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Alt 18.01.2023, 12:48   #69  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
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From The Shade’s Journal

“Was wissen Sie über Tod Browning?”
“Weniger als Sie, denke ich.”

Mit dieser Frage brach Sam Mild das wohltuende Schweigen, das wir genossen, seit wir Eddy Gomez an der Ecke Beverly und Fairfax ausgesetzt hatten. Mild hatte Wort gehalten und dem Jungen ein wenig Geld zugesteckt, als er ihn aus dem Wagen warf. Eddy wandte sich ihm zu, als er sich auf dem Gehweg den Staub von der Kleidung klopfte.

“Danke, dass Sie Bastard mich gehen lassen”, sagte er. “Nächstes Mal versuchen Sie dann aber mich nicht allzu hart zu schlagen, okay?”
“Du solltest besser hoffen, dass es kein zweites Mal gibt. Ich bin heute gut drauf. Morgen könnte meine Laune schon eine ganz andere sein.”
“Bitte sagen Sie niemandem, was ich Ihnen über Tod Browning erzählt habe”, sagte Eddy nervös.
“Oh, das werde ich aber”, erwiderte Mild. “Ich habe meinen Auftraggebern Bericht zu erstatten, wie du weißt.”
Eddie sah Mild mit sichtlichem Unbehagen an.
“Aber niemand muss wissen, von wem ich diese Informationen habe,” fuhr Mild fort. “Sei also unbesorgt.”
“Mann, ich habe echt Angst.”
“Vor diesem Browning Typen?”
“Oh ja, Mann. Der ist dein Tod, wenn du deine Nase zu tief in seine Angelegenheiten steckst.”
“Ja, nun. Sterben werden wir alle.” Er drehte sich zu mir um. “Richtig, Shade?”
Ich lächelte.
“Pass auf dich auf”, sagte Mild, als der Wagen an Eddy vorüberzog.

Und so fuhren wir. Über Beverly nach La Brea und dann hoch nach Fountain, durch Fairfax und über La Cienega zurück nach Beverly. Mir wurde bewusst, dass Mild einen grossen Kreis gefahren war, und war im Begriff unser Schweigen zu brechen, indem ich dies ansprach, als Mild mir zuvor kam.

“Was wissen Sie über Tod Browning?”
“Weniger als Sie, denke ich”, erwiderte ich.
“Er ist ein Regisseur”, sagte er. “Wir wissen dass … Ich meine … hat er nicht bei einem Horrorfilm Regie geführt? The Wolfman, vielleicht? Oder … keine Ahnung.”
“Das gilt auch für mich. Ich finde Horrorfilme langweilig und dumm und sehe davon ab mir diese anzutun.”
“Ich habe keine Zeit um Filme zu schauen”, eröffnete Mild. “Ich sehe zu viel von dem Schmutz, der bei ihrer Produktion passiert. Die Schauspieler mit ihren Schmuddelgeschichten, die Schauspielerinnen, denen ich die Originale ihrer Sexfilmchen beschaffen soll. Oder die Aufnahmen ihrer Treffen mit Prostituierten, die ich mit Bestechungsgeldern zu bekommen versuche, um sie vernichten zu können. Manche haben Abtreibungen vornehmen lassen. Oder Ex-Männer, die Stress machen und bezahlt oder anderweitig aus dem Wege geschafft werden. Und das sind nur die verdammten Schauspieler. Ein Haufen dummer Kinder mit mehr Geld als Verstand. Die grossen Jungs - Mayer und Warner und Cohn und Selznick … haben auch alle ihre schmutzigen Geheimnisse, die ich oder andere wie ich unter den Teppich zu kehren haben.”
“Der einzige Name unter den genannten, der mir etwas sagt, ist Mayer”, antwortete ich. “Ich hasse den Mann.”
“Was hat er Ihnen getan?”
“Nichts. Tatsächlich bin ich ihm nie begegnet.”
“Was dann?”
“Durch Zufall ergab es sich, dass ich eines Tages den Schauspieler John Gilbert traf. Wir wurden Freunde.” Ich hustete leicht, als Mild sich eine seiner billigen Zigaretten anzündete. “Wie auch immer”, fuhr ich fort. “Er geriet mit seinem damaligen Boss Louis B. Mayer aneinander. Mayers Reaktion bestand darin, ihn aus dem Filmgewerbe drängen. So bescherte er dem armen John ein frühes Grab.”
“Da habe ich von gehört”, gab Mild zu. “Lassen Sie sich davon nicht berühren. Solche Dinge passieren ständig.”
“Ich fürchte das kommt zu spät. Eines Tages wird Mayer dafür bezahlen.”
Mild legte eine Hand auf meinen Arm. “Schauen Sie, das Eine habe ich über diese Stadt gelernt. Sie ist ein großer Gleichmacher. Jeder, der oben steht, wird eines Tages ganz unten landen. Auf und nieder. So ist diese Stadt. Mayer, so mächtig er heute auch sein mag, wird eines Tages auch sein Tief erreichen. Das können Sie mir glauben.”
Ich gab einen Seufzer der Unzufriedenheit von mir, während ich mir ausmalte wie meine Rache an Mayer eines Tages Gestalt annehmen würde als Mild meine Gedanken unterbrach.
“Egal, Louis B. Mayer sitzt nicht in diesem Wagen und kann uns auch unsere Fragen zu Tod Browning nicht beantworten. Also will ich mich mit ihm auch nicht befassen. Und das sollten Sie auch nicht. Wir haben endlich einen Namen, der hinter dem ganzen Chaos steckt und nur weil wir beide keinerlei Interesse an Filmen haben, kommen wir allein nicht weiter.” Er nahm einen Zug von seiner Zigarette. “Haben Sie Durst?”
“Ich könnte einen Drink vertragen, so mir einer angeboten würde.”
“Ich weiß da einen kleinen Ort, wo man den Feierabend zubringen könnte. Lassen Sie uns den ansteuern.”

Der Ort, von dem Mild sprach, lag ganz in der Nähe. Ein kleiner Raum mit einer Bar, über einem Kamera laden an der Cherokee südlich des Hollywood Boulevard. Mild parkte den Wagen an einer nahegelegenen Allee und wir traten durch einen Seiteneingang ein, über den wir eine knarrende Holztreppe nahmen. Langsam und beinahe andächtig, als würden wir einen Tempel betreten.
Der Club selbst muss einmal Wohnzwecken gedient haben, bis der Eigentümer auf die Idee kam, dass er besser Profit aus den Bedürfnissen derer schlagen könne, die selbst dann einen trinken gehen wenn ihnen der Mond sagt, sie sollen im Bett bleiben. Und so saßen dort zwei Männer über ihren Whiskeys und redeten über Gott und die Welt. Die Bar begrüßte einen mit altem und gesprungenem Marmor, der einige Scharmützel mit Gläsern und Krügen zu seinem Nachteil ausgefochten haben dürfte. Obwohl es nun schon früher Morgen war, stand Larry, der Eigentümer, ein fetter, glücklicher Mann mit einem riesigen unförmigen Mal auf der Wange, in Erwartung unserer Bestellung hinter dem Tresen.
“Was darf es für die Gentlemen sein?”
“Wodka Gimlet für mich. Shade?”
“Sherry”, antwortete ich.
“Nicht in diesem Laden”, sagten Mild und Larry unisono.
“Nicht?” fragte ich. “Wie steht es denn mit Wein?”
“Ich habe hier irgendwo einen Roten”, erwiderte Larry.
“Ich bin zuversichtlich, dass es in diesem Land sonnenverwöhnter Weinberge einen Roten mit gewissen Charme gibt. Davon bitte ein Glas.”
Mild und ich setzten uns mit unseren Getränken an einen Tisch an der Seite, nahe einem Pärchen, einem jungen Mann und einer älteren Frau. Wir saßen dort einen Moment schweigend während wir die ersten Schlucke nahmen (der Rote war annehmbar), und in dieser Zeit lauschte ich dem Pärchen als der junge Mann die Verhandlungen mit der Frau beendete und die beiden vor die Tür traten um ihrem verbotenen Treiben nachzugehen.
Dann rief Mild zu Larry hinüber. “Hey, Lar! Hast du je von Tod Browning gehört?”
“Ja. Ein Regisseur. Er macht nicht mehr viel aber hat er nicht Dracula mit Lugosi gemacht?”
Mild und ich sahen einander wie befreit an. Sofort waren wir uns sicher, dass Larry richtig lag und die kaum auszuhaltende Spannung einer unbeantworteten leichten Frage löste sich in Wohlgefallen auf.
“Was weisst du noch über ihn?”
“Das war schon alles.”
“Was machen wir nun?” fragte ich.



Geändert von LaLe (03.02.2023 um 20:37 Uhr)
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