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Alt 15.12.2014, 16:31   #269  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Noch einmal Superhelden und Medizin

Diesmal geht es um Organspende und Comicplakate. Dazu wurden DC-Superhelden eingespannt.
Zitat:
MONA MOTAKEF, Sozialwissenschaftlerin im Arbeitsbereich für Soziale Ungleichheit und Geschlecht der Universität Duisburg-Essen
Sein wie Superman
Organspende zwischen Biopolitik und Popkultur

Das Deutsche Herzzentrum (DHZB) in Berlin ist, laut Selbstdarstellung, eine »Hochleistungsklinik«, spezialisiert auch auf Transplantationen. Diese sollen ausgeweitet werden, was jedoch nicht so recht zu gelingen scheint. Um Abhilfe zu schaffen, lanciert das Herzzentrum Werbekampagnen mit popkulturellen Referenzen, wie zum Beispiel die Comic-Plakataktion »Das kannst Du auch«.
(...)
Dass das DHZB auch Comic-Figuren für geeignete Sympathieträger hält, zeigt seine Vorgänger-Kampagne, die ich mir genauer angeschaut habe. Fünf Comic-Motive wurden seit Oktober 2009 überall in Berlin verbreitet, als bunter Blickfang auf Bussen und großen Werbetafeln. Mit ihren Körpern, Kleidern und Masken sahen sie aus wie Superman und Batman und Wonder Woman und Supergirl, allesamt bekannt aus den Bildergeschichten des US-amerikanischen Verlags DC Comics.
Einer der plakatierten Superhelden fliegt über die Dächer des nächtlichen Berlins und rettet eine Frau aus meterhohen Flammen. Eine Superheldin hilft einem Jungen aus einem Wasserstrudel. »Das kannst Du auch«, verheißt die bebilderte Botschaft, denn: »Organspende heißt Leben retten«. Jede/r kann sein wie Batman, der im US-Comic ja eigentlich ein ‚durchschnittlicher’ Mensch ist und nur dann zum Superhelden wird, wenn er sich die Maske überzieht. Dem Herzzentrum geht es allerdings nicht um Maskerade, sondern um das Ausfüllen eines Organspendeausweises.
So auch in der Adaption des Berliner Herzzentrums: In einem Bild trägt der Superheld eine junge Frau auf seinen starken Armen aus den Flammen, deren knappes Kleid verrutscht und deren Oberkörper halb entblößt ist. In einem anderen Bild erscheint die Superheldin mit großen Brüsten sehr weiblich und rettet einen Jungen, der ihr Sohn sein könnte. Die Figuren sind Prototypen idealisierter Männlichkeit und Weiblichkeit. Gleichzeitig überbieten sie mit ihrer Kraft, ihrer Intelligenz, ihrem Engagement die gängige Norm.
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Das Herzzentrum agiert subtiler, anstatt eines erhobenen Zeigefingers tritt es selbst als Geber des Identitätsangebotes auf, Superheldin oder Superheld zu werden. Wer sich zur Organspende bekennt, gilt nicht als unweiblich oder unmännlich, schwach, doof und überflüssig. Vielmehr gewinnt er oder sie an sozialem Prestige, so jedenfalls das Versprechen der Kampagne.
Die Heroisierung ist unredlich. Denn erstens wird suggeriert, dass es über Organspende nichts mehr zu verhandeln gibt. Organspende tritt dadurch als Thema aus der Sphäre des Politischen heraus. Zweitens wird verschleiert, dass Transplantationen nicht nur segensreich sein, sondern auch als sehr problematisch erlebt werden können. Mit dem Imperativ des Ursprung-Comics »Böses zu verhindern« und der Übersetzung des Berliner Herzzentrums »Tod zu verhindern«, wird Transplantieren ausschließlich mit Retten gleichgesetzt.
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aus: BIOSKOP Nr. 53, März 2011, Seiten 12+13
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