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Alt 27.02.2009, 14:01   #37  
Peter_Wiechmann
am 11.01.2020 verstorben
 
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Auf den letzten Drücker und so beim gedankenverlorenen Blättern in den gesammelten YPSen entdeckte ich Jimmy das Gummipferd. In meiner Jugend las ich den stern in erster Linie wegen der rot-schwarzen Abenteuer von Julio und Jimmy.

Dann hatte YPS-Chef Norbert Hinze die Idee, Roland Kohlsaats Erfolgsserie eine Fortsetzung zu schenken. Comicon nahm den Auftrag begeistert an.

Ich lebte und arbeitete zu dem Zeitpunkt (1984) bereits vier Jahre in Spanien und fand in Alberto Solsona den richtigen Comic-Künstler. Er adaptierte Roland Kohlsaats Strich gekonnt ... aber mit eigener Note. Ich schrieb die Story-Ideen, Alberto zeichnete und ich gab dem Ganzen dann abschließend die Dialogtexte. Eine echte Zwei-Mann-Produktion.

Wie ist sie beim YPS-Publikum angekommen? Im damals weit entfernten Spanien ( = noch kein Fax, keine E-Mail und nur sauteure Telefonverbindungen) erreichte mich keine Resonanz und heute erinnert sich bestimmt niemand mehr an Julios nachgelieferten Erlebnisse. Oder?




Nein, ich war noch niemals in New York und noch weniger in Arizona oder gar Texas. Aber dann endlich einmal – vor zwei Jahren - im Traumland Kanada. Zu Besuch bei Götz, dem Freund aus frühen Jugendtagen. Er lebt seit 40 Jahren in Kanada und jetzt auf 1.000 Hektar Land direkt in der Wildnis am Athabaska-River – auf dem vor 100 Jahren die großen Frachtkanus der Hudson Company Pelze in den Süden und Gebrauchsgüter in den Norden schipperten.

Wild ist es im outback von Alberta immer noch. Da wird gelbes und schwarzes Gold gesucht und gefunden und 150.000 Schwarzbären und Grizzlys sorgen zwischen den Rocky Mountains und den Waldmeeren dafür, dass niemand zu Fuß geht.

Mein Sohn Ben und ich haben es trotzdem versucht ... aber da war sofort der Hausherr zur Stelle und bewaffnete uns mit Winchesters und zwei Handvoll Patronen. Außerdem erklärte er uns für komplett crazy zu Fuß irgendwohin zu latschen. Immerhin wurde noch der gute Rat hinterher gebrüllt: „Auf den Bauch halten – nicht auf den Kopf!“ Er meinte den ebentuell angreifenden Grizzly ...

Wir lernten die urige Einöde der Pappelwälder kennen. Wir schlugen uns zum Athabasca-River (zwei Mal so breit wie Altvater Rhein) durch und mit uns ein Elchbulle, der wie ein Tank durchs Unterholz brach und dich neben uns mit aufschäumender Bugwelle in den Fluß rauschte. Das Ratsch-Ratsch der zwei duchgeladenen Rifles war bei dem Krach gar nicht zu hören. Mit einem Stoßseufzer entluden wir die Schießeisen wieder. Kein Bär ... was für ein Glück.

Auf dem langmeiligen Heimweg stießen wir beim Marsch durch den Walddschungel auf einen Fahrweg und konnten die moorverkrusteten Beine strecken. Nach wenigen Minuten bremste einer dieser überdimensionierten Pick-Ups dieses Landes und der Fahrer entpuppte sich als Bärenbeauftragter einer Erdölcompany. Mit jeder Menge langläufiger Schießprügel aller Kaliber an der Trennwand hinter dem Fahrersitz.

Er erklärte uns als erstes für komplett crazy (das kannten wir ja schon) sich zu Fuß zu bewegen. Und er wußte kompetent von Bären zu berichten. Er hatte sogar ein Buch darüber geschrieben. Sein Job: Sicherheit für ein neues Bohr-Camp zu garantieren, bis die 5-Meter-Zäune um die Wohn-, Werkstatt- und Küchen-Container stehen. Bis dahin ist er mit drei Trappern rund um das Camp unterwegs und liest aus den Spuren, wie stark die jeweils örtliche Bedrohung ist. Erste erkundende Bären werden mit Krach verscheucht. Formieren sie sich stärker, werden Gummigeschosse eingesetzt. Und nur in allerletzter Konsequenz wird scharf geschossen.

Ziel der Bären ist nicht der Mensch, sondern dessen Abfälle! Die sind leichter zu ‚erjagen’ und schmecken besser als das ewige Moose-Fleisch ...

Mit einem echten Trapper klapperte ich dessen Biber-Fallen-Strecke ab. Das macht er jeden zweiten Tag – auf einem Rundkurs von 400 Meilen. Die Biber haben überhand genommen, seit in Europa Pelze im Kreuzfeuer der Kritik stehen und man sich treuherzig sagte: „Wenn wir die Pelzjäger oder –züchter boykottieren ... geht es den armen Tierlein im Walde wieder besser“.

In Wahrheit geschieht folgendes: Der Biber hat kaum noch natürliche Feinde. Der Bär erwischt ihn nicht, der Coyote nur selten. Sie stauen längs des Athabaskas die Nebenflüsse, die bei Hochwasser gerissen werden. Die riesigen Biber-Dämme halten das Wasser, bis es überläuft und die umliegenden Ländereien weiträumig unter Wasser setzt. Die Pappelwälder ähneln Mangrovenwäldern ... stehen der Fuß hoch unter Wasser. Verfaulen!

Die Landbesitzer sprengen die Dämme mit Dynamit ... aber zwei Wochen später ist die neue Sperrmauer aus Geäst und Schlamm hochgezogen. Und wieder ist Kahlschlag im Walde. Ich habs gesehen: das sieht wie Wald nach Windbruch aus, wenn die Biberkolonie Kleinholz macht!

Also werden Trapper vom Staat eingesetzt. Die fangen die Biber in Traps wie einst bei Lederstrumpf & Co. ... aber jetzt für einen Hungerlohn. Ein paar Pelze werden gegerbt und weich gemacht – nein, nicht mehr von Squaws weichgekaut – und in den Touristenshops verkauft. Die Masse aber der gefangenen Biber verludert und wird in riesigen Gruben entsorgt.

War das die angestrebte Lösung der Gutmenschen in Europa?

Drei ereignisreiche Gast-Wochen lang erlebten mein Sohn Ben und ich Abenteuer und Wildnis pur. Ich vermisste anfangs etwas das Bild der Canada-Fata-Morgana a la „Kristallblauer Lake, in dem sich die schneebedeckten Rockys spiegeln. Umsäumt von riesigen Tannen ... und auf dem See ein Birkenrinden-Canoe ...“

Alberta ist brettflach. Die Pappelwälder sind überall ... man sieht nur die Front der silbrigen Stämme und keinen Schritt weiter. Es gibt keine Höhe, von der aus man mal alles überblicken könnte. Und es gibt nur wenige Straßen. Auf dem highway ist man allein – im Geschwindigkeitsrausch von 80 km/h. Keiner fährt schneller. Aber man kann ja auch niemanden überholen – ist ja niemand da. Höchstens Mutter Bär mit ihren zwei oder drei ‚Kleinen’ (zwei pelzige Meter hoch). Die rasen – wenn ein Wagen verbotener Weise hält - auf das Alarm-Grunzen der Mutter die Pappeln hoch, dass die Rinde fetzt.

Ein Elch (=Moose) dem es auf der Autopiste gefällt, der wird behutsam umfahren. Dann kommen mal wieder zehn Meilen lang Raupenteppiche, die von einem kahlgefressenen Waldstück zum noch belaubten überwechseln. Es fährt sich darüber wie durch überreife Tomaten ...

Entfernungen sind Schall und Rauch. Beim ersten Mal ahnten wir noch nichts, als Götz und zu ‚einem kleinen Ausflug’ einlud. Der endete nach 2.000 Meilen am Großen Sklavensee im Norden ....

Und nachts brannte das Lagerfeuer und die alten Geschichten gingen rund ... während 200 Meter weit rechts und 100 Meter weit links die Erdölpumpen nickten. Mitten im Wald ... aber alles pieksauber. Keine oberirdischen Pipelines. Alles unterirdisch. Und wir fühlten uns in den Kanadischen Nächten überirdisch gut!

Danke, Götz! Das war dann wenigstens am Ende des Berufslebens ein Stück True West ...

***


So ritt ich denn nie auf einem horseback sonden nur auf meinen vier und auf den 26 Buchstaben unseres ABCs durch die Prärie der Fantasie und beschrieb sie so real, wie es meine Vorstellung erlaubte.



„Fare well!“
ruft Euer

Peter Wiechmann


PS: Weil ich über den Großen Teich nach Hause schwimme, wird es ein Weilchen (= ca. 14 Tage) dauern bis ich mich hier wieder melde (Beifall von allen Rängen: "Gott sei Dank!").
Peter_Wiechmann ist offline