Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 14.02.2024, 06:15   #1894  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.585
Es ist zwar nicht ganz zutreffend, aber man könnte Maurizio Nichettis Film „Die Seifendiebe“ (1988) als Parodie auf „Fahrraddiebe“ ansehen. Ich habe diese beiden Filme noch nie unmittelbar nacheinander gesehen; deshalb habe ich das jetzt mal gemacht. Nichetti hat letztlich eine Satire auf das moderne (private) Fernsehen im Sinn. Da wird ein Kunstfilm, der den „Fahrraddieben“ verblüffend ähnelt, zwar ausgestrahlt, aber immer wieder durch Werbespots unterbrochen, was den Regisseur, der als Gast im Fernsehstudio sitzt, zunehmend auf die Palme bringt. Durch die Werbung wird die Handlung des Films zudem verändert. „Die Seifendiebe“ wirft aber auch einen Blick ins Wohnzimmer einer typischen TV-Gucker-Familie, die vom Wechsel von Filmhandlung und Werbung kaum etwas mitbekommt. Allerdings rutscht Nichetti mehrfach in Klamauk ab und zollt damit dem Zuschauerbedürfnis nach seichter Unterhaltung selbst Tribut.

Erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit Nichetti den Stil des Neorealismus überzeugend nachahmt. Seine „Seifendiebe“ beginnen fast genauso wie das berühmte Vorbild. Die Hauptfigur (gespielt von Nichetti selbst) findet hier jedoch trotz aller Mühe keinen Job, während seine Frau im Tingeltangel arbeitet, was ihm selbstverständlich mißfällt. Ab da entfernt sich die Imitation immer mehr vom Original, auch beeinflußt durch die zwischengeschaltete Werbung, die Dinge präsentiert, die es im Neorealismus-Italien noch gar nicht gegeben hat. Durch Fürsprache des Pfarrers erhält der arbeitslose Familienvater schließlich Arbeit in einer Glashütte. Nach Feierabend stiehlt er für seine Frau einen gläsernen Lüster. Auf dem Heimweg begegnet er einer Werbefrau, die er aus einem Fluß (vermutlich dem Tiber) retten muß. Er läßt den Kronleuchter liegen und nimmt sie mit nach Hause, was aber bei seiner Frau einen Eifersuchtsanfall auslöst. Sie geht ins Wasser, um ihr Leben zu beenden, landet dabei aber in der TV-Werbewelt.

Der Ehemann wird wegen Mordes an seiner Frau verhaftet. Er fleht die Polizei an, nach dem Kronleuchter suchen zu dürfen, der seine Unschuld beweisen würde. Auch Regisseur Nichetti (der also eine Doppelrolle spielt) steigt in den Film ein und beteiligt sich an der Suche, denn sowohl das Verschwinden der Frau als auch die Verhaftung des Mannes stehen nicht in seinem Drehbuch. Für die Familie endet der Film gut: Die Frau kehrt zurück, der Mann wird aus dem Gefängnis entlassen. Ironisches happy end für die Hauptfiguren: Sie sind aus der Armut Nachkriegsitaliens in die wundersame Konsumwelt der Gegenwart gewechselt. Dafür landet Regisseur Nichetti im Gefängnis – er hat sich an einer Sammlung für ein Geburtstagsgeschenk mit einem 10 000-Lire-Schein beteiligt. Für die Neorealismus-Welt ist das eine ungeheure Summe, und Nichetti hat sogar noch etliche weitere Zehntausender in seinem Geldbeutel. Damit ist er für die Polizei als Geldfälscher entlarvt. Am Ende trommelt Nichetti von innen gegen den Bildschirm und fleht die Fernsehfamilie an, ihn rauszulassen, aber die schaltet nur gelangweilt den Apparat aus.

Ich finde den Film originell, außerordentlich gut inszeniert und gespielt. Er enthält Elemente einer Hommage, einer Parodie und einer kritischen Satire auf die Medienwelt. Nichetti läßt sich aber keine Gelegenheit entgehen, billige Gags und Slapstickeinlagen einzufügen (als Regisseur erinnert er an Charlie Chaplin), die ich hier deplatziert finde. Das erweckt den Eindruck, daß Nichetti einem ernsthaften, vielleicht etwas spröden Kunstfilm selbst keine Chance mehr gibt. Vor der modernen Unterhaltung gibt es kein Entrinnen – und ein Publikum für Anspruchsvolleres, zumindest in Italien, wohl auch nicht mehr.

Geändert von Peter L. Opmann (14.02.2024 um 07:18 Uhr)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten