ernst nehmen kann, ist Georges Méliès' "Die Reise zum Mond" (1902), den ich mehrfach gesehen habe. Mit seiner Länge von 16 Minuten ist er zwar nur ein Kurzfilm, aber er erzählt etwas und geht deutlich über die Filme hinaus, die bloß aus einer Einstellung bestehen.
Szenisch orientiert sich die Verne/Wells-Verfilmung noch am Theater und wirkt heute entsprechend steif. Das fast überladene Produktionsdesign mit seinen symbolischen Elementen lädt schwelgend zum näheren Hinschauen hin.
Soweit ich weiß, hat Méliès gut 500 Filme produziert, von denen heute noch 200 überlebt haben. Für mich ist der ehemalige Zauberkünstler der erste auteur des Mediums Film, obwohl er in seiner visuellen Tradition stark seiner Zeit verhaftet ist: Trotz des Produktionsdatums ist die Mondreise für mich ein Film des 19. Jahrhunderts, quasi Steampunk live.
Offensichtlich wird das in den Mondbewohnern, den Seleniten, die wild, dumm und kindisch herumhopsen. Mich erinnert das an die Kongolesen in "Tim im Kongo", das ist ein paternalistischer Blick von Kolonisatoren auf die eroberte Bevölkerung. Das finde ich gestrig.

Selbst beim wiederholten Schauen langweilt die Mondreise nicht - eine Qualität, die ich anerkennen muß.
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Alt 25.11.2022, 18:49   #306  
Peter L. Opmann
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Ich sehe eine Dichotomie zwischen Melies und den Brüdern Lumiere (man verzeihe mir, daß ich die Akzente weglasse). Die eine Linie führt zum realistischen Film, die andere zum fantastischen Film. Welches Filmerbe hat sich besser gehalten, welches ist eher veraltet? Ich bin nicht sicher. Ich glaube zwar schon, daß eine Rakete, die sich ins Auge des Mondes bohrt, heute noch eher unterhält als ein Zug, der in den Bahnhof einfährt. Aber das eine enttäuscht, weil sich die Spezialeffekte so stark weiterentwickelt haben, das andere, weil eine Abbildung ohne eine Story darum herum niemanden mehr vom Hocker reißt.

Naja, jetzt kann ich auch noch die "Reise zum Mond" mit ins Inhaltsverzeichnis aufnehmen.
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Alt 25.11.2022, 19:08   #307  
Servalan
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Na ja, die phantastischen Filme der letzten Jahrzehnte zeichnen sich aus meiner Sicht gerade dadurch aus, daß sie ein phantastisches Geschehen realistisch inszenieren. Ich denke da an den Einfluß von CGI, beginnend mit "Jurassic Park" (1993) von Steven Spielberg. Damals wurde damit geworben, wie lebensecht die Dinosaurier auf der Leinwand wirken. Das war schon ein deutlicher Fortschritt zu den Stop-Motion-Effekten im Stile von Ray Harryhausen. Zumindest ein Teil dieser Filmtradition konvergiert mit dem plastischen Realismus.

Auf der anderen Seite existiert eine phantastische Filmtradition fort, die ihre Einbrüche in das alltägliche Geschehen nicht kaschiert. An Namen fallen mir da neben Karel Zeman auf Anhieb Jan Švankmajer, Terry Gilliam, Henry Selick und die Quay Brothers ein.
Jede Herangehensweise hat ihren Reiz.
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Alt 25.11.2022, 19:49   #308  
Peter L. Opmann
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Zitat:
Zitat von Servalan Beitrag anzeigen
Jede Herangehensweise hat ihren Reiz.
Das kann ich voll unterschreiben. Ich wollte nicht das eine gegen das andere ausspielen, sondern nur eine gewisse Ordnung in die Filmkunst bringen.

Stimmt, Spezialeffekte werden illusionistisch; "Jurassic Park" ist da ein gutes Beispiel. Der Zuschauer denkt: "Das kann es doch nicht geben." - wie das Sam Neill auch ganz schön darstellt. Auf der anderen Seite steht vielleicht der Dokumentarfilm. Ich beobachte etwa Eisbären am Nordpol und zweifle nicht daran, daß das absolut real ist - obwohl diese Eisbären durch Schnitt und ähnliches auch inszeniert sein können.
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Alt 25.11.2022, 20:30   #309  
Peter L. Opmann
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Hab' mir eben nochmal "Le Voyage dans la Lune" angesehen. Ich glaube, der große Vorzug dieses Films ist, daß Melies alles nicht so ernst nimmt. Es ist zwar nicht so leicht, sich in die Zeit vor 120 Jahren hineinzuversetzen, aber die Wissenschaftlerkonferenz zu Beginn und auch das Agieren der Mondfahrer auf dem Mond müssen bewußt ironisch inszeniert sein. Auch daß der Start der Rakete von einer Art Cheerleader-Truppe begleitet wird, ist jedenfalls nicht von Jules Verne übernommen. Die Darstellungsweise der Mondbewohner wirkt allerdings inzwischen ungut kolonialistisch.

Die Stadtsilhouette mit den vielen rauchenden Schloten hat mich an die "Blade Runner"-Stadt, Los Angeles 2019, erinnert.

Aber die Selbstironie schützt davor, daß der Film zu altmodisch wirkt. Und den Einfallsreichtum von Melies kann man nur bewundern, auch wenn er manches von schon gut eingeführten Zaubertricks übernommen hat. Auf jeden Fall ein verblüffendes Werk!
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Alt 26.11.2022, 01:16   #310  
Servalan
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Die Stadtsilhouette mit den vielen rauchenden Schloten hat mich an die "Blade Runner"-Stadt, Los Angeles 2019, erinnert.
Die Vorlage dafür stammt aber von Jules Verne. Sein Roman "Die 500 Millionen der Begum" erschien 1879 als Band 18 der "Voyages extraordinaires" bei Hetzel. Nach dem Vorbild von Krupp baut dort der deutsche Professor Schultze, einer der Erben, eine dunkle Stahlstadt; sie ist das Gegenmodell zu France-Ville, einer sauberen Stadt, die von seinem Konkurrenten, dem französischen Arzt Dr. Sarrasin, errichtet wurde, dem anderen Erben der Begum.

Der Roman wurde übrigens 1978 von Ludvik Raza in der Tschechoslowakei verfilmt. Der deutsche Titel lautet plakativ "Das Geheimnis der stählernen Stadt" und lief auch mal im Fernsehen. Inwieweit sich Raza weitere Anregungen bei Fritz Lang's "Metropolis" geholt hat, vielleicht nur unterbewußt, weiß ich nicht.

Soweit ich mich erinnere, spielt Tardi in einem Band seiner Serie "Adeles ungewöhnliche Abenteuer" auch einmal auf diese Verne-Vorlage an.
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Alt 26.11.2022, 09:01   #311  
Peter L. Opmann
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Heute mal ein Film, den man auch als großen Reinfall betrachten kann. Ich mußte erst nachsehen, ob es sich nicht um ein Fernsehspiel handelt, aber „Das Glas Wasser“ (1960) von Helmut Käutner wurde tatsächlich fürs Kino gemacht. Es war das Comeback von Gustaf Gründgens, der seit Kriegsbeginn nur noch auf Theaterbühnen zu sehen gewesen war. Man erlebte ihn kurz darauf aber auch als Mephisto in Peter Gorskis „Faust“, ein Film, der Generationen von Schülern bekannt sein dürfte (wie ich höre, steht der Stoff heute nicht mehr auf dem Lehrplan). Beide Filme sind sehr dem Theater verpflichtet, und jedenfalls „Das Glas Wasser“ enttäuschte deshalb viele Kritiker. Zudem wurde hier ein Stück ausgegraben, das der damaligen Gegenwart (und erst recht der heutigen) nicht allzu viel zu sagen hat. Der Bühnencharakter wurde noch durch stilisierte Kulissen verstärkt. Man hatte von Käutner, einem Regisseur, der sich von den vielen Regiehandwerkern der Nachkriegszeit abhob, etwas anderes erwartet.

Ich finde alle Einwände berechtigt, aber sehe dieses Werk trotzdem gern. Die Vorlage stammt von Eugene Scribe und aus dem Jahr 1840 und behandelt ein Intrigenspiel am englischen Königshof. England und Frankreich sind Anfang des 18. Jahrhunderts wieder einmal im Kriegszustand. Ein französischer Diplomat hält sich in London auf, um doch noch ein Friedensangebot zu unterbreiten, wird aber bei der Königin (Liselotte Pulver) nicht vorgelassen, weil einflußreiche Kräfte (personifiziert von Hilde Krahl als Herzogin) den Krieg vorantreiben wollen. Gründgens spielt einen Publizisten, der gern die Friedensbemühungen fördern würde, dem aber anfangs die Hände gebunden sind, weil Krahl ihn leicht in den finanziellen Ruin stürzen könnte. Dann bekommt er aber Wind von einer Liebesaffäre bei Hofe (Sabine Sinjen und Horst Janson), die ihm helfen kann, das Ohr der Königin zu gewinnen.

Die Herzogin, die ihre Königin von Gründgens‘ Versuchen der Einflußnahme abschirmt, setzt sich nicht ganz uneigennützig für eine schnelle Karriere des schmucken Gardisten Janson ein. Gründgens erfährt jedoch von Sinjen, der eigentlichen Liebe Jansons, daß auch die Königin – eine Frau, die hilflos in die Hofetikette und Krahls Machtspiele verstrickt ist und die Einsamkeit der Macht zu spüren bekommt – heimlich ein Auge auf ihn geworfen hat. Das hilft ihm in der galanten, nichtsdestoweniger gnadenlosen Auseinandersetzung mit Krahl. Er läßt sie im Unklaren darüber, daß Pulver ihre Konkurrentin ist. Das Glas Wasser (vom Titel) zeigt dann an, wer sich alles für Janson interessiert – als das aufgedeckt wird, muß Krahl resignieren und verliert ihren direkten Zugang zur Königin. Gründgens tritt an ihre Stelle und bekommt den Auftrag, Friedensverhandlungen mit Frankreich aufzunehmen. Sinjen, eine Hofdame, darf nun Janson heiraten, weil die Königin melodramatisch verzichtet.

Zugegeben, dieses Bühnenstück hat für unsere Zeit wenig zu sagen; Käutner beschränkt sich sozusagen auf eine gut gemachte Fingerübung. Er wird aber dabei zumindest dem Stück absolut gerecht. Auch die Schauspieler zeigen allesamt makellose Leistungen. Mir kommt „Das Glas Wasser“ wie eine Antwort auf die royalen Rührstücke der 50er Jahre (Romy Schneider!) vor. Es war vielleicht ein notwendiger Schritt von der Vorherrschaft solcher Schmonzetten (auch der unsäglichen Heimat- und Schlagerfilme) hin zu mehr Realismus im deutschen Kino in den 60er Jahren.
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Alt 26.11.2022, 09:25   #312  
Marvel Boy
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Wenn ich deinen Text so lese, den muss ich mal gesehen haben, so in grauer Vorzeit, knapp nach den Dinosauriern.
Nee, hab ich keine Erinnerungen dran mit denen man hier etwas anfangen könnte.

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Alt 26.11.2022, 09:38   #313  
Nante
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Von dem Film habe ich (wahrscheinlich in "Willi Schwabes Rumpelkammer") mal ein paar Ausschnitte gesehen. Gründgens kann darin als gewitzter Plauderer punkten. Aber ansonsten?
Ich glaube nicht, daß ich ihn mir mal in Gänze anschauen werde. Liegt aber vielleicht auch daran, daß bei dem Film für mich (wie leider oft) die Schwelle überschritten wurde, wieweit man die historische Wahrheit zugunsten der Story verbiegen darf.
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Alt 26.11.2022, 10:02   #314  
Peter L. Opmann
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Mit Verlaub: Hier geht's nicht um historische Wahrheit. Soviel ich gelesen habe, bildet der Spanische Erbfolgekrieg den historischen Hintergrund, aber der Film möchte ganz bestimmt nicht über Geschichte aufklären.

Mir kam er in den Sinn nach der Behandlung von "Cyrano de Bergerac". Da gibt's ein paar Parallelen. Zwei schwungvolle und geistreiche Inszenierungen, aber Form schlägt jeweils Inhalt. Das Duell zwischen Gründgens und Krahl ist hinreißend. Pulver, Janson und Sinjen haben eher klischeehaft angelegte Rollen, aber das geht wohl nicht anders.

Es soll übrigens auch eine DDR-Verfilmung gegeben haben.

(Verzeihung - man müßte wenigstens richtig aus Wikipedia abschreiben können, aber ich habe den Krieg jetzt korrigiert.)

Geändert von Peter L. Opmann (26.11.2022 um 10:23 Uhr)
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Alt 26.11.2022, 10:57   #315  
Nante
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Ich habe ja auch nur gesagt, daß die Schwelle für MICH überschritten ist. Geschichte ist nun mal seit über 40 Jahren meine Leidenschaft und rangiert weit vor Filmen oder Comics.
Und darum gibt es eben eine Schmerzschwelle. Ich kann eben einfach nicht ausblenden, daß die von Lilo Pulver dargestellte Queen Anne keine jugendliche Schönheit mehr war, sondern zum Zeitpunkt der Handlung bereits 45 (damals also eine alte Frau) und nach über einem Dutzend Fehlgeburten und reichlich Gin ein körperliches Wrack.* Andererseits war der vom damals 60jährigen Gründgen dargestellte Lord Henry 1710 gerade mal Anfang dreissig.
(Ganz abgesehen davon, daß die Entscheidung am Ende nicht durch das "Glas Wasser" fällt, sondern dadurch, daß die Torys einen überragenden Wahlsieg im Unterhaus einfahren.)
Wenn das Theaterstück selbst aus dem Jahr 1840 stammt, war das ganze wahrscheinlich auch eine Anspielung auf die damals wirklich junge Victoria und den Kampf, den diverse Politiker um den beherrschenden Einfluß auf sie ausübten.

Wenn das ganze gut gemacht ist, kann ich da noch über meinen "inneren Monk" springen aber in dem Fall ist das alles doch etwas zu betulich.

* Wahrscheinlich kommt ihrem damaligen Zustand die sehr boshafte Darstellung im Monty-Python-Vehikel "Yellowbeard" deutlich näher.
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Alt 26.11.2022, 11:41   #316  
Peter L. Opmann
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Betulich ist die Inszenierung nicht - da muß ich entschieden protestieren!

Die Kritiker haben sich damals geteilt in diejenigen, die sagten: Was soll uns das heute sagen? und diejenigen, die anerkannten, daß der Film sehr gut gemacht ist.

Man kann "Das Glas Wasser" vielleicht auf mit dem "Schuß von der Kanzel" vergleichen, wo man bemängelte, daß mitten im Zweiten Weltkrieg so eine eskapistische Story verfilmt wurde.
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Alt 27.11.2022, 07:28   #317  
Peter L. Opmann
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Man kann ja hier schreiben, worüber man will. Dies ist aber zweifellos der seltsamste Film, mit dem ich mich bisher beschäftigt habe: „Der Engel mit der Trompete“ (1945) von Raoul Walsh. Er kommt in der deutschen Wikipedia überhaupt nicht vor. Diesen Film besitze ich nicht in Form einer Konserve, sondern ich habe ihn vor sehr langer Zeit einmal im Fernsehen gesehen (vielleicht Ende der 1970er Jahre) und war zugleich angetan und befremdet von ihm. Ich könnte darüber gar nicht schreiben, wenn ich ihn nicht im Internet wiedergefunden hätte. Eigentlich dachte ich, es sei eine Komödie mit Heinz Rühmann gewesen – so etwas wie „Die 13 Stühle“ – aber letztlich bin ich auf Jack Benny und den Regisseur Walsh gestoßen und habe den Film in der englischen Wikipedia gefunden („The Horn blows at Midnight“). Er gilt als Flop, obwohl Komiker Benny damals äußerst beliebt war und ihn eigentlich im Alleingang hätte retten können. Aber der Streifen bekam damals ziemlich negative Kritiken, und er kam in die Kinos, als gerade Franklin D. Roosevelt gestorben war – so hatte das Publikum keine Lust auf darauf.

Allerdings findet ihn Joe Dante in „Trailers from Hell“ durchaus gelungen und komisch. Soweit ich mich an meine Jugend und die Story erinnere, stimme ich ihm zu. Allerdings ist die Handlung schon ziemlich abgedreht – ich glaube, genau deshalb ist mir der Film, obwohl ich ihn nie wieder gesehen habe, in Erinnerung geblieben. Ich finde, er weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „Münchner im Himmel“ auf. Da kommt Aloisius in den himmlischen Gefilden mit den dortigen Sitten und Gebräuchen nicht zurecht, hier wird ein Engel auf die Erde geschickt, kann aber wegen vielfältiger Hindernisse, auch der Himmelsbürokratie, seinen Auftrag nicht erfüllen. Hollywood war allerdings vorsichtiger als Ludwig Thoma, der sich den „Münchner im Himmel“ ausgedacht hat und deswegen eine Geldstrafe zahlen mußte. Benny (spielt auch die Hauptrolle in Lubitschs „Sein oder Nichtsein“) ist Trompeter in einer Unterhaltungscombo und schläft bei einem Auftritt ein. Er träumt nur, er sei ein Engel, der auf die Erde kommt, um zum Erduntergang die letzte Trompete zu blasen (den Amerikanern dürfte das wohl geläufig sein: Im Buch der Offenbarung treten vor dem Jüngsten Gericht allerdings sieben Engel auf, die ihre Posaunen blasen).

Zuerst muß er, eben angekommen, verhindern, daß eine verzweifelte Frau sich von einem Wolkenkratzer stürzt, und verpaßt daher seinen Einsatz. Der Weltuntergang fällt vorläufig aus. Aber Benny darf es noch einmal versuchen –jetzt macht er aber die Bekanntschaft von zwei gefallenen Engeln, die sich in ihrem irdischen Leben ganz wohl fühlen und daher absolut kein Interesse am Ende der Welt haben. Benny hält sich an sie, weil er mit dem Leben auf der Erde keinerlei Erfahrung hat, aber sie setzen alles daran, ihm seine Trompete wegzunehmen, damit das Jüngste Gericht auch weiter nicht eintreten kann. Das gelingt, und Benny muß erneut auf das Dach eines Wolkenkratzers klettern, um sein Instrument wiederzubekommen. Dabei rückt die Mitternachtsstunde, der vorgesehene Moment, in dem er ins Horn stoßen muß, immer näher. Am Ende bekommt Benny die Trompete zwar zu fassen, stürzt aber dabei vom Dach – und dann wacht er wieder auf. Eben ist er in seinem Orchester vom Stuhl gefallen.

Man sieht, ein richtig geistreiches Ende fehlt der Komödie – wäre wohl in diesem Fall auch nicht einfach gewesen. Soweit ich mich erinnere, ist der Film jedoch sehr turbulent und weist sogar Slapstick-Elemente auf. Witzig sind darüber hinaus die in zahlreichen Gags herausgearbeiteten Unterschiede zwischen einer himmlischen und einer irdischen Existenz (wobei beides seine Vor- und Nachteile hat). Das Motiv der „letzten Posaune“ war mir noch völlig fremd, als ich den Film sah, aber der bevorstehende Weltuntergang ist ein scharfer Kontrast zu den eher harmlosen Witzen und Hampeleien – macht sie damit freilich auch wirkungsvoller. Für Raoul Walsh war der Film sicher eine reine Auftragsarbeit, an der ihm nichts lag; bekannt ist er vor allem für seine Gangsterdramen. Ich habe keine Ahnung, ob mir der Film heute auch noch gefallen würde, wenn ich ihn mal wieder sehen könnte. Er ist zwar bei youtube zu finden, aber es handelt sich da tatsächlich um ein einstündiges Radiohörspiel.
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Alt 27.11.2022, 09:01   #318  
Marvel Boy
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Du gräbst hier ja Sachen aus!
An den Film hätte ich mich nie wieder erinnert wenn du ihn hier nicht ausgebuddelt hättest, meine aber ich hätte den damals auch als positiv empfunden.

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Alt 27.11.2022, 09:40   #319  
Crackajack Jackson
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Mich erinnert vieles an die Trompeten von Jericho.
Es gab noch ein paar Filme, die sich mit dem Jenseits beschäftigten.
Zum Beispiel 'Irrtum im Jenseits' (1946) mit David Niven oder
'Der Himmel kann warten.' (1978) Dort geht es um einen Footballspieler, der in dem Körper eines Millionärs noch mal auf die Erde darf.
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Alt 27.11.2022, 09:53   #320  
Peter L. Opmann
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Es ist kein Film über Diesseits - Jenseits, sondern sozusagen über das Ende der Zeit. Ein Film über jenes andere Thema fällt mir auch noch ein: "Rendezvous mit Joe Black", übrigens ein Remake einer Komödie von Mitchell Leisen, der hier auch schon mal vorkam.

Aber ich könnte mir vorstellen, daß die Amis, die ja mit solchen Dingen durch die Bibel ganz vertraut sind, dachten: Der Weltuntergang ist doch eine etwas zu ernste Sache, um daraus so eine leichte Komödie zu machen. Aber Joe Dante sagt auch: Jack Benny ist immer lustig.

Etwas ernster hat die Sache Wim Wenders mit "Der Himmel über Berlin" genommen - und siehe da, so geht's auch.
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Alt 27.11.2022, 10:52   #321  
Nante
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Das ist glaube ich der erste von den von Dir besprochenen Filmen, von dem ich noch nicht mal den Titel gehört habe. Wahrscheinlich hatte man in Deutschland nach 1945 auch erst mal genug vom "Ende der Zeit".

So, wie Du den Inhalt wiedergibst, könnte er aber auch einen Anstoß zu "Dogma" von Kevin Smith gegeben haben.
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Alt 27.11.2022, 15:02   #322  
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Wie gut "Der Engel mit der Trompete" in Deutschland gelaufen ist, weiß ich nicht. Es stand ja nur in der englischen Wikipedia etwas darüber.

Jetzt wäre es mein Ehrgeiz, noch mehr Filme zu finden, von denen Ihr vielleicht noch nie was gehört habt...
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Alt 28.11.2022, 07:51   #323  
Peter L. Opmann
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Über „This is Spinal Tap“ (1984) von Rob Reiner ist nicht leicht zu schreiben. Meistens habe ich etwa fünf Filme im Kopf, wenn ich mich an diesen Thread dransetze, und oft fällt mir dann im letzten Moment noch ein sechster ein. Aber „Spinal Tap“ steht schon ziemlich lange auf meiner Liste, und daher will ich ihn doch endlich mal vorstellen. Ich muß gestehen, auf dieses Werk bin ich erst vor relativ kurzer Zeit (zehn Jahre oder weniger) aufmerksam geworden; es wurde in einer Radiosendung erwähnt. Es war der erste Film von Rob Reiner, und er machte damit etwas, was später als „Mockumentary“ bezeichnet wurde – eine gefälschte Dokumentation zum Zweck der Satire. Reiner arbeitete mit einer Fake-Band zusammen und improvisierte mit ihnen die meisten Szenen, so daß man kaum eine Story erzählen kann. Im Kern wird hier das Rockbusiness als miese Show entlarvt, wobei es nicht so sehr um die Perspektive der betrogenen Fans geht, sondern um die Bemühungen einer mittelmäßigen Band, ihre Karriere über Wasser zu halten.

Diese Band ist „Spinal Tap“, die laut Reiner schon in der Beat-Ära in England gegründet wurde, mehrere Stilwechsel hinter sich hat und sich gegenwärtig (also 1984) als Heavy-Metal-Band verkauft. Reiner eröffnet den Film mit einer Lobrede auf diese angeblich epochale Band, was man natürlich nicht ernst nehmen darf. Der erste Auftritt von „Spinal Tap“ sieht recht überzeugend aus, obwohl zumindest gezeigt wird, daß der mit Ehrlichkeit nichts und mit einstudierten Posen und schlechten Texten fast alles zu tun hat. Zu dieser Zeit kannte man an Heavy Metal noch nicht viel mehr als Black Sabbath oder Iron Maiden. Die Interviews, die Reiner (der sich im Film übrigens Marty DiBergi nennt – nur einer von vielen lächerlichen Namen) mit der Band und einzelnen Mitgliedern führt, zeigen dann schnell, daß bei ihnen von musikalischem Können oder künstlerischem Anspruch keine Rede sein kann.

Mit ihrer neuen Platte „Smell the Glove“ (das entsprechende Covermotiv wird allerdings von der Plattenfirma als sexistisch abgelehnt) begeben sich „Spinal Tap“ auf eine USA-Tournee, wo sie schnell erkennen, daß sie dort kaum bekannt sind und sich hinter etlichen anderen Bands anstellen müssen. Ihr Manager gibt sich alle Mühe, die Moral hochzuhalten, nachdem einige Konzerte infolge von magerem Ticketabsatz abgesagt wurden. Die endgültige Katastrophe bahnt sich schließlich an, als die Freundin des Sängers auftaucht und die Tour mitabsolvieren will. Es gibt sehr viele witzige Details, die Reiner teilweise von tatsächlichen Banderfahrungen übernahm. Es heißt, einige Kinozuschauer waren sich anfangs nicht im Klaren, was sie da vor sich hatten. Manches an der „Dokumentation“ mutet absurd an, aber viele hielten es wohl doch für möglich, daß sie real war.

„This is Spinal Tap“ war in seiner Art vermutlich eine der ersten Mockumentarys. Man könnte jedoch etwa auch Orson Welles legendären „Citizen Kane“ als gefälschte Dokumentation ansehen. Und in Wikipedia werden unter „Mockumentary“ unter anderem auch folgende Rockmusik-Filme aufgezählt: „Yeah Yeah Yeah“ über die Beatles, der Film über die Fake-Beatles-Band The Rutles, „All you need is Cash“, „Leningrad Cowboys go America“, „Fraktus“, aber zum Beispiel auch „The Blair-Witch-Project“, ein Horrorfilm mit angeblich dokumentarischem Filmmaterial. „Forrest Gump“ wies dann die Richtung für Filme, in denen dokumentarische Aufnahmen technisch verändert wurden.

Ich denke, ob man „Spinal Tap“ für komisch hält, hängt mit davon ab, wie sehr man sich für Rockmusik interessiert. Auch wenn ich nie in einer Band gespielt habe, finde ich „This is Spinal Tap“ sehr amüsant. Es gibt jedenfalls eine Menge Rockbands, die beteuern, der Film könnte von ihnen handeln. „Motörhead“ erzählten zum Beispiel, sie seien mal in der Jay-Leno-Show aufgetreten, und jede Band, egal wie schlecht sie ist, verkaufe danach zumindest kurzzeitig mehr Platten. Bei ihnen seien die Verkäufe dagegen nach der Sendung zurückgegangen, manche Käufer hätten sogar Platten in die Läden zurückgebracht (wobei mir diese Erzählung auch ein Fake zu sein scheint). Das alles deutet für mich darauf hin, daß Geschäft und Mythos in der Rockmusik untrennbar miteinander verflochten sind. Es gibt aber auch einen ernsten Aspekt: nämlich wie mit Filmbildern manipuliert werden kann.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.11.2022, 07:28   #324  
Peter L. Opmann
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Von Erich von Stroheim war hier schon mehrmals die Rede. Genauer behandelt habe ich Billy Wilders „Fünf Gräber bis Kairo“, wo er eine Hauptrolle spielte. In der Stummfilmzeit arbeitete er sich zum Regisseur hoch, kam aber mit keinem der Studios, für die er arbeitete, künstlerisch und wirtschaftlich auf einen Nenner. Alle seine Filme wurden umgearbeitet oder zusammengeschnitten, manche gingen ganz verloren. Am Ende hatte er keine Möglichkeit mehr, Regie zu führen, sondern verdiente von da an sein Geld als Darsteller. Mitunter, wie bei Jean Renoirs „großer Illusion“, konnte er sich als Berater einbringen. Ich glaube, ich habe fast alle noch existierenden Filme gesehen, bei denen Stroheim Regie führte (er hatte mal eine Retrospektive bei der Berlinale) – zumindest, was von ihnen übriggeblieben ist. Und jeder dieser Filme ist auf seine Weise interessant. Ein spezieller Fall ist aber sein Film „Der Hochzeitsmarsch“ (1928), und auf den will ich jetzt mal eingehen.

Man sollte wohl vorausschicken, daß Stroheim die gesamte Stummfilmzeit hindurch als großer Regisseur galt, obwohl er sowohl bei Universal als auch bei Metro-Goldwyn-Meyer und Paramount mit seinen Filmprojekten scheiterte. Seine Filme riefen mehrmals einen Skandal hervor und waren teils Kassenerfolge, aber Stroheim stellte die Produzenten immer wieder vor Probleme, weil er seine Budgets rücksichtslos überzog, um möglichst großen Realismus zu erzielen, und weil er auch Filmlängen von fünf bis neun Stunden vorsah, was dem Publikum nicht zuzumuten war. „Der Hochzeitsmarsch“ war der letzte Film, der in dieser Art gedreht wurde. Stroheim arbeitete hier mit dem unabhängigen Produzenten Pat Powers zusammen, der zwar schließlich die Dreharbeiten stoppte, aber doch einen halbwegs fertigen Film bekam. Allerdings entschloß man sich, zwei Teile daraus zu machen, weil die (schon gekürzte) Endfassung fast vier Stunden lang war. Der zweite Teil, „The Honeymoon“, wurde aber in USA nie gezeigt – wer da reinging, mußte ja möglichst den ersten Teil gesehen haben. So wurden die Produktionskosten von mehr als einer Million Dollar (damals erheblich mehr Geld als heute) nicht eingespielt.

Der Plot des Films klingt nach all den Superlativen bescheiden: Ein heruntergekommener Wiener Adliger (Stroheim) verliebt sich in ein bürgerliches Mädchen (Fay Wray – die aus „King Kong“), aber deren Freund treibt quer, und die Eltern des Adligen wollen ihn zwingen, eine Frau (Zasu Pitts) zu heiraten, die eine vorteilhafte Partie wäre. Am Ende des ersten Teils kommt die arrangierte Hochzeit zustande, und das Mädchen willigt ebenfalls ein, ihren Freund zu heiraten, um damit einen handgreiflichen Konflikt abzuwenden. Im zweiten Teil (der zuletzt in der Cinematheque Francais vorhanden war und in den 1950er Jahren dort einem Brand zum Opfer fiel) hätte sich Pitts für ihren Ehemann Stroheim geopfert, als der Freund des Mädchens anrückt, um ihn zu erschießen. Das Mädchen geht in diesem Film ins Kloster, und der Adlige wird bei einem Kriegseinsatz getötet.

So what? Wird so mancher sagen. Aber die Besonderheit dieses Films liegt in den naturalistischen Details. Stroheim ließ Wiener Stadtansichten exakt nachbauen. Er ließ sich eine Liebesszene mit Wray einfallen, bei der sie in einer Kutsche unter einem blühenden Apfelbaum sitzen; dabei ließ er sämtliche Blüten, die beständig um sie herumwirbeln, aus Wachs nachbilden, was auch unvergleichliche Lichteffekte ergab. Eine Parade wurde in einem damals neuen Zweifarb-Verfahren gefilmt. Außerdem wurden Toneffekte eingebaut, da zu dieser Zeit der Tonfilm in die Kinos Einzug hielt. Der Realismus beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Kulissen. Stroheim hat sich selbst die komplexeste Rolle zugedacht und spielt einen Mann mit positiven wie auch negativen Eigenschaften. Das Verhalten seiner Eltern und der des Mädchens und seiner Braut ist fern von allen Klischees. Stroheim hatte auch eine Schwäche für erotische Szenen, die für die 20er Jahre äußerst gewagt waren und tatsächlich fast alle aus dem Film entfernt wurden. Dabei kann man bei Stroheim freilich nur bedingt von Realismus sprechen, denn er ließ das Wien im Film wieder erstehen, das er 20 Jahre vorher – bevor er nach Amerika auswanderte – erlebt hatte, die k.-u.-k-Monarchie, die inzwischen längst untergegangen war. Der Film ist eine Nostalgie-Veranstaltung. Es gibt ihn in mehreren Versionen in youtube; jedoch müßte er 130 Minuten lang sein, aber die meisten youtube-Filme sind kürzer.

Erst in seiner letzten Regiearbeit, „Walking down Broadway“ (1933), ließ sich Stroheim dazu herbei, sich nach einem Drehplan zu richten und nicht mehr Geld auszugeben als vorgesehen. Er führte aber hier Beziehungen von psychisch gestörten Menschen in schmerzhafter Deutlichkeit vor; die Handlung mündet in einen Selbstmord. Daher wurde ihm auch dieser Film wieder weggenommen, verändert und endete als kaum beachtetes B-Movie namens „Hello Sister“. Als Filmschaffender erscheint mir Stroheim so widersprüchlich wie seine besten Figuren. Einerseits ist man versucht, Freiheit für die Kunst! zu rufen und sich darüber zu mokieren, wie die Filmindustrie mit seinen Meisterwerken umsprang. Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, einen Stroheim-Film sechs oder acht Stunden lang anzusehen, und habe Verständnis dafür, daß man diese Filme auf ein goutierbares Format zu bringen versuchte. Man kann Stroheim auch nicht nur als Opfer geldgieriger Produzenten sehen. Irving Thalberg feuerte ihn bei den Dreharbeiten zu „Merry-go-Round“, engagierte ihn aber dann wieder für „Die lustige Witwe“, weil er meinte, das sei ein guter Stoff für ihn. Stroheim war übrigens bekannt dafür, seine Filmcrew bis zum Letzten zu beanspruchen, weil er erst zufrieden war, wenn die jeweilige Szene perfekt gelungen war. Viele waren aber auch bereit, sich bis zum Äußersten für ihn einzusetzen. Wurde Stroheim, wie bei „Die lustige Witwe“, durch einen anderen, pragmatischeren Regisseur ersetzt, dann weigerte sich sein Team, mit dem weiterzuarbeiten. Nach der Stummfilmära gab es ein Phänomen wie ihn nicht mehr. Dieter Prokop nannte sie die „Zeit der luxuriösen Experimente“. Beim Tonfilm, der technisch anspruchsvoller war, ließ Hollywood so etwas dann nicht mehr zu. In Europa waren Budgets, wie sie Stroheim verbrannte, von vorneherein gar nicht möglich.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.11.2022, 08:25   #325  
Nante
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Von Stroheim als Regisseur habe ich wahrscheinlich nur mal seine "Lustige Witwe" gesehen. Ansonsten kenne ich ihn nur als Schauspieler. - Wenn man mal von den Szenen von "Queen Kelly" absieht, die B. Wilder (zusammen mit der damaligen Hauptdarstellerin) in seinen "Sunset Boulevard" integriert hat.
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