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Alt 30.03.2022, 17:20   #52  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
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Aus The Shades Journal

Eddy Gomez hatte ein gewisses Talent für die Art von Tanz, die er diese Nacht für mich aufführte. Ich denke der Apache Dance, wie man ihn in den Pariser Revuen zu sehen bekam, kam dem noch am nächsten. Also die Shows, in denen man Männer mit Baskenmütze und gestreiften Westen sah, die sich anmutig und äußerst beweglich mit Frauen, aufgemacht wie „Damen der Nacht“, zum Vergnügen der Herrschaften prügelten.

Der Apache Dance ist natürlich Kunst und niemand wird dabei ernsthaft verletzt.

Mein Apache Dance, im Waschraum des Musso & Frank´s am Hollywood Boulevard, wirkte da etwas improvisierter. Eddy spielte darin die Rolle der Frau, gleichwohl er in einem wenig spektakulären lavendelfarbenen Zoot Suit statt eines geschlitzten Rocks und Netzstrümpfen gekleidet war. Wie auch immer, bei dem Tanz ist es die Frau, die scheinbar Prügel bezieht und Eddy steckte gerade eine Menge davon ein als er ruckartig eine Pirouette nach der anderen als Reaktion auf die Schläge und Tritte, die er kassierte, drehte. Die, die Rolle des Mannes übernehmende Person, tat all dies in diesem Stück – und man sollte sich hüten sie auf das Tragen einer Baskenmütze und einer gestreiften Weste anzusprechen, wollte man nicht dieselben Schläge einstecken wie der bedauernswerte Eddy. Sam Mild hatte die ganze Zeit über eine Zigarette im Mund. Diese … Ungezwungenheit verstärkte nur das Surreale dieser Situation.

Sam stieß ein wenig Rauch aus dem Mundwinkel. „Warum willst du nicht reden?“ fragte er zum zwanzigsten Mal.
„Ich bin kein Verräter,“ spuckte Eddy zusammen mit einem seiner Schneidezähne aus.
„Seit wann das? Bist du nicht Eddy Gomez, der seine Mutter für 150 Bucks an die Polizei verkauft hat?“

Ich lächelte. Milds Anspielung war nicht wirklich witzig, ich hielt es aber für die augenblicklich höflichere Form. Gomez antwortete, begleitet von einem blutigen Husten...
„Es waren zweihundert und die Alte hatte sich das selbst zuzuschreiben.“
… und ich realisierte, dass Mild nicht versucht hatte einen Witz zu machen.

„Hey! Was ist da drin los?“ Es war einer der Kellner. Er klopfte an die verschlossene Tür. Seine Stimme hatte etwas Schrilles. „Wenn ihr da drin nicht auf der Stelle aufhört mit was auch immer ihr da tut, rufen wir die Cops. Hier gibt es Gesetze, wisst ihr.“

„Halt die Klappe,“ brüllte Mild zurück während er Eddy den nächsten Schlag verpasste.

„Wir haben hier Gesetze!“ Der Kellner war nicht umzustimmen. „Wir haben berühmte Leute, die die Räume nutzen wollen. Wir haben Sidney Greenstreet hier und er will rein.“

„Erzähl dem fetten Bastard, dass er nicht so viel fressen soll...“
Ein weiterer Schlag, diesmal an die Seite von Eddys Kopf.
„...und dass er seine Mädchenblase noch ein wenig länger im Griff behalten soll.“

Ein Schnaufen war zu hören, vermutlich von Greenstreet selbst als der Kellner mit seiner Schulter versuchte die Tür aufzubrechen und dabei ein Dröhnen verursachte. Ich gehe davon aus, dass er etwas schmächtiger gebaut war, jedenfalls war der Effekt dieser Aktion auf die Tür, deren Aufhängung, das Schloss oder die Serie von Schlägen, die Eddy weiter hinnehmen musste, nicht erkennbar

„Das reicht jetzt, scheiss auf die negative Publicity,“ schrie der Kellner mit unangenehm hoher Stimme. „Ich rufe jetzt die Cops.“

„Mist.“ Mild trat Eddy zwischen die Beine. „Denen ist schlechte Publicity egal während mein Auftrag lautet, dass Mr. Hughes schmutzige Wäsche nicht öffentlich gewaschen wird.“ Er drängte Gomez zur Tür. „Komm Eddy. Wir machen einen Ausflug. Ich liebe die Canyons bei Nacht. Wie steht´s mit dir?“

- - -

Wir hatten das Musso & Frank´s eine Viertelstunde zuvor erreicht. Der Laden war voll. Es war eine beliebte Lokalität mit ihren gemütlichen holzverkleideten Kabinen und guter Hausmannskost. Mitunter schaute einer der Stars vorbei um sich ein Sandwich zu genehmigen oder eine Suppe, so dass auch viele Touristen kamen, die darauf hofften einen von ihnen zu sehen. Als wir eintraten sah ich Greenstreet in einer Eckkabine sitzen wie er ein Hühnchen genoss. Abgesehen davon bestand das Publikum aus der üblichen Laufkundschaft.

Mild pflügte durch den Raum, dabei einen Kellner zur Seite drängend, der ihm einen Platz zuweisen wollte. Wir hielten Ausschau nach Eddy Gomez und Mild legte es darauf an, dass dies die Endstation unserer nächtlichen Suche nach dem Kerl sein sollte.

Unsere Suche hatte in einer Billardhalle nahe dem Santa Monica Pier begonnen. Ein langer Kerl namens Gunny hatte Mild und mir erzählt, dass der Freund eines Freundes eines Freundes „etwas über Hughes“ gehört hatte aber nicht wüsste was.

Von da aus fuhren wir nach Fairfax in ein kleines Motel wo Gunnys Freund eines Freundes eines Freundes die Vorzüge einer älteren Dame genoss, die ein erstaunliches Maß an Haarwachstum auf ihrer Oberlippe vorweisen konnte. Hätte sie nicht versucht völlig unbekleidet vom Bett ins Bad zu eilen als Mild die Tür eintrat, ich hätte ihrem Geschlecht mehr abgewinnen können. So nehme ich an, dass ihr Erscheinungsbild eher Männer anspricht, die Perücken und Unmengen an Rouge etwas abgewinnen können. Der Freund eines Freundes eines Freundes wirkte nervös. Er wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen. Er änderte seine Meinung als Mild seine Genitalien in die Schublade des Nachtschrankes steckte und damit drohte diese zu schließen. Nun kümmerte es ihn nicht mehr wie hart es jemanden treffen könnte sofern er sein Stelldichein weiter fortsetzen könnte.

Und so fuhren wir erneut durch die Nacht. Es hatte zu regnen begonnen, aber die Scheibenwischer des Wagens taten ihren Dienst und Mild wusste mit den nassen Straßen L. A.s gut umzugehen. Ich fühlte mich wie ein Fahrgast.

Der Freund eines Freundes war ein Schlagzeuger in einer leidlich guten Tanzkapelle. Sie spielten in einem kleinen Kellerclub in Los Feliz. Gemischtes Publikum. Latinos in ihren Zoot Suits. Einige Soldaten. Einige zwielichtige Gestalten mit bleicher Haut und verschlagen dreinblickend.

Der Schlagzeuger hieß Jerry.

„Hey, Mann,“ sagte er in seinem coolsten Halbflüstern, „ihr seid Freunde von Gunny? Gunny schuldet mir 40 Dollar.“

Er fing sich von Mild eine Rückhand ein. „Mir egal ob er dir sein Leben schuldet. Ich will wissen wer über Howard Hughes redet.“

„Habe ich vergessen.“

Mild seufzte. „Weißt du, wenn ich deine Hände bearbeite, dann kann es sein, dass die wieder heilen und du weiter dein Schlagzeug bearbeiten kannst. Wenn ich sie aber festhalte während mein Kumpel mit dem Wagen drüberfährt, wirst du nie wieder die Hi-Hat schlagen. Warum denkst du also nicht noch einmal scharf nach und vielleicht kommt dann deine Erinnerung zurück?“

Ich sah in Jerrys Augen. Sie drehten sich wie die Teller eines Akrobaten im Vaudeville Theatre.

„Der Mann nimmt Drogen,“ sagte ich.

Mild sah ihm genauer ins Gesicht. „Sie haben recht. Das hätte ich merken müssen.“ Er schüttelte Jerry. „Bist du drauf? Du wärst nicht der erste Jazzer mit dieser Angewohnheit. Das dürfte es einfacher machen die Informationen zu bekommen.“

Mild griff in seine Jacke. Ich nahm an zu seiner Waffe. Oder einem Totschläger. Stattdessen holte er vier Zwanziger hervor.

„Gunny schuldet dir vierzig? Hier hast du sie und dasselbe nochmal. Willst du sie? Da kannst du dir eine Menge von deinem Zeug kaufen. Gib mir einen Namen und du kannst dir dein Hirn ausblasen, mein Freund.“

Jerry starrte auf das Geld. Er wirkte wie erstarrt. Er sah aus als ob er versuchte all die Puzzleteile an Informationen in seinem Kopf zusammenzufügen … Geld … mehr Informationen … gib ihm mehr Informationen … ich kriege Geld … mit Geld kaufe ich Drogen … mit Geld … für Informationen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete er seinen Mund.

„Kennt ihr Eddy Gomez?“

- - -

Uns so erreichten wir das Musso & Frank´s. Wir fanden Eddy, der die Bekanntschaft eines Sandwiches mit Eiersalat machte. Mild stellte in auf die Beine und bewegte ihn auf die Herrentoilette. Die Befragung mündete in Schläge. Es folgte die schrille Drohung des Kellners und die Nachricht von Greenstreets voller Blase. Raus aus der Hintertür während die Polizei von vorne das Lokal betrat. Ins Auto, das wir dort geparkt hatten … und weg.

Unser Wagen parkte weit oben auf einer verlassenen Nebenstrecke des Mulholland. Mild schaute auf die Lichter des San Fernando Valley.

„Du magst die Canyons?“ fragte er Eddy.
„Ja. Mitunter komme ich mit einem Mädchen hierher.“
„Ich auch. Ist das nicht der Grund weshalb Gott sie erschaffen hat?“
„Mädchen?“
„Nein, die Canyons.“
Vom Rücksitz aus verfolgte ich den Wortwechsel, ein Lächeln unterdrückend.
„Ich verstehe dich nicht, Eddy,“ sagte Mild.
„Ich bin ein einfacher Kerl. Was gibt es da nicht zu verstehen?“
„Ich habe dir die Seele aus dem Leib geprügelt. Warum erzählst du mir nicht was du über Mr. Hughes gehört hast? Wenn du hättest Geld haben wollen, ich hätte es dir gegeben. Und du wärst aus dieser Nummer raus.“
„Ich habe meine Gründe.“
„Du hast Gründe? Du hast Gründe?! Du bist ein Lappen, hast aber echt Eier.“
„Was wirst du nun mit mir machen?“
„Ich werde dich töten.“
„Einfach so.“
„Einfach so. Ich werde dir eine Kugel verpassen und dich dann von der Straße in den Canyon befördern. Bis die Cops dich finden werden dich die Coyoten schon angenagt haben. Eine dreckige Art zu sterben. Gomez … ein Mexikaner, richtig? Du kommst von südlich der Grenze?“
„Ich wurde in San Francisco geboren. Mein Vater arbeitete in den Weinbergen.“
„Und mit dem Namen bist du sicher auch noch Katholik. Sicher bist du das. Kein offener Sarg beim Begräbnis wenn die Hunde dein Gesicht angefressen haben.“
Eddy saß eine Weile auf dem Beifahrersitz. Er starrte auf die blinkenden Lichter unter sich. Tränen flossen über seine Wangen.
„Ich liebe diese Stadt. Ich hasse es sie zu verlassen.“
Mild verdrehte die Augen. „Warum bleibst du nicht? Sag mir was du weißt, Eddy. Glaub mir. Ich werde dich töten und keinen weiteren Gedanken daran verschwenden. Aber es macht mir keine Freude und ich würde dich lieber zurückfahren an einen Ort deiner Wahl und dich dort absetzen. Zur Hölle, spuck aus was du weißt und ich gebe dir noch tausend oben drauf. Nimm es als Entschuldigung dafür, dass ich dich verprügelt habe.“
„Ich fürchte mich.“
„Vor was? Ich werde dich in einer Minute töten wenn du den Mund nicht aufmachst. Wovor könntest du dich mehr fürchten?“
„Meine Seele.“
„Was sagst du?“
„Was ich gehört habe ist, dass Mr. Hughes von Figuren aus einem Kinderbuch angegriffen wurde, richtig?“
„Vielleicht,“ antwortete Mild einen perfekten Rauchring ausstoßend.
„Vielleicht auch nicht. Richtig?“
„Yeah.“
„Es ist die Rede davon, dass dahinter ein Magier steckt. Es ist die Rede davon, dass er sich mit Schwarzer Magie und solchem Zeug auskennt. Die Rede ist davon, dass er über eine ganze Armee seelenloser Helfer verfügt, die tun was er sagt.“
„Wirklich?“, Mild klang skeptisch.
„Er war ein Regisseur,“ fuhr Eddy fort, ungeachtet von Milds Tonfall. „Bis jetzt. Er war eine große Nummer. Horrorfilme. Drehte mit Lon Chaney, auch eine große Nummer. Dann ging es mit seiner Karriere bergab. Er beendete sie ´38 oder ´39.“
Mild packte Eddy am Kragen. „Ich will nicht seine Lebensgeschichte. Nur seinen Namen.“
Eddy schluckte und seufzte. „Sein Name ist Tod Browning,“ sagte er und schüttelte sich leicht als er dies tat.



Geändert von LaLe (18.01.2023 um 14:34 Uhr)
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