Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 23.02.2018, 18:30   #65  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
Benutzerbild von Servalan
 
Ort: Südskandinavien
Beiträge: 10.228
Blog-Einträge: 3
Zur Abwechslung mal ein kurzer Klassiker:

Un chien andalou | Un perro andaluz | Ein andalusischer Hund (Frankreich 1929), Drehbuch: Luis Buñuel und Salvador Dalí, Regie: Luis Buñuel. 16 min bzw. 21 min schwarzweiß

Von dem surrealistischen Klassiker gibt es verschiedene Fassungen, während die ursprüngliche Fassung als verloren gilt. Am geläufigsten sind die rekonstruierten Fassungen von 1961 und Maurico Kagels von 1981.

1925 gründeten die beiden Schauspieler Armand Tallier und Laurence Myrga in der 107 Meter langen Rue des Ursuline Nr. 10 ihr Kino Studio des Ursulines, das bis heute als Kino überlebt hat. Spezialisiert auf Avantgardefilme war es das erste Arthouse-Kino. François Truffauts Ménage à trois trifft sich in Jules et Jim zufällig vor diesem Kino.
1928 prügelten sich André Breton und Louis Aragon, als dort Germaine Dulacs Film The Seashell and the Clergyman (nach einer Story von Antonin Artaud) aufgeführt wurde. Tallier unterbrach zwar die Aufführung, unterließ es jedoch, die Polizei zu verständigen. Wenige Wochen später wurde Dulacs Film jedoch ohne weiteren Skandal gezeigt.

Die beiden spanischen Künstler in Paris, der Katalane Salvador Dalí und der Aragonese Luis Buñuel (die Geburtsorte liegen nur gut 400 Kilometer voneinander entfernt), müssen etwas Vergleichbares im Sinn gehabt haben. Buñuel füllte bei der Premiere am 6. Juni 1929 seine Hosentaschen mit Steinen, die er zur Not gegen das aufgebrachte Publikum werfen wollte.
Seine Furcht erwies sich als unbegründet, denn der Film wurde ein voller Erfolg. Dalí und Buñuel wurden von Bréton als erste Filmkünstler bei den Surrealisten aufegnommen.

Der andalusische Hund läßt jeden erzählerischen Ansatz ins Leere laufen. Auf der Grundlage ihrer Träume bastelten Dalí und Buñuel mit der Methode des Cadavre exquis (des automatischen Schreibens) einen Kurzfilm, bei dem jede Konvention gebrochen wird:
Plötzlich zieht ein Mann ein Klavier und zwei gefesselte Seminaristen hinter sich her. Obwohl eine Szene bruchlos fortgeführt wird, erscheint der Zwischentitel "x Jahre später". Ein Mann wird in einem Zimmer erschossen und seine Leiche fällt auf eine Wiese.
Im Prolog zerschneidet ein Mann einer Frau mit einer Rasierklinge den Augapfel - diese Szene ist zu einer Ikone der Filmgeschichte geworden. Wenn das Kribbeln in einer Hand durch krabbelnde Ameisen gezeigt wird, dürfte das heute nur ein müdes Lächeln hervorrufen.

Die meisten Szenen werden einem jungen Publikum heute überlang vorkommen. Dieser Klassiker zeigt, wie sich das Kino in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Was früher experimentell war, ist mittlerweile erzählerischer Standard in modernen Produktionen geworden.
Servalan ist offline   Mit Zitat antworten