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Alt 23.08.2015, 14:05   #23  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Ein einfaches Motiv, das ich aber nicht unterschätzen möchte, ist, daß man eine Geschichte erzählen will. Ich glaube, viele Menschen haben den Kopf voller Geschichten - die sind halt nicht unbedingt alle zu Literatur formbar. In unseren postmodernen Zeiten, in der angeblich alle Geschichten längst erzählt sind, ist das zudem problematisch.
Manchmal ist die Geschichte bloß das Ausgangsmaterial, und die Sprache an sich gerät in den Mittelpunkt des Interesses. Letzten Endes kann diese Methode zu komplexen Sprachkunstwerken führen, die sperrig, abweisend und auf den ersten Blick unzugänglich sind. Weder Kafka noch Proust oder Büchner sind leichte Lektüre. Jeder Satz, jede Seite, jedes Kapitel verlangt dem Publikum etwas ab. Solange sich die Mühe lohnt, ist der Aufwand gerechtfertigt.

Auf der anderen Seite wurden Werke, die keine solchen Barrieren, Hürden und Hindernisse haben, fast automatisch als leichte Lektüre oder gehobene Unterhaltung betrachtet. Erst durch die Postmoderne-Debatten hat sich der Blick geweitet. Wenn sich ein Autor weiterentwickelt, zieht das Publikum nicht immer mit, und diese Nebenwirkung kann Karrieren leicht zerstören.

Melvilles Moby Dick wäre ein klassisches Beispiel. Als der Roman erschien, war Melville ein etablierter Erzähler, den das Publikum mit unterhaltsamen Südseeabenteuern verband. Moby Dick wurde zwar veröffentlicht, fiel aber bei dem zeitgenössischen Publikum und der Kritik durch. Die Schulden dieses Desasters belasteten Melvilles restliches Leben.
Erst durch die Wiederentdeckung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch die modernen Literaten wurde das Werk rehabilitiert. Es wird anerkannt und kanonisiert.

Wer heute Vergleichbares vorhat, sieht sich einer Branche gegenüber, in der Renditeerwatungen die meisten Verlagsprogramme bestimmen. Ohne eine gewisse Bibliographie, einen gewissen Ruhm zumindest auf der lokalen Ebene oder andere Erfahrungen wird sich kaum ein Lektor, Verleger oder Herausgeber finden lassen, der das Risiko eingeht und dem Autor einen ungewöhnlich hohen Kredit einräumt. Solche Fälle kommen vor, aber sie verlangen einen entsprechenden Einsatz auf beiden Seiten.

Außerdem kann ich mir vorstellen, daß Autoren, die das Kleine Einmaleins beherrschen, mit den Rahmenbedingungen unzufrieden sind. Das Manuskript liefert die Initialzündung des Verlagsprozesses und stellt ungefähr 30 % des fertigen Buches dar. Wer dafür als Debütant mit mageren 5-8 % von den Nettoeinnahmen abgespeist wird, kann sich über den Tisch gezogen fühlen. Die fehlenden 20-25 % sollten in einem fairen Vertrag zumindest mittelfristig über andere Wege (Lesungen, Vorträge, Preise) hereinkommen.
Ich kann jeden verstehen, der sagt: "Unter diesen Bedingungen verzichte ich auf eine Veröffentlichung. Das empfinde ich als Beleidigung! Dann haben eben die Verlage und das Publikum Pech gehabt."
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