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Alt 22.12.2009, 12:33   #799  
michidiers
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Schön, wenn man mitdenkende Kinder sein eigen nennen kann. Tatsächlich wurde mir aus der Biliothek von denen ein Leihcomic unaufgefordert mitgebracht.



Inhalt: Ein junger Mann bezieht mit seiner Frau am Rande einer größeren Stadt in Japan ein neues Haus. In -18- kurzen Einzelgeschichten erzählt Taniguchi dem Leser, oder besser: dem Betrachter, die kleinen Entdeckungen bei Spaziergängen dieses Mannes in seiner neuen Umgebung.

Nahezu mit kindlicher Neugier geht der Spaziergänger auf Wanderschaft. Kleine Gärten, Singvögel, Gassen, Pfade, Hinterhöfe, Baustellen, Passanten, Bäume, Himmel, Regen und Sonne erzählen ihm und uns dabei in filigranen Bildern ihre kleine Geschichten von den Dingen, die wir so oft bei unseren eigenen Bewegungen durch unsere Umgebung unternehmen übersehen. Die Wahrnehmung der eigenen Umgebung ist eine Kostbarkeit, die wir in unserer steten Eile nicht mehr erkennen können.

Nehmen wir uns daher einmal die Zeit, unseren Protagonisten in der Kurzstory „Verlorenes Objekt“ zu begleiten: Es ist Sommer, am Rande der Stadt. Der Himmel ist leicht bewölkt. Der Mann geht mit seinem Hund spazieren. Er passiert einen Spielplatz mit zwei auf einer Bank sitzenden jungen Mädchen. Er läuft weiter, die Sonne scheint durch das Blätterdach der Bäume. Dann folgt eine enge Gasse durch ein grünes Wohngebiet. Mehrere Joggerinnnen überholen ihn darauf auf einem Pfad, eines der Mädchen ist abgeschlagen und läuft erschöpft der Gruppe hinterher. Er passiert zwei Frauen mit ihren Kindern. Die Kinder bewundern seinen Hund, streicheln ihn. Auf dem folgenden Waldweg kommen ihm plötzlich die Joggerinnen wieder entgegen. Die vormalige Nachzüglerin hat inzwischen aufgeholt und ist jetzt im Spitzenfeld. Auf dem Rückweg passiert er Sportstätten, Zäune, Häuser, Vorgärten, bis er wieder den Spielplatz erreicht. Dort findet er unter einer Bank einen verlorenen Lippenstift, der offensichtlich den jungen Mädchen gehört und legt ihn auf die Bank. Auf den letzten Bildern begegnet er abermals die beiden Mädchen von der Spielplatzbank, die nun in einer größeren Gruppe laufen und sich unterhalten.

Unspektakulär? Ja, das ist gerade die Art der Erzählung, sie ist ruhig und nachdenklich, so als könne man die Gedanken des Spaziergängers erkennen, die nicht in Blasen und Wort gefasst sind. Auf Worte wird fast vollkommen verzichtet, nur die Bilder und eigenen Gedanken erzählen hier die Storys. Das, was normalerweise unbedeutend vergessen scheint, tritt unvermittelt wieder auf und erzählt seine Geschichte weiter. Gleich einer Schleife werden einem wieder die Joggerinnen und die Mädchen von der Bank auf dem Spielplatz wieder in die Erinnerung gerufen um sich danach wieder daraus zu verabschieden. Und was sagt uns das? Nichts ist nur deshalb verschwunden, nur weil es sich unserer Wahrnehmung entzieht! Sie täuscht und gaukelt uns viel vor, das Stadtleben und Zivilisation hat die Sinne abgestumpft.
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