15.08.2017, 14:57 | #1 |
Moderatorin Internationale Comics
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Das Frühstück im Grünen
Fleißig mitgelesen, wird hier ja schon.
Möglicherweise taucht hier und da mal ein Frage auf - die kann dann in diesem Thread gestellt werden. Wie heißt es so schön: Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten. Allwissend bin ich leider nicht, und jedem Menschen unterlaufen mir mal Fehler. Dennoch werde ich nach besten Wissen und Gewissen weiterhelfen. Mal sehen, wie sich das Unterforum "Kunst" weiterentwickelt. Gegen Hilfe und Beistand von Bildenden Künstlerinnen und Künstlern, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern Ausstellungsmachern, Kuratoren und Mäzenen habe ich nichts einzuwenden. Im Gegenteil, ich freue mich über jede Unterstützung. Wer will, kann in diesem Thread allgemein kommentieren, etwas anregen oder anmerken. Keine falsche Scheu. Allgemein hat sich der Umgang mit dem Publikum in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Zu meiner Schulzeit war es noch ziemlich schlimm. "Dumme Fragen" wurden kategorisch nicht beantwortet, und der blöde Banause, der sie zu stellen gewagt hatte, wurde hochnäsig abgekanzelt. Heute wird das alles lockerer gesehen. |
15.08.2017, 15:32 | #2 |
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Bist Du Kunsthistorikerin?
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15.08.2017, 17:46 | #3 |
Moderatorin Internationale Comics
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In den 90ern habe ich studiert, und Kunstgeschichte gehörte zu meinen Nebenfächern - einen Abschluß habe ich jedoch nicht.
Für Kunst habe ich mich immer interessiert. Während des Studiums habe ich sogar ein Seminar besucht, bei dem wir angehenden Kunstgeschichtler selber Kunst machen durften. Dazu gab es an der Fakultät eine kleine Ausstellung in einem Flur des Kunsthistorischen Instituts. Auch Leute mit Abschluß müssen aktuelle Entwicklungen im Blick behalten und ständig dazulernen. Die hiesige Kunsthochschule ist gut vernetzt und bietet Vorlesungen, Ausstellungen oder Kinoprogramme mit dem Kommunalen Kino an. Einen Katzensprung von hier gibt es eine rege Künstlerszene. Eine Kunsthalle, etliche Museen und Galerien runden das Angebot ab. Wer will, darf gerne mitmachen. |
15.08.2017, 18:58 | #4 |
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Ich denk' mir mal eine fachbezogene Frage aus.
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16.08.2017, 08:26 | #5 |
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16.08.2017, 15:43 | #6 |
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Hier mal eine Frage - hat allerdings mit den bisherigen Threads wohl nichts zu tun:
War Tintoretto (Jacopo Robusti) einer der ganz großen Maler oder doch eher zweite Garnitur? Ich denke, man muß sich in Bildender Kunst schon ein bißchen auskennen, damit man von ihm gehört hat. Er stand auch eindeutig im Schatten von Tizian. Aber nach dem Urteil mancher Kritiker hat er in seinen Bildern eine unerhört tiefe Räumlichkeit erzeugt. 2012 gab es eine große Retrospektive in Rom, da schrieb die FAZ: "Wüßte man es nicht besser, man wollte schwören, Tintoretto habe Flutlichtscheinwerfer und Film gekannt, so huschend und gern auch verwackelt bewegt er die Gesten seiner Protagonisten, so gespenstisch flutet er Nachtbilder mit Schatten und Weißhöhungen, die nur von metaphysischen Lampen stammen können." "La Repubblica" wird zitiert: "Tintoretto ist es gelungen, die Farben- und Lichtkraft der toskanisch-römischen Schule mit der venezianischen zu verbinden." Hintergrund: In den 80er Jahren habe ich einige Zeit Malunterricht genommen (war aber relativ nutzlos; ich kann nur mit Linien umgehen, nicht mit Farben). Mein Mallehrer hielt Tintoretto für den Allergrößten. 1986 bin ich mal für zwei Wochen nach Venedig gefahren, da hat er für mich einen detaillierten Plan aufgestellt, an welchem Tag ich welche Kirche besuchen und welche Tintoretto-Gemälde anschauen soll, woran ich mich auch weitgehend gehalten habe. Insgesamt fand er schon damals, daß mein malerisches Talent durch die Comics völlig verdorben worden sei. |
16.08.2017, 18:20 | #7 |
Moderator Deutsche Comicforschung
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Hier mal einer ketzerische Frage: Was ist eigentlich Kunst? Erst wenn man das weiß, kann man sagen, dass Comics Kunst sind (sind sie nicht, sondern Literatur).
Meine ebenso ketzerische These: Kunst gibt es gar nicht. Alle Kunst ist Konvention, meistens gesteuert von denjenigen, die vom Kunstmarkt profitieren. Ein Kunstwerk wird nur als Kunstwerk erkannt, wenn es zum Kunstwerk ernannt worden ist. Es gibt einen gutbürgerlichen Konsens über die Kunst der Vergangenheit; über die Kunst der Gegenwart bestimmt der Markt. Die Kunst der Vergangenheit war auch nicht beständig: Die Gotik war lange lange Zeit als barbarisch verschrien, Rembrandt wurde erst spät "wiederentdeckt". Auch heute werden regelmäßig "Künste" der Vergangenheit (für den Kunstmarkt) "wiederentdeckt" (die Präraffaeliten, die Orientalisten). Das sind "dumme" Thesen, auf die ich gern dumme Antworten hätte. eckrt |
16.08.2017, 18:52 | #8 |
Moderator sammlerforen
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Das ist dann ja so wie mit wahrer Liebe und Schizophrenie ...
Aber bring das mal schonend und verständlich den Verliebten bei. |
16.08.2017, 19:09 | #9 |
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Ich habe einen Artikel darüber gelesen, dass sich die moderne Kunst in zwei Sorten spaltet:
https://www.perlentaucher.de/essay/w...arktkunst.html |
16.08.2017, 19:26 | #10 |
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Ich denke, es führt kein Weg daran vorbei, den Begriff "Kunst" recht weit zu fassen. In dem Moment, als ein Ur-Mensch etwa einen Knochen nahm und etwas hineinritzte, war das Kunst, also Bildende Kunst.
Die Probleme beginnen für mich bei der Frage, welche Kunst qualitativ besser oder schlechter ist. Das ist natürlich zu einem Gutteil subjektiv. Man möchte aber doch glauben, daß es bis zu einem gewissen Grad auch objektive Kriterien gibt. Der wikipedia-Artikel über Tizian ist deutlich länger als der über Tintoretto. |
16.08.2017, 19:31 | #11 | |
Moderator Deutsche Comicforschung
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Zitat:
Wen oder was bildet eigentlich "Bildende Kunst"? eckrt |
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16.08.2017, 20:29 | #12 |
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Ich warte mal das Urteil der Kunsthistorikerin ab...
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16.08.2017, 22:29 | #13 |
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Ich tendiere auch zu eckarts Thesen, weil ich mich während meines Studiums
auch mit Kunsttheorie und -historik auseinandersetzen musste. Nur ein Beispiel – es gibt Sachen von Picasso die sind einfach nur (grob gesagt) Pinsel-Abstreif-Blätter (wie in meinem obigen Motiv zum Zitat von Cézanne) und was diese Dinger zu "Kunst" macht, ist die teure Signatur von Picasso. Kunst in Comics – da tendiere ich ebenfalls zur Story. Wenn keine Geschichte erzählt wird, ist es doch eigentlich hinfällig. Wobei mein Hauptaugenmerk darauf liegt, dass mit einer Story gut unterhalten werden soll. Ich sehe mich auch nicht als Comic-Künstler, sondern als Handwerker für Text + Illustration. Bevor ich mit einer Story anfange, frage ich mich – was will ich erzählen und was will ich mit der Geschichte erreichen? Die illustrative Ausarbeitung ist für mich immer erst der zweite Schritt nach der Geschichte. Jedenfalls spannendes Thema hier! Geändert von G.Nem. (16.08.2017 um 22:40 Uhr) Grund: Ergänzung |
16.08.2017, 22:34 | #14 |
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Darin steckt nochmal ein anderes Thema: Ist Kunst, die einen hohen Marktwert hat, besser als solche, die auf der Auktion ein Ladenhüter bleibt? Würde ich natürlich eher verneinen. Ein Preis hat aber den unbestreitbaren Vorteil, daß er meßbar und vergleichbar ist.
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16.08.2017, 22:45 | #15 | |
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Zitat:
Eine Ex-Freundin von mir (Malerin) lebte lange davon, dass sie für einen namhaften deutschen Künstler limitierte Druck-Grafiken komponierte und nach dem Druck colorierte. Die Leute die diese Teile gekauft haben, denken heute noch sie haben echte Werke von XYZ an der Wand. Echt daran ist nur die Unterschrift von XYZ und sein Segen zum Motiv. Na ja und die Rechnung der Galerie war natürlich auch echt. |
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17.08.2017, 00:05 | #16 |
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Die teuersten Comics der Welt (die ersten Comics mit Superman und Batman) sind ja auch nicht die besten Comics aller Zeiten.
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17.08.2017, 07:45 | #17 | |
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Oktober 2016:
Zitat:
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17.08.2017, 08:21 | #18 |
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Und dafür noch vergleichsweise günstig.
Schau mal in den ZEIT-Shop > ‘Tiefseekreuz’ von Arnulf Rainer, aktuell unter > http://shop.zeit.de/sortiment/zeit-k...r-tiefseekreuz Kostet ungerahmt 3.490 €uro, signiert + limitiert auf 40 Exemplare. |
17.08.2017, 08:30 | #19 |
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Schon klar. Der Tintoretto ist auch immer noch deutlich günstiger als "Action Comics" # 1.
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17.08.2017, 12:50 | #20 |
Moderatorin Internationale Comics
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Schön, endlich Leben in der Bude.
Natürlich habe ich eine Vorstellung davon, was Kunst ist und was nicht. Aber die läuft bei mir unter persönlicher Meinung. In der Praxis gehe ich das pragmatisch an und achte darauf, was so an Debatten läuft, zum Beispiel in den Feuilletons. Um es kurz zu machen: Kunst ist für mich das, was in der Branche als solche gehandelt wird. Kunst ist das, was als solche an Kunsthochschulen gelehrt wird. Kunst ist das, was in der Kunstgeschichte gelehrt wird. Mein Einfluß in dieser Hinsicht ist vernachlässigbar. Über manche Kapriolen kann ich nur den Kopf schütteln. Was jetzt oder später das Etikett Kunst bekommen wird, das bestimmen andere - und die kommen aus dem Großbürgertum. Wer seine eigene Duftmarke in Sachen Kunst setzen will, braucht eine Menge Geld, viel Zeit und gute Verbindungen zu Verbänden und Institutionen. Eine Möglichkeit wäre es, sein eigenes Museum zu gründen - wie Lothar-Günther Buchheim (Das Boot) oder das Museum Ludwig in Köln. Die Guggenheim-Museen sind inzwisches ein internationales Franchise - wie Starbucks oder H&M. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Ausstellungen in berühmten Museen zu kuratieren. Auf der Ebene fällt mir spontan Harald Szeemann ein. Wer eine documenta zusammenstellen darf, muß zumindest beachtet werden. Dann gibt es einflußreiche Kunstkritiker und Journalisten wie Clement Greenberg, Leslie Fiedler oder Bazon Brock, die sich Gehör verschaffen können. Und selbst bei denen kann das eigene Projekt in die Hose gehen. Leute ändern sich, Jüngere haben einen anderen Geschmack und andere Vorlieben als Ältere. Da ist nix in Stein gemeißelt. Was unter Kunst verstanden wird, ändert sich. Heutige Kunsthistoriker bekommen leichter Forschungsmillionen für Studien zur Wahrnehmung (am besten mit Computertomographen) als für "ausgeforschte Alte Meister". Wenn die neuen Shootingstars sich allerdings plötzlich alle naslang auf Tintoretto beziehen, kann der "wiederentdeckt" werden. Ich glaube, ich bin ziemlich dicht dran an eck@rts Standpunkt. Geändert von Servalan (20.12.2017 um 18:33 Uhr) |
17.08.2017, 13:54 | #21 | |
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Zitat:
Allerdings kann man die Retrospektive in Rom 2012 vielleicht tatsächlich als eine Wiederentdeckung betrachten. |
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17.08.2017, 14:17 | #22 |
Moderatorin Internationale Comics
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Wie bei der Mathematik unterscheiden sich bei der Kunst die eigene Sicht von innen und die Sicht von Emma und Otto Normalbürger. Die haben entweder große Ehrfurcht, weil sie nix verstehen, oder halten den Kunstbetrieb für Mumpitz.
Von außen ist das ein Schwarzer Monolith, von innen eher ein mehrdimensionales Labyrinth à la M.C. Escher. Und dabei taucht ein Problem auf, das zu einem Paradoxon führt: Eine Zeitlang läßt sich Originalität durch Tabuverletzungen und Grenzüberschreitungen (zum Beispiel Gemälde auf dem Kopf) herstellen. Aber Kunst soll ja gerade nicht beliebig sein, weil sie sonst nicht als Ausweis von Kultiviertheit repräsentiert werden kann. (Pierre Bourdieu nennt das Distinktion.) Allmählich merken das die jungen Leute, die Kunst studieren. Wenn alles erlaubt, ist das schön und gut.Wer von Kunst leben will, braucht mehr als den 15-Minuten-Ruhm (heute wohl eher 15-Sekunden-Ruhm). Und für eine langfristige Karriere benötige ich eine feste und breite Basis, damit ich mich weiterentwickeln und Anregungen verarbeiten kann. Mittlerweile fordern junge Semester gut fundierte handwerkliche Grundlagen wie anatomisches Zeichnen oder Drucktechniken und wollen sich in der Kunstgeschichte auskennen. Das Handwerk gehört notwendig zur Kunst - nur ist nicht jedes Handwerk überall eine Kunst (siehe Paul Bocuse). Geändert von Servalan (12.12.2021 um 15:20 Uhr) |
17.08.2017, 14:42 | #23 |
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Also eine Auskunft, welchen Stellenwert man Tintoretto geben kann, bekomme ich hier wohl nicht mehr...
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17.08.2017, 14:50 | #24 |
Moderator Deutsche Comicforschung
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Stell dich doch einfach vor einen Tintoretto und lausche, ob du die Aura des Kunstwerks spürst.
eckrt |
17.08.2017, 15:10 | #25 |
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So eine Antwort hätte ich jetzt von Servalan auch erwartet: "Schönheit liegt im Auge des Betrachters."
Vor 30 Jahren habe ich mir um die 20 Tintoretto-Schinken in Venedig genauestens angesehen und bin sie abgeschritten. Von Tizian habe ich nur zwei bis drei Bilder betrachtet. Also ist klar, welcher Maler für mich der Bessere ist. |
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