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Alt 04.03.2023, 14:49   #976  
Peter L. Opmann
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Die Verzögerung, die sich ergeben hat, ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß ich mir den Film diesmal unbedingt nochmal ansehen wollte, bevor ich über ihn schreibe. Es geht um „Der Flug des Phoenix“ (1965) von Robert Aldrich. Ich hatte nur noch im Gedächtnis, daß es um ein havariertes Flugzeug geht, und wie die Besatzung es trotz widrigster Bedingungen wieder flottgemacht hat. Gestern habe ich für einen Euro die DVD erstanden und wollte sie mir eigentlich gestern abend ansehen. Stattdessen habe ich den Starkbieranstich auf dem Nockherberg in München gesehen, bei dem es im Singspiel witzigerweise um ein havariertes Flugzeug ging, das allerdings nicht wieder flottgemacht wird. Heute vormittag habe ich mir nun die DVD angesehen.

Es ist ein auf mehreren Ebenen komplizierter Film. Ich könnte erheblich mehr darüber schreiben, als ich nun tun werde. Im Kern geht es um eine Gruppe Männer in einer Extremsituation. Insofern ist der Film etwa vergleichbar mit „Der Schatz der Sierra Madre“ oder „Lohn der Angst“. Es gibt viele Beziehungen innerhalb der Gruppe, die auf die sehr unterschiedlichen Charaktere zurückzuführen sind, und ein bißchen spielen auch unterschiedliche nationale Mentalitäten eine Rolle (die Figur, an die ich mich am besten erinnern konnte, war die von Hardy Krüger, der einen deutschen Ingenieur spielt, der rein wissenschaftlich und utilitaristisch denkt – ein Klischee reinsten Wassers, dennoch gut gespielt). Man kann hier auch mal wieder betrachten, warum ein Film kein Kassenerfolg wird. „Der Flug des Phoenix“ ist alles andere als entspannende Unterhaltung; es gibt keine Rollen, die zur Identifikation einladen, nicht mal die des größten Stars im Film, James Stewart (der übrigens im wirklichen Leben leidenschaftlicher Pilot war); wenn ich nicht unaufmerksam war, taucht nur ein einziges Mal eine Frau in diesem Film auf, und das nur als Fata Morgana. Trotzdem kann man den Film nicht als mißglückt bezeichnen, und langfristig hat er wohl doch Gewinn gemacht.

Ein offenbar privat gechartertes Flugzeug (eine Klapperkiste, wie ich sie bei der Bundeswehr selbst erlebt habe) gerät in der Sahara in einen Sandsturm und muß notlanden. Es wird allerdings so beschädigt, daß es nicht mehr fliegen kann. Der Copilot (Richard Attenborough) ist gar kein richtiger Pilot und zudem Alkoholiker. Zwei Passagiere werden von losgerissener Ladung erschlagen, ein dritter (Gabriele Tinti) schwer am Bein verletzt. Die übrigen Insassen (es gibt nicht einmal eine Stewardess) sind ein buntes Gemisch von Charakteren und Nationalitäten. Es ist für einige Tage Wasser an Bord, außerdem eine Menge von Datteln. Man wartet zunächst fünf Tage auf Hilfe. Aber die Unfallstelle wird offenbar von Rettungskräften nicht gefunden. Darauf kristallisieren sich zwei Strategien heraus: Ein Militäroffizier (Peter Finch) will sich zu Fuß zur nächsten Wasserstelle durchschlagen. Und Krüger, der Flugzeugkonstrukteur ist, schlägt vor, aus den Trümmern der Maschine eine neue zu bauen. Es gibt auch Passagiere, die sich in ihr Schicksal ergeben, aber nachdem Finch erfolglos zurückgekehrt ist, machen alle wohl oder übel beim Umbau des Flugzeugs mit.

Dabei mutet Krüger den anderen jedoch einiges zu. Vor allem mit Stewart hat er große Probleme, denn der muß quasi das Kommando an den unsympathischen Deutschen abgeben. Mir kam deren Verhältnis ein bißchen wie das von Captain Kirk und Mr. Spock vor, aber so, wie es in Wirklichkeit sein würde. Mit seiner eiskalten Logik geht Krüger allen auf die Nerven. Bezeichnend, daß er den am Bein verletzten Mann nicht in seine Berechnungen einbezieht, denn ein Arzt an Bord hat ihm bescheinigt, nur noch wenige Tage zu leben zu haben. Es kommt zu mehreren Zwischenfällen, bei denen weitere Männer ums Leben kommen. Schließlich geraten Stewart und Krüger so heftig aneinander, daß sie die Arbeit abbrechen. Attenborough hat bisher immer zwischen ihnen vermittelt. Er macht Stewart klar, daß es besser sei weiterzuarbeiten, denn dann hätten die Männer eine Hoffnung und müßten sich nicht gegenseitig beim Verdursten zusehen. Ganz zum Schluß stellt sich heraus, daß Krüger nur Modellflugzeuge (allerdings nicht Spielzeugflugzeuge) baut. Für ihn selbst war das nie ein Problem: „Es ist im Prinzip dasselbe.“

Der Motor muß mit Zündpatronen gestartet werden, und davon sind nur sieben vorhanden. Deshalb hat es bereits Streit gegeben, ob ein Probestart durchgeführt werden soll. Krüger hat sich durchgesetzt. Nun aber werden fünf Patronen verbraucht, ohne daß der Motor startet. Krüger will Stewart davon abhalten, die übrigen Patronen auch noch zu vergeuden, aber diesmal behält er einmal recht und startet mit den letzten beiden die Maschine. Alle verbliebenen Männer erreichen mit dem überdimensionierten Modellflugzeug wohlbehalten die Zivilisation.

Es gibt in diesem Film sehr wohl Nebenrollen, Figuren, die wir nicht so genau kennenlernen, aber es gibt keine richtige Hauptrolle, sondern eine Reihe von Figuren, deren Lebensgeschichte und Motivationen genauer beleuchtet werden. Darunter ein gescheiterter Bauarbeiter (Ernest Borgnine), ein Sergeant (Ronald Fraser), der seinem Offizier nach und nach den Gehorsam verweigert, und ein mehrsprachiger Arzt (Christian Marquand). Dieser Film eignet sich schlecht dazu, sich „ein paar schöne Stunden zu machen“, wie es früher im Kino hieß. Aber das liegt sicherlich nicht an der Regie, sondern an seinem quälenden Sujet. Wie ich sehe, war dies für James Stewart die letzte große Hauptrolle. Insofern war es vielleicht auch das Ende einer Hollywood-Ära und der Beginn einer neuen. Der Karriere von Robert Aldrich scheint das Projekt immerhin keinen Abbruch getan zu haben.
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Alt 04.03.2023, 16:26   #977  
Servalan
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Soweit ich mich erinnere, hat Robert Aldrich nie Feelgood-Filme gedreht.
Seine Abenteuerfilme, Western und Kriegsfilme zeigten immer auch die dunkle Seite, und die zupackenden Kerle in den Hauptrollen hatten einen ausgeprägten Machismo. Insofern paßt „Der Flug des Phoenix“ gut in sein Gesamtwerk.
Ihm ist es in seiner Karriere mehrmals passiert, daß er am Box Office ziemlich armselig aussah, während seine kommerziellen Mißerfolge früher oder später wegen ihrer Qualität geschätzt wurden.

Ob er persönlich ein Zyniker gewesen ist, kann ich nicht beurteilen.
Seine eigene Branche, nämlich die Unterhaltung, muß er extrem kritisch beurteilt haben. Denn in seiner Filmographie finden sich finstere Mediensatiren.
In „Große Lüge Lylah Clare“ (1968) zeichnet er ein schwarzhumoriges Bild, eine Filmsatire, bei der die Kamera weiterlaufen muß, weil die Hauptdarstellerin in ihrer Szene gerade umkommt und das so überzeugend wirkt. Und gleich darauf folgt ein Werbespot für Hundefutter; das war harter Toback. Bei mir hat sich das ins Gehirn gebrannt.

Peter Falk spielte in Aldrichs letztem Film „Kesse Bienen auf der Matte“ (1981) den Manager von zwei weiblichen Wrestlern. Dieses Entertainmentgenre kommt bei Aldrich schlecht weg. Hinter den Kulissen wird da manipuliert bis zum Gehtnichtmehr, und die Catcherinnen müssen mit miesen Absteigen vorliebnehmen, weil sie auf keinen grünen Zweig kommen.

„Der Flug des Phoenix“ geht in dieselbe Richtung. Daß sich die Abgestürzten aus eigener Kraft retten können, ist mehr ein glücklicher Zufall, bei dem die richtigen Teile mal zusammengekommen sind. Der Fehlschlag, also das Unglück ist nur passiert, weil das Leben vorher ein genügsames Durchwurschteln mit bescheidenen Mitteln gewesen sind. Solange etwas funktioniert, wird einfach fröhlich weitergemacht ... bis es dann irgendwann kracht.
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Alt 04.03.2023, 17:13   #978  
Peter L. Opmann
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Da ich den Film eben gesehen habe, kann ich zu Deiner letzten Bemerkung etwas sagen. Genaugenommen ist Richard Attenborough schuld. Gleich zu Beginn ist die Rede davon, daß das Radio nicht geht. Vom Zusammenhang her muß das Funkgerät gemeint sein. Das heißt, deshalb kann auch niemand ein Rettungsflugzeug anfordern. Es wäre die Aufgabe des Copiloten gewesen, per Funk den Flugwetterbericht zu hören, aber James Stewart sagt, er habe sich lieber einen hinter die Binde gegossen.

Bei der Karriere von Robert Aldrich fiel mir auf, daß er als Assistent von namhaften Leuten angefangen hat: Edward Dmytryk, William Wellman, Abraham Polonsky und andere. Ich schätze, die haben ihn geprägt. Es stimmt, leichte Komödien kommen in seinem Werk nicht vor, aber das bringt mich nicht gleich zu der Frage, ob er Zyniker war oder nicht.
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Alt 04.03.2023, 19:38   #979  
Marvel Boy
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Auf jeden Fall ein sehenswerter Film.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
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Alt 04.03.2023, 20:07   #980  
Peter L. Opmann
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Muß mich eventuell nochmal korrigieren. Ich habe eben den Artikel über Aldrich in "Abenteuer & Action" von Hans-Joachim Neumann gelesen, und da heißt es:

Zitat:
In seinen letzten Lebensjahren inszenierte der Regisseur (...) vornehmlich harmlose, mit Action angereicherte Komödien wie zum Beispiel die Westernparodie "The Frisco Kid" (Ein Rabbi im Wilden Westen - 1979) mit Gene Wilder oder den Catcherfilm "All the Marbles" (Kesse Bienen auf der Matte - 1981).
Ich kenne beide Filme nicht. Letztern hat Servalan oben erwähnt.
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Alt 06.03.2023, 06:12   #981  
Peter L. Opmann
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Ich bin kein Weltmusik-Spezialist, gehöre aber zu denjenigen, die von dem Dokumentarfilm „Buena Vista Social Club“ (1999) von Wim Wenders angesprochen wurden. Er rückte traditionelle kubanische Unterhaltungsmusik wieder ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit. Die gleichnamige Schallplatte, die kurz davor veröffentlicht worden war, ist meiner Aufmerksamkeit entgangen. Diese Platte, produziert von Ry Cooder (und, im Film unerwähnt, von Nick Gold und seinem Label World Circuit Records), wurde jedenfalls bereits zu einem Riesenerfolg, und so entstand dann der Film, der von der Rückkehr Cooders nach Kuba handelt und Ausschnitte aus zwei Konzerten in Amsterdam und in New York bringt. Es kommt aber wieder die Frage auf (wie bei „Super Size me“, den ich weiter oben behandelt habe): Wie dokumentarisch ist dieser Film?

Es scheint so, als hätte Wenders die Frage, ob die Musiker – unter anderem Ibrahim Ferrer, Compay Segundo, Omara Portuondo, Ruben Gonzales und Eliades Ochoa – wirklich in Vergessenheit geraten waren, geschickt umschifft. Im Film wird es gelegentlich behauptet, aber es fehlt ein auktorialer Off-Kommentar. Tatsächlich waren die Musiker zwar teilweise nicht mehr aktiv, waren aber zumindest in Kuba durchaus Berühmtheiten. Das kann uns aber egal sein, denn in Europa und auch USA hat sie sicherlich niemand gekannt. Der Film lebt zum großen Teil davon, daß wir sehen, wie die Musiker gegen Ende ihrer Karriere es genießen, außerhalb Kubas bejubelt zu werden. Wie heißt es doch in John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“? „Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende.“

Der Film ist im Grunde sehr einfach aufgebaut. Zunächst wird man mit Kuba vertraut gemacht, und die Musiker begeben sich auf die Suche nach dem Buena Vista Social Club, in dem sie vor allem in den 1950er Jahren oft aufgetreten sind. Dieser Club existiert nicht mehr; das Gebäude dient heute anderen Zwecken. Danach werden die Künstler einer nach dem anderen vorgestellt, die mit bekannteren Namen ausführlicher, die anderen kommen aber zumindest auch alle mit ein paar Aussagen vor. Am Ende stehen Impressionen von der Reise der Band nach New York und von ihrem Auftritt in der offenbar ausverkauften Carnegy Hall. Cooder berichtet, er habe schon lange vorher eine Aufnahme mit kubanischer Son-Musik besessen und die Spuren der Son-Musiker finden wollen. Da kann man verstehen, daß er, was den Erfolg seiner Suche betrifft, vielleicht etwas dick aufträgt. Ich verstehe allerdings nicht, warum an manchen Stellen Szenen durcheinandergeschnitten werden; das wirkt zwar anspruchsvoller, erschwert aber das Verständnis des Dargestellten.

Trotzdem bleibt es für mich auch nach mehrmaligem Sehen dieses Films beeindruckend, wie insbesondere die alten Männer durch ihre Musik aufleben (die Frauen, die zumindest als Sängerinnen mitwirken, bleiben etwas im Hintergrund). Das wirkt noch bewegender, wenn man annimmt, daß sie diese Musik schon lange nicht mehr dargeboten haben, was aber nicht ganz zu stimmen scheint. Gut ist auch, daß der Film etwas vom bittersüßen Leben im spätkommunistischen Kuba einfängt, einem Land von morbider Eleganz – ob es vor der Revolution besser war, bleibt allerdings offen. Erheiternd wirkte auf mich, die Musiker am Ende staunend durch New York laufen zu sehen. Da erlebt man auch den drastischen Kontrast von Erster und Dritter Welt (wie das damals noch genannt wurde). Ein weiterer Pluspunkt ist natürlich die einzigartige Musik – sehr entspannt, jazzartig, aber auch südamerikanisch, und sie wirkt auf mich bleibend jung. Witzig wiederum, daß die Liedtexte sorgfältig in Untertiteln übersetzt werden; sie sind zum Teil durchaus poetisch, aber durchweg sehr einfach, oft nichtssagend.

Ich hatte eine Bekannte, die mir die 90er Jahre hindurch schon des öfteren von Kuba vorgeschwärmt hat. Aber auch ich habe durch „Buena Vista Social Club“ wieder neues Interesse an der Zuckerrohr- und Zigarreninsel gewonnen. Da hätte ich noch hinreisen können – heute geht das nicht mehr. Der Film ist – im Gegensatz zu den meisten zuletzt vorgestellten – beste Unterhaltung zum Wohlfühlen. Man kann ihn sich immer wieder ansehen.
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Alt 07.03.2023, 06:09   #982  
Peter L. Opmann
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Der lief im Studentenkino: „Die Hausaufgabe“ (1990) von Jaime Humberto Hermosillo (ein mexikanischer Film). Und zwar handelte es sich um das „Casablanca“ in Ochsenfurt, das es, wenn ich das richtig sehe, heute noch gibt. Im Schriftzug „Hausaufgabe“ war ein bestrumpftes Frauenbein enthalten, aber ich wußte trotzdem nicht, was mich da erwartete (der Film wird als Komödie eingestuft, ist aber vor allem erotisches Kino). Man konnte aber damals fast jeden Film, der dort gezeigt wurde, ungeprüft und unbesorgt ansehen.

Hier sind Erzählzeit und erzählte Zeit identisch (85 Minuten). Der Film besteht aus einer einzigen Einstellung. Alles wird von einer versteckten Kamera aufgenommen. Zu Beginn installiert sie Maria Rojo so, daß sie schwer zu entdecken ist, unter einem Tisch in ihrem Appartement. Offenbar ist sie Filmstudentin und will einen Experimentalfilm drehen. Sie trifft weitere Vorbereitungen und zieht animierende knappe Kleidung an. Kurz darauf trifft ein Mann (Jose Alonso) in ihrer Wohnung ein; so, wie sich die beiden verhalten, ist er ihr Liebhaber. Sie sitzen nebeneinander auf dem Fußboden (wenn sie stehen, sieht man nämlich von ihnen nicht viel) und unterhalten sich – alles wird von der Kamera aufgezeichnet, von der er allem Anschein nach nichts ahnt. Rojo lenkt den Ablauf des Geschehens möglichst unauffällig so, daß sie miteinander schlafen werden. Vielleicht haben sie sich auch von Anfang an zu diesem Zweck verabredet, das weiß ich nicht mehr ganz genau.

Es wird dann in der Wohnung eine Hängematte aufgespannt, und sie versuchen etwas unbeholfen, den Akt in ihr zu vollziehen. Das ist in meinen Augen der eigentliche komödiantische Teil des Films. Sie rutschen immer wieder ab und fallen aus der Hängematte, versuchen es aber unverdrossen von neuem – und alles, vor allem das etwas lächerliche Verhalten des Mannes, wird von der versteckten Kamera aufgezeichnet. Hinterher erfährt der Zuschauer jedoch, daß er auf eine Inszenierung hereingefallen ist. Als Rojo die Kamera hervorholt, wird klar, daß der Mann sehr wohl von ihrer Existenz wußte und daß die ganze Aktion abgesprochen war. Außerdem – was für Mexiko wichtig sein mag – sind sie keineswegs ein Liebespaar, sondern miteinander verheiratet. Jetzt muß ich kurz auf wikipedia zurückgreifen: Demnach wollte Rojo durch diese Show das Sexualleben der beiden wieder interessanter machen. Außerdem tauchen am Ende die Kinder der beiden auf, die von der Schule nach Hause kommen und vor denen das Geschehen verborgen werden muß. Daran erinnere ich mich nicht mehr.

Wir haben es hier gewissermaßen mit einer interessanten Variation von „Sex, Lügen und Video“ zu tun. Dieser Film kommt einem Sexfilm ziemlich nahe, aber der Zuschauer ist durch die versteckte Kamera doch ein Stück vom Geschehen entfernt. Außerdem ist die Wohnung, wenn ich mich recht erinnere, etwas abgedunkelt – es ist aber nicht so, daß man nur Schatten sieht. Anders als bei einem Sexfilm ist hier jedoch die äußere Handlung nicht nur Vorwand, sondern ganz klar die Hauptsache. Hier geht es auf recht geistreiche Weise darum, daß man sich beim Film selten auf das verlassen kann, was man sieht. Hier noch die „Filmdienst“-Kritik: „Ein grotesker, drastischer Einblick in die Intimsphäre durchschnittlicher Bürger. Inszenatorisch konsequent gestaltet, treibt der Film ein entlarvendes Spiel mit Irritationen.“

Noch eine kurze Bemerkung: „Die Hausaufgabe“ konnte ich mir leider jetzt nicht nochmal ansehen. Das will ich aber – wie bei „Flug des Phoenix“ und „Buena Vista Social Club“ – ab jetzt doch verstärkt tun. Das bedeutet, ich werde hier wohl künftig nicht mehr praktisch täglich einen Film vorstellen, sondern vielleicht drei bis vier pro Woche. Abgesehen davon kann diese Reihe aber noch eine ganze Weile weiterlaufen (wenn Ihr noch die eine oder andere Filmkritik beisteuert, sowieso).
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2023, 17:41   #983  
Fauntleroy
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Moin,

Zitat:
Peter L. Opmann: Ich hatte eine Bekannte, die mir die 90er Jahre hindurch schon des öfteren von Kuba vorgeschwärmt hat. Aber auch ich habe durch „Buena Vista Social Club“ wieder neues Interesse an der Zuckerrohr- und Zigarreninsel gewonnen. Da hätte ich noch hinreisen können – heute geht das nicht mehr.
Wieso nicht ? Keine Zeit/Lust/Geld oder interesse mehr ?
Nach Kuba zu kommen ist ja heutzutage recht einfach.
Außer du willst nach Kuba in nächster Zeit in die USA, dann könnte der Kubanische Einreisestempel nicht so Vorteilhaft sein.
Genausowie wie der Iranische


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Alt 07.03.2023, 18:22   #984  
Nante
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Ein Freund von mir ist seit Mitte der 90er jedes Jahr nach Kuba geflogen und außer dem allerersten mal wohnte er da immer privat bei Freunden.

Nachdem 2020 und 2021 aus den bekannten Gründen ausfiel, ist er letztes Jahr wieder rüber.
Danach grübelte er das erste mal, ob er sich das noch einmal antun will. Dort funktioniert rein gar nichts mehr. Selbst für Valutabesitzer ist es inzwischen ein Problem an die einfachsten Dinge zu kommen.

Und wenn bei tropischen Temperaturen der Strom (Und damit auch solche Dinge wie Kühlschrank, Ventilator und Klimaanlage, und in den Läden auch die Kühlregale) immer nur im 6h-Takt verfügbar ist auch mal gerne ausfällt, verliert auch ein Paradies an Anziehung. Parallel dazu haben die staatlichen Kontrollen und Überwachungen wieder zugenommen

Fazit: Eigentlich ist es nur in den streng abgeschirmten Touri-Ressorts noch erträglich, - aber das kann man dann auch mit weniger Aufwand nebenan in der DomRep haben.
Nante ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2023, 18:32   #985  
Peter L. Opmann
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Die genauen Verhältnisse in Kuba kenne ich gar nicht.

Aber ich leide unter einer chronischen Krankheit - das macht es einfach riskant, so weit zu verreisen.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2023, 19:10   #986  
Nante
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Um zum Thema Film zurück zu kommen:

In dem Zusammenhang fällt mir der Film "Kubanisch Reisen" ein, der auch um 2000 herum bei uns im Kino lief und die Alltagsprobleme der Kubaner und vor allem, wie sie damit umgehen anhand einer unfreiwilligen Übernachtung in einer maroden Bushaltestelle schildert. (Busse sind auf Kuba für Langstrecken wichtiger als die Eisenbahn)

Für meinen Geschmack leistete man sich damals erstaunlich viel Kritik, auch an Vertretern "des Systems". Am Ende mußte natürlich ein optimistischer Ausblick gegeben werden.
Nante ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2023, 22:24   #987  
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Wieder ein Film, den ich leider nicht kenne. Vielleicht komme ich mal dazu, ihn zu sehen.
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Alt 08.03.2023, 06:36   #988  
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Heute nur mal ein kleiner Hinweis.

Gestern bin ich in youtube auf einen interessanten Zeichentrickfilm gestoßen: "Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen - eine Winterreise" von 1944. Ich finde es bemerkenswert, daß so ein Film zu Ende des Krieges entstehen konnte. Wie ich gelesen habe, wurde er teilweise in Den Haag produziert. Es ist ein acht Minuten langes Filmchen, in dem mehrere Münchhausen-Abenteuer verarbeitet sind, unter anderem das Pferd am Kirchturm und der Wolf im Geschirr. Das ist aber ziemlich gekonnt und anmutig gemacht. Es ist klar, daß der UFA-Jubiläumsfilm "Münchhausen" von 1943 mit Hans Albers in der Titelrolle Einfluß ausübte.

Der Zeichentrickfilm stammt von Hans Held, einem Grafiker, der nach dem Krieg hauptsächlich Werbefilme gemacht hat, aber auch Illustrationen und Comics (für die Hörzu). Der Film tauchte vor einigen Jahren als Beigabe zur "Münchhausen"-DVD wieder auf.
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Alt 09.03.2023, 06:19   #989  
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Von diesem Film habe ich erst vor kurzem – es war um 2020 – erstmals gehört, leider habe ich die Umstände schon wieder vergessen: „Die endlose Nacht“ (1963) von Will Tremper. Kurz darauf ist er mir dann als DVD in die Hände gefallen. Er weist ein paar Ähnlichkeiten mit Aldrichs „Flug des Phoenix“ auf: Auch er spielt im Luftfahrtmilieu, und auch er lebt von einer Riege bekannter und guter Schauspielerinnen und Schauspieler (von denen heute wohl Hannelore Elsner die prominenteste ist), die in vielfältige Wechselwirkungen miteinander treten. Tremper ist ein sehr interessanter Fall. Er begann nur wenige Jahre vor dem Neuen Deutschen Film, wollte aber mit diesen oft amateurhaften Jungfilmern nie etwas zu tun haben. Er hob sich aber auch wohltuend von „Papas Kino“ ab, das skrupellos auf Anspruchslosigkeit setzte, um das große Publikum zu gewinnen.

Was ich allein dem Film ankreiden könnte, ist der hektische Inszenierungsstil. Das führt dazu, daß man die Figuren im Wechsel der Episoden nicht immer gleich zuordnen kann. In einem Hollywoodfilm würde das wohl nicht so leicht passieren, da würde jede Figur so charakterisiert, daß sie gut erkennbar wird – natürlich würde sie vermutlich auch von einem Star dargestellt oder einem Schauspieler, der zumindest ein Image hat. Trempers Film ist nun 60 Jahre alt, und es gibt möglicherweise Mitwirkende, die damals einen Namen hatten, heute aber weitgehend vergessen sind. Bekannt sind mir neben Hannelore Elsner noch Harald Leipnitz, Bruce Low, Wolfgang Spier (freilich nur als Theatermann), Mario Adorf und Wolfgang Neuss (beide jedoch in sehr kleinen Rollen). Im Vorspann hervorgehoben wird Fritz Remond, der aber fast nur in den üblichen 50er-Jahre-Filmen zu sehen war.

Der hastige Szenenwechsel in „Die endlose Nacht“ hat allerdings auch seinen Sinn: Hier wird im Kleinen die rastlose Wirtschaftswunder-Gesellschaft vorgeführt, die sich auch hauptsächlich von ihrer häßlichen Seite präsentiert. Und vielleicht gibt es dafür noch einen weiteren Grund: Tremper, der wohl nicht von einem nur an leichter Unterhaltung interessierten Produzenten abhängig sein wollte, produzierte diesen Film mit einem Preisgeld von 250 000 Mark, das er für einen anderen Film erhalten hatte, weitgehend selbst, aber diese Summe reichte vorne und hinten nicht. So ist vielleicht zu erklären, daß der Film nur 82 Minuten lang geworden ist. Tremper filmte darüber hinaus ohne festes Drehbuch; das schrieb er selbst, während die Dreharbeiten schon liefen. So entging er aber der Gefahr, daß der Film gefällig und behäbig wurde.

Am Flughafen Berlin-Tempelhof fallen am Abend wegen Nebels sämtliche Flüge aus. Das bringt die Pläne und Terminkalender zahlreicher Fluggäste durcheinander. Da zunächst unklar ist, ob sich der Nebel nicht bald wieder verzieht, bleiben sie am Flughafen und verbringen dann hier die ganze Nacht. Die schlimmsten Konsequenzen hat das für Leipnitz, der die Ankunft eines Geschäftspartners erwartet hat und mit einem neuen Auftrag Schulden von 300 000 Mark begleichen wollte, für die er Wechsel gefälscht hat. Mit seiner Freundin (Karin Hübner) macht er sich nun an einen Großspediteur (Paul Esser) heran, um sich das Geld zu borgen; der hat aber nur Interesse an Hübner. Am Morgen wird Leipnitz verhaftet.

Elsner ist ein Filmsternchen ohne Geld, das hofft, einen Mann zu treffen, der ihr ein Abendessen und vielleicht auch eine Übernachtung bezahlt. Aber bei ihr beißen nur zwei Halbstarke an, mit denen sie schließlich den Flughafen verläßt. Für einen Schauspieler (Remond) bricht eine Welt zusammen, weil er in Hannover den König Lear geben sollte – die Rolle seines Lebens – und nun nicht hinkommt. Ein Farmer in Kenia (Bruce Low) kommt mit einer Flughafenangestellten ins Gespräch; es funkt, und beide reden die ganze Nacht über eine gemeinsame Zukunft auf seiner Farm. Aber am Morgen will er nach seinem Flug sehen und muß sofort an Bord, weil seine Maschine startbereit ist. Der Frau kann er nur noch einen Rosenstrauß bringen lassen.

Es würde wohl zu weit führen, alle teils miteinander verquickten Episoden nachzuerzählen. Meist enden sie aber unvorteilhaft oder traurig. Ich war überrascht, wie fremd die hier gezeigte Gesellschaft bereits geworden ist: Frauen sind sehr von Männern abhängig oder werden von ihnen betrogen; sie haben höchstens die Sicherheit ihrer Familie. Höfliche Umgangsformen sind deutlich wichtiger als heute, aber die Männer haben meist versteinerte Gesichter und denken nur an Geld oder streifen alle moralischen Bedenken ab. Das soll nicht heißen, daß wirtschaftlicher Erfolg in der Bundesrepublik heute eine geringere Rolle spielt, aber das wird nach meinem Eindruck nicht mehr so ungeniert ausgestellt. Ich sehe Parallelen zu „Wir Wunderkinder“ von Kurt Hoffmann oder auch „Die Ehe der Maria Braun“ von Faßbinder; da wurden die gesellschaftlichen Deformationen der Nachkriegszeit aber eher satirisch betrachtet. Ungeachtet dessen verdient Will Tremper mehr Aufmerksamkeit, als ich ihm bisher geschenkt habe. Allerdings hat er seine Regiekarriere 1970 bereits wieder beendet. Wie gut "Die endlose Nacht" im Kino lief, habe ich nicht ermitteln können - es gab ein paar Preise für den Film.

Geändert von Peter L. Opmann (11.03.2023 um 07:03 Uhr)
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Alt 11.03.2023, 07:03   #990  
Peter L. Opmann
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Ein Zufallsfund: Von dem Film „Die 27. Etage“ (1964) von Edward Dmytryk hatte ich nie gehört, geschweige denn ihn im Fernsehen gesehen, als ich die DVD als Billigangebot fand. Der Regisseur und sein Hauptdarsteller Gregory Peck brachten mich dazu, sie mitzunehmen. Es handelt sich, wie ich das sehe, um einen nicht ganz geglückten Thriller, aber er lohnt doch das Ansehen und man kann sich auch ein paar Gedanken darüber machen, warum er nicht gelungen ist. Mir kam der Gedanke, daß hier etwas Ähnliches versucht wird wie Hitchcocks „Unsichtbarer Dritter“, der sogar übertrumpft werden soll. Dmytryk hat es tatsächlich geschafft, die Verschwörung gegen Peck noch verwickelter darzubieten, aber darunter leiden Spannung und emotionale Bindung.

Der Film dauert etwa 105 Minuten, und es gelingt, den Zuschauer etwa 80 Minuten lang völlig im Ungewissen zu lassen: Hat Peck sein Gedächtnis verloren, wird er permanent getäuscht, oder ist er gar verrückt geworden? In einem New Yorker Wolkenkratzer fällt der Strom aus, und während die Menschen, die im 27. Stock arbeiten, im Dunkeln aufgeregt durcheinanderlaufen, kommt Peck schweigsam aus einem höheren Stockwerk die Treppe herunter. Zusammen mit einer Frau (Diane Baker) verläßt er im Licht einer Taschenlampe über die Treppe das Gebäude, verliert sie aber unten aus den Augen. Dann passieren eine Menge seltsame Dinge, und allmählich wird klar, daß er nicht mehr weiß, was er insbesondere in den letzten beiden Jahren getan hat. Nur der Portier scheint ihn zu kennen. Während des Stromausfalls hat sich ein einflußreicher Mann, Vorsitzender einer Stiftung für den Weltfrieden, aus einem Fenster in einem höheren Stockwerk gestürzt. Sein Tod ist kurz darauf Topthema der Fernsehnachrichten, aber ob Peck damit etwas zu tun hat, bleibt unklar.

Peck geht nach Hause, aber in seiner Wohnung wartet ein Gangster, der ihn in ein Flugzeug nach Kalifornien setzen will. Peck kann ihn überwältigen. Er geht zur Polizei, um Anzeige zu erstatten, aber da er sich an so wenig erinnern kann, gibt er es auf. Danach sucht er einen Psychiater auf, auf den er zufällig aufmerksam geworden ist, und bittet ihn um Hilfe. Doch der weigert sich, denn nach seiner Aussage gibt es keine Gedächtnislücken, die sich über zwei Jahre erstrecken. Also engagiert Peck einen Detektiv (Walter Matthau), dessen Firmenschild er im Vorbeigehen gesehen hat. Matthau erweist sich zwar als Anfänger, stürzt sich jedoch auf den Fall und bringt schon bald etwas Licht ins Dunkel. Von Bedeutung ist ein Emblem mit der Aufschrift „The Future is here“. Außerdem spielt ein gewisser Major, Chef eines Privatkonzerns, wohl eine wichtige Rolle. Im Central Park trifft Peck die geheimnisvolle Frau wieder und kommt allmählich darauf, daß er sie gut gekannt hat. Er wird aber auch inzwischen von mehreren Gangstern verfolgt. Mehrere Menschen aus seinem Umfeld werden umgebracht, auch Matthau – sie wissen offenbar etwas, was sie nicht wissen dürfen.

Mit Hilfe des Psychiaters kommt Peck darauf, daß ihm nicht zwei Jahre, sondern nur wenige Tage Erinnerung fehlen. Er hatte irgendein traumatisches Erlebnis, das sie gelöscht hat. Aber nach und nach kehrt sie zurück. Peck hatte sowohl mit der Stiftung als auch mit dem Konzern zu tun. Schließlich kehrt er in den Wolkenkratzer zurück und trifft hoch oben die Drahtzieher, die gerade eine Konferenz abhalten. Der Zuschauer ist die ganze Zeit ebenso wie Peck im Dunkeln getappt – nun wird klar, daß Peck ein brillanter Wissenschaftler ist, der für die Stiftung eine wichtige Erfindung in der friedlichen Atomkraftnutzung gemacht hat. Diese Erfindung wollte die Stiftung gesetzeswidrig dem Konzern zur Verfügung stellen, der sie ausgerechnet zur Weiterentwicklung von Atomwaffen nutzen will. Peck hat darauf seine Aufzeichnungen vernichtet und aus dem Fenster geworfen. Als der Stiftungsvorsitzende versuchte, ihn daran zu hindern, stürzte er hinaus. Das hat bei Peck einen solchen Schock ausgelöst, daß er sein Gedächtnis verlor. Er vergaß sogar, daß Diane Baker seine Geliebte war. Der Major will ihn nun zwingen, seine Erfindung neu aufzuschreiben, aber Peck bringt seine Handlanger dazu, sich gegen ihn zu stellen.

Das unangenehme Gefühl, daß etwas nicht stimmt, aber man nicht weiß, was, vermittelt „Die 27. Etage“ sehr eindringlich, auch dank durchgehend guter Schauspielerleistungen. Zunächst aber ist der MacGuffin, hier Pecks Erfindung, viel zu kompliziert. Die Verschwörung im Hintergrund, die kommerzielle Zusammenarbeit der Gutmenschen-Stiftung mit einem gewissenlosen Konzern, erscheint dagegen zu simpel und unglaubwürdig. Vor allem aber kann man nicht richtig mit Gregory Peck mitfiebern, weil man nie ganz sicher ist, ob er nicht einfach einen Dachschaden hat. Es ist in Wirklichkeit ein Trauma, aber das wird, wie meist in solchen Filmen, mit Küchenpsychologie erklärt. Die Romanvorlage stammt von Howard Fast. Trotz der aufgezählten Mängel bekam der Film fast ausnahmslos positive Kritiken und spielte laut der englischen wikipedia immerhin mehr als drei Millionen Dollar ein (die Produktionskosten habe ich nicht gefunden, aber Mitte der 60er Jahre dürfte das ein profitabler Film gewesen sein). Man sollte sich das Werk ruhig mal ansehen.
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Alt 11.03.2023, 13:54   #991  
Nante
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Von dem Film hatte ich noch nie was gehört. Scheint aber ein Versäumnis zu sein, zumal mir ein paar andere Filme von Dmytryk doch gut gefallen haben.

Von wem war übrigens der Spruch. "Daß du paranoid bist, bedeutet nicht zwangsläufig, daß sie nicht hinter Dir her sind!"
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Alt 11.03.2023, 15:45   #992  
Phantom
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Ich komme gerade von einem kurzen Roadtrip durch Kalifornien zurück. Was hat das mit diesem Thread zu tun? Einerseits habe ich ein paar Movie Locations besucht, war vor dem Hotel aus "Some like it hot" gestanden (in San Diego, nicht wie im Film in Florida), vor dem Schulhaus aus "Die Vögel" (in Bodega, jetzt in Privatbesitz) und vor dem Griffith Observatorium (Los Angeles; es steht davor eine Büste von James Dean, weil Szenen aus "Denn sie wissen nicht, was sie tun" dort gedreht wurden). In L.A. war ich auch im neuen "Academy Museum of Motion Pictures". Im Flugzeug habe ich mich mal wieder gewundert, was Lufthansa alles unter "Filmklassiker" einstuft, und in den Motels gab es manchmal den Kanal "Turner Classic Movies", wo ich u.a. eine junge Bette Davis gesehen habe.

Über ein paar der Filme, die ich gesehen oder wiedergesehen habe, kann ich demnächst mal schreiben, wenn ich Zeit finde. Ich muss aber erst kontrollieren, ob diese Filme in der Zwischenzeit hier nicht schon Thema waren. Konkret denke ich gerade an "Easy Rider" und "Der Mann, der Liberty Valance erschoss".

"Die 27. Etage" habe ich vor langer Zeit mal im Fernsehen (BR?) gesehen. Damals dachte ich auch "Zufallsfund", ich hatte noch nie zuvor davon gehört (das war auch lange vor Wikipedia). Was ich damals genau über den Film gedacht habe, weiß ich nicht mehr, aber ich habe ihn positiv in Erinnerung. Sollte ich mal wieder ansehen, wenn doch nur im Alltag mehr Zeit vorhanden wäre.
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Alt 11.03.2023, 19:53   #993  
Peter L. Opmann
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Danke für die Anmerkungen.

Den "Paranoid"-Spruch kenne ich leider nicht.

Jetzt würde mich interessieren: Was stuft denn die Lufthansa als Klassiker ein?

"Easy Rider" und "Liberty Valance" habe ich beide noch nicht behandelt - also frisch ans Werk.

"Manche mögen's heiß" zählt auch zu meinen Lieblingsfilmen, aber sowohl Billy Wilder als auch Marilyn Monroe hatte ich schon mindestens zweimal. Wenn jemand von Euch möchte, nur zu!
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Alt 11.03.2023, 21:15   #994  
Nante
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B. Wilder hat so viel gute Filme gedreht, vor allem in allen möglichen Genres, da kann man eigentlich nicht zuviel schreiben.

Aber von mir aus. Dann kommt am Montag von mir was zu "Some like it hot".
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Alt 12.03.2023, 06:43   #995  
Peter L. Opmann
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Es geht mir nicht darum, daß ich über Billy Wilder gar nichts mehr schreibe. Ich hätte aber noch einige Zeit gewartet.

Wobei mir ehrlich gesagt nicht ganz klar ist, wie lange ich diese Reihe laufen lassen kann. Naja, 100 Filme kann ich auf jeden Fall noch besprechen - vielleicht auch mehr.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.03.2023, 06:10   #996  
Nante
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Also, wie angedroht nun „Some like it hot“ (1959) von Billy Wilder. Der Inhalt dürfte ja bekannt sein, darum möglichst kurz:
Die Geschichte startet im bitterkalten Chicago der Prohibition im Februar 1929. Die chronisch pleiten Musiker Joe (Tony Curtis, Saxophon) und Jerry (Jack Lemmon, Bass) verlieren erst durch einen Polizeieinsatz ihr Engagement, durch eine Pferdewette ihre Mäntel und werden dann auch noch unfreiwillige Augenzeugen des berüchtigten „Valentinstag-Massakers“.

Also drei triftige Gründe, das einzige verfügbare Engagement verbunden mit einer Tournee in Florida anzunehmen, - auch wenn es eine Damenkapelle ist und sie darum ihre feminine Seite als Daphne (Jerry)und Josephine (Joe) entdecken müssen. Trotz einiger Bedenken schöpft niemand wirklich Verdacht. Selbst der Star der Truppe, Sugar Kane (M. Monroe, Ukulele) ist völlig arglos.

Wie in Komödien üblich verliebt sich Joe in die unglückliche Sugar, die eigentlich auf der Suche nach einem Millionär zum Heiraten ist. (Was gibt‘s in Florida?" - "Millionäre. Ganze Schwärme. Die ziehen alle nach Süden. Wie die Vögel!" )Während er sie getarnt als Shell-Erbe anbaggert, erweckt „Daphne“ unfreiwillig das Interesse des echten Millionärs Osgood (Joe E.Brown).

Die Idylle wird leider gestört, denn dummerweise findet im gleichen Hotel in Florida ein nationaler Gangsterkongress statt, an der auch „die Sektion Chicago“ teilnimmt, die immer noch nach den untergetauchten Zeugen sucht. Dieses Problem löst sich wenig später durch eine Überraschungstorte incl. Maschinenpistole, aber dummerweise waren Joe und Jerry schon wieder Zeugen und müssen erneut flüchten.

Sugar schließt sich der Flucht trotz aller guten Vorsätze an und dank Osgood glückt die Flucht und einem Happy End BEIDER Pärchen steht trotz aller Bedenken von „Daphne“ nichts im Weg.


Wilder lebt auch hier seine bekannte Vorliebe für S/W aus, was dem Film aber zugute kommt. 1959 lag das Ende der Prohibition noch keine 30 Jahre zurück und viele Kinogänger konnten sich sicher noch daran (und die damaligen Gangsterfilme in S/W) erinnern.
Für Wilder war die Gangster-Story aber nur der Aufhänger, da er einen Grund brauchte, warum seine beiden Helden gegen ihren Willen in „den Fummel“ steigen mußten. Trotzdem läßt er auch hier keine Gelegenheit für einen Gag aus und sei er auch noch so makaber. ("In der Torte war etwas was nicht gut für ihre Gesundheit war.")

Ansonsten ist die Story eher banal, legt aber von Anfang (Die Verfolgungsjagd der Alkoholschmuggler) bis zum Ende (Flucht zum Boot) ein Tempo und eine Gagdichte vor, die ihresgleichen sucht. Das wird eigentlich nur noch von „1-2-3“ übertroffen( Zusammen mit „Das Appartement“ für mich die drei besten Wilder-Filme). Wilder baute deswegen ja teilweise mit Absicht einige „Verzögerer“ ein, um dem Zuschauer Gelegenheit zum Lachen zu geben, ohne den nächsten Witz zu verpassen.

Ich weiß nicht, ob man die Travestie-Nummer heute noch mal so durchziehen könnte. Wobei Wilder es so geschickt gemacht hat, daß zwar kein Zuschauer je auf die Idee käme, „Daphne“ und „Josephine“ könnten als „echte“ Frauen durchgehen, dagegen beim Filmpersonal nie Zweifel aufkommen. (Joe kommt von seiner Rolle als Millionär zurück, stülpt sich die Perücke auf und steigt in die Badewanne und die hereinstürzende Sugar erkennt NATÜRLICH nicht den Mann, mit dem sie vor kurzem noch zusammen war)

Beim Dreh gab es bekanntlich diverse Probleme vor allem mit der Monroe (Wilder beklagte sich, daß sie sogar in ihrer Unzuverlässigkeit, die er einkalkuliert habe, unzuverlässig gewesen sei.) und weil Wilder das nicht für sich behielt („I have discussed this with my doctor and my psychiatrist and they tell me I'm too old and too rich to go through this again."), folgte eine Pressefehde mit ihrem damaligen Ehemann Arthur Miller.

Ob nun trotz oder wegen des Stresses: Der Film war ein großer Erfolg sowohl für Wilder(Ausbleibende Oskars, abgesehen von einem für Kostüme lagen wohl vor allem am gleichzeitig nominierten "Ben Hur", der damals alles abräumte) als auch für die Monroe und ist für mich nach wie vor eine der besten Filmkomödien aller Zeiten.
Das liegt sicher sicher auch an den perfekten Dialoge und Szenen für fast alle Nebenrollen. Für mich herausragend neben Joe.E. Brown vor allem die Rede von Nehemiah Persoff als „Der kleine Bonaparte“.
Der Film hat auch vielen Spuren in der Populär-Kultur hinterlassen und wird immer wieder gern zitiert. Im Comic-Bereich z.B. kommen in der Amerika-Serie der Abrafaxe mehrfach Anspielungen vor.
In der Musik heißt z. B.einer der bekantesten Songs von Sonic Youth„Sugar Kane“, eine sehr bekannte deutsche Band hat ein Zitat von „Daphne“ über Männer in einem ihrer bekanntesten Lieder verwendet, und den deutlich weniger bekannten „Freunden der Italienischen Oper“ aus Dresden war es sicher zumindest nicht unlieb, wenn man ihren Bandnamen mit dem Film in Verbindung brachte. (Über den wirklichen Ursprung habe ich verschiedene Versionen gelesen.)

Passend zum Ende der Schlußgag des Films, in dem Joe E. Brown seinen wohl bekanntesten Satz sagt.


“ But you don't understand, Osgood! - I’m a man!”
“Well, nobody's perfect!”

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Alt 13.03.2023, 06:19   #997  
Peter L. Opmann
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Schade - ich dachte beim Lesen: Da kann ich noch auf den Song "Sugar Kane" von Sonic Youth hinweisen...

Jetzt komme ich nochmal mit Jack Lemmon. Und bei dem folgenden Film ist mir auch aufgefallen, daß die Wohnung von Jane Fonda voll ist von Plakaten mit Bildern von Marilyn Monroe.

Dieser Film hatte einen sagenhaften Ruf, lange bevor ich ihn gesehen habe. Heute mag „Das China-Syndrom“ (1979) von James Bridges ein wenig in Vergessenheit geraten sein. Dabei ist seine Thematik, auch wenn die gezeigte Technik veraltet sein dürfte, gerade wieder sehr aktuell. In Deutschland sieht es nicht nach einer ernsthaften Renaissance der Atomkraft aus, aber andere Länder planen, sie wieder zu forcieren. Ich denke, ich habe diesen Thriller vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal auf DVD gesehen. Er arbeitet mit den Mitteln des Spielfilms (ist auch wirklich ziemlich spannend geraten) und wirkt daher ein bißchen unseriös, aber es war wohl der erste Film, der sich mit Fragen der Atomrisiken relativ ernsthaft auseinandergesetzt hat. Die dann folgenden realen Unfälle in Harrisburg (bereits kurz nach Erscheinen des Films), Tschernobyl und Fukushima waren allerdings schlimmer, als sich das ein Drehbuchautor vorstellen konnte.

Jane Fonda ist Moderatorin und Reporterin eines unbedeutenden kalifornischen Fernsehsenders und kommt in das fiktive Atomkraftwerk Ventana, um ein unkritisches Filmchen zu drehen. Genau in diesem Moment kommt es zu unerklärlichen Vibrationen im Werk. Die Kraftwerksleitung vermutet Überdruck des Speisewassers, was sich aber als falsche Meßanzeige herausstellt. Während Wasser hektisch abgepumpt wird, wurde beinahe der Reaktorkern freigelegt, was zur Kernschmelze hätte führen können (in den USA nennt man das „China-Syndrom“, weil sich radioaktives Material in den Boden bohren und gewissermaßen zur anderen Seite der Erde durchfressen kann). Dem Betriebsteam gelingt es, diesen Unfall abzuwenden – damit ist aber das Vibrieren noch nicht erklärt. Fondas Kameramann (Michael Douglas, der auch Produzent des Films war) hat die Vorgänge heimlich gefilmt. Der Sender wagt jedoch nicht, das zu senden, und will die Aufnahmen unter Verschluß halten. Während der Energiekonzern, der das AKW betreibt, den Fall herunterspielt, bringt Douglas den Film an sich und legt ihn Fachleuten vor. Ihrer Ansicht nach ist Kalifornien nur knapp einer Katastrophe entgangen.

Fonda begegnet in einer Kneipe zufällig dem AKW-Leiter (Jack Lemmon). Er wiegt sie einerseits in Sicherheit, erweist sich aber andererseits als skrupulös, weil er entdeckt, daß Schweißnähte im Kraftwerk ungenügend überprüft worden sind und hier die Ursache für die Vibrationen liegen könnte. Niemand reagiert auf seine Warnungen, denn es besteht wirtschaftlicher Zwang, daß das AKW weiter Strom produziert und das nächste möglichst bald gebaut werden kann. Da kann der Konzern keine aufwendigen Prüfungen brauchen und schon gar keine Zweifel an der Sicherheit seiner AKWs. Lemmon will nun belastende Unterlagen dem Fernsehsender zuspielen, aber der Bote wird in einen schweren Autounfall verwickelt. Als er sich an die Atombehörde wenden will, wird er selbst von Finstermännern verfolgt und kann sich nur knapp in sein Kraftwerk flüchten. Er schließt sich im Kontrollraum ein und droht damit, selbst einen Störfall herbeizuführen, wenn er nicht im Fernsehen eine Erklärung abgeben kann. Der Konzern versucht nun, das AKW von außerhalb des Kontrollraums abzuschalten, und setzt die Security auf Lemmon an. Fonda kommt ebenfalls ins AKW und führt ein Interview mit Lemmon, bei dem es ihm aber nicht gelingt, die Sachlage allgemeinverständlich zu erklären. Dann wird das AKW abgeschaltet und Lemmon von Sicherheitspersonal erschossen. Inzwischen hat aber die gesamte kalifornische Presse von den dramatischen Vorgängen im AKW erfahren und ist zum Ort des Geschehens geeilt. Der PR-Chef versucht nach bewährtem Muster, alles zu verharmlosen, aber der wichtigste Mitarbeiter von Lemmon bricht nun ebenfalls sein Schweigen und erklärt, die Sicherheit im AKW sei massiv gefährdet.

Ich bin selbst kein Atomkraft-Experte und hoffe, ich habe den dargestellten Störfall einigermaßen zutreffend beschrieben. Obwohl der Film manchmal ziemlich tief in diese technischen Fragen einsteigt, ist er zugleich durchweg sehr spannend. Der Kampf um die Kontrolle im AKW und die zutreffende Deutung des Geschehens in der Öffentlichkeit wird so inszeniert wie sonst ein Banküberfall, eine Entführung oder ein Sprengstoffanschlag. Die Presse spielt dabei eine sehr schmeichelhafte Rolle: unbestechlich (abgesehen von der Senderleitung), unermüdlich, bis der Skandal endgültig enthüllt ist, absolut redlich, während (fast) alle um die wackeren Reporter herum verlogen und korrupt bis ins Innerste sind. Wohltuend zu sehen in Zeiten, in der nur noch von Fake News und einer gesteuerten Presse geredet wird. Erst gegen Ende des Films habe ich mich gefragt: Wie kann dieser Konflikt ums Atom eigentlich aufgelöst werden? Lemmons Tod ist dramaturgisch notwendig, ebenso aber, daß die Wahrheit schlußendlich nicht mehr verschleiert werden kann. Beides hat nur wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Ich finde dennoch, daß nervenkitzelnde Unterhaltung hier auf die wohl bestmögliche Weise mit der politischen Botschaft in Einklang gebracht wird. Man sieht einmal mehr, daß Jack Lemmon nicht nur zum Komiker taugte. Und bemerkenswert, die beiden Star-Kinder in Interaktion zu sehen: die Tochter von Henry Fonda und den Sohn von Kirk Douglas…Es gab vier Oscar-Nominierungen, und Lemmon wurde in Cannes tatsächlich als bester Darsteller ausgezeichnet.

Was ich übrigens seit langem kenne, ist die „Mad“-Parodie des Films von Dick deBartolo und Mort Drucker. Sie packten die Sache mit dem üblichen Sarkasmus an: „Sie ließen mich rufen?“ – „Ja, ich bin jetzt zu einem Interview bereit… hier auf der Stelle!“ – „Unmöglich!“ – „Wieso nicht? Endlich haben Sie die harte Sensationsstory, die Sie immer wollten!“ – „Zugegeben… aber gucken Sie doch… mein Haar! Ich muß unbedingt vorher zum Friseur!“; „Drödel ist t-tot! Sie haben ihn erschossen! Das hätt‘ ich mir nie gedacht, daß man in einem Kraftwerk so weit geht!“ – „Und für jene unter euch, die ebenfalls zwei Monate oder länger mit der Stromrechnung in Verzug sind, zeigen wir den Todesschuß nochmal in Zeitlupe!“ Nur als Sarkasmus kann ich es auch betrachten, daß Ronald M. Hahn und Volker Jansen „Das China-Syndrom“ als Science Fiction-Film eingestuft haben.
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Alt 13.03.2023, 06:42   #998  
Nante
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Den Film habe ich erst Anfang der 90er gesehen, also lange nach Tschernobyl (von Harrisburg habe ich überhaupt erst durch den Film erfahren.)
Und ich glaube, ich habe auch ERST die MAD-Parodie gelesen, was einer gebührend ernsthaften Filmaufnahme natürlich etwas im Wege steht.

Als Ossie ist die ganze Atom-Angst der 80er sowieso eher an mir vorbei gegangen und was die Filmhandlung selbst angeht, hat mein Bruder (Er hat damals Kernkraftwerksbau studiert.), der ihn mit mir zusammen geschaut hat, erklärt, daß man da aus dramatischen Gründen doch stark vereinfacht habe.

Trotzdem hat mich der Film natürlich gepackt und man fiebert mit. Fonda, Douglas und Lemmon waren nun mal ein Bomben-Cast.
Die Grundaussage war für mich aber vor allem, daß der böse Kapitalismus im Notfall (also beim Profit) auch über Leichen geht, hier ganz wirklich.
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Alt 13.03.2023, 06:59   #999  
Peter L. Opmann
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Daß der Kapitalismus über Leichen geht, ist zwar ein in Filmen gern verwendeter Topos, aber da würde ich auch sagen: "stark vereinfacht".
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.03.2023, 11:07   #1000  
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Zitat von Nante Beitrag anzeigen
Also, wie angedroht nun „Some like it hot“ (1959) von Billy Wilder.
Danke für diesen Beitrag; einer meiner Lieblingsfilme, daher muss ich da unbedingt auch noch etwas ergänzen. Nobody is perfect, aber dieser Film schon.

Zitat:
Das wird eigentlich nur noch von „1-2-3“ übertroffen( Zusammen mit „Das Appartement“ für mich die drei besten Wilder-Filme).
Da gehe ich mit, wobei "Sunset Boulevard" und "Zeugin der Anklage" schon auch sehr nahe dran sind. "Das Appartement" hat nicht die Gagdichte von "Some like it hot", dafür ist der Film böser und auch melancholischer. Aber darüber reden wir ja hier irgendwann vielleicht noch ausführlicher.

Angeblich ist "Some like it hot" auch deswegen in s/w, weil Curtis und Lemmon als Frauen geschminkt bei Probeaufnahmen in Farbe ganz unglaubwürdig gewirkt hätten. Deine Bemerkung, dass es natürlich unrealistisch ist, dass Sugar überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen dem Shell-Millionär und Josephine bemerkt, ist völlig richtig. Das funktioniert hier nur, weil der Film eine Komödie und deswegen die Glaubwürdigkeit nicht so wichtig ist. Es kann mir auch niemand erzählen, dass Sugar mit Daphne im schmalen Schlafwagenbett liegen kann, ohne zu bemerken, dass Daphne keine Frau ist.

Leider wird dieses Motiv (Verkleidung, egal ob als selbes oder anderes Geschlecht) immer mal wieder auch bei Krimis verwendet, wo die Glaubwürdigkeit eigentlich wichtig ist, um den Plot zu schlucken, und das ärgert mich jedes Mal. Das kommt bei Golden-Age-Krimischreibern wie Agatha Christie vor (jemand verkleidet sich ein bisschen und wird deswegen von engsten Freunden nicht erkannt) und war sogar neulich wieder im Tatort zu sehen (die böse Zwillingsschwester, von der niemand weiß, ersetzt einfach die gute, und weder die Tochter im Grundschulalter noch der Ehemann merken das; come on!).

Aber zurück zu "Some like it hot": Marilyn Monroe war zunächst gar nicht erste Wahl für die Rolle der Sugar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Film ohne sie auch so gut funktionieren würde. Die Songs, die sie im Film singt ("Running wild", "I wanna be loved by you", "I'm through with love"), sind schon auch unvergessen. Wilder hat sich bisweilen recht despektierlich über die Mühen mit ihr geäußert, aber er hat auch mal gesagt, dass seine eigene Tante sicher immer pünktlich zum Dreh kommen und jede Zeile perfekt auswendig gelernt haben würde, dass aber niemand Geld an der Kinokasse zahlen würde, um seine Tante zu sehen.

Und ja, die Rede von Nehemiah Persoff ist auch brillant. Schon der Beginn: zehn Jahre ist es jetzt her, dass ich mich selber zum Vorsitzenden unserer Organisation gewählt habe, und ich muss mir sagen: du hast eine gute Wahl getroffen.

Vor ein paar Monaten startete in New York ein neues Musical nach dem Film (mit neuer Musik und neuen Songs). Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in der heutigen woken Zeit (und ohne Lemmon, Monroe, Brown...) noch ein Hit wird. Mal sehen.
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