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Alt 20.09.2009, 18:16   #51  
Peter L. Opmann
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Spinne # 87

Jetzt wird’s möglicherweise etwas heikel, denn jetzt geht’s um frühpubertäre Erotik. Oben habe ich schon von der Ehebruchgeschichte in Horror # 55 erzählt, und hier hatte ich erstmals in größerem Umfang mit Bildern einer Frau in Posen zu tun. Ich müßte eigentlich über die Story gar nicht viel erzählen, sondern könnte mich einzelnen Panels zuwenden, die mich damals hochgepusht haben. Aber der Haken an der Sache ist: Ich finde diese Panels kaum wieder!

Also doch erstmal zur Story: Die Spinne schwingt an der Schwarzen Witwe vorbei, ohne sie zu bemerken. Die Frau wirkt im Splashpanel überhaupt nicht attraktiv, vor allem mit ihrer Pony-und-Pferdeschwanz-Frisur, aber auch dem lila Ton-in-Ton-Kostüm mit Netzstrümpfen. Das habe ich auch damals so gesehen. Wenn „die Kamera“ dann rangeht, bemerkt man ihre unglaubliche Figur: anatomisch unmögliche Wespentaille, Superbusen, zierliche Füßchen. Sie erinnert sich noch mal an ihre Vergangenheit: Spionage für Rußland, Duelle mit dem Eisernen, die Romanze mit Falkenauge. Sie beschließt, während sie sich umzieht, daß ein Imagewechsel fällig ist.

In einem Bild betrachtet sie sich nackt im Spiegel, aber hält sich dabei ein Tuch vor die Brust, und natürlich sieht man überhaupt nichts („approved by the Comics Code Authority“). Und dann gibt es ein Panel, das ich damals nachgezeichnet habe: Sie sitzt als Silhouette auf dem Bett und rollt sich die Strümpfe runter. Ihre Beine sind viel zu lang, aber der schwarze Körper ist ein geschickter Kunstgriff: Der Betrachter stellt sich die Details dieser Superfrau selbst vor, und damit wird sie beliebig realistisch. Etwas später legt die Schwarze Witwe ihr (selbstgeschneidertes) neues Kostüm an und tobt durch ihren Fitnessraum. Es ist jetzt ein blauschimmerndes schwarzes Ganzkörper-Kostüm, das vor allem wegen seiner Schlichtheit noch immer gut aussieht (wenn ich den Schatten auf dem Cover betrachte, sollte sie anscheinend ursprünglich einen Minirock tragen). Aber ich sehe nichts außergewöhnlich Aufregendes mehr.

Sie möchte nun die Spinne suchen, besiegen und dann herausfinden, was sie so überlegen macht – das ist halt Frauenlogik. Bevor es zum Kampf kommt, werden noch zwei Episoden dazwischengeschaltet: Die Spinne kommt nach Hause und wird dort von Peters Freundin Gwen und ihrem Vater Captain Stacy sowie Harry Osborne erwartet. Gwen beklagt sich bitter, daß sie nicht wußte, wo Peter steckte, und erschrickt über Gesichtswunden, die er als die Spinne im Kampf gegen den Kingpin davongetragen hat (was er ihr natürlich nicht sagen darf). Captain Stacy schweigt und klopft Peter aufmunternd auf die Schulter. Weiß er alles? In der zweiten Episode rätselt Peter, warum er sich so schlapp fühlt und ob er vielleicht seine Spinnenkräfte verliert. Er beschließt, sich nochmal in sein Kostüm zu werfen (okay, „Männerlogik“!) und läuft dann just der Schwarzen Witwe in die Arme.

Der Kampf zieht sich, großzügig gerechnet, gerade mal über viereinhalb Seiten. Er ist aber immerhin spannend inszeniert. Beide Superhelden turnen spektakulär auf einem Baugerüst herum und versetzen sich gegenseitig etliche Maultiertritte. Obwohl Spider-Man geschwächt ist und sich beim Schlagen einer Frau zurückhält, hat er eindeutig das Heft in der Hand, was schließlich auch die Schwarze Witwe erkennt – und sie flieht. Im eleganten Morgenmantel sieht sie neuen Abenteuern entgegen. Die Spinne kann sich jetzt nur noch mit größter Mühe nach Hause zittern und kommt immer mehr zu der Überzeugung, daß es mit ihren Kräften vorbei ist (in Wirklichkeit war’s glaube ich ein simpler grippaler Infekt).

Also, mehr als eineinhalb erotische Bilder der Schwarzen Witwe kann ich nicht identifizieren. Immerhin wirkt sie trotz ihrer anatomischen Besonderheiten dank der Kunst von John Romita und Jim Mooney ziemlich körperlich. Ihre Schlägerei mit einem männlichen Superhelden ist für sich schon erotisch. Das Abenteuer ist gewiß ein frühes Modell für die späteren Auseinandersetzungen der Spinne mit der Schwarzen Katze á la „Sie küßten und sie schlugen sich“ (Francois Truffaut möge mir das kleine Wortspiel verzeihen). Aus solchen Konflikten kann man fürs wirkliche Leben freilich nichts lernen. Eine Frau wie die Schwarze Witwe habe ich – leider – nie kennengelernt. Aber ich bin ja auch nicht Spider-Man…

Viel Aufregung auch bei Thor: Er hat sich dem Willen seines Vaters Odin widersetzt, findet auf der Erde Herkules im trauten Zwiegespräch mit seiner Freundin Jane Foster und fordert den Olympier deshalb zum Duell. Das las sich damals dann schon recht spannend. Aber da ich die „Journey into Mystery“-Ausgaben hier nicht im Zusammenhang besprechen kann, lasse ich es wieder mit ein paar Worten bewenden.
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Alt 20.09.2009, 18:18   #52  
Peter L. Opmann
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Spinne # 123

Mein Lieblingszeichner der Spinne war damals eindeutig Gil Kane, der Körper durch schräge Perspektiven unnachahmlich dynamisch machen konnte. Es ist aber schwierig, diese Vorliebe im Rahmen dieser Serie abzubilden, denn ein von Kane gezeichnetes Lieblingsheft ist sehr schwer auszuwählen. Zum einen finde ich den ursprünglichen Green-Lantern-Zeichner nicht mehr so überragend, vor allem nach all den mittelmäßigen, lustlos-routinierten Comics von ihm, die ich später noch gelesen habe (zum Beispiel seine „Jurassic-Park“-Adaption, die sogar in Fortsetzungen in „Bild“ nachgedruckt wurde), zum anderen gab es in der Kane-Phase irgendwie kein einzelnes, absolut überragendes Spinne-Heft. Ich habe mir alle noch mal genau angesehen.

Vielleicht werden Spinne-Kenner widersprechen: Was ist mit „The Night Gwen Stacy died“, der deutschen # 122 und amerikanischen # 121? Der Ausgabe, auf deren Cover die Spinne stammelt: „Jemand, der mir nahesteht, wird sterben. Aber wer? Wer???“ Vielleicht gab es in meiner Stadt damals schon Spinne-Kenner, die frühzeitig entschlossen zugriffen. Dieses Heft war jedenfalls das erste nach mehr als 50 Nummern, das ich verpaßt habe. Ich weiß noch, daß ich alle Kioske in der Nähe abklapperte, es aber nirgends finden konnte. Der Schock des Todes eines der Spinne nahestehenden Menschen kam daher für mich erst eine Ausgabe später. Spinne # 122 habe ich erst etliche Jahre danach gelesen.

Es gibt noch eine Besonderheit der Serie „Die Spinne“, die sich in dieser Serie nur schwer abbilden läßt: Sie funktionierte wirklich hervorragend als Soap-Opera. Die Einstellung aller übrigen Marvel-Serien habe ich wohl bedauert, aber problemlos verkraftet. Bei der Spinne war das anders (darauf komme ich nochmal zurück), und auch das Schicksal der Figuren ging mir wirklich nahe. Als ich das Heft aufschlug und die Spinne – ohne Vorwarnung – die tote Gwen Stacy in den Armen hielt, hat sich wirklich mein Magen zusammengekrampft, als ob Gwen ein echter Mensch gewesen wäre. An diesem Schultag habe ich mich definitiv nicht gut gefühlt. Wahrscheinlich saß ich mit bleichem Gesicht in meiner Bank, und ich kann mich noch heute erinnern, wie ich mich damals gefühlt habe. Ich möchte anmerken, daß ich zu dieser Zeit, abgesehen von einer Großmutter, die starb, als ich noch ziemlich klein war, noch nicht den Tod eines wirklich nahestehenden Menschen zu verkraften gehabt hatte.

Zurück zum Heft. Auch diese Ausgabe war kein absoluter Meilenstein, aber ich finde immerhin, daß es Kane und Autor Gerry Conway gelingt, bei der Spinne die Balance zwischen Wut und Trauer einigermaßen glaubwürdig zu halten. Der Grüne Kobold, der Gwen auf dem Gewissen hat, wird schließlich gestellt, und das Team schafft hier wiederum halbwegs eine Balance: die Spinne muß sich am Kobold rächen, darf aber nicht töten. Sie verprügelt ihn furchtbar, bevor er von seinem eigenen, beschädigten Jetbesen aufgespießt wird, während sich die Spinne, gewarnt vom Spinnensinn, eben noch wegducken kann. „Irgendwie dachte ich, es würde mir mehr bedeuten“, sagt die Spinne darauf, was verrät, daß sie irgendwie doch auf Blutrache aus war. Am Ende sieht man die hilflose Trauer von Peter Parker. Zugleich beginnt genau hier die Liebesgeschichte mit Mary Jane Watson. Peter reagiert in seiner Wohnung bitter auf sie, die sich ja auch als vergnügungssüchtiges Girlie profiliert hat, und will sie rauswerfen. Sie aber geht nicht.

Gwens Tod war, wie ich später erfuhr, die Reaktion darauf, daß die Figur ausgereizt war. Sie war engelsgleich – und damit langweilig. Wäre sie eine feste Beziehung mit Peter eingegangen, so wäre daraus nicht mehr herauszuholen gewesen als ihre Angst vor und Abneigung gegen die Spinne. Wie eine gewisse britische Prinzessin war sie tot mehr wert als lebendig. Mary Jane dagegen war ein Mädchen mit Licht und Schatten, ein widersprüchlicher, interessanter und ausbaufähiger Charakter. Das konnte ich als Teeny nicht durchschauen und wurde Opfer meiner Identifikation mit Gwen.

Bei der in dieser Ausgabe startenden Thor-Episode wurden die Zeichnungen Jack Kirbys von Bill Everett geinkt. Die beiden bildeten in späteren Ausgaben nach meinem Geschmack ein noch besseres Team, aber in manchen Panels blitzt auch hier die Klasse von Everett auf, wenn er Nebenfiguren individuelle Gesichter gibt. Originell auch das Splashpanel, worauf Thor in einer All-American-Milchbar einen Milchshake trinkt und kommentiert: „Selbst ein Donnergott kennt die Qualen des Durstes“. Worauf der Ladeninhaber beschließt, das Getränk künftig als „Asgard spezial“ zu verkaufen. Die Story „Und bald kommen die Zauberer“ habe ich jetzt nicht noch mal gelesen, die im übrigen in der Mitte, wenn sie hier abbricht, erst so richtig zu starten scheint.
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Alt 20.09.2009, 18:20   #53  
Peter L. Opmann
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Spinne # 137

Ross Andru zählte nicht zu meinen Lieblingszeichnern: Am meisten störte mich, daß er dazu neigte, klobige Füße zu zeichnen. Und er verdrehte die Körperglieder von Superhelden eher so, daß es weh tat. Ich fand auch, daß er die Gesichter der Marvel-Helden nicht adäquat wiedergab, was ich heute nicht mehr erkennen kann. Da müßte man eher bei Gil Kane Bedenken anmelden, aber Kinder sind ja oft ungerecht. Andru kam von DC, ist dort möglicherweise für viel Geld abgeworben worden – was für Gil Kane auch gelten dürfte, aber in meinen Augen war er eher einer, der den Romita/Kane-Standard nur mühsam halten konnte.

Trotzdem war bis zu diesem Heft meine Spinne-Welt in Ordnung. Die Sprüche auf dem Splashpanel, „Mit Sicherheit die wichtigste Comicstory des Jahres“ und „Auf diese Story habt ihr gewartet!“, waren der gewohnte Marvel-Slang. Der melodramatische Lebensweg von Peter Parker lohnte von Ausgabe zu Ausgabe, weiterverfolgt zu werden. Es war irgendwie ein Teil meines Lebens.

„Der Grüne Kobold lebt wieder!“ steht in großen Lettern über dieser Comicstory. Es ist eine Geschichte, in der ein neuer Handlungsstrang vorbereitet wird. Beim Wiederlesen des Hefts habe ich den Eindruck, daß Autor Gerry Conway hier ziemlich geschickt Spannung aufbaut. Es beginnt mit einem völlig harmlosen Sommerspaziergang von Peter und Mary-Jane in Manhattan. Dann kommt der erste Paukenschlag: Als sie Peters Apartment betreten wollen, explodiert eine Bombe, und Mary-Jane wird schwer verletzt. Peter Parker hat zunächst mal keine Ahnung, wer dieses Attentat auf ihn verübt hat, aber ihm ist klar, daß es – trotz seiner Geheimidentität – gegen die Spinne gerichtet war.

Die Erinnerungen an den Mord an Gwen Stacy kommen wieder hoch. Peter kommt ein Verdacht: Der Grüne Kobold, der ihm das angetan hat, ist zwar tot (siehe oben), aber Norman Osbornes Sohn (und Peters guter Freund) Harry ist verschwunden. Die Spinne sucht das Versteck des Kobolds auf, wo jemand versucht hat, es lange verlassen erscheinen zu lassen, und wartet – ziemlich quälend lange. Dann endlich taucht der Kobold auf einer Doppel-Splashpage auf. Es ist so, wie vermutet: Harry ist nun, wie zuvor sein Vater, verrückt geworden.

Im Verlauf des Kampfes gelingt es dem Kobold, die Spinne mit Betäubungsgas außer Gefecht zu setzen. Er signalisiert, daß auch er die wahre Identität der Spinne kennt, und will sie mit Strahlen aus seinen Fingern hinrichten. Denen geht aber im richtigen Moment der Saft aus, und der Kobold sucht das Weite. Damit ist der Boden bereitet für viele neue Duelle zwischen Spinne und Kobold – aber erstmal nicht für die deutschen Leser.

Was mich damals wirklich geschockt hat, war die Schlußepisode. Ganz unten auf der 18. Seite steht: „Dies ist das Ende der Spinne! Die Spinne ist hiermit eingestellt; ihr haltet das letzte Heft in den Händen. Näheres ist auf der Leserbriefseite zu erfahren. Adieu, Marvelianer.“ Vor diesem Hintergrund bekommt das, was unmittelbar davor geschieht, eine ganz besondere Bedeutung. Peter taucht in der Redaktion des Daily Bugle auf, hat wieder mal Streit mit J. Jonah Jameson und wirft seinen Job hin. Als Sekretärin Betty Brant ihn mitfühlend nach seinen Problemen fragt, reagiert er äußerst pampig: „Vergiß es! Ich hab genug von Leuten, die sich in meine Angelegenheiten mischen! Von jetzt an macht Peter Parker es allein, und glaub mir, Betty, ich will es auch nicht anders.“ Dann verläßt er das Büro und auch die (deutsche) Spinnen-Welt.

Conway und Andru hatten nichts anderes im Sinn, als einen kleinen Konflikt zwischen Peter und Betty zu konstruieren, der später wieder eingerenkt werden muß. Wenn hier aber die Saga endet, dann heißt das, daß Peter wirklich alle Brücken hinter sich abbricht und im Nirgendwo verschwindet. Was für ein frustrierendes Ende! Allgemein mußte ich mich damals mühsam an den Gedanken gewöhnen, daß es nun keine weiteren Spinne.Abenteuer mehr geben würde. Irgendwie hatte ich immer gedacht, daß es ewig weitergehen würde, mal mit tollen, mal mit mittelprächtigen Ausgaben. Dies war eine meiner ersten Erfahrungen, daß alle Dinge im Leben letztlich enden. Eigenartig war die knappe redaktionelle Mitteilung zur Einstellung der Spinne. Da wurde noch mal versucht, persönliche Worte zu finden („Seid nicht traurig, Fans!“), aber es gab im Gegensatz zu früheren Gelegenheiten kein Wort zu den Gründen der Einstellung und nur ein paar merkwürdige Andeutungen, daß es weitergehen könnte (was ja dann nicht passierte). Auf dem Backcover wird für Horror # 82 geworben, eine Serie, die tatsächlich noch eine ganze Weile weiterlief. Aber von der Redaktion dazu kein Wort, geschweige denn von einem weiteren Verlagsprodukt, das insgesamt den größten Erfolg gehabt haben dürfte: MAD. Stattdessen ein abruptes Ende, das mich nochmal ähnlich mitnahm wie der Tod von Gwen…

Wie ein Junkie auf Methadon habe ich mir danach eine Zeitlang die Condor-Marvels gekauft, obwohl damit nicht an die Williams-Ära angeschlossen wurde. Stattdessen stand die Veröffentlichungspraxis dem HIT-Comics-Chaos kaum nach. Mir gefiel ohnehin der ganze redaktionelle Stil im Hause Biehler nicht. Aber erst beim Condor-Spinne-Magazin # 104 habe ich daraus endgültig Konsequenzen gezogen.
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Alt 20.09.2009, 18:22   #54  
Peter L. Opmann
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Marvel Sonderausgabe # 2: Der weiße Hai II

Man sollte sich mal bewußt machen, daß Marvel – bei aller Hochachtung – zu 90 Prozent Konfektionsware produziert. Welche Vielfalt dagegen bei einem Verlag wie Dargaud, obwohl es auch dort Alben-Konventionen und vorherrschende Stile gibt. Dieses Marvel-Heft war das erste, das ich in die Hand bekam, das vom Superhelden-Schema abwich. Und ich finde noch heute, daß es ein gut gelungener Comic ist, auch wenn eine Filmadaption nicht gerade mit Originalität glänzt und die Filmvorlage wohl nicht unbedingt ein Meisterwerk war.

Den Film habe ich nie gesehen, aber etwa gleichzeitig mit der Comicversion habe ich auch die entsprechende MAD-Parodie gelesen, die keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um eine ziemlich dümmliche Fortsetzung eines geschickten Thrillers handelt. Trotzdem hat Richard Marschall (ein Autor, der sonst weniger in Erscheinung getreten ist) den Aufguß recht spannend nacherzählt – den fehlenden ersten Teil vermißt man nicht. Vor allem aber ist die Hai-Panik von Gene Colan und Tom Palmer hervorragend in Szene gesetzt. Nur eine Einschränkung würde ich heute machen: Den Schauspieler Roy Scheider können beide nicht porträtieren, gleiches dürfte für die anderen Akteure gelten. Aber die etwas überformatigen Comicseiten zeichnen sich durch die richtige Mischung aus Detailreichtum und Dramatik sowie aus Realismus und Colans speziellem leicht karikierendem Strich aus, und die Colorierung ist aufwendig und gelungen.

Natürlich hat mich als Teenager auch die in der Story dominierende Teenagererotik angesprochen, obwohl ich noch nicht soweit war, irgendwelche Mädchen „abzuschleppen“. Die typisch amerikanische Verbindung von Sex und Bestrafung hat ihre Wirkung auf mich auch nicht verfehlt. Heute würde ich eine so rigide Moral (Jugendliche, die verbotenerweise auf Segelbooten aneinander herumfummeln, werden zur Strafe vom Hai gefressen) natürlich nicht mehr schlucken. Aber es wurden zugleich die großen Themen Liebe und Tod angerissen. Das Bild von jungen Leuten, die sich in einem Moment ihres Lebens freuen und im nächsten im Rachen des Hais zappeln, berührt mich schon immer noch. Das sind gewissermaßen Splatter-Effekte, die wirken, weil sie mit Szenen des harmlosesten Strandlebens kontrastiert werden.

Für den Rest der bei Williams veröffentlichten Film-Comics gilt, dass die Zeichner noch nicht auf der Höhe ihres Könnens waren (Howard Chaykin bei „Star Wars“ und Walt Simonson bei „Close Encounters“) oder nicht unbedingt ihre besten Arbeiten ablieferten (George Tuska bei „Planet of the Apes“). Mike Ploogs Schwarzweiß-Affen-Comics, die nicht mehr der Filmvorlage folgen, sind allerdings vorzüglich. Später bin ich noch auf die Marvel-Adaption des „Blade Runner“, gezeichnet von Al Williamson und Ralph Reese, gestoßen (zwei Hefte, leider nie auf deutsch veröffentlicht), die den Film auf 40 Seiten gut wiedergab. Gene Colan hat Arbeiten in vergleichbarer Qualität wie beim „weißen Hai“ zum „Howard the Duck“-Schwarzweiß-Magazin beigetragen. Das heißt, manche Zeichner auf der Marvel-Gehaltsliste konnten sicherlich mehr, als sie bei der täglichen Arbeit zeigen konnten.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.09.2009, 18:23   #55  
Peter L. Opmann
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Resümee

Ich will ein Resümee versuchen. Es war ziemlich leicht für mich, aus meiner Sammlung die Williams-Marvels herauszuziehen, die in meiner Kindheit von besonderer Bedeutung waren. Was diese Bedeutung ausgemacht hat, war schon deutlich schwieriger zu ermitteln. Kein Wunder: den kleinen Jungen von damals gibt es nicht mehr. Nach rund 30 Jahren kann ich mich kaum noch in seine Gedankenwelt hineinversetzen. Warum es die Marvels waren, die mich faszinierten, und nicht Superman, Tarzan, Phantom oder andere Comics, läßt sich nur schwer erklären. Eine Rolle spielen dürfte die Fremdartigkeit dieser Superheldenwelt (ich erinnere an den Hulk, der ja eigentlich noch aus der Monster-Ära der Marvels stammt, oder an meine eigentümliche anfängliche Angst vor der Spinne). Später war dann das Soap-Element der Serien, besonders der Spinne, ausschlaggebend. Ich lebte in gewissem Sinn mit den Marvel-Figuren.

Wenn man an Dingen aus seiner Kindheit hängt, wird das oft als eine spezielle Form von Nostalgie gedeutet: Man sehnt sich zurück in eine Zeit, als das Leben noch einfach und überschaubar war. Man will sich nicht den Problemen der Gegenwart stellen. Ich glaube nicht, daß dieser Aspekt bei mir eine größere Rolle spielt. Es ist wohl eher so, daß die Comics Teil meiner Kulturerfahrungen sind. Das wird um so deutlicher, als gerade zunehmend Comicverfilmungen ins Kino kommen. Da läßt sich die Hollywood-Ästhetik mit der vergleichen, die die Comiclektüre in meinem Kopf hinterlassen hat.

Im Kino habe ich einmal eine bemerkenswerte Erfahrung gemacht. Als ich etwa 22 Jahre alt war, habe ich Jean-Jacques Beineix’ „Betty Blue“ gesehen und war von der verrückten Liebesgeschichte hellauf begeistert. Kurz darauf las ich eine Rezension des Kritikers Peter Buchka, der in ironischem Ton die muffige Spießermoral in diesem Film bloßlegte. Er war im Gegensatz zu mir auf die rebellisch-romantische Fassade des Films nicht hereingefallen, weil er einfach über mehr Seherfahrung verfügte als ich. Und ich habe darauf meine Meinung über „Betty Blue“ geändert. Bei den Marvels passiert mir das nicht. Ich bin jetzt gleichsam selbst in die Buchka-Rolle geschlüpft und habe mir die Hefte aus einer reiferen Perspektive noch einmal angesehen. Sicher, man sollte hier gewiß nicht von Kunst reden. Diese Comics sind ein Massenprodukt. Man macht durchs Lesen keine bedeutsamen Erfahrungen, man wird nicht einsichtiger, wie das bei wirklichen Kunstwerken der Fall ist. Aber ich finde zumindest, ich habe mich damals als Teenager nicht unter Niveau unterhalten.

Allerdings kann ich der Rolle des Kulturpessimisten nur schwer entkommen. Wenn ich mir die Marvels betrachte, muß ich sagen: Früher war alles besser. Die Phase, in der die wichtigsten Serien erfunden wurden, 1961 bis etwa 1964, nötigt mir Respekt ab, weil Zeichner wie Jack Kirby und Steve Ditko zusammen mit Stan Lee innerhalb relativ kurzer Zeit völlig neue Ikonographien entwickelt haben, die dann auch im wesentlichen Bestand hatten. Dann kam eine Zeit bis etwa Anfang der 70er Jahre, in der die Marvel-Mitarbeiter aus dem Material sehr viel Phantasievolles und Überraschendes herausgeholt haben. Danach begann ein allmählicher Abstieg hin zu gelangweilter Routine, geistloser Wiederholung und hilfloser Variation, wovon in meinen Augen die Marvel-Comics bis heute gekennzeichnet sind. Insofern war es gut, die Williams-Ära großenteils miterlebt zu haben. Als „Die Spinne“ mit der # 137 eingestellt wurde, war es allmählich Zeit, mit dem Lesen dieser Sachen aufzuhören.

Wenn ich nochmal darüber nachdenke, muß ich die Aussage aus dem letzten Absatz doch teilweise wieder zurücknehmen. In den 70er Jahren war ich bereit, jedes neue Heft zu lesen, auch wenn immer wieder mal schwächere darunter waren. Heute bin ich dazu nicht mehr bereit, obwohl ich vielleicht feststellen würde, daß ganz gute Sachen dabei sind, wenn ich die Serien nur regelmäßig lesen würde. Damals hatte ich nicht viel Erfahrung und habe alles - auch ziemlich kritiklos - in mich aufgesogen; heute rechne ich mit einem müden Aufguß und spare mir "Civil War" oder ähnliches von vorne herein. Da kommt doch Nostalgie ins Spiel: die alten Sachen sehe ich eher positiver als sie waren, die Comics von heute vielleicht eher negativer.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.09.2009, 18:53   #56  
Hulk1104
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Spinne # 123

Mein Lieblingszeichner der Spinne war damals eindeutig Gil Kane, der Körper durch schräge Perspektiven unnachahmlich dynamisch machen konnte.
Bisher habe ich eifrig mitgelesen ohne zu murren. Ich bin Baujahr '65 also ähnlich wie du gelagert. Bei deinen bisherigen Lese-Erinnerungs-Berichten habe ich mich 25-30 Jahre verjüngt gefühlt, da meine damals ebenso sporadischen Comickäufe einen fast identischen Eindruck hinterlassen haben ( mit Ausnahme deiner Thor Vorliebe ). Jedoch waren mMn Gil Kane und Ross Andru mit Abstand die schlechtesten Spinne Zeichner bis heute ( und da kamen noch sehr viele ! ). Ich erinnere mich mit Grauen an ein Spinne Hochglanz Heft mit KaZar ( ca. Nr. 105 ), bei dem ich dachte jetzt würde Marvel das Geld ausgehen, da sie schon nicht mal mehr vernünftige Zeichner bezahlen konnten. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden, aber Gil Kane kann ich bis heute nichts abgewinnen !
Hulk1104 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.09.2009, 19:27   #57  
Peter L. Opmann
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Klar, ob Kane ein guter oder schlechter Zeichner war, ist objektiv nicht zu klären. Ich kann Dir vielleicht insofern entgegenkommen, als mich viele spätere Arbeiten, die ich von ihm gesehen habe, auch nicht mehr recht überzeugt haben - mir fällt spontan seine Comicversion von "Jurassic Park" ein. Er zeichnete immer simpler und schematischer. Andererseits hat er sicher als Silver-Age-Pionier Verdienste; seine "Green Lantern"-Arbeiten von Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre finde ich sehr beachtlich.
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Alt 20.09.2009, 19:38   #58  
Hulk1104
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
... seine "Green Lantern"-Arbeiten von Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre finde ich sehr beachtlich.
da kann ich dir insofern nicht widersprechen, als mir Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Eine Ditko-Spinne, ein Heck-Rächer, eine Kane-Lantern kann halt mMn nicht mit Romita, Buscema, Adams etc. konkurrieren. Ich bin ebenso wie du zur damaligen Zeit nur Gelegenheitsleser gewesen ( mangels Masse, teilweise mußten im Nachhinein Sammelbände die Lücken füllen ), deshalb sind mir Zeichner extrem positiv oder negativ aufgefallen. Das Schöne an Foren ist ja der Meinungs-Austausch zwischen Gleichgesinnten
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Alt 20.09.2009, 20:34   #59  
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Alt 20.09.2009, 20:43   #60  
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Alt 20.09.2009, 20:46   #61  
Peter L. Opmann
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Williams hat ja zwölf Ausgaben der "Grünen Laterne" von Gil Kane veröffentlicht; die habe ich aber alle erst nachträglich durch die Superbände und Nachkäufe kennengelernt, außerdem wurden da im Gegensatz zu den Marvels Autor und Zeichner nicht genannt.

Kanes Grafik bei der Spinne fand ich ungeachtet der Manierismen (etwa die extreme Untersicht, die unnatürlich gestreckten Gliedmaßen, die eigenwillige Schraffurtechnik) elegant. Er zeichnete schlanke, drahtige Körper, was ja zur Spinne gut paßte. Mir gefiel außerdem seine Seitenaufteilung mit häufig sehr schmalen hoch- oder querformatigen Panels. Seine Schraffuren wiesen ein bißchen auf Moebius voraus, wenngleich er an den natürlich nie herankam.

Naja, ebenso könnte man wohl auch Pluspunkte für Ross Andru aufzählen - es bleibt bei dem, was Du zu Beginn festgestellt hast: Geschmäcker sind verschieden.
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Alt 20.09.2009, 20:48   #62  
Peter L. Opmann
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Super, Kegelkönig, danke!
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Alt 21.09.2009, 08:16   #63  
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(Jetzt kommt noch die dritte Geschichte über die US-Marvels, die mir mein Onkel 1980 aus USA mitbrachte.)

Ausflüge in mittlere Jahre
Erkenntnisse aus der Lektüre einiger US-Marvels aus dem Jahr 1980

geschrieben 2008

Nur der Williams Verlag hat in der langen Geschichte von Marvel-Veröffentlichungen in Deutschland, die 1966 mit den HIT-Comics des Bildschriften Verlags beginnt, Superheldenserien streng chronologisch ab der Origin-Ausgabe veröffentlicht. Nur Sonderausgaben wie die Annuals wurden in der Regel ausgelassen. In dieser Veröffentlichungsweise wird zurecht einer der besonderen Vorzüge des Verlags gesehen, wenn auch Jüngere, die Marvel erst durch neuere Ausgaben kennen gelernt haben, inzwischen darin einen Nachteil sehen – sie finden die alten Marvel-Hefte „schlecht gezeichnet“, was meiner Ansicht nach höchstens teilweise zutrifft.

Folge der speziellen Veröffentlichungsweise von Williams war, daß der Soap-Opera-Charakter der Serien richtig zur Geltung kommen konnte: Man erlebte alle Verwicklungen und Schicksalsschläge im Leben der Helden chronologisch mit. Mit der Einstellung der „Spinne“ 1979 war dieser Effekt ein für allemal perdu. Condor setzte zwar nach wenigen Monaten die „Spinne“ als Heftserie fort, aber nicht nur wurden dabei 14 Ausgaben ausgelassen, der Verlag unterbrach die Stammserie „The Amazing Spider-Man“ auch immer wieder durch recht willkürliche Einblendungen aus der Reihe „Marvel Team-up“ und anderen Serien, so daß es schwierig wurde, die Soap Opera weiter zu verfolgen.

Wie wichtig es war, neben den Superhelden-typischen Konflikten auch die Geschehnisse im Privatleben der Helden und ihres Umfelds zu beachten, wurde mir zum ersten Mal im Frühjahr 1980 vor Augen geführt. Damals unternahm ein Onkel von mir als Tourist eine längere USA-Reise. Ich nutzte die Gelegenheit, ihn zu bitten, mir einige US-Marvels mitzubringen. Auf redaktionellen Williams-Seiten hatte ich erfahren, daß es dort erheblich mehr Serien gab, als in Deutschland veröffentlicht wurden. Ich schrieb ihm einen langen Wunschzettel, auf dem ich auch Serien wie „The Eternals“ oder „Howard the Duck“ vermerkte. Zudem wies ich ihn darauf hin, daß es in USA quasi an jeder Ecke eigene, große Comicläden gebe, wo er mir die Hefte besorgen könne. Ich selbst bin allerdings bis heute nie in den Staaten gewesen.

Mein Onkel brachte mir von seiner Reise tatsächlich einen größeren Stapel US-Marvels mit. Wie er sagte, hatte er freilich eine Weile gebraucht, bis er auf einen Comicladen stieß. Dann fand er schließlich einen, der offenbar so groß war, daß er völlig hilflos vor den langen Regalreihen stand und sich von einem Verkäufer helfen lassen mußte. Auf diese Weise kam ich zu etlichen US-Heften der Veröffentlichungsmonate Mai und Juni 1980. Die letzte Williams-Serie, „Die Spinne“, hatte allerdings mit Material aus dem Jahr 1974 geendet, die anderen Serien wie „Fantastische Vier“, „Rächer“, „Hulk“ oder „Der Eiserne“ noch wesentlich früher. Die Superhelden-Soaps hatten sich in der Zwischenzeit weiter entwickelt. Dieses Problem wurde mir dann beim Lesen bewußt.

Ich will hier einen Rückblick auf ein paar US-Comics werfen, die für mich eine interessante Erfahrung in Bezug auf die Marvel-Phase des Williams Verlags bedeuteten. Kurz gehe ich auf die Ausgaben ein, die in Deutschland nicht veröffentlicht wurden und von denen ich mitunter überhaupt nichts gehört hatte, nämlich „Captain America“ # 245, „The Micronauts“ # 18, „Star Trek“ # 3, „Marvel Premiere featuring Caleb Hammer“ # 54 und „Howard the Duck Magazine“ # 5. Dann gehe ich ausführlicher auf die für die das Thema des Aufsatzes wichtigen Serien „The Amazing Spider-Man“ # 209, „Fantastic Four“ # 218, „Thor“ # 295, „Iron Man“ # 134 und „Doctor Strange“ # 41 ein. Den Artikel widme ich dem Andenken an meinen Onkel Hans, der am 27. Oktober 2008 im Alter von 96 Jahren gestorben ist.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.09.2009, 08:20   #64  
Peter L. Opmann
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In Deutschland bis dato unveröffentlichte Serien

1980 bin ich 15 Jahre alt geworden. In meiner Familie ist meine Comicbegeisterung – mit der ich relativ allein dastehe – immer mit etwas Skepsis beäugt, aber toleriert worden. Ich bin sicher, daß mein Onkel in USA keine Marvels selbst für mich ausgesucht hat, sondern dem Händler meine Wunschliste reichte und dann wahrscheinlich sagte: „Legen Sie für soundso viel Dollar noch ein paar Hefte drauf.“ So bin ich in den Besitz von „Caleb Hammer“ gekommen, eine „Marvel Premiere“-Ausgabe, die ein Oneshot geblieben ist. Nur in der vierbändigen Miniserie „Blaze of Glory“ (2000) taucht die Titelfigur, ein Pinkerton-Detektiv, noch einmal neben anderen Marvel-Westernhelden auf. Der vorliegende Band ist von dem bereits 1982 verstorbenen Gene Day (damals mir noch nicht bekannt) recht ambitioniert, aber nicht wirklich spektakulär gezeichnet. Die Story von Peter Gillis ist Western-Standardkost, freilich härter als Marvel-Western wie „Rawhide Kid“ oder „Two-Gun Kid“.

Die „Micronauts“ brachten es immerhin auf etwa 60 Ausgaben. Die Serie folgt einer Sammlung von Action-Figuren, die zunächst in Japan und dann in USA erfolgreich vermarktet wurden. Es geht um eine an ein Superheldenteam erinnernde Raumschiffbesatzung, deren Mitglieder jeweils knapp zehn Zentimeter groß sind. Das Heft dürfte meine erste ausführliche Begegnung mit Howard Chaykin gewesen sein, der die Layouts für Zeichner und Inker Al Milgrom machte. Die Panelaufteilung ist nicht allzu ungewöhnlich, wirkte damals auf mich aber sehr futuristisch.

„Star Trek“ ist die Adaption des ersten Kinofilms von Regisseur Robert Wise, die mit diesem dritten Band abgeschlossen wurde. Danach spann Marvel die Story selbst weiter. Zeichner war der kürzlich verstorbene Dave Cockrum (bekannt vor allem für seine „X-Men“-Arbeit), Inker Klaus Janson. Letzterer macht aus dem Band ein für Marvel-Verhältnisse überdurchschnittliches Comicheft.

Kein Unbekannter war für mich natürlich Captain America. Allerdings kannte ich ihn nur als Rächer-Mitglied und –Anführer, nicht dagegen seine eigene Heftserie, auf die ich sehr gespannt war. Die vorliegende Ausgabe war ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich wußte, daß Cap mit Vorliebe gegen Nazi-Bösewichter kämpft, und das tut er auch hier. Aber es handelt sich nicht um einen Superschurken wie Red Skull. Autor Roger McKenzie versucht stattdessen, sich der Historie anzunähern, und konstruiert eine Begegnung einer ehemaligen jüdischen KZ-Gefangenen mit einem Lagerarzt. Zudem tritt ein Nazi-Jäger auf. Selbst Cap wird für volle sechs Seiten aus der Story ausgeblendet, während Erinnerungen ans KZ wach werden und das Wiedertreffen von Täter und Opfer sich anbahnt. Am Ende verhallt die Mahnung des Superpatrioten ungehört, daß Selbstjustiz nicht rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht. Aber der selbst tödlich verwundete Nazijäger ist schneller als die jüdische Frau, während der KZ-Arzt mit den Worten „Forgive me please…“ in die Brust getroffen niedersinkt. Keine typische Superhelden-Story, aber den Klischees entkommt sie dadurch nicht. Unbekannt war für mich auch Zeichner Carmine Infantino, einst Silver Age-Pionier bei DC. Irgendwie entsprachen seine Manierismen nicht dem, was ich bei Marvel gewohnt war, und obwohl ich sonst Zeichner mit einem klar wiedererkennbaren Stil schätze, hatte ich mit ihm Schwierigkeiten.

Der ungewöhnlichste Comicband, den mir mein Onkel mitgebracht hatte, war das „Howard the Duck“-Magazin # 5. Damals erschienen mehrere Serien in diesem Schwarz-weiß-Format, darunter „The Savage Sword of Conan“ und „Hulk“.

(Auf diesen Band bin ich oben bereits eingegangen.)
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Alt 21.09.2009, 08:21   #65  
Martin
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
wenn auch Jüngere, die Marvel erst durch neuere Ausgaben kennen gelernt haben, inzwischen darin einen Nachteil sehen – sie finden die alten Marvel-Hefte „schlecht gezeichnet“, was meiner Ansicht nach höchstens teilweise zutrifft.
was wohl auch mit daran liegen könnte, das man es heute anders sieht als vor 40 jahren was gut und was schlecht ist. wer weiß wie die leser in 50 jahren über die zeichnungen von heute urteilen
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Alt 21.09.2009, 08:22   #66  
Peter L. Opmann
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Nun zum Kern der Sache. Durch einige der Hefte, die mir mein Onkel mitgebracht hatte, bekam ich auch Einblick in Serien, die ich aus der Williams-Zeit kannte. Obwohl ich die jeweils aktuellen Ausgaben in der Hand hielt, war es für mich ein Sprung in die Zukunft, eine Begegnung mit Serienverhältnissen, die sich seit meinem letzten Besuch jeweils um mehrere Jahre weiterentwickelt hatten. Mir war das bewußt. Wie ich auf die Veränderungen reagieren würde, konnte ich vorher natürlich nicht wissen.

Doctor Strange. Master of the Mystic Arts # 41

Doctor Strange hat eine eigentümliche Publikationsgeschichte. Erfunden wurde die Serie 1963 von Stan Lee und Steve Ditko und lief zunächst unter dem Titel „Strange Tales“ bis 1968. Nach einigen Versuchen, sie nach schwachen Verkaufszahlen neu zu positionieren, wurde die vorliegende Serie kreiert, die von 1974 bis 1987 erschien, allerdings wohl stets nur zweimonatlich. Diese Serie lieferte die Erststory des Williams-„Doktor Strange“, der es bekanntlich nur auf zwölf Ausgaben brachte, die Zweitstory wurde jeweils den „Strange Tales“ entnommen.

Wegen der Veröffentlichungsweise und der Tatsache, daß die Hauptserie auch in USA erst 1974/75 erschienen war, war der Sprung in die Zukunft in diesem Fall nicht sehr groß. Etwa 20 Hefte waren seit dem Williams-Ende erschienen. Bei Doctor Strange ist allerdings der Soap-Charakter wenig ausgeprägt – trotz wiederholter Crossovers lebt Doctor Strange auch quasi in seiner eigenen Marvel-Welt. Außerdem hatte ich Williams in der Expansionsphase gar nicht gelesen und den Zauberdoktor erst durch die Superbände teilweise kennengelernt. In diesem Heft war also für mich wenig vom Zeitsprung zu bemerken.

Außerdem ist es auch eine sehr Einsteiger-freundliche Ausgabe. Kurz nach dem dramatischen Beginn, bei dem der Magier mit dem Tod konfrontiert ist, folgt ein etwa zweiseitiger Rückblick auf die Geschehnisse der vorangegangenen drei Ausgaben. Man ist also gleich gut orientiert. Der Rest der Story ist ein Zweikampf mit einem der ältesten von Stranges Gegnern, Baron Mordo, der die „Chaos-Tore“ öffnen und dann für immer über die vom Chaos heimgesuchte Erde herrschen will. Doctor Strange hält ihn davon teils mit bloßer Muskelkraft ab. Die recht simple Geschichte von Chris Claremont wird von Gene Colan in gewohnter Qualität ins Bild gesetzt. Da aus den Chaos-Toren eine seltsame Hand herausgestreckt wird, die angekettete Menschen in Skelette verwandelt, und das unheimliche Man-Thing mitwirkt, erinnert die Optik mehr an Horrorcomics (etwa Colans „Dracula“) als bei Doctor Strange sonst üblich.
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Alt 21.09.2009, 08:32   #67  
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was wohl auch mit daran liegen könnte, das man es heute anders sieht als vor 40 jahren was gut und was schlecht ist. wer weiß wie die leser in 50 jahren über die zeichnungen von heute urteilen
Als ich das zum ersten Mal hörte, war ich wirklich verblüfft. Ich selbst muß aber zugeben, daß ich meinerseits zum Beispiel die Sachen von Hansrudi Wäscher schlecht gezeichnet finde (sorry, damit will ich den Altmeister nicht verunglimpfen). Der Fan hat einen verzerrten Blick.

Andererseits muß ich aber sagen: Vielleicht sind die frühen Spider-Man-Ausgaben von Steve Ditko ungelenk gezeichnet, strotzen von anatomischen Fehlern und ähnlichem und lassen an allen Ecken und Enden erkennen, daß Ditko unter enormem Zeitdruck und dabei schlecht bezahlt arbeitete. Aber müßte die Grafik daher nicht eigentlich viel schlechter sein? Ditko hat den "Look" der Serie innerhalb weniger Ausgaben zum Großteil bis heute gültig festgelegt. Das ist eine Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann. Und Gleiches gilt auch für Jack Kirby, Don Heck, Werner Roth und viele andere Zeichner am Beginn von Marvels Silver Age.
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Alt 21.09.2009, 16:44   #68  
FrankDrake
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was wohl auch mit daran liegen könnte, das man es heute anders sieht als vor 40 jahren was gut und was schlecht ist. wer weiß wie die leser in 50 jahren über die zeichnungen von heute urteilen
In 50 Jahren? Ich kann Macfarlane oder Jones schon heute beurteilen und muß mich jedes mal schütteln.
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Alt 21.09.2009, 17:15   #69  
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In 50 Jahren? Ich kann Macfarlane oder Jones schon heute beurteilen und muß mich jedes mal schütteln.


Vielleicht bin ich mit meinen Urteilen doch zu rücksichtsvoll und vorsichtig...
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Alt 21.09.2009, 18:37   #70  
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The Mighty Thor # 295

Thor debütierte in # 83 des Magazins „Journey into Mystery“. Ab # 126 wurde das Heft in „The Mighty Thor“ umbenannt. Bei Williams erschien er nach 33 Thor-Ausgaben noch bis # 150 als Zweitstory in „Die Spinne“. Hier sind wir fast 150 Ausgaben weiter. Trotzdem fiel mir auch in diesem Fall der Einstieg nicht allzu schwer, abgesehen davon, daß ich den Zeichner Keith Pollard nicht kannte. Pollard ist wohl der erste Künstler der zweiten Generation bei Marvel, den ich wahrgenommen habe. Er zeichnet in einem wenig eigenständigen Stil, sondern ahmt im Wesentlichen John Buscema, ein bißchen auch Jack Kirby nach, die ja beide auch langjährige und wichtige Thor-Zeichner waren. Der epigonenhafte Stil Pollards begegnet uns unten auch noch bei Spider-Man. Damals war ich von diesem Zeichner ziemlich enttäuscht, heute kann ich seine Detailfreudigkeit und Sorgfalt (sicher auch maßgeblich unterstützt von dem Inker-Veteranen Chic Stone) eher schätzen.

Die Frage, ob die Thor-Welt nach so vielen Heften noch verständlich ist, stellt sich überraschenderweise gar nicht. Im Grunde befinden wir uns hier nicht in der Marvel-Thor-Welt, sondern in der Siegfriedsage, wahlweise auch in Richard Wagners Ring-Tetralogie, obwohl zumindest bei Wagner nicht Thor/Donner, sondern Odin/Wotan im Mittelpunkt steht. Die Riesen Fafner und Fasolt haben dem Göttervater die Burg Walhall gebaut und erhalten dafür als Lohn den Ring. Daß Thor, bei Williams gern „Goldlöckchen“ genannt, der Held dieses Hefts ist, merkt man vor allem daran, daß er vorher ausgiebig mit den Riesen raufen darf. Damals inszenierte gerade Patrice Chereau in Bayreuth einen umstrittenen sozialkritischen „Ring“, was ich via TV mitbekam. Die „Thor“-Ausgabe hatte für mich damit etwas von den „Illustrierten Klassikern“. Die US-Leser haben beim „Ring of Power“ möglicherweise eher an „Star Wars“ gedacht…
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Alt 21.09.2009, 18:38   #71  
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Fantastic Four # 218

Noch ein Epigone. Im Gegensatz zu Keith Pollard imitiert FF-Zeichner John Byrne allerdings keine Bilder aus klassischen Marvels. Er amalgamiert das Schaffen vieler Vertreter früherer Perioden zu einem gleichsam allgemeingültigen Marvel-Stil. Mir kam diese Optik damals trotzdem ziemlich fremd vor, weil für mich die FF/FV extrem vom prägnanten Stil Jack Kirbys geprägt waren. Dem hatten sich in den späten Williams-Ausgaben auch John Buscema und John Romita ziemlich angepaßt. Bei Byrnes Artwork kommt Kirby dagegen nicht mehr so recht zum Tragen.

Auch inhaltlich irritierte mich so manches: Da gab es also offenbar eine Serie namens „Peter Parker, the Spectacular Spider-Man“, denn aus der wurde die vorliegende Episode fortgesetzt. Parker hatte dort ein Date mit einem Mädchen namens Debra Whitman – bei Williams hatte er nach dem Tod von Gwen Stacy gerade erst begonnen, die Fühler nach Mary Jane Watson auszustrecken. Die Frightful Four, die ich sehr wohl kannte, haben offenbar die Zusammenarbeit mit Medusa – zwischenzeitlich durch ihre Schwester Crystal den FF verbunden – beendet und stattdessen Electro in ihren Reihen aufgenommen. Bei den FF selbst sind in dieser Ausgabe keine Veränderungen festzustellen, obwohl es sie gegeben hat. Bei Williams endete die Serie übrigens mit „Die Fantastischen Vier“ # 124 (das ist FF # 127), also etwa 90 Ausgaben oder mehr als sieben Jahre früher.

Ein großer Serien-Check-up durch Byrne stand allerdings Mitte 1980 noch bevor. Die Storyline dieses Hefts ist geradezu klassisch: Die Frightful Four versuchen immer, das FF-Hauptquartier, das Baxter Building, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Und sie gehen immer nach einem Plan des Quartett-Anführers, des Wizard (bei Williams: „Zauberer“), so vor, daß sie die FF einen nach dem anderen überrumpeln und gefangen nehmen. Bis am Ende, kurz bevor sie am Ziel sind, einer der FF sich befreien kann und die Niederlage abwendet. Genau das passiert auch hier. Die Variation des Themas in dieser Story von Bill Mantlo besteht darin, daß die Frightful Four zuerst Spider-Man in ihre Gewalt bringen und der Trapster (bei Williams „Kleisterpeter“) in einem Spider-Man-Kostüm – also in der Maske des Freundes – den Angriff auf die FF startet. Leider habe ich keine genaue Erinnerung daran, welchen Eindruck ich beim ersten Lesen 1980 von diesem Abenteuer gewonnen habe – es scheint jedenfalls kein besonders tiefer gewesen zu sein, auch nicht von John Byrne.
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Alt 21.09.2009, 18:39   #72  
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The Invincible Iron Man # 134

Nach ihrem Start in „Tales of Suspense“ # 39 (1963) mußte sich die Serie das Heft lange mit Captain America, dann kurz mit dem Sub-Mariner teilen, bevor Iron Man 1968 sein eigenes Heft erhielt. Obwohl die Serie „Der Eiserne“ bei Williams nach zwölf eigenen Ausgaben noch eine ganze Weile als Zweitstory bei den „Rächern“ weiterlief, war bereits bei „Tales of Suspense“ # 86 Schluß, 13 Ausgaben vor dem Ende dieser Reihe. Ich hatte etwa 13 Jahre „Iron Man“ verpaßt, als ich das vorliegende Heft aufschlug.

Diese Serie hatte mit der, die ich von Williams her kannte, nur noch recht wenig zu tun, wenn auch der Anfang durchaus vertraut wirkte: Iron Man testet bei Stark Industries seine Rüstung, taucht aus einem Flammenmeer auf oder läßt sich mit tödlichen Strahlen und Schallwellen beschießen. Etwas derartiges hatte ich schon einige Male gesehen, allerdings eher bei den Rächern als in der Originalserie. Ganz anders als in meinem Gedächtnis wirkte aber allein Tony Starks Rüstungskonzern. Zu Don-Heck-Zeiten, als der Firmenchef im Wesentlichen mit seiner Sekretärin Pepper Potts und seinem Fahrer Happy Hogan zusammenarbeitete (die hier beide überhaupt nicht auftauchen), machte der Betrieb eher den Eindruck eines aufstrebenden kleinen Familienunternehmens. Jetzt sieht man repräsentativen Luxus in Starks privaten Räumlichkeiten, und eine Haushälterin namens Mrs. Abrogast fungiert offenbar zugleich als seine Assistentin, als sie ihn an anstehende Termine erinnert.

Tony Stark als Playboy: Das wurde in der Frühzeit schon angedeutet, nein, besser: behauptet. Pepper mußte sich um ihren angehimmelten Chef nicht wirklich Sorgen machen. Nun aber telefoniert er mit einer Frau namens Beth, die mir bis dato völlig unbekannt war. Im Club, den er mit ihr aufsucht, wird er von einer reichen Firmenerbin offensiv angeflirtet, während er selbst einem Mädchen namens Ling, die offenbar mit Beth zusammen wohnt, reichlich zweideutige Komplimente macht. Überhaupt nehmen diese Einblicke in Tony Starks Privatleben auffällig viel Raum ein.

Was mich aber am meisten überraschte, waren einige Hinweise, daß Stark anscheinend eine schwere Alkoholkrankheit hinter sich hat. Was da vorgefallen ist, wird nicht näher ausgeführt. Mich schockierte nicht so sehr, daß sich da ein strahlender Marvelheld als trockener Alkoholiker entpuppte. Dafür war mir Stark in der Williams-Zeit doch zu wenig ans Herz gewachsen. Aber ich fühlte mich als Outsider, da ich nicht wußte, was er durchgemacht hatte und welche Auswirkungen diese Ereignisse auf seine gegenwärtige Situation hatten. Am Ende wird die Episode wieder etwas vertrauter. Der Titanium Man, der bereits in den Rächer-Zweitstories des Eisernen aufgetaucht war, fordert Iron Man erneut zum Kampf und steht dabei am Ende ein wenig wie King Kong auf einem Hochhaus-Sims.

Iron Man war 1978 unter Autor David Michelinie und Zeichner Bob Layton einer weitreichenden Serienreform unterzogen worden (die Pencils steuerte hier Jerry Bingham bei, der dazu neigt, seinen Figuren entschieden zu kleine Köpfe zu geben). Mit deren Auswirkungen war ich hier konfrontiert. Es ist der Leserbriefseite („Printed Circuits“) deutlich abzulesen: Sie beschäftigt sich mit der Schlüsselepisode zu Starks Alkoholproblem, „Demon in a Bottle“, # 128). Es war nicht Marvels erste Begegnung mit dem Thema Sucht, das war bekanntlich Harry Osbornes Drogenproblem, worauf Peter Parker unter Verzicht auf sein Spider-Man-Kostüm dessen Dealer auf offener Straße verprügelt. Aber auch hier hat die Selbstzerstörung eines Menschen (möglicherweise der erste Marvel-Titelheld) die Leser heftig bewegt: „I truly thought it was the most touching and realistic story I’ve seen in a long time“, schrieb einer, und eine Leserin (!) meinte: „Iron Man # 128 was so good it hurt, it hurt because I don’t like to see my hero’s failings. It hurts to see people I like hurting themselves like that.“ Mir blieb freilich ein solches Leseerlebnis versagt. Das wäre nur möglich gewesen, wenn ich “Iron Man” längere Zeit kontinuierlich gelesen hätte.
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Alt 21.09.2009, 18:41   #73  
Peter L. Opmann
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The Amazing Spider-Man # 204

Diese Serie ist auf lange Sicht zweifellos die wichtigste bei Marvel, und sie war es auch für mich. Hier machte ich aber eine ähnliche Erfahrung wie bei Iron Man. Viel hatte sich verändert seit der letzten Williams-Ausgabe, „Die Spinne“ # 137 (das ist „Amazing Spider-Man“ # 136), obwohl sie nur etwa sechs Jahre zurücklag. Ich hatte „Die Spinne“ bei Condor weitergelesen, wo die vorliegende Ausgabe dann als # 49 erschien, aber dort gab es keine chronologische und lückenlose Veröffentlichung der Serie mehr. Außerdem war da noch das Problem des „fehlenden Jahrs“. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Die Kabbeleien der Spinne mit der Schwarzen Katze lassen sich auch ohne Vorkenntnisse ganz gut lesen. Aber inzwischen ist diese Episode ja nicht mehr neu, sondern nahe an die klassische Phase herangerückt, die man vielleicht mit dem Tod von Gwen Stacy abschließen könnte.

Damals, 1980, sah ich das ganz anders. Ich las von etlichen merkwürdigen Veränderungen, meist ohne ihren Grund oder Hergang zu erfahren: J. Jonah Jameson ist nicht mehr beim Daily Bugle, findet sich stattdessen verletzt in der Gosse wieder und hat sein Gedächtnis verloren, und der neue Chefredakteur Robbie Robertson scheint eine krankhafte Persönlichkeitsveränderung durchzumachen. Ich habe darauf verzichtet, bei Condor nachzuschauen, was dahintersteckt. Peter Parker wird von einer Studentin namens Dawn Starr angebaggert, wodurch ich erfuhr, daß er inzwischen als Dozent an der Uni arbeitet. Außerdem ist er offenbar als Fotograf zur Konkurrenz des Daily Globe gewechselt, wo er mit einer Kollegin namens April Probleme hat. Spider-Mans Verhältnis zur Schwarzen Katze wird in einer raffinierten erotischen Schwebe gehalten. Allerdings erfährt man nicht, in welchen Verhältnissen Peter Parker zu dieser Zeit beziehungsmäßig überhaupt lebt.

Das alles wollte ich damals gern durchschauen, aber konnte es nicht. Dafür hätte ich zumindest „Amazing Spider-Man“ # 137 bis 203 lesen müssen, womöglich auch die neuen Serien „Peter Parker“ oder „Marvel Team-up“. „Web of Spider-Man“ war 1980 anscheinend noch nicht gestartet. Mir wurde klar, daß man nicht einfach ein beliebiges Marvelheft zur Hand nehmen und sich unterhalten lassen konnte. Eine Ahnung dieses Problems konnte ich bereits zu Williams-Zeiten haben, wenn dort ein Crossover nicht funktionierte, weil eine Serie auf Deutsch nicht vorlag oder zeitversetzt erschien. Man muß zumindest ein Stückweit über der Marvelwelt stehen, dann kann man darauf verzichten, jede Feinheit im Privatleben der Protagonisten und jede Anspielung auf den Werdegang eines Helden zu verstehen. Das wollte ich aber nicht akzeptieren, da das Verfolgen dieser Feinheiten einen Gutteil des Lesevergnügens ausmacht. Ich mußte einsehen, daß ich in bekannte Serien nach einer gewissen Pause nicht ohne weiteres wieder einsteigen konnte.

„Spider-Man“ wurde inzwischen übrigens von Marv Wolfman geschrieben. Zeichner Keith Pollard hatte ich oben („Thor“) schon erwähnt. Ich mochte ihn auch hier nicht besonders. In meinen Augen völlig unnötig kopiert er immer wieder klassische Heldenposen von Steve Ditko, aber auch von Gil Kane. Auf der drittletzten Seite übernimmt Pollard ziemlich ungeniert die berühmte Szene aus „Amazing Spider-Man“ # 32, in der der Held unter tonnenschwerem Maschinenschrott begraben wird. Heute sehe ich das eher als bewußtes Zitat, einen Insidergag für Stammleser. Damals dachte ich, Pollard meine wohl, an die Vorlage erinnere sich sowieso niemand mehr, so daß er sich bedienen konnte. Jedenfalls hätte sicher schon damals ein Grafiker der Serie gutgetan, der ihr einen völlig neuen Look verpassen konnte, jemand wie etwa Bill Sienciewicz oder Frank Miller. Aber solche Leute konnte auch Marvel natürlich nicht aus dem Ärmel schütteln.
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Alt 21.09.2009, 18:42   #74  
Peter L. Opmann
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Resümee

Es hatte natürlich trotzdem seinen besonderen Reiz, Marvels einmal im Original vor sich zu haben. Erfreulicherweise konnte ich mit 15 Jahren schon so viel Englisch, daß ich beim Lesen einigermaßen mitkam. Es waren nicht die ersten US-Comics, die ich in die Hand bekam. Am Bahnhofskiosk meiner Heimatstadt waren sie zwar nicht vertreten, aber ich hatte kurz zuvor bereits einem G.I. (wie ich annehme) auf dem Flohmarkt einen dicken Stapel Hefte zu einem sehr günstigen Preis abgekauft. Das waren aber hauptsächlich Western- oder Kriegscomics gewesen, Produkte anderer Verlage wie DC oder Charlton oder Ausgaben exotischer Reihen wie „Deathlok the Demolisher“ (spannende Serie, damals von Rich Buckler gezeichnet). Die Mitbringsel meines Onkels waren für mich die erste richtige Begegnung mit Originalen der Serien, die ich kannte oder von denen ich gehört hatte und die mich interessierten.

Marvel-Comics des Jahres 1980 gehören sicher nicht mehr zum Silver Age, auch wenn die Dauer dieser Periode strittig ist. Manche verorten den Übergang bei der Preiserhöhung für Comic Books von 12 auf 15 Cent (1969), manche bei der Übernahme der DC-Serie, an der der Beginn des Silver Age festgemacht wird, „Green Lantern“, durch Denny O’Neil und Neal Adams oder dem Start der Serie „Conan“, der ersten bedeutenden Nicht-Superhelden-Serie seit den 60er Jahren (beides 1970). 1980 ist aber aus heutiger Sicht nahe am Silver Age dran. Es war, wie bereits festgestellt, eine epigonale Phase, aber der Verlag war noch nicht durch sinkende Verkaufszahlen zu radikalen Serienreformen gezwungen, die alte Fans häufig nicht mehr mitzumachen bereit sind. Ich lese heute die besprochenen US-Marvels fast so gern wie die aus meiner Williams-Sammlung – aus Nostalgie, aber auch, weil es sich für mich um insgesamt gut gemachte Unterhaltungsware handelt.
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Alt 21.09.2009, 18:47   #75  
Peter L. Opmann
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So, das war's erstmal. Vielleicht schreibe ich demnächst nochmal was. Eine Folge von Besprechungen von alten, schon fast vergessenen Comics plane ich jedenfalls für www.titel-magazin.de. Da findet man bereits einige Comic-Rezensionen von mir.
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