Thema: Filmklassiker
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Alt 14.08.2023, 05:46   #1491  
Nante
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Nun denn...

Zu den prägenden Filmerinnerungen eines Ossis wie mir gehören neben den Indianerfilmen mit Gojko Mitic und denen der „Olsenbande“ natürlich auch die Sowjetischen Märchenfilme, vor allem die von den Regisseuren Alexander Ptuschko und Alexander Rou. Meist im Nachmittagsprogramm laufend, klappte am Anfang immer der Fensterladen einer russischen Bauernhütte auf, eine strahlende „Babuschka“ in Tracht begrüßte die Kinder und begann zu erzählen…

Während Ptuschkos Filme eher durch Dramatik und Pathos auffielen („Ilja Muromez“), mangelte es Rous Filmen bei aller Dramatik selten an augenzwinkerndem Humor und lustigen Nebenfiguren.

In dieser Hinsicht am gelungensten ist für mich sein Film „Feuer, Wasser und Posaunen“ aus dem Jahr 1968. Man könnte ihn fast für eine persiflierende Neuauflage seiner Frühwerke „Die schöne Wassilissa“ aus dem Jahr 1940 und „Der Unsterbliche Kaschtschei“ aus dem Jahr 1944 halten, denn hier wie da geht es darum, daß eine junge Frau von einem Hexer/Drachen entführt wird und ihr Geliebter alle möglichen Abenteuer bestehen muss, eher er sie retten kann.

Damit hört es aber auch schon auf, denn im Film von 1968 ist eigentlich alles anders:

- Der Bösewicht Kaschtschei (eine Figur aus der russischen Mythologie, deren Besonderheit es ist, daß ihre „Seele“ außerhalb des Körpers versteckt ist und er so schwer zu töten ist > Darum auch „Gerippe Unsterblich“ ) ist ein in die Jahre gekommener Lustmolch im dritten Frühling, der sich gern „Gerippchen“ nennen läßt.

- Sein Hofstaat (und Hochzeitsgäste) ist ein Panoptikum gruselig-komischer Figuren, die selbst die Ball-Gesellschaft in Polanskis „Tanz der Vampire“ in den Schatten stellt.

- Der Held Wasja (durch Alexei Katyschew mit naivem Charme gespielt) ist kein schwertschwingender Recke sondern ein fröhlicher Köhler, der mit sich und seinem Leben eigentlich zufrieden ist und nur durch die Entführung seiner Braut Aljonuschka (Natalja Sedych ) gezwungen ist, über sich hinaus zu wachsen. Praktisch eine idealisierte Darstellung des „einfachen“ russischen Bauern, etwas naiv aber doch pfiffig, der Probleme nicht durch Gewalt sondern mit Grips und Humor löst.

- Die Handlanger des Bösen sind ebenfals keine monströsen Ungeheuer sondern „nur“ hinterhältige aber auch mit schrägem Humor ausgestatte Figuren mit einem Faible für Verkleidungen, die Wassja so mehrmals übertölpeln können.

- Die Hexe Baba Jaga (wie bereits 1940 verkörpert Georgi Milljar sowohl diese Figur UND die des Kaschtschej genial) steht diesmal auf der anderen Seite und wird gleich am Anfang in einer herrlich skurilen Szene beim „Einflug“ zum Landeplatz dirigiert.

- Dazu jede Menge weitere Nebenfiguren wie eine sprechende Ziege, ein total vertrottelter Zar mit nicht weniger vertrotteltem Hofstaat und als Höhe/Tiefpunkt eine absolut unfähige Feuerwehrtruppe.

- Passenderweise endet der Film damit, daß Wassja und Aljonuschka am Ende nun einfach nur das machen, was sie eigentlich schon am Anfang (vor Aljonuschkas Entführung) machen wollten: In die Stadt zum Jahrmarkt gehen.
- Und wenn man will, kann man in einigen Szenen durchaus Anspielungen auf die herrschende Ideologie und Stagnation heraus lesen.

Das einzige, was ein wenig enttäuscht, ist die weibliche Hauptfigur. Während Natalja Sedych im Vorgängerfilm „Abenteuer im Zauberwald“ fast die ganze Filmhandlung hindurch immer aktiv die Akzente setzte und bis zum Schluss eigentlich ganz gut ohne ihren „Helden“ auskommt, bleibt ihr hier fast nur die Rolle der zwar tapfer ausharrenden und ab und zu frech aufbegehrenden ansonsten aber still leidenden Frau, die auf ihre Rettung wartet.

Unterm Strich bildet der Film für mich zusammen mit dem bereits erwähnten Vorgänger und dem Nachfolger „Die schöne Warwara“ A. Rous „Goldenes Trio“. Weder vorher noch in seinem wieder etwas pathetischeren Spätwerk erreicht er diese mit scheinbar leichter Hand hingezauberte Mischung aus Russischer Folklore, Magie und (bisweilen recht derbem) Humor.
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