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Alt 13.01.2020, 19:55   #1  
Servalan
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  • Erich Kästner: Das fliegende Klassenzimmer. Ein Roman für Kinder (Dressler 1933)
  • Das fliegende Klassenzimmer (Bundesrepublik Deutschland 1954), Drehbuch: Erich Kästner, Regie: Kurt Hoffmann, 88 min, FSK: 0
Die erste Verfilmung des Jugendbuchklassikers, der in 30 Sprachen übersetzt wurde, in schwarzweiß stammt von Kurt Hoffmann, der auch Hauffs Das Wirtshaus im Spessart auf die Leinwand brachte. Autor Erich Kästner spielt sich in der Rahmenhandlung selbst und bürgt für Werktreue. Weitere Verfilmungen erschienen 1973 und 2003. Die Nazis verb(r)annten das Buch 1936.

Der Schul- beziehungsweise Internatsroman ist ein britischer Standard. Erich Kästners Variante spielt in einer Kleinstadt von 20.000 Einwohnern, so daß alles schön übersichtlich bleibt. Wie in der Zeit üblich, nimmt das Internat nur männliche Schüler und Lehrer. Außer der Krankenschwester Beate gibt es keine weiblichen Rollen. Lehrer sind männliche Autoritätspersonen.
Mit der Schulfehde in der Provinz gibt es Überschneidungen mit dem französischen Klassiker La guerre des boutons | Der Krieg der Knöpfe (Roman von Louis Pergaud 1912, Verfilmung 1962, Regie: Yves Robert, 91 min, FSK: 0), die beide eine ähnliche Atmosphäre schaffen.
Der Film ist gut gealtert, Erich Kästner als er selbst erzählt die Geschichte teils aus dem Off. Durch das nostalgische Schwarzweiß wirkt er wie ein historisches Dokument aus jener Zeit, den 1950er Jahren.

Die Verfilmung von 1973 muß ich vor Jahr(zehnt)en mal im Fernsehen gesehen haben, aber genaueres erinnere ich nicht. Die von 2003 habe ich nie gesehen.
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Alt 13.01.2020, 20:51   #2  
Peter L. Opmann
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Der Film von 1973 lief früher öfters im Fernsehen (also noch in den 80er Jahren). Ich habe damals aber Filme noch nicht kritisch betrachtet. Mir ist vor allem in Erinnerung geblieben, daß Joachim Fuchsberger den Klassenlehrer spielte.

Daß Erich Kästner Kinder überhaupt nicht mochte, dürfte weithin bekannt sein. Da ist also eine ähnliche Verwechslung von Person und Rolle wie bei einem Schauspieler möglich.
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Alt 15.01.2020, 01:14   #3  
Thinkerbelle
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Der Film von 1973 lief früher öfters im Fernsehen (also noch in den 80er Jahren). Ich habe damals aber Filme noch nicht kritisch betrachtet. Mir ist vor allem in Erinnerung geblieben, daß Joachim Fuchsberger den Klassenlehrer spielte.

Daß Erich Kästner Kinder überhaupt nicht mochte, dürfte weithin bekannt sein. Da ist also eine ähnliche Verwechslung von Person und Rolle wie bei einem Schauspieler möglich.
Beide Versionen - die von 1954 und die von 1973 laufen auch heute noch öfters im Fernsehen.

Dass Erich Kästner keine Kinder mochte halte ich für ein Gerrücht. Er hielt beispielsweise sehr lange Kontakt zu einem kleinen Fan, dem er auch eine Rolle in "Emil und die Detektive" verschaffte. Er brach den Kontakt dann allerdings ab, als er selbst von den Nazis immer mehr politisch verfogt wurde - aus dem Grund, dass der Junge und seine Familie da nicht mit rein gezogen werden. Der Junge wurde dann später in die Wehrmacht eingezogen und starb an der Front.
Über diese Freundschaft gibt es sogar einen Film namens "Kästner und der kleine Dienstag". Sehr sehenswert.
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Alt 30.12.2022, 17:51   #4  
Ringmeister
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@ Servalan

Hast du zufällig mal die Serie "Der Name der Rose" mit dem Spielfilm verglichen?

Buch und Spielfilm fand ich beides super, die Serie gibt's noch eine Woche bei Servus TV; bin am überlegen, ob ich die die nächsten Tage anschaue.

Wenn man weiß, wo man ist, kann man sein, wo man will... (alter Fliegerspruch)
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Alt 22.01.2023, 15:57   #5  
Servalan
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  • Umberto Eco: Il nome della rosa (Gruppo Editoriale Fabbri-Bompiani 1980) | Der Name der Rose. Roman (Hanser 1982, dtv 1986)
  • Der Name der Rose | Le Nom de la rose | Il nome della rosa | The Name of the Rose (Bundesrepublik Deutschland / Frankreich / Italien 1986), Drehbuch: Andrew Birkin, Gérard Brach, Howard Franklin und Alain Godard, Regie: Jean-Jacques Annaud, 126 min, FSK: 16
  • Der Name der Rose | Il nome della rosa | The Name of the Rose (Italien / Deutschland 2019, 11 Marzo Film, Palomar, Rai Fiction und Tele München Gruppe), Drehbuch: Giacomo Battiato, Andrea Porporati, John Turturro und Nigel Williams, Regie: Giacomo Battiato, 8 á 50 bis 54 min
Danke für den Tip! Die Serie wäre mir sonst leicht durch die Lappen gegangen.
Wie du an meinem Zögern gemerkt hast, hatte ich lange an meinem Urteil zu knabbern.

Den Roman habe ich noch während meiner Schulzeit gelesen, allerdings in der Taschenbuchausgabe von dtv. Insofern weiß ich nicht mehr, wie mich die Trailer der Eichinger-Verfilmung beeinflußt haben oder ob ich nur ein paar Berichte aus der Fernsehzeitschrift aufgeschnappt habe. Auf jeden Fall hat sich mir Ecos Spruch eingeprägt, die ersten hundert Seiten seien nur da, um sich durchzubeißen, erst danach fange der Plot richtig an.
Keine Ahnung, ob das mein erster Eco gewesen ist. Nachher im Studium war er jedenfalls eine feste Größe: Das Spektrum reichte vom UTB-Band Wie schreibt man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit bis zu seinen Werken über Semiotik. Da kamen einige Zentimeter im Regal zusammen. Die Nachschrift zum ‚Namen der Rose‘ habe ich mir natürlich auch besorgt.
Durch Jacques Martin habe ich die Antike dem Mittelalter vorgezogen, so daß ich als Laiin an das Buch herangegangen bin. Je tiefer ich in die Materie herabgestiegen bin, umso interessanter fand ich den Roman. Als Hintergrundlektüre habe ich mir später aus dem Greno-Verlag Die Geschichte der Inquisition von Henry Charles Lea besorgt, weil die gerade günstig greifbar war.
Die Aufklärung der Mordserie durch William von Baskerville empfand ich als Lotsen, der mir die Orientierung im vielschichtigen Plot erleichterte. Das Prinzip des uneigentlichen Sprechens wird ja im Roman selbst durchexerziert: Die beiden Parteien auf dem Konzil streiten auf der Oberfläche um die Armut Christi, de facto dreht es sich aber um die Frage, ob die römisch-katholische Kirche weltlichen Besitz haben darf oder nicht - also etwas Hochpolitisches. Hinzu kommt das Damoklesschwert über dem Bettelorden der Franziskaner, der unter Umständen als Häretiker und Ketzer auf der schwarzen Liste landen konnte.

Die Eichinger-Verfilmung mit Sean Connery habe ich im Kino gesehen. Von Jean-Jacques Annaud kannte ich Am Anfang war das Feuer (1981), insofern hatte ich schon eine gewisse Erwartung, die der Film in weiten Teilen eingelöst hat. Bald darauf habe ich mir das Sonderheft zum Film von psychologie heute zugelegt.
Damals war ich von der Verfilmung begeistert, besonders die Architektur des Klosters von Dante Ferretti hat mich schwer beeindruckt. Hinzu kam das Casting mit den Charakterköpfen, allen voran Ron Perlman als Salvatore und Fjodor Schaljapin als Jorge von Burgos.
Natürlich legte der Film den Schwerpunkt auf Action und Body Horror, weniger auf kirchliche Debatten. Außerdem konnte er mit einer FSK: 16-Freigabe recht drastisch werden und mußte wegen der begrenzten Laufzeit die geraffte Handlung pointiert herüberbringen.
Nach 2000 habe ich mir die DVD zugelegt und mehrmals gesehen. Sie gefällt mir immer noch, allerdings muß ich gewisse Abstriche machen. Die Hütten an der Abtei fallen doch sehr in das Klischee vom dreckigen Mittelalter, und Valentina Vargas mit ihren fettigen Haaren kommt mir sehr animalisch vor - mehr ein Klischee von einer Frau als ein Charakter.

Die achtteilige Fernsehserie hat natürlich einen epischen Atem. Da sie jederzeit aus der Mediathek abrufbar war, nehme ich an, das auch ein jüngeres Publikum angesprochen war, vielleicht ab zehn oder zwölf Jahren.
Bei den ersten Folgen dachte ich noch, die Serie verliert sich in Nebensächlichkeiten, aber das gab sich recht schnell. Sie mußte sich gegen meine visuellen Eindrücke aus der Eichinger-Verfilmung durchsetzen - was ihr gelungen ist. Hauptdarsteller John Turturro hat nicht nur am Drehbuch mitgeschrieben, sondern auch einen Produktionsposten bekleidet. Ihm scheint wohl etwas am Stoff gelegen zu sein.
Mittlerweile ist eine neue Generation herangewachsen, und 33 Jahre nach der ersten Verfilmung haben sich die Sehgewohnheiten doch deutlich geändert. Obwohl die Serie bloß durchwachsene Kritiken bekommen hat, finde ich ihre Vorzüge beachtlich. John Turturro kann mich als William von Baskerville überzeugen, hingegen bleiben Jorge von Burgos und die meisten anderen Mönche ziemlich blaß. Salvatore entspricht hingegen dem Klischee vom dumpfbackigen Psychopathen, der Frauen riecht.
Das Leben in der Abtei wird teilweise besser als bei Terra X dargestellt: Salvatores Papiermühle, in der die Lumpen zerfasert werden, zum Beispiel und der Glasmaler, der William aus einem Kristall eine neue Linse schleift und einfaßt, das waren großartige Szenen.

Die optimale Verfilmung wäre aus meiner rein subjektiven Sicht eine, die die Vorzüge des Films von 1986 und der Serie von 2019 kombiniert ...
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Alt 28.01.2023, 18:43   #6  
Servalan
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  • Jules Verne: Voyages extraordinaires Tome 12: Le Tour du monde en quatre-vingts jours (Hetzel 1873) | Reise um die Erde in 80 Tagen (erstmals Verlag der Gebrüder Légrády 1873)
  • Around the World in 80 Days | In 80 Tagen um die Welt (USA 1989, Avala Film und Harmony Gold), Drehbuch: John Gay, Regie: Buzz Kulik, 266 min in drei Teilen, FSK: 12
  • Around the World in 80 Days | In 80 Tagen um die Welt (Frankreich / Italien / Deutschland 2021, Gemeinschaftsprojekt der European Alliance durch Federation Entertainment, France Télévision, RAI Radiotelevisione Italiana, Seven West Media, Slim Film + Television und ZDF), Idee und Drehbuch: Ashley Pharoah und Caleb Ranson, Regie: Steve Barron, Brian Kelly und Charles Beeson, 8 à 47 min
In meiner Kindheit habe ich zwei Romane von Jules Verne gelesen: 20.000 Meilen unter dem Meer und In 80 Tagen um die Welt; denn das waren die einzigen, die sich in der doch recht überschaubaren Bibliothek meiner Eltern befanden. Schon damals fand ich es seltsam, daß beide den gleichen Umfang hatten, um die 200 Seiten.
Damit mein Französisch nicht einrostet, habe ich mir später die günstigen Taschenbuchausgaben von J'ai lu zugelegt, und dabei stach mir der tatsächliche Unterschied ins Auge: Das Abenteuer von Phileas Fogg und Passepartout hatte wirklich kaum mehr Seiten, während das Abenteuer um Kapitän Nemo und seine Nautilus ein barocker Schmöker war.
Obwohl der Klassiker heute zum Repertoire gehört, war die Weltreise unter Zeitdruck in den 1870ern ein Medienevent, den Verne mit seinen Mitarbeitern gewissermaßen am Reißbrett entworfen hat. Er hatte erhebliche Schwierigkeiten, aus der von Edgar Allan Poe geborgten Idee, einen Stoff zu entwickeln, der sich Roman schimpfen durfte. Nun ja, der Plot um die Wette eines skurrilen Engländers mit seinem französischen Butler bleibt dünn; und das dürfte einer Gründe sein, warum sich das Rennen um die Welt so gut für Verfilmungen eignet. Der Plot wird zu einem neutralen Hintergrund, auf den die modernen Bearbeiter ihre zeitgenössische Version projizieren können, quasi eine eingebaute Vorlage, den Stoff zu aktualisieren.

1989 habe ich mein Abi gebaut und später in einem Hiwi-Job mein erstes Geld verdient; dann kam noch der Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs dazu; genug gute Gründe also, um den Dreiteiler von 1989 bei seiner Erstausstrahlung zu versäumen. Wenn ich das mitbekommen hätte, ich hätte die Miniserie sehen wollen.
Woanders hat schon jemand von dieser Verfilmung mit Pierce Brosnan, Michael Palin und Peter Ustinov geschwärmt. Nun ja, vor kurzem bot mir Servus TV die Gelegenheit, meinen Patzer von damals auszuwetzen und sie nachzuholen.
Mit seinem All-Star-Ensemble auch in den kleinen Nebenrollen setzt er die Tradition gewisser Kinofilme aus den 1960ern fort, in denen episodisch ein Panorama ausgerollt wird, das anhand einer prägnanten Idee vielen bekannten Gesichtern eine Möglichkeit für Gastauftritte verschafft; ich denke da an Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten oder wie ich in 25 Stunden und 11 Minuten von London nach Paris flog (1965) oder Eine total, total verrückte Welt (1963), alles Spielfilme mit deutlicher Überlänge.
Die Verne-Verfilmung setzt dieses Spiel auf der anderen Seite des Castings fort, indem Prominente aus der damaligen Gegenwart Foggs und Passepartouts Reiseweg kreuzen: von Sarah Bernhardt über Jesse James bis zu Cornelius Vanderbilt. Foggs Rolle als Underdog bei der Wette, kann gewisse Ähnlichkeit mit der Chuzpe der berühmten Eisenbahnräuber nicht leugnen; wenn bei Vanderbilt sein Inkognito auffliegt und er mit Aouda von der Yacht geworfen wird, gleicht das Szenen in Die Gentlemen bitten zur Kasse, wo die Oberschicht über den Coup not amused ist.
Ich kann die Schwärmerei verstehen, denn auch mich hat diese Verfilmung köstlich amüsiert. Sie baut die Frauenrollen deutlich aus, allen voran Prinzessin Aouda, die ja erst zu Anfang des zweiten Teils auftritt; dann gibt es noch die Frau des Erfinders der "Purpurnen Wolke"; die Kaiserin von China und nicht zuletzt Sarah Bernhardt, die später sogar im Reform Club aufkreuzt.
Über die beiden letzten Teile entwickelt sich zwischen Phileas Fogg und Prinzessin Aouda eine Zuneigung, die in einer Heirat gipfelt; und in dieser Version ist es Passepartout, der über den Pfarrer erkennen muß, daß sie bei ihrer Reise einen Tag gewonnen haben.

Die neueste Verfilmung als jetzt erste Staffel einer Teil eines Verne-Universums tritt in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin von 1989: Die modernen Elemente werden auf den neuesten Stand gebracht, siehe die feministischen und anti-rassistischen Updates. Fast 150 Jahre nach dem ersten Erscheinen des Romans gewährt sich die Umsetzung größere Freiheiten: Aus dem knorrigen Privatdetektiv Wilbur Fix wird kurzerhand die Reporterin Abigail Fix, Tochter von Foggs Freund Bernard Fortescue.
In der 1989er Fassung fand ich die USA-Folge dem Reisetempo angemessen; 2021 erscheint sie mir fast zu kurz, US Marshal Bass Reeves hat mir besser gefallen als Jesse James. Ärgerlich hingegen empfand ich Episode 6 auf der einsamen Insel, weil das storytechnisch auf mich dilettantisch wirkte. Von Ashley Pharoah stammen Life on Mars und Ashes to Ashes! Die Folge kam bei mir wie ein Filler an: "Hallo Leute, wir lassen den Plot mal im Leerlauf, damit sich die Charaktere entwickeln können." Das kam billiger rüber als ein Studentenfilm von der Filmhochschule.
Das Finale schließlich hatte etwas von einem neuen Anfang; aus den ungleichen Reisegefährten ist ein kraftvolles, selbstbewußtes Trio geworden, irgendwie Steampunk-Superhelden. Ich bin gespannt auf die zweite Staffel, die ja unter die Meere führen soll ...

Geändert von Servalan (29.01.2023 um 01:44 Uhr)
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Alt 29.01.2023, 18:47   #7  
Servalan
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  • J. G. Ballard: Crash. A Novel (Jonathan Cape 1973, Farrar, Straus and Giroux 2001) | Crash. Roman (erstmals Edition Phantasia 1985)
  • Crash (Kanada / Großbritannien 1996, The Movie Network und Telefilm Canada), Drehbuch und Regie: David Cronenberg, 100 min, FSK: 18
James Graham Ballards Werke sind schon ein spezieller Fall: Oberflächlich betrachtet fallen die meisten in das Science Fiction Genre, allerdings wehrt sich der Bewunderer von William S. Burroughs gegen eine leichte Lektüre. Seine Kurzgeschichten bezeichnet er gern als "condensed novels" (ungefähr konzentrierte Romane) und nutzt experimentelle Erzählstrukturen, die das Publikum schon mal irritieren können.
Wie in Fantasy und Science Fiction bilden mehrere seiner Einzelbände großere Einheiten und erschaffen im Worldbuilding ein geschlossenes Universum. Crash bestätigt die Erwartung, denn mit den folgenden Romanen Concrete Island (1974) und High-Rise (1975) bildet sie eine Trilogie. Die drei Romane sind augenscheinlich in der damaligen Gegenwart angesiedelt, wo sie Situationen wie Laborexperimente eskalieren lassen, bis die Menschen ihre finsterste Seite zeigen und sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen.
Crash verführt das Publikum mit einer Story um eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich gegenseitig absichtlich in Autounfälle verwickeln, um den Crash als erotischen Orgasmus genießen zu können. Jeder Crash bedeutet jedoch den Verlust der Kontrolle und birgt das Risiko, dabei tödlich verletzt zu werden. Für die konspirativ organisierte Clique wäre dieser Crash der ultimative Kick, der von einigen wie eine Erlösung des irdischen Einerlei herbeigesehnt wird.
Ballard verschränkt hier eine bitterböse, schwarzhumorige Kritik der vom Wohlstand träge gewordenen und gelangweilten Gesellschaft mit den Mitteln der Pornographie. Die Autounfälle und daraus resultierenden Krankenhausaufenthalte werden wie dekadente sexuelle Akte zelebriert. Harter Toback!

Cronenberg hat sich seit seinem Debüt als Spezialist für Body Horror etabliert. Meist verschmelzen Technik und Körper zu etwas Grenzwertigem, das einige als eklig empfinden, während die psychischen und sozialen Nebenwirkungen faszinierend sein können. Er nutzt die Verfilmung für drastische Szenen, in denen der Autofetisch durch den sektenartigen Unfallkult auf die Spitze getrieben.
Wie Gewalt auf diese Weise mit Sex kombiniert wurde, führte in Großbritannien zum Skandal. Der Kunstfilm wurde verrissen, als "krank", "verdorben" und "pervers" abgetan, so daß die öffentliche Stimmung gegen ihn Kinoaufführungen in einigen Stadtteilen Londons verhinderte, obwohl die britische Zensurbehörde BBFC ihn ab 18 freigegeben hatte.
Cronenberg konnte sich mit einer Uraufführung auf den 49. Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1996 schmücken, wo der Film in der prestigeträchtigen Sektion Wettbewerb lief. Zu seinen Verteidigern gehören der englische Schriftsteller Martin Amis und Martin Scorsese. Amis verwies darauf, daß das Buch 1973 durch die Autothematik noch eine größere Wucht hatte als 1996.
Cronenberg hat ohne Zweifel bessere Filme als Crash gedreht; aber gerade im letzten Jahrzehnt dürfte der Stoff ein weiteres Mal gealtert sein. Heute erregen selbst die skurrilsten erotischen Vorlieben ein müdes Gähnen, und Unfallfetischisten auf einem CSD dürften von den woken Avantgardisten herzlich willkommen geheißen werden. Mich würde es nicht wundern, wenn Cronenbergs Film demnächst auf FSK: 16 oder gar FSK: 12 herabgestuft würde.
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Alt 13.02.2023, 14:17   #8  
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  • Bertolt Brecht (Text) / Kurt Weill (Musik): Die Dreigroschenoper, Uraufführung: Theater am Schiffbauerdamm, Berlin am 31. August 1928
  • Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm (Deutschland / Belgien 2018, Zeitsprung Pictures GmbH, Velvet Films, Südwestrundfunk, Arte, Rundfunk Berlin-Brandenburg und Norddeutscher Rundfunk), Drehbuch und Regie: Joachim A. Lang, 135 min, FSK: 6
Der Film nimmt Anleihen bei Brechts Epischem Theater, indem die Inszenierung immer wieder unterbrochen und das Publikum direkt angesprochen. Der künstlerisch radikale Ansatz beginnt mit den Vorbereitungen der Uraufführung der Dreigroschenoper im Theater am Schiffbauerdamm, wo hinter den Kulissen ein finanzielles Desaster befürchtet wird, weil Brecht politischer Ansatz das Publikum verschrecken könnte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn das Publikum ist begeistert und so wird das Theaterstück mit Musik zum erfolgreichsten Stück auf deutschen Bühnen bis 1933.

Die Verfilmung selbst wird zum Thema des Film; in einer fiktiven Alternativen Geschichte pitcht Brecht seinen Erfolg beim Produzenten der Nero Film, Seymour Nebenzahl, und die Zuschauer sehen, wie Brechts Worte Gestalt annehmen und zu Filmszenen werden.
In einer Mischung aus Making of und Reaction Video kommentieren die beiden Verhandlungspartner das Geschehen, manchmal aus dem Off, häufig erscheinen sie jedoch im Set. Während der Produzent gute emotionale Unterhaltung bieten will, versteht Brecht den Film als symbolisch verschlüsselten politischen Kommentar zum aktuellen Zeitgeschehen. Je länger der Film fortschreitet, umso schärfer wird der Konflikt; die Verfilmung droht zu scheitern, denn in zwei Prozessen kämpfen Brecht und Weill gegen die Nero Film um ihre künstlerische Freiheit.
Der Film spiegelt den Bruch durch ein alternatives Ende, in dem Polly nicht mehr durch Mackie Messer umgebracht wird. Vielmehr verwandeln sich die 30er Jahre in eine Gegenwartskulisse, wo sich das Geschehen zwischen der Straße und einer futuristischen Bank sowie einem Gefängnis abspielt.

Über die Freigabe ab 6 Jahren wundere ich mich schon, denn das übervoll ausgestattete Ensemble mit einer Kleidung, bei der Fetisch anklingt, und der Wimmelbildcharakter der Revueszenen können selbst erwachsene Zuschauer überfordern. Der ausformulierte Subtext darüber, wie Wirtschaft und Politik in einer bürgerlichen Welt funktionieren, hat etwas von einem Universitätseminar.
2018 eröffnete die Uraufführung dieses Films das Filmfest München, was die Kritik nicht von harschen Verrissen abhielt. Wegen des Zeitkolorits drängen sich Vergleiche mit Babylon Berlin geradezu auf; die Szenen mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung auf den Straßen erinnerte mich an Les Misérables. Der Cast wirkt fast eine All Star Besetzung dessen, was im deutschen Film Rang und Namen hat, wohl auch, um bei der fiebrigen Tour de Force ein Mindestmaß an Orientierung zu bieten.

Ob sich der Film im Laufe der Zeit bewähren wird, halte ich für fraglich, dazu ist er zu sehr ein radikales ästhetisches Experiment, beinahe ein Manifest. Wer sich näher mit Verfilmungen beschäftigen will, sollte ihn zumindest einmal gesehen haben.
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Alt 16.03.2023, 15:17   #9  
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Verstehe ich das richtig, dass es zwei ungekürzte Fassungen (145 bzw. 117 Minuten). Wie kann das sein?

Wenn man weiß, wo man ist, kann man sein, wo man will... (alter Fliegerspruch)
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Alt 16.03.2023, 15:34   #10  
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Nein, es gibt nur eine ungekürzte Fassung, die mit 145 min; aber es gibt in den unterschiedlichen Ländern verschiedene gekürzte Versionen, von denen ich nur eine aufgeführt habe. Bei denen schwanken die Zeitangaben und reichen von 111 min über 113 min und 114 min bis zu 117 min. Dem Klumpatsch habe ich mir gespart, um nicht für völlige Verwirrung zu sorgen.
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Alt 09.05.2023, 16:19   #11  
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  • Patrick Süskind: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders (Diogenes 1985, Taschenbuchausgabe bei Diogenes 1994)
  • Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders | El perfume: historia de un asesino | Le Parfum, histoire d'un meurtrier | Perfume: The Story of a Murderer (Deutschland / Spanien / Frankreich 2006, Constantin Film Produktion, VIP 4 Medienfonds, Davis-Films, Rising Star, Nouvelles Éditions de Films und Castelao Producciones), Drehbuch: Andrew Birkin, Bernd Eichinger und Tom Tykwer, Regie: Tom Tykwer, 147 min, FSK: 12, JMK: 14
Das Parfum ist mit 20 Millionen verkauften Exemplaren in 48 Sprachen ein Weltbestseller, der 1987 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde. Binnen acht Wochen erreichte er die 100.000 Exemplare, die es für den Status als Bestseller brauchte. Einer der größten Bucherfolge des deutschsprachigen Literaturmarktes zeigte sich in der Spiegel-Bestsellerliste, denn dort hielt sich der Roman 470 Wochen (neun Jahre), davon 449 Wochen ununterbrochen. Der Erfolg ist schon unbestritten.
Der Roman macht es sich leicht, sein Publikum zu verführen, denn eine auktoriale Stimme erzählt chronologisch die derb-drastische Geschichte des Jean-Baptiste Grenouille. Es gibt keine literarischen Hürden, um in die Geschichte hineinzukommen, und Süskind liebt es zu fabulieren, bleibt aber bei der Stange und schafft handlungsreich Abwechslung. Dabei nutzt unterschiedliche Genremuster für anspruchsvolle Unterhaltung. Der historische Künstlerroman verzichtet auf die übliche Küchenpsychologie, vielmehr präsentiert er sich als Reigen bitterböser Pastiches und zeichnet dabei ein unvorteilhaftes Gesellschaftspanorama mit märchenhaften Einsprengseln.
Den Roman habe ich damals gelesen, wahrscheinlich die erste Taschenbuchausgabe von Diogenes, die ich als Pageturner weggesuchtet habe. Süskind weiß schon, welche Knöpfe er drücken muß, um das Lesen zu einem Vergnügen zu machen. Ich kann ihn nur empfehlen. Süskind erzählt trotz aller Fabulierlust ökonomisch, ohne sich in Angeberprosa zu verlieren. Der verspielte Charakter beeindruckt, zumal Süskind auf Welterklärungen und Sinnvermittlung verzichtet. Grenouille lebt hier das absurde Schicksal einer genialen Inselbegabung, der jedoch an einem unerreichbaren Ziel grotesk scheitert.

Wie nicht anders zu erwarten, gelang der Verfilmung der durchschlagende Erfolg an den Kinokassen. Der europäische Blockbuster lockte mehr als 11,6 Millionen Zuschauer in die Lichtspielhäuser, allein in Deutschland waren es 5,589 Millionen Besucher. Weltweit spielte der Film 135 Millionen US-Dollar ein. Am wichtigen Startwochenende setzte er sich an den Spitzenplatz der Charts. Weitere Auszeichnungen wie der Bambi folgten.
Dennoch war die Verfilmung keine leichte Geburt. Zwar interessierten sich zahlreiche renommierte internationale Regisseure dafür, aber Patrick Süskind zögerte jahrelang. Erst 2001 veräußerte er die Filmrechte für geschätzte zehn Millionen Euro an die deutsche Filmgröße Bernd Eichinger. Die Vorproduktion zog sich weitere zweieinhalb Jahre hin. Der Produzent träumte davon, Leonardo DiCaprio oder Orlando Bloom in der Hauptrolle zu sehen, letztlich wurde es aber relativ unbekannte Brite Ben Whishaw, also ein frisches Gesicht für das breite Publikum. Dafür glänzen die Nebenrollen mit Prominenz wie Dustin Hoffman und Alan Rickman.
Bei der Ausstattung wurde erwartungsgemäß geklotzt. Die Kamera schwelgt in Farben und Texturen, so daß der Underdog Grenouille durch die Fülle an Eindrücken überwältigt wird. Whishaw verkörpert Grenouille als einfachen Menschen, der sich selbst eher hilflos ausgeliefert ist, während er sein Talent zu einem Genuß für sich selbst umzumünzen versucht.
Im Gegensatz zum Roman verknappt der Film und fokussiert auf das Motiv des Serienmörders junger Mädchen. Nebenstränge und Arabesken werden gestrafft oder gleich weggelassen. Der Film zeigt das vorbürgerliche 18. Jahrhundert als rücksichtslosen Kampf von jedem gegen jeden; der eigene Vorteil steht dabei im Vordergrund und kriminelles Verhalten gehört zum Alltag. Wer den Film zu realistisch betrachtet, wird sich an einigen Logiklöchern stören; doch die können geflissentlich übergangen werden, denn meiner Meinung nach handelt es sich um einen phantastischen Film, einen gelungenen phantastischen Film.
Einzelne Szenen wie das Bacchanal kostet die Eichinger-Version plastisch aus, wodurch die Verfilmung ihre filmischen Stärken hat und für sich allein stehen kann.
Beim ersten Sehen hat er mir sehr gut gefallen. Es wird mir ein Vergnügen sein, ihn mir ein weiteres Mal zu gönnen.

Geändert von Servalan (17.10.2023 um 16:58 Uhr)
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Alt 10.05.2023, 08:29   #12  
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Zitat:
Zitat von Servalan Beitrag anzeigen
Der Produzent träumte davon, Leonardo DiCaprio oder Orlando Bloom in der Hauptrolle zu sehen, letztlich wurde es aber relativ unbekannte Brite Ben Whishaw, also ein frisches Gesicht für das breite Publikum.
Das war das einzige, was mich bei der Verfilmung doch etwas irritiert hat. Süßkind hat seinen "Helden" ja eher als unattraktiv, bestenfalls unauffällig beschrieben. - Und nun kommt da so ein "Schönling" daher.
Aber wenn das stimmt, was Du über Eichingers Träume schreibst, hätte es ja noch "schlimmer" kommen können.
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Alt 10.05.2023, 11:53   #13  
Servalan
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Süskinds Protagonist hat ja einen sprechenden Namen: Jean-Baptiste Grenouille hieße übersetzt Johannes der Täufer Frosch, also nur die wenigsten halten wohl Frösche für schön. Aber sein Stigma ist der Umstand, daß er keinen Eigengeruch hat, weshalb er ein Außenseiter bleibt. Hinzu kommt sein exzellenter Geruchssinn, zumal er in einer geruchsintensiven Zeit lebt.
Diese beide Elemente machen seine Mentalität und seinen Charakter aus.
Außerdem ist er nicht die hellste Kerze auf der Torte, sondern eher ein Simplicissimus.

Ich glaube nicht, daß Süskind sich Grenouille als häßlich vorgestellt hat, vielleicht eher als Dutzendgesicht, das in der Masse untergeht.
Das geht aber im Film nicht. Der Protagonist sollte ja leicht erkennbar sein, ohne daß da umständlich nachgeholfen werden müßte. Insofern finde ich Whishaw als frisches Gesicht eine gute Wahl, zumal er schauspielern kann. Grenouille hat vergleichsweise wenig Text für einen Protagonisten, aber Whishaw ist kein kantiger Charakterkopf, dazu war er zu jung ...
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