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Alt 09.09.2019, 17:09   #195  
Peter L. Opmann
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Die Spinne (Williams) 92 und 93
(= Der mächtige Thor 46)

Erscheinungstermin: 9/1977

Originalausgabe:
1) The mighty Thor # 128

Story-Titel:
1) Plutos Macht!

Original-Storytitel:
1) The Power of Pluto!

Zeichnungen:
1) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee



Wenn zwei „Gute“ versehentlich aneinandergeraten, läuft das bei Marvel normalerweise so, daß sie irgendwann den Irrtum bemerken und dann wieder jeder seines Weges gehen. Angenehm zu lesen, daß es bei Thor und Herkules weniger stereotyp abläuft. Das Muster kam bei Thor noch nicht vor; ich erinnere mich lediglich, daß er einmal, von der Zauberin betört, gegen die Rächer kämpfte. Hier nun ist es, im Rahmen einer Trivialhandlung, nachvollziehbar, daß Thor auf Herkules sauer wurde, der mit Jane Foster anbandeln wollte. Bekanntlich wurde Thor dann schwer geschlagen, weil Odin ihm zwischendurch die Hälfte seiner Kraft wegnahm. Nun kommt Thor dazu, als Herkules in großen Schwierigkeiten steckt, und haut den Göttersohn-Kollegen raus (das erfordert einfach die Ehre). Eine Revanche für die Niederlage neulich behält er sich vor. Das ist nicht nur einigermaßen glaubwürdig, sondern auch schwungvoll erzählt.

Nachdem Thor seinen Vater vor dem Staatsstreich des bösen Beraters Seidring bewahrt hat, entscheidet Odin, ihm seine volle Stärke zurückzugeben, und gibt ihm Gelegenheit, sich in Asgard zu regenerieren. Das wird für meinen Geschmack etwas zu breit ausgemalt; wir verfolgen dabei auch, wie Thor vom Krankenbett aus auf dem „Marmorsee“ in Asgard „Bestienfische“ jagt. Seidring wird dagegen aus Asgard verbannt und soll fürderhin als König über eine Horde Bergdämonen herrschen. Geschieht ihm recht. Hauptsächlich geht es in dieser Ausgabe, wie der Titel schon andeutet, aber um die Begegnung von Herkules mit Pluto. Ob das schon bei Ovid steht, weiß ich nicht, aber Pluto plant, sich von Herkules als verhaßter Beherrscher der dunklen Unterwelt ablösen zu lassen.

Herkules seinerseits glaubt noch immer, er sei für einen Hollywoodfilm engagiert worden. Er erkennt weder Pluto, der sich mit einer Sonnenbrille tarnt, noch die Königin der Amazonen, die er einst abgewiesen hat und die sich nun dafür rächen will. Wir haben hier eine behutsame Satire auf Hollywood vor uns. In dieser Zeit geriet das Studiosystem in eine schwere Krise – am Ende wurden die Filmgesellschaften zu bloßen Filmverleihern und die TV-Sender übernahmen die Produktion von Filmen. Es war ein Antikfilm, „Kleopatra“ mit Liz Taylor, der MGM finanziell das Genick brach. Hier scheint in Hollywood jedoch noch Opulenz zu herrschen und als Darsteller eines antiken Helden kommt außer Herkules wohl nur noch Steve Reeves in Frage. Außerdem ist dauernd von irgendwelchen teuren Verträgen die Rede, wie das in Hollywood wohl bis Anfang der 60er Jahre üblich war. Herkules unterzeichnet selbst einen, in dem es angeblich um die Handlung seines Films geht. Sobald er seinen Daumenabdruck auf das Pergament gesetzt hat, reißt sich Pluto jedoch die Maske vom Gesicht und macht ihm klar, daß er soeben die Herrschaft über die Unterwelt übernommen hat. Herkules weigert sich zwar, diesen Betrug anzuerkennen, aber Pluto hat kriegerische Horden zu seiner Verfügung, die den Gott in die Knie zu zwingen drohen.

Nur gut, daß sich Thor inzwischen wieder erholt hat und bei seiner Rückkehr auf die Erde gleich in dem Filmstudio vorbeischaut. Daß Herkules da gerade von „bestialischen Bewohnern des niederen Reichs“ bedrängt wird, gefällt ihm überhaupt nicht, und so springt er ihm im Abwehrkampf bei. Pluto und der Amazonenkönigin kommt Thor ziemlich ungelegen. Sie treten aber nicht einfach den Rückzug an, sondern Pluto beschließt, den Vertrag Zeus vorzulegen (laut Mythologie seinem Bruder), um dessen Erfüllung durchzusetzen. Thor läßt nach gewonnenem Kampf Herkules erstmal allein zurück, auch wenn er durchschaut, welch Mißgeschick seinem Kollegen widerfahren ist. Thor ist damit vorerst aus dem Spiel, wenngleich wir auf die Entwicklungen der nächsten Ausgabe wieder neugierig sein dürfen.

Auch wenn mir diese Ausgabe ganz gut gefällt, muß ich doch festhalten: Wir sind nach wie vor von der gewohnten Marvel-Welt weit entfernt. Obwohl die Story teilweise auf der Erde spielt, sehen wir im Filmstudio eine ebensolche Fantasiewelt wie in Asgard oder auf dem Olymp. Als Arzt Don Blake ist Thor nun schon lange nicht mehr zu sehen gewesen. Jane Foster taucht zumindest in dieser Episode überhaupt nicht auf. Die einzige Verbindung zur Alltagswelt sind ein paar Arbeiter, die die Kulissen im Studio zusammenbauen. Doch immerhin schaffen es Lee und Kirby, die Fortsetzung weiterlaufen zu lassen. Thor könnte freilich sagen: Was gehen mich die Probleme von Herkules an? Dann wäre der letzte Handlungsfaden gekappt. Aber Thor und Herkules werden augenscheinlich für die nächsten Ausgaben zusammengespannt – ein frühes Team-up sozusagen. Die Inks von Vince Colletta sind weiterhin so dünn, daß Linien in der Williams-Version teilweise unsichtbar bleiben.


Geändert von Peter L. Opmann (09.09.2019 um 20:03 Uhr)
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