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Alt 22.12.2018, 16:44   #449  
Peter L. Opmann
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Ort: Hessen
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Spinne (Williams) 99

Erscheinungstermin: 12/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 98
2) Mighty Thor # 131

Story-Titel:
1) Des Kobolds letzter Streich!
2) ohne Titel (Sie kommen aus dem All!)

Original-Storytitel:
1) The Goblin’s last Gasp!
2) They strike from Space!

Zeichnungen:
1) Gil Kane / Frank Giacoia
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Ins Gedächtnis eingebrannt hat sich mir die Szene, in der Peter Parker (ohne Kostüm und Maske) den Drogendealer und zwei Kumpane verprügelt. Ist schon ziemlich wirkungsvoll. Hier wird durchgezogen, was in den Auseinandersetzungen mit Flash Thompson immer nur angedeutet werden konnte. Peter antwortet mit seiner Superkraft auf Hänseleien und Herabsetzungen, denen er immer wieder ausgesetzt ist. Heute denke ich: So abgefeimt und böse kann kein Dealer sein, daß er es verdient hätte, von einem haushoch überlegenen Superhelden bewußtlos geschlagen zu werden. Das wird aber dadurch überlagert, daß Peter endlich mal zeigen kann, was in ihm steckt.

In ihrem Verlauf hat die Story, die die Drogen-Trilogie abschließt, zwei Schwachpunkte: Zum einen hat der Grüne Kobold eine neue Waffe, mit der er der Spinne partiell ihre Kraft nehmen kann; sie kann nicht mehr an Wänden kleben, und möglicherweise sorgt diese Waffe auch dafür, daß sie ihr Netz nicht mehr verschießen kann (vielleicht ist das auch nur ein zufälliges Zusammentreffen). Zum anderen benutzt die Spinne zweimal dieselbe Methode, um den Kobold auszuschalten, sie konfrontiert ihn nämlich mit seinem von Drogen dahingerafften Sohn Harry. Beides wirkt auf mich heute wenig überzeugend. Die starke Wirkung, die dieses Heft 1977 auf mich ausübte, stellt sich insgesamt aber 40 Jahre später wieder ein. Und das Artwork von Gil Kane und Frank Giacoia trägt ein Übriges dazu bei.

Wie schon in der vorherigen Ausgabe gesehen, überrascht der Kobold Peter in seinem Apartment. Da liegt aber auch der delirierende Harry. Peter hält ihn vor sich, und der Kobold flieht, weil ihn Harry an etwas erinnert, was in seinem Gehirn verschüttet ist. Peter ruft den Notarzt; Harry kommt nun in die Klinik. Peter gibt Mary-Jane die Schuld: „Merkwürdig, wohin ein Mädchen einen Mann treiben kann.“ Aber es ist eigentlich nur eine Überleitung zu Gwen – Peter hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß sie zurückkommt. Hier wird der Charakterunterschied zwischen Gwen und MJ sehr deutlich. Unvorstellbar, daß Gwen einmal so zickig reagieren könnte wie MJ. Und richtig, auch sie denkt in London an Peter, und ihr wird klar, daß sie ihm Unrecht getan hat und zu ihm zurückkehren muß.

Jetzt kommt die schon erwähnte Szene. Der Dealer erkennt Peter auf der Straße und will Harry durch ihn ausrichten lassen, daß er neues LSD für ihn hat. Peter reagiert unerwartet: „Du also bist dieser Schuft, der ihm die Pillen verkauft hat, ja?“ Darauf pfeift der Dealer zwei Hippiefreunde herbei, einen hyänenhaften Mann mit Sonnenbrille und Ziegenbart und einen bulligen Schwarzen im ultracoolen violetten Anzug. Gemeinsam drängen sie Peter in einen einsamen Hinterhof (was ihm nur recht sein kann, weil er so bedenkenlos zuschlagen kann). In wenigen Sekunden macht er alle drei fertig. Es sieht nicht blutig aus, aber es wird klar, daß er seine Spinnenkraft nur wenig dämpft, um ihnen nicht die Köpfe einzuschlagen. Und dann schickt er noch einen starken Spruch hinterher: „Wenn ich dich jemals wieder irgendwo mit diesem Stoff sehe, wirst du glauben, daß dies nur ein Picknick war!“ Eigentlich sehe ich das heute eher unter dem Aspekt: Gut, daß es Superhelden nicht wirklich gibt. Aber es hat doch etwas irgendwie Befreiendes, Peter seine Spinnenstärke anwenden zu sehen, ohne daß er sich hinter seiner Maske verbergen muß.

Stan Lee bleibt noch kurz am Drogenthema dran. Beim Daily Bugle wird Joe Robertson in Jamesons Büro gerufen. Dort liegt inzwischen eine Meldung vor, daß Harry Osborn drogensüchtig ist (das wäre in Wirklichkeit noch lange kein Thema für die Zeitung). JJJ verweist darauf, daß Osborn ein guter Anzeigenkunde sei. Robertson läßt sich aber nicht beirren. Diese Geschichte zeige, daß Drogen eine Gefahr für alle seien, Arme und Reiche. JJJ kann dagegen schlecht etwas sagen und läßt Robbie die Meldung drucken. Der Rest der Story ist dem finalen Gefecht zwischen Spinne und Kobold gewidmet. Es ist eine knifflige Sache: Selbst wenn die Spinne siegt, muß sie aufpassen, daß ihre Geheimidentität nicht aufgedeckt wird. Am besten müßte der Kobold sterben, aber das wäre natürlich keine Lösung. Eher steht ihr eigenes Leben auf dem Spiel, aber aussteigen kann sie nun nicht mehr.

Dann schlägt der Kobold aus dem Hinterhalt zu. Nach kurzer Zeit trifft er die Spinne mit einer Bombe, deren Wirkung sich mit etwas Verzögerung entfaltet: Sie kann sich nicht mehr an senkrechten Wänden festhalten. Nebenbei ist offenbar die Netzflüssigkeit ausgegangen. Spinnenkraft und Akrobatik sind ihr dagegen erhalten geblieben. Wie diese Bombe wirkt, bleibt Lees Geheimnis – jedenfalls so, wie er es sich gewünscht hat. Mit ihren verbliebenen Kräften gelingt es der Spinne, auf den Rücken des Kobolds zu springen und ihn zu zwingen, zum Krankenhaus zu fliegen, in dem Harry liegt. Er wird noch einmal mit seinem Sohn konfrontiert. Und nun bricht die Erinnerung ganz durch – der Kobold wird wieder zu Norman Osborn, und die Sorge um Harry läßt ihn die Besinnung verlieren (auch nicht sehr realistisch, wenn ich das recht bedenke). Die Spinne bringt ihn nach Hause und ist überzeugt, daß Osborn sich nach seinem Erwachen nicht mehr an den Grünen Kobold erinnern wird (das muß sie von Lee gehört haben). Ihre Kräfte sind ihr übrigens augenblicklich vollzählig wieder zugewachsen, nachdem der Kobold k.o. gegangen ist. Nach so viel Dramatik gönnen die Macher dem Leser nun ein Happy End: Als Peter von Osborns Anwesen weggeht, läuft ihm prompt Gwen über den Weg (da wollen wir mal nicht so pingelig sein). Ein wirklich zu Herzen gehendes Wiedersehen! Keine Ankündigung der nächsten Ausgabe, die hier nur stören würde.

Ich gebe zu, für mich ist die Story dieses Dreiteilers immer noch bewegend. Allerdings würde ich etwas darum geben, wenn ich sie heute noch immer mit der gleichen Naivität lesen könnte wie 1977. Grafisch ist an dem Comic nichts auszusetzen; Kane zeichnet hier Gwen mindestens ebenso engelsgleich wie Romita. Und der Kampf gegen den Kobold ist wesentlich dynamischer in Szene gesetzt als in früheren Ausgaben. Es gibt schon wieder eine Leserbriefseite. Dem Lob für die Williams-Marvels folgt nun eine vielstimmige Kritik an der Kritik. Leser, die die Comics bekritteln, haben demnach keine Ahnung oder bewerten das Ganze nicht richtig. Bemängelt wird nur, daß die Redaktion nicht mehr zu Briefen Stellung nahm – und mit dieser Kritik konnte Kirsten Isele leben.

Geändert von Peter L. Opmann (25.04.2019 um 14:38 Uhr)
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