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Alt 16.03.2022, 19:15   #1  
God_W.
Captain Rezi
 
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Standard Jim Cutlass (Splitter Geburtstagsband) Charlier / Giraud / Rossi

Jim Cutlass (Splitter-Geburtstagsedition)



Mein erster Giraud (Gir / Moebius) soll ein Western sein und nein, Blueberry ist es ausnahmsweise mal nicht. Bevor ich mich an das vermeintliche Highlight unter den Western der Neunten Kunst wage, möchte ich mir zuerst einmal ein paar andere Werke des Ausnahmekünstlers/Schreiberlings anschauen. Jim Cutlass ist mir da vor allem auch wegen der etwas wilden Produktions- und Veröffentlichungsgeschichte aufgefallen. Also wenn ich das richtig mitbekommen habe wurden die ersten paar Seiten des ersten Albums in der Zeitschrift Pilote veröffentlicht. Einige Zeit später, so 2-3 Jahre, haben sich Autor Jean-Michel Charlier und Zeichner Jean Giraud zusammengesetzt und diese 17 Seiten zu einem kompletten Album erweitert. Dann dauerte es erneut über zehn Jahre, bis sich an der Reihe wieder etwas tat. Zeichner war von da an Christian Rossi, der mit Charlier zusammenarbeitete. Tragischerweise verstarb Charlier während der Arbeiten an diesem zweiten Album, bis dahin waren lediglich 36 Seiten vollendet. Jetzt kam spannenderweise Giraud zurück zu der Reihe, diesmal jedoch als Autor statt Zeichner, Letzteres übernahm von da an weiterhin Rossi. Was da schließlich draus geworden ist, immerhin umfasst die Reihe ganze sieben Alben, die bis 1999 erschienen sind, darauf war ich schon ungemein gespannt.

„Mississippi River“ heißt das erste Album und auf dem Mississippi starten wir auch, wo uns Jim Cutlass in ikonischer Weise wie einst James Bond beim Kartenspiel vorgestellt wird, nur spielte der Geheimagent dereinst Baccara, auf dem Schaufelraddampfer wird selbstredend gepokert. Cutlass, seines Zeichens Kämpfer für den Norden gewesen, will jetzt, kurz nach Kriegsende zurück in den Süden, wo ihn eine Erbschaft erwartet, um sich dort auf einer Baumwollfarm niederzulassen. Tja, blaue Uniformen sind im Süden nicht so gerne gesehen, doch nicht nur deshalb schafft es unser Held wider Willen sich in Rekordgeschwindigkeit in alle möglichen Schwierigkeiten zu bringen. Schlägereien am Spieltisch, Fluchthilfe für einen verurteilten Schwarzen, Mord am Ehemann seiner Cousine, allerlei Schandtaten werden ihm angelastet, so dass er selbst mit dem Strick rechnen muss. Also was tun?

Absolut hervorragender erster Band, in dem nicht nur sehr viel passiert, sondern in dem auch die Charakterzeichnung all der einbezogenen Personen richtig Tiefe vermittelt. Starke Parallelen zu Margaret Mitchells Meisterwerk „Vom Wind verweht“ sind nicht von der Hand zu weisen, was für mich aber ein absoluter Pluspunkt war, durfte ich diesen Klassiker doch erst vergangenes Jahr für mich entdecken und war absolut begeistert.

Über die weiteren Alben will ich mich nicht ganz so ausführlich auslassen, denn das würde jeweils die Vorangegangenen ggf. stark spoilern. Aber in Kurzform, so ein paar Worte verlieren, das geht schon. Jim Cutlass hatte sich im ersten Album gen Norden verzogen, ist mittlerweile aber wieder bei seiner alten Einheit eingegliedert, und in dieser Funktion wieder gen Süden geritten, um in den besiegten Staaten die Einhaltung der neuen Gesetze zu sichern. In seinem ersten großen Auftrag muss sich der Sergeant mit dem Ku-Klux-Klan anlegen, aber er muss sich auch um seine ungeliebte Cousine Kümmern, denn der will „Der Mann aus New Orleans“ ihre Baumwollfarm abspenstig machen, auf deren Besitz ja auch unser Held 50% Anspruch erhebt. Ein verzwicktes Abenteuer mit einer fulminanten Belagerungs- und Actionsequenz im letzten Drittel. Klar, Rossi zeichnet anders als Giraud, aber die Bilder sehen super aus und erzählerisch ist das Niveau noch immer sehr hoch, wenn auch nicht ganz so stark wie bei Band eins. Bin gespannt, wie es weiter geht.

Wenn Du irgendwo in den Sümpfen Louisianas, umgeben von einer Horde Alligatoren, auf dem Wrack eines alten Raddampfers rumkraxelst als sich plötzlich ein riesenhafter, weißer Albino-Alligator aus der trüben Brühe erhebt und droht Dich zu verschlingen, denn natürlich bist Du unbewaffnet, dann sieht das in den vor Atmosphäre triefenden Bildern von Christian Rossi einfach unglaublich gut aus! Vor allem aber muss da zuvor etwas unglaublich schiefgelaufen sein, sonst würde Jim Cutlass nicht schon wieder in so einer Misere stecken. Was es jedoch wirklich mit dem „Weissen Alligator“ auf sich hat, und dass der Begriff durchaus doppeldeutig interpretiert werden kann, das wird Cutlass erst am Ende des nächsten Albums „Donnergrollen“ herausfinden. Zuvor steht aber noch eine äußerst dramatische Beerdigung auf dem Programm – und jede Menge hervorragende Zeichnungen.

Jim Cutlass ist ein Meister darin sich „Bis zum Hals!“ in die Scheiße zu reiten. So auch, als er versucht seinen Vorgesetzten Colonel Barker, einen der wenigen vertrauenswürdigen Männer die ihm verbleiben sind, über die erschreckenden Machenschaften zu informieren, die unter der Oberfläche brodeln und allzu Rasant Form annehmen. Die furchtbaren Pläne des Klans, welche die Weißkapuzen in den Sumpf entsenden, wo sich die Gegenseite an einem ganz besonderen Ort zur Verteidigung und zum Gegenangriff versammelt hat, einem Angriff gänzlich unerwarteter Art.

Die Südstaaten, Louisiana, New Orleans, das Bayou, der atmosphärische Sumpf, die Cajun-Küche… hach, ich könnte ins Schwärmen geraten. Letztere liebe ich, da kann ich sogar selbst ein paar Dinge, bekomme im Dutch Oven zum Beispiel ein ganz brauchbares Gumbo zusammengerührt, aber so sehr mich die beschriebenen Örtlichkeiten auch schon seit Jahrzehnten faszinieren, hingekommen bin ich noch nie. Ein Ausflug nach Big Easy in die Bourbon Street wird wohl noch eine Weile auf meiner Wunschliste verweilen, doch die Stimmung, die in Filmen und Liedern über die Kultur und das Lebensgefühl in diesen Gefilden beschworen wird fasziniert mich immer wieder. So auch in den unglaublich detaillierten Zeichnungen der Sümpfe, die Rossi weiterhin meisterlich in Szene setzt. Das Idealbild, wie es in meinem Kopf Gestalt annimmt trifft er nahezu zu 100%.

Hier kommen wir jedoch auch an einen Punkt, der die Leserschaft sicherlich spalten wird, denn nicht jeder mit der Abwendung vom (mehr oder weniger) klassischen Bürgerkriegs-Western-Setting etwas anfangen können. Für mich wecken die Bilder der Sümpfe und des alten New Orleans direkt die Assoziation mit unheimlichem Voodoo-Zauber, und genau das bekommen wir jetzt geboten. Da werden Visionen in Träume projiziert, finstere Ängste heraufbeschworen, magische Gesänge angestimmt – und Zombies in den Kampf entsandt.

Ja, richtig gelesen, Autor Giraud geht mit seinen beiden Finalbänden in die Vollen. Hier werden die gängigen Western-Konventionen über Bord geworfen zugunsten von Stimmung, Atmosphäre, Spannung und maximalem Unterhaltungswert. Mit allgegenwärtiger Kritik an der Sklaverei und an den Kriegsgewinnlern (Nord und Süd bekommen also ihr Fett weg) beschert uns das Team Giraud und Rossi furchtlos perfekte Unterhaltung in irrwitzigem Tempo und frei von jeglichen Hemmungen. Ich glaube die hatten einfach mal Lust so richtig die Sau raus zu lassen, während sie uns, begleitet von „Geister, Zombies und Kanonen“ mitten hineinführen, in die „Schwarze Nacht“.

Was für ein abgefahrenes Finale, vollgepackt mit einem Füllhorn an Ideen und selbst hinten raus nochmal bevölkert von spannenden und auch irrwitzigen Nebenfiguren. Mit Hermann Stout in der Hauptrolle hätte ich mir durchaus ebenso ein paar Alben vorstellen können. Das waren auf alle Fälle die kompletten sieben Alben „Jim Cutlass“, die mich wirklich begeistern konnten. Ich hatte nicht allzu viel erwartet, denn der „große“ Giraud im Western ist ja bekanntlich Blueberry. Ich muss sagen, der alte Haudegen wird sich bei mir ganz schön anstrengen müssen, um Mr. Cutlass in Sachen Artwork und Unterhaltungswert das Wasser zu reichen. Ich meine „Vom Winde verweht mit Zombies“, das muss man erstmal toppen!

9-9,5/10

VG, God_W.
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Stichworte
chalier, giraud, jim cutlass, moebius, rossi


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