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Alt 23.06.2020, 16:39   #195  
Peter L. Opmann
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Die Rächer # 10
Williams, Oktober 1974 ("Avengers" # 11, Dezember 1964)



Mit diesem Heft stimmt etwas nicht, dachte ich als Kind. Trotzdem hat sich mir diese Ausgabe nachhaltig eingeprägt – die Story hat mich doch mitgerissen. Gaststar ist hier die Spinne (nach der das Ganze auch benannt ist), und sie ist wirklich Gast in dem Sinne, daß sie nur in diesem Heft dabei ist. Stan Lee und Don Heck packen die Sache ungewöhnlich an, denn Helden kämpfen hier einmal nicht aufgrund eines Mißverständnisses gegeneinander, sondern weil die Spinne gar nicht die Spinne ist, sondern ein Android (eigentlich ein Roboter). Nicht stimmig war, daß dieser Roboter sich nicht ganz so wie die Spinne verhält und nicht so redet. Ich hatte damals erst eine „Spinne“-Ausgabe gelesen, die # 17, aber ich glaube, ich hatte ein feines Gespür dafür. Am Ende taucht hier die echte Spinne auf, aber sie ist der Ditko-Spinne nach meinem Empfinden auch nicht viel ähnlicher.

Der eigentliche Gegner der Rächer ist – einmal mehr – Kang. Er könnte auch selbst zum Kampf antreten, aber wie schon in „Rächer“ # 8 schickt er eine eigens konstruierte Maschine vor. Ihm ist beim Beobachten der Erde des 20. Jahrhunderts die Spinne aufgefallen, und er baut sie flugs nach. Dann schickt er sie in die Vergangenheit, wo sie sich um Aufnahme bei der Heldencombo bemühen soll. Die Rächer müssen hier übrigens ohne den Eisernen auskommen. Thor verkündet, daß Tony Stark tot und der „goldene Rächer“ (dieser Titel ist mir hier zum ersten Mal aufgefallen) verschwunden sei. Diese Geschichte wird in „Rächer“ # 62 und 63 in der Zweitstory nachgeliefert: Tatsächlich ist Tony Stark verschwunden, und der Eiserne wird verdächtigt, ihn umgebracht zu haben. Sowohl in „Iron Man“ als auch in der vorliegenden „Rächer“-Story wird ein Witz auf Kosten der Wespe gemacht: Weil sie darauf besteht, sich schminken zu müssen, hält sie den ganzen Betrieb auf – recht frauenfeindlich.

Kurz darauf kommt die Spinne (also Kangs Roboter) Captain America beim Vermöbeln einer Gangsterbande zu Hilfe. Sie hat gezielt eingegriffen, weil sie, so behauptet sie jedenfalls, Rächer-Mitglied werden will. Cap nimmt sie also mit ins Rächer-Hauptquartier. Die Wespe hat allerdings eine Arachnophobie. Die Spinne läßt durchblicken, daß sie etwas über den Verbleib des Eisernen weiß, und will gehen. Die Rächer sind plötzlich ganz Ohr und erfahren, daß ihn angeblich der Henker und die Zauberin entführt haben und er in einem Aztekentempel in Mexiko zu finden sei. Sofort reisen die Rächer (und zwar getrennt) hin. Der Spinne-Roboter erwartet sie dort bereits und besiegt alle nacheinander. Anschließend soll er sie zu Kang senden, wird dabei aber von der echten Spinne gestört, die plötzlich auftaucht – und nach dem Ausschalten des Roboters ebenso schnell wieder verschwindet.

Die Story ist vordergründig durchaus ansprechend. Zu Beginn geht es nochmals um die Frage, ob Rick Jones Rächer-Mitglied werden soll und kann (dieses Thema wird in der Serie allerdings bald ad acta gelegt). Wie Kang nach einem geeigneten Gegner für die Rächer sucht, und die (falsche) Spinne dem Team dann etwas zu respektlos gegenübertritt, hat was. Obwohl die Rächer in Mexiko wieder mal einzeln und einer nach dem anderen außer Gefecht gesetzt werden, ist zwar ein blödes Muster, aber der Spinnen-Roboter geht dabei sehr variabel vor. Der Kampf Spinne gegen Spinne wird ziemlich ausführlich inszeniert und wirft die Frage auf: Wie soll ein Superheld einen anderen besiegen, der über exakt die gleichen Fähigkeiten verfügt wie er selbst?

Allerdings: Das ist nicht die Spinne, wie sie aus ihrer eigenen Heftserie bekannt ist. Es fehlt ihr übliches Umfeld mit Geldproblemen, Liebeskummer und Highschoolaufregungen. Es fehlen Betty, Gwen, Jameson und Tante May, und es fehlt vor allem Peter Parker. Lockere Sprüche allein machen noch keine Spinne. Das habe ich damals schon gespürt. So manches stimmt an der Story zudem nicht, was aber durch die gelungene Action ganz gut überdeckt wird. Der Roboter macht sich Gedanken und lobt seinen Konstrukteur Kang (was nur in „Blade Runner“ einigermaßen glaubwürdig wirkte). Warum werden die Rächer in einen Aztekentempel gelockt? Er ist zwar eine spektakuläre Kulisse, aber bietet nichts, was auch nicht anderswo zu haben wäre. Warum sollen die Rächer in die Zukunft gebracht werden? Sie sind durchaus immer noch gefährlich: Der Gigant ist mit Spinnennetz gefesselt, Thor in Don Blake verwandelt, weil ihm die Spinne seinen Hammer abgenommen hat. Nur Captain America soll in den Tod stürzen, was dann aber die echte Spinne verhindert. Enttäuschend wirkt, daß der Spinne-Roboter einfach durch einen Knopf an der Hüfte ausgeschaltet werden kann. Und dann: Wie kommt die echte Spinne nach Mexiko? Schüler Parker konnte sich zu dieser Zeit sicher kein Flugticket leisten, und Jameson wird es ihm sicher auch nicht spendiert haben. Offen bleibt, was am Ende aus der echten Spinne wird: Kein Abschiedsgruß, kein direkter Kontakt mit den Rächern; plötzlich ist sie wieder weg.

Dennoch wirkt die Story ziemlich rund. Man will als Leser hauptsächlich sehen, daß es der Spinne durchaus gelingen kann, die Rächer – zumindest einzeln – zu düpieren. Die Zeichnungen von Don Heck sind besser geraten als in der vorhergehenden Nummer, aber sie sind nicht richtig gut, obwohl ein Inker am Werk ist, den ich sehr schätze: Chic Stone. Es scheint jedenfalls, als könne nur Steve Ditko die Spinne völlig überzeugend zeichnen. Das Cover ist übrigens wieder von Jack Kirby, aber die Spinne weist keine der typischen Kirby-Stilmittel auf. Wer sie ins Bild gesetzt hat, weiß ich nicht. Insgesamt ein gelungenes Cover, das aber seine Wirkung hauptsächlich von dem über die ganze Seite aufgespannten Netz bezieht. Das Lettering ist diesmal der Größe der Sprechblasen angepaßt, und als Übersetzer ist nun wieder Hartmut Huff angegeben.
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