Thema: Filmklassiker
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Alt 01.02.2024, 06:06   #1878  
Peter L. Opmann
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Zu „Fahrstuhl zum Schafott“ (1957) von Louis Malle fällt mir ein eindeutiges Urteil schwer. Wieder mal ein Film, an den ich mich nur vage erinnern konnte. Das liegt daran, daß er einen beachtlichen Stilwillen zeigt (zumal für ein Regiedebüt), aber als Film noir oder Thriller nicht so richtig funktioniert. Allerdings dürfte das Absicht sein: Die Nouvelle Vague setzte sich ja bewußt von den handwerklich soliden Regisseuren der Nachkriegszeit wie Autant-Lara oder Melville ab, und Malle hatte vermutlich anderes im Sinn, als einen typischen Krimi zu drehen. Sehr stark ist das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das durch den genau passenden Soundtrack von Miles Davis noch verstärkt wird. Wenn es aber kein richtiger Genrefilm ist, dann bin ich als Zuschauer irritiert; der Film prägt sich mir nicht ein.

Die Story ist diesmal ziemlich verwickelt: Maurice Ronet soll auf Drängen seiner Geliebten Jeanne Moreau ihren Ehemann töten, der ihnen im Weg steht. Er sucht den Rüstungsmagnaten in seinem Büro auf, erschießt ihn, aber läßt es wie einen Selbstmord aussehen. Seine eigenen Spuren verwischt er sorgfältig – es ist beinahe das perfekte Verbrechen. Als er aber das Firmenhochhaus verläßt, fällt ihm ein, daß er doch eine Spur zurückgelassen hat, und fährt mit dem Aufzug noch einmal zu dem Büro hoch. Es ist Samstagnachmittag, und in diesem Moment wird der Aufzug für das Wochenende abgeschaltet und bleibt genau zwischen zwei Etagen stecken. Ronet kann sich nicht befreien. Ein Halbstarker und seine Freundin stehlen derweil Ronets Auto, das er mit laufendem Motor vor dem Haus stehengelassen hat. Sie treffen in einem Motel auf ein Ehepaar, das einen richtigen Sportwagen fährt, und der Rocker-Jüngling stiehlt auch dieses Auto und erschießt dabei den Besitzer und seine Frau mit der Pistole Ronets, die er im Auto gefunden hat.

Moreau wartet die ganze Nacht vergeblich auf Ronet und denkt schließlich, er sei zu feige für den Mord gewesen. Aus den beim Motel gesicherten Spuren schließt der Polizeiinspektor (Lino Ventura), Ronet habe den Sportwagenbesitzer ermordet, und berichtet das auch der Presse. Als Ronet schließlich aus dem Fahrstuhl freikommt und sich in ein Café setzt (der Mord, den er begangen hat, ist noch unentdeckt), wird er verhaftet. Nun fällt es ihm schwer, seine Unschuld zu beweisen, ohne den Mord, den er wirklich begangen hat, aufzudecken. Der tote Firmenchef wird inzwischen entdeckt. Moreau erfährt, daß ihr Geliebter verhaftet worden ist, und geht zur Polizei. Sie hat das junge Pärchen entdeckt, das tatsächlich hinter dem Mord an dem Sportwagenbesitzer steckt, und will die Ermittler auf die beiden aufmerksam machen. Ventura kommt darauf, daß alles ganz anders gewesen sein könnte. Der Jugendliche hat ein Problem: Er ist mit einer Kamera Ronets zusammen mit seinem Opfer fotografiert worden. Die Bilder werden gerade entwickelt. Als er sie abholen will, um sie zu vernichten, wird er bereits von der Polizei erwartet. Und nun ist auch Ronet überführt. Auf dem Film sind nämlich auch Fotos, die ihn zusammen mit Moreau als Liebespaar zeigen.

Der Film wirkt überhaupt nicht wie ein Erstlingswerk. Sehr präzise wird eine ausweglose Stimmung erzeugt: Ronet gefangen im Fahrstuhl, Moreau ziellos durch Paris irrend, später die Ermittlungen, die sich wie eine Schlinge um beide zuziehen. Das junge Pärchen wird ziemlich negativ geschildert: immer nur Dummheiten im Kopf, die plötzlich in Gewalt umschlagen können. Sie sind eigentlich haltlos und verloren. Ronet und Moreau sind dagegen Erwachsene, die sich die Folgen ihres Handelns stets genau überlegen. Doch ihre Liebesbeziehung wird nur behauptet; man erfährt darüber nichts weiteres und kann sie nicht nachvollziehen. Wie Ventura agiert, erinnert er an den Kommissar Erik Odes – nicht unbedingt eine Identifikationsfigur. Keine Figur in dem Film wirkt sympathisch. Alle sind nur Spielkegel im Griff von blinden Zufällen, die für sie allesamt negativ ausgehen. Da hat sicher der Existentialismus erheblichen Einfluß ausgeübt. Wenn es aber keine Identifikationsfigur gibt, der man wünschen würde, daß sie es schafft, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, dann fehlt eine wichtige Voraussetzung für Spannung. Manche Kritiker haben 1957 an dem Film bemängelt, daß er im falschen Tempo gedreht sei. Malle geht es jedoch überhaupt nicht darum, Spannung zu erzeugen oder gar zu steigern. Was nicht bedeutet, daß „Fahrstuhl zum Schafott“ nicht ein fesselndes Werk wäre. Aber eben kein regelrechter Thriller. Ich denke, weil Malle die Genregesetze ignorierte, hatte er in Hollywood auch Schwierigkeiten, andere als unabhängig produzierte Filme zu machen.
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