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Alt 07.08.2018, 14:16   #99  
74basti
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Pinocchio (Teil 1)

Die Reihe Pinocchio im Bastei Verlag ist weder außerordentlich beliebt bei Sammlern, noch war sie in der Fachpresse ein besonders intensiv untersucht.
Hintergrund für die Serie ist der teilweise erbittert geführte Kampf in den 1970er um die Rechte an „Fernsehcomics“, wie es damals genannt wurde (so beispielsweise in der Comixene 28, Januar 1980,S.7).

Tatsächlich hatten derartige Serien bereits zu Beginn der 70er Jahre enorme Auflagen. Wolfgang Biehler erinnert sich: „Ich war damals [1972]Herausgeber und freiberuflicher Chefredakteur bei Willms, und dass dort Hefte wie Schweinchen Dick einen wahnsinnigen Erfolg hatten, wir machten damals Auflagen von 280.000 und mehr, hat mich optimistisch gemacht.“ (Interview mit Andreas C. Knigge in: Comic Jahrbuch 1988, S.104).

In der Tat tummeln sich zu dieser Zeit nicht nur die US-Titel wie „Flintstones“ und „Pink Panther“ im deutschen Fernsehen. Es beginnt jedoch die Zeit der Animes.

Wicki und die starken Männer (Zuiyo Enterprises / ZDF / ORF ab 1972) ab Januar 1974 im ZDF, Heidi (Zuiyo Enterprises (später umbenannt in Nippon Enterprises) / ZDF, 1975, ab September 1976 im ZDF „Heidi“ (Zuiyo Studio 1974, ab September 1977 im ZDF), , Sindbad (Nippon Animation 1975, ab September 1978 im ZDF), Captain Future (Tōei Dōga Studio ab 1979, ab September 1980im ZDF) ändern die Sehrgewohnheiten der damaligen Generation.
In Bezug auf die Comics hat Condor zunächst noch die Nase vorn. Bei den Vertragsverhandlungen mit dem Lizenzgeber für Heidi, die Firma Merchandising München, steigt Biehler 1976 aus, da die Firma „so übertriebene Forderungen hatte, dass wir das einfach nicht wollten. Denn wenn man schon das verlegerische Risiko auf sich nimmt, will man ja unter dem Strich auch wenigstens noch etwas verdienen“ (Interview, Comic Jahrbuch 1988, S. 105). Die Comicverhandlungen laufen weit vor der Ausstrahlung im deutschen Fernsehen. Hintergrund ist, dass das Comicmaterial bereits in Frankreich, Italien und Spanien publiziert worden ist. (vgl. Manfred Soder im Interview mit Hartmut Becker und Andreas C. Knigge, Comixene 28, Januar 1980, S. 7). Für Bastei hat sich das Bieten um die Lizenzen gelohnt. Soder (1980): „Unsere Heidi ist ein Dauerbrenner“ (Comixene a.a.O.)
Bei Heidi will der Condor Verlag aber nicht komplett abgeschnitten. Er veröffentlicht – da die Rechte an dem Namen und der Figur zu dieser Zeit frei sind – eine Taschenbuchreihe „Heidi nach Johanna Spyri“ und ein Sonderheft. Diese enthalten spanisches Studio-Material von der Editorial Bruguerea S.A. aus Barcelona. Als Füllmaterial dienen Geschichten von Jules Verne und Black Beauty. Zum Abdruck kommen Heidi Geschichten, die von A. Solsona und A. Cerbian gezeichnet sind.

Bei Pinocchio entbrennt ein besonders erbitterter Kampf. Insgesamt drei deutsche Verlage veröffentlichen Ende der 1970er Jahre ihre eigenen Pinocchio-Titel. Warum das so ist, erläutert Manfred Soder im vorgenannten Interview: „Der Urheberschutz ist Ihnen [gemeint sind Hartmut Becker und Andreas C. Knigge] bekannt. Der Name Pinocchio ist nicht schützbar, weil der Herr Collodi, der das Buch geschrieben hat, vor mehr als 70 Jahren gestorben ist [Carlo Lorenzini, später Collodi, 1826 bis 1890] und es keine Erben gibt. Also kann jeder anhand dieses Buches ein Comicheft mit dem Titel Pinocchio auf den Markt bringen. Wir haben ein Heft produziert, dessen Figur dem Film [der Serie] entsprach, Condor kaufte eine beliebige Geschichte, einen uralten Stoff, in Spanien und ehapa hat die Figuren des Disney-Films als Vorlage für sein Heft genommen.“ (vgl. Comixene a.a.O.)
Das Material, das Condor einkauft, stammt aus Italien, und war wesentlich jünger als Soder dachte.

"Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" - Francisco de Goya 1799
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