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Alt 10.12.2017, 12:45   #90  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Der handelsübliche Comic erzählt Geschichten, wodurch die Bilderfolge zu einem Mittel wird, das an sich eine untergeordnete Rolle spielt. Das einzelne Panel wird Teil des Erzählflusses, der möglichst ständig in Bewegung bleiben soll.
Im Gefolge der Konzeptkunst und fast zeitgleich mit den berühmten Konzeptalben der Popkultur entstanden seither Comics, die gewohnte Muster aufbrachen und ähnlich funktionierten wie die Vettern in der Kunst.
Zwei dieser Klassiker möchte ich hier vorstellen:

Alejandro Jodorowsky (Szenario) / Mœbius (Zeichnungen): Les Yeux du chat (Les Humanoïdes Associés 1978, 1991, 2011, 2012 und 2015), deutsche Ausgabe: Die Augen der Katze (Volksverlag 1984), englischsprachige Ausgabe: The Eyes of the Cat (Humanoids Inc 2011, 2012, 2013 und 2014), niederländische Ausgabe: Moebius classics 2 de ogen van de kat (Panda 1982 und Stichting Sherpa 2017), spanischsprachige Ausgabe: Los ojos del gato (Norma Editorial 2012), italienische Ausgabe: Gli occhi del gatto (Magic Press Edizioni 2013), 56 Seiten

Der Frankochilene Alejandro Jodorowsky gründete 1962 unter anderem mit Roland Topor und Fernando Arrabal in Paris die aktionistische Künstlergruppe Panique. Seine mystischen Kinofilme blieben im deutschsprachigen Raum lange Zeit Cineasten und Nerds vorbehalten, durch einen regulären DVD-Vertrieb konnte er jedoch ein breiteres Publikum erreichen.
Obwohl Jodorowsky seine ersten Comicszenarios in den 1960ern in Chile verfaßte, gelang ihm der internationale Durchbruch erst mit der John-Difool-Saga um den Incal, deren Umsetzung durch Mœbius (auch bekannt als Jean Giraud und Gir) rasch zu einem Meisterwerk der Comicgeschichte avancierte.
Allerdings begegneten sich die beiden Autoren weder in Frankreich noch in Chile, sondern in USA. Dort unterstützten beide David Lynch bei seiner Verfilmung von Frank Herberts Dune.
Comichistorisch stellt die französische Erstausgabe etwas Besonderes dar, denn sie erschien nicht im regulären Handel. Die limitierte Auflage bekamen lediglich die Abonennten der Comiczeitschrift Métal Hurlant, die in den ersten Stunden die neugründete Zeitschrift unterstützt hatten - also ähnlich wie heute Goodies bei Crowdfunding-Projekten.

Eigentlich handelt es sich bei dem Comic um eine Kurzgeschichte: Von einem hohen Gebäude aus läßt ein Junge in einer Kutte seinen Falken eine Katze jagen.
Revolutionär wird der Comic durch seine grafische Umsetzung: Auf jeder Doppelseite befindet sich jeweils links der Text und rechts ein einzelnes Bild. Abwechselnd werden dabei der Junge von hinten und der jagende Falke gezeigt. Das filmische Mittel einer Schuß-Gegenschuß-Sequenz wird so in den Akt des Umblätterns übersetzt.
Die Pointe besteht in der selbstreferentiellen Handlung.


Richard McGuire: Here (Pantheon Books 2014), deutsche Ausgabe: Hier (DuMont Buchverlag 2014), französische Ausgabe: Ici (Gallimard 2015), italienische Ausgabe: Qui (Rizzoli Lizard 2015), spanischsprachige Ausgabe: Aquí (Salamandra Graphic 2015), niederländische Ausgabe: Hier (Oog & Blik 2015), rumänische Ausgabe: Aici (Editura ART 2016), portugiesischsprachige Ausgabe: Aqui (Quadrinhos na Cia 2017), 304 Seiten

Das Konzept dieses Comics ist schön einige Jahrzehnte alt: Die erste Fassung dieser visuellen Studie über Raum und Zeit in Comicform erschien zunächst als "Kurzgeschichte".
Premiere feierte das Werk auf sechs Seiten in schwarzweiß in Art Spiegelmans und Françoise Moulys berühmter Anthologie RAW vol. 2 #1 (1989); diese Fassung wurde zweimal nachgedruckt: nämlich in der Anthology of Graphic Fiction, Cartoons and True Stories vol. 1 (Yale University Press 2006) und in Comic Art #8 (Buenaventura Press 2006).
Ein farbiger Remix von acht Seiten erschien in Strapazin N° 59 (2/2000).

Der Comic treibt das Mittel des Zeitsprungs, der in gewöhnlichen Comics Szenen miteinander verbindet, auf die Spitze. Der Schauplatz beschränkt sich minimalistisch auf einen winzigen Flecken in den USA, der durch verschachtelte Panels sowohl mit der Vergangenheit als auch mit der Zukunft verknüpft wird. Dadurch öffnet sich ein Panorama vom Jahre 3 500 000 000 vor Christus bis zum Jahre 22 175.

Geändert von Servalan (23.12.2017 um 00:28 Uhr)
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