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Alt 29.12.2018, 16:43   #462  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 102

Erscheinungstermin: 1/1978

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 101
2) Mighty Thor # 133

Story-Titel:
1) Ein Monster namens… Morbius!
2) Sieh… der lebende Planet!

Original-Storytitel:
1) A Monster called Morbius!
2) Behold, the living Planet!

Zeichnungen:
1) Gil Kane / Frank Giacoia
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Roy Thomas
2) Stan Lee



An diese Ausgabe habe ich mich kaum erinnert, was nicht unbedingt für sie spricht. Ich wußte noch, daß die Spinne eine Zeitlang mit acht Gliedmaßen oder auch sechs Armen herumläuft. Ich hatte den Vampir Morbius als Figur im Kopf und auch, daß die Spinne sich zwischen Morbius und der Echse wiederfindet. Aber mehr nicht. Es ist die erste von einem anderen Autor, nämlich Roy Thomas, geschriebene Episode. Sein Stil ist etwas anders als der von Stan Lee. Ich muß feststellen, daß der Zufall hier nicht so sehr bemüht wird wie bisher. Andererseits ist es schon eine befremdende Idee, die Spinne gegen einen Vampir antreten zu lassen, und die sechs Arme (die wohl noch auf das Konto von Lee gehen) nehme ich Marvel auch nur mit einigem Zögern ab. Die Zeichnungen gefallen mir nach wie vor mit kleinen Abstrichen gut.

Wenn ich mich recht entsinne, bedeutete die Lockerung des Comics Code auch, daß im Bereich Horror mehr möglich wurde. Die Morbius-Story schockt mich zwar nur begrenzt, aber vorher wäre so ein Auftritt wohl gar nicht möglich gewesen. Etwa zur selben Zeit startete Marvel auch „Dracula“ und „Frankenstein“ und andere Gruseltitel. Allerdings reichen Gil Kane und Frank Giacoia nicht an Gene Colan oder Mike Ploog heran. Vielleicht hätte Inker Jim Mooney mit seinen ausgeprägten Schatten etwas mehr Atmosphäre erzeugt.

Was sich abspielt, finde ich glaubwürdiger als vieles, was Stan Lee zuvor zusammendichtete. Peter Parker erwacht, entdeckt seine vier Zusatzarme und bekommt gleich zwei wichtige Anrufe: Gwen möchte ihn ins Kino einladen. Da sie auf keinen Fall von den Armen erfahren darf, sagt Peter mit der vagen Begründung ab, er müsse verreisen. Gwen reagiert hier mal wieder reichlich kühl, aber man kann das nachvollziehen, weil Peter offenkundig etwas vor ihr verbirgt. Gleich darauf meldet sich Joe Robertson mit einem Fotoauftrag. Peter schützt erneut vor abzureisen. Bei Jonah Jameson wäre er damit schon unten durch, aber Robertson sorgt sich, daß Peter irgendwie in Schwierigkeiten stecken könnte.

Nun bedient sich Thomas zwar direkt bei Bram Stoker, bringt aber damit Morbius und die Spinne glaubwürdiger zusammen, als wenn der Vampir einfach um die Ecke biegen würde (wie das Lee wohl geschrieben hätte). Ein Mann ist aus dem Meer vor der Ostküste der USA gefischt worden. Nun ist der Kapitän des Trawlers tot, und die Mannschaft glaubt, daß der Fremde schuld ist. Als die Crew ihn überfallen will, tötet er auch sie und trinkt ihr Blut. Im Originalroman läuft ein Schiff mit toter Besatzung in den Hafen von Whitby ein. An Land bezieht die Spinne ein Ferienhaus von Dr. Curt Conners, zum einen, um sich zu verstecken, zum anderen, um in Conners‘ Labor nach einem Mittel zu suchen, das ihre Veränderung rückgängig macht. Dieses Haus sieht aus wie das Motel von Norman Bates, worauf Thomas selbst hinweist. Morbius geht an Land und sucht nach weiteren Blutspendern; er betritt Conners‘ Haus.

Die Spinne ist ihm ein willkommenes Opfer. Sie ist vom langen Forschen erschöpft, zudem hat sie ihre sechs Arme noch nicht richtig unter Kontrolle. Es gelingt Morbius zwar nicht, sie zu beißen, aber er stürzt sie von einem Balkon herunter. Die Spinne bleibt benommen liegen. Daß genau in diesem Augenblick Conners in seinem Haus auftaucht (was er hier genau will, bleibt offen), ist wieder mal ein heftiger Zufall. Er regt sich fürchterlich auf und wird zur Echse. Die beiden Monster beginnen, sich um die Spinne zu balgen, die langsam wieder zu sich kommt. Naja, dieser Schluß wirkt eher wieder zusammengezwungen. Leider erfahren wir nicht, wo Morbius überhaupt herkommt. Interessant wäre vielleicht auch gewesen, warum Conners so ein Gespenstergemäuer sein Eigen nennt. Ersteres wird vielleicht noch aufgeklärt, letzteres sicher nicht.

Insgesamt paßt Morbius aber nicht in das Setting der Spinne. Er trägt einen Latexanzug wie ein Superheld. Er muß das Licht nicht so penibel meiden wie seine literarische Vorlage – wenn es Morgen wird, kann er sich ganz gemächlich einen Schlafplatz suchen, und er hängt sich wie eine Fledermaus auf, statt in einen Sarg zu steigen. Welche Mittel gegen ihn helfen (Knoblauch, Kreuz, Holzpflock) und ob er ein Spiegelbild hat, erfahren wir noch nicht. Er hat doch eher etwas von einem Superschurken als von einem Vampir. Heute würde so etwas wunderbar in die Mashup-Kultur passen, aber mir gefällt die Sache nicht. Warten wir ab, wie die Geschichte aufgelöst wird – vor allem, wie die Spinne ihre überzähligen Arme wieder loswird. Detail am Rande: Zum ersten Mal seit längerem gibt es mal wieder eine Monatsvorschau, die von ihrer grafischen Struktur her an die alten Vorschauen vor der Ausweitung des Programms erinnert. Wir haben allerdings hier nicht mehr sieben Titel, sondern nur noch vier (einschließlich „Horror“ von DC).



Geändert von Peter L. Opmann (25.04.2019 um 14:39 Uhr)
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