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Alt 13.01.2022, 16:40   #46  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
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Aus The Shades Journal

"Wohin fahren wir?"

Ich fragte dies, während die Sonne in den Studebaker schien, so dass ich mich zur Seite wenden und meine dunklen Gläser aufsetzen musste um meine Haltung zu bewahren.

“Hollywood”, antwortete Sam Mild schlecht gelaunt. Ich gewann den Eindruck, dass Mr. Mild für diese Angelegenheit, wie vermutlich jede andere Angelegenheit auch, den nötigen Sinn für Humor vermissen ließ.

“Hollywood? Ich nahm an dort wären wir bereits.”

Wir fuhren am Greenman’s Chinese Theater vorbei. Die Menge lief umher um Tickets zu erwerben oder ihre Füße mit den Abdrücken der Stars zu vergleichen. Ich nickte leicht bei deren Anblick.

“Oder wurde Greenman’s nach Santa Fé verlegt?”

Milds wenig begeisterte Reaktion auf meinen versuchten Scherz machte auf mich beinahe den Eindruck als hätte ich ihn beleidigt.

“Hollywoodland”, antwortete er mit einem Seufzen und abweisender Geste. “Oben in den Hügeln. Eine Canyon-Community.”

Milds Kumpan Dan beschloss sich an unserer Konversation zu beteiligen und blickte vom Fahrersitz her zu uns.

“Schöne Gegend” murmelte Dan. “Ich wünschte, ich hätte genug Geld um dorthin zu ziehen.”

Mild blickte nun mit einem spöttischen Grinsen zu Dan. Er schlug eine Zigarette aus der Packung, nahm sie in den Mund und sah nach vorn zu Dan, den Blick auf ein rosig leuchtendes Furunkel in seinem Nacken konzentriert.

“Yeah. Und dann heiratest du eine schöne Frau, bekommst gut geratene Kinder. Vielleicht einen Hund. Träum weiter, du bist genauso ein mieser Schläger wie ich. Du arbeitest jetzt für Hughes. Später vielleicht für einen der großen Studiobosse. Oder John Dragna… bei den wirklich bösen Jungs. Mild zündete seine Zigarette an um einen ersten Zug zu nehmen bevor er fortfuhr. “Aber mach dir nichts vor, du wirst immer jemand anderes verprügeln.”

Dan zuckte kurz. “So ist das wohl. Und in diesem Augenblick lebe ich in einem miesen Schuppen in Los Feliz.” Mild zeigte mit der Zigarette auf Dan. “Und heute, morgen oder in einer Woche endest du mit einem Kopfschuss nach einem Job und dein Vermieter wird deine miese Absteige räumen und all deinen Plunder auf die Straße schmeißen.”

Ich war fasziniert. Ich räusperte mich um Milds Aufmerksamkeit zu erregen.

“Sie haben einen recht ... nüchternen Blick auf ihr Leben.”

“Mein Vater fuhr Trucks für John Kennedy. Schmuggelte Alkohol von Kanada. Tötete rivalisierende Schläger wenn er musste. Oder Cops. Und dann kam er heim, küsste Mutter und wollte seine Suppe… er liebte Suppe, mein Vater. Dann setzte er sich, hörte Radio und las seine Zeitung, ganz so als käme er aus dem Büro oder der Fabrik.” Milds Gesichtsausdruck hellte sich auf. “Als er mich dann einführte, verstand ich. So ist halt das Leben und ich akzeptierte das. Als mein Vater an einer Straßensperre erschossen wurde, hasste ich niemanden deswegen. Ich rannte nicht los um Polizisten zu töten. Es war ein normaler Teil meines Lebens.”

"An ihnen ist ein Philosoph verloren gegangen", sagte ich mit einem Lächeln. "Ich denke, die Franzosen hätten Gefallen an ihnen gefunden, Mr. Mild."

"Ich verstehe nicht."

"Die großen Denker der Geschichte", erklärte ich, "preisen ihre Überlegenheit. Sie häufen Wissen an und lassen dies jeden wissen. Die Helden der Franzosen hingegen kommen von der Straße. Sie hören nicht zu, solange die Person, die etwas zu sagen hat, nicht nach Wein und Staub riecht oder nach der Frau, mit der sie die letzte Nacht verbracht haben."

Milds Gesicht verdüsterte sich. "Was wollen sie damit sagen? Dass ich schlecht rieche?"

"Nein. Sie sind ein einfacher Mann, der redet wie diejenigen, die er anspricht. Sie vermitteln trefflich die Poesie, die in einer leeren Flasche liegt oder dem Aufwachen in einem fremden Bett. Oder dem Töten eines Gegenspielers. Nicht weniger jedenfalls als im Komponieren schöner Sonette."

Währenddessen überquerten wir Highland, bogen links auf die Glover ab, rechts auf die Franklin. Als ich die Straßenschilder so sah, kam mir ein weiterer Gedanke.

"Ihr Benjamin Franklin war auch von dieser Art. Ein regelrechter Zotenreißer, dem kein schmutziger Witz fremd oder peinlich war. Er trank und furzte. Dennoch war er ein großer Amerikaner und trotz all seiner Schwächen ein starker, weiser Mann."

"Hörst du das, Sam", sagte Dan mit einem Lachen, "du bist wie Benjamin Franklin."

"Sei bloß still", sagte Mild mit einem Knurren. Aber als er aus dem Fenster sah, bemerkte ich ein feines Lächeln.

Wir bogen links auf die Beachwood ab. Ich konnte sehen wie wir uns auf eine Gruppe Anwesen zubewegten, die das Grün der Hügellandschaft säumten. Etwas weiter vorn und ein Stück höher gelegen konnte man den "Hollywoodland"-Schriftzug sehen, dessen hellweiße Buchstaben sich vom Dunkelgrün und Braun des Hügels, auf dem sie errichtet worden waren, abhoben. Ich war ein wenig schockiert als ich des Zustandes des Wahrzeichens gewahr wurde. Selbst aus einiger Entfernung war dessen Verfall erkennbar. Insbesondere das "H" in Hollywood sah mehr nach moderner Kunst aus, denn nach einem Buchstaben des Alphabets.

Ich lehnte mich zurück und fragte mich ob der Zustand des Wahrzeichens ein Omen für den Fortgang dieser Angelegenheit sein könnte.

---

Ich erinnerte mich an den Flug nach Los Angeles. Der war eine Aneinanderreihung vieler kürzerer Flüge quer durchs Land gewesen bevor wir endlich Glendale erreichten. Ich muss sagen, dass ich von der Art der Anreise ein wenig enttäuscht war. Für einen Mann mit den Mitteln eines Howard Hughes hätte es - insbesondere angesichts eines derart gewichtigen Problems, das meine Aufmerksamkeit erforderlich machte - ein leichtes sein müssen einen Direktflug zu organisieren.

Glendale war der Flughafen der Stars und gerade als wir landeten, sah ich die ewig jung wirkende Judy Garland neben einem sehr alten John Barrymore.

An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass ich mich zu der Zeit nicht in der Weise kleidete, die man gewöhnlich mit meiner Erscheinung verbindet. Sicher, farblich war alles im gewohnten Schwarz gehalten aber ich trug einen zeitgenössischen Zweireiher und einen schwarzen Fedora. Zu anderen Zeiten trug ich gewöhnlich die Kleidung in der ich mich am wohlsten fühle - das, was man zu der Zeit trug, aus der ich stamme. In Zeiten wie diesen aber war es durchaus angezeigt nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig zu erregen und so kleidete ich mich zeitgemäß.

Dann tauchten wir in die sonnigen Straßen von Glendale ein. Ich nahm einen tiefen Atemzug um den süßen Duft der pazifischen Luft in mich aufzunehmen und befand ihn sehr aromatisch. Ich hustete. Ein laut krächzendes, keuchendes Husten aus den Tiefen meiner Lungen.

"Yeah", kommentierte Mild mit leichter Verächtlichkeit für meine Anfälligkeit. "Es ist etwas stickig heute. Atmen sie flacher."

Der Studebaker stand außerhalb des Flughafens. Niemand saß drin und erwartete uns. Kein Fahrer. Mild blickte wie jemand auf der Flucht nach allen Seiten als er mich drängelte einzusteigen.

Ich erwachte mit einem heftigen Zusammenzucken außerhalb eines großen Anwesens in Beverly Hills. Mild stieg gerade wieder in den Wagen als ich die Augen öffnete.

"Sind wir da?" fragte ich.

"Nein. Während wir unterwegs waren, gab es einen weiteren Angriff. Sie wissen was eine Scheinschildkröte ist?"

"Sicher, eine Suppe. Und eine ... imaginäre Kreatur aus den Alicegeschichten."

"Nun, eine nicht so imaginäre Scheinschildkröte griff Mr. Hughes hier vor zwei Tagen an. Die Kreatur war groß und bösartig. Sie tötete drei seiner Leibwächter bevor die anderen ihn in Sicherheit bringen konnten."

"Eine Scheinschildkröte", sagte ich vorsichtig. "In der Tat, sehr..."

"Wenn sie seltsam sagen wollen", unterbrach mich Mild, "muss ich handgreiflich werden. Jeder, der das Buch gelesen hat und von diesen Vorfällen hört, sagt genau das. Und das in einer unerträglichen Art als wären sie zum König oder zur Königin der Klugscheißerei ernannt worden und die ersten, die auf die Idee kamen diese ungeheuerliche Erkenntnis auszusprechen. Kürzlich musste ich mich zusammenreißen, dass ich der Hepburn nicht ins Gesicht trete als sie den Mund nicht halten konnte."

"Nun, ich war im Begriff zu sagen, wie einzigartig."

"Lobet den Herrn", antwortete Mild. "Ein wahrer Freidenker."

Ich lächelte. Abgesehen von seiner hart wirkenden Schale begann ich Mild zu mögen.

"Wo sind wir nun?" , fragte ich.

"Das werden sie schon noch sehen."

Dan schaute mit einem Lächeln nach hinten. "Nicht mehr lang."

Der Wagen fuhr los. Ich sah die Straße von Palmen gesäumt, braun und vertrocknet ließen sie ein wenig Grün vermissen.

"Gibt es viele Palmen in Kalifornien?"

"Oh ja", sagte Mild etwas mürrisch. "Das ist sicher."

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So waren wir nun also auf dem Weg nach Hollywoodland um Mr. Hughes zu suchen. Als wir dort ankamen, egal ob das nun ein gutes oder schlechtes Omen war, ich war auf Anhieb davon überzeugt, dass gute Architekten und Stadtplaner enorme Reichtümer und jede Auszeichnung verdienten, während den schlechten Vertretern ihrer Profession allein der Strang gebührte. Wie ich später erfuhr wurden die Häuser Hollywoodlands nach den individuellen Wünschen ihrer Erbauer in den 1920ern errichtet. Eine der Regeln, zu deren Einhaltung man sich bei Erwerb eines Grundstücks verpflichtete, war, dass man bei der Gestaltung der Gebäude völlig freie Hand hatte sofern man sich an einem beliebigen europäischen Baustil orientierte.

Tudor, mediterran, französische Normandie, spanisch, all das war vertreten und vermischte sich entlang der Straßen. Ich bin sicher, dass es vielen ein Vergnügen war. Auf mich wirkte der Ort wie von den Machern der Universal Horrorstreifen erdacht, Schlösser und Straßen, die europäisch wirkende Baustile vereinten, deren Bandbreite jedoch beim besten Willen nicht zusammenpassen wollte. Das war also Hollywoodland, wo Tudormauern und -türme weiß zugespachtelt oder von roten spanischen Fliesen bedeckt waren.

"Ist doch schön hier", sagte Dan.

Ich schaute hinaus und begann Opal City zu vermissen.

"Und weshalb sind wir nun hier", fragte ich "und nicht im Büro von Mr. Hughes?"

Mild sah mich an. "Er ist etwas .. besorgt. Das ist alles. Aber das wird er ihnen gleich selbst erklären."

"Und wo genau geht es jetzt hin?"

"Wie ich schon sagte, nach..."

"Hollywoodland? Ein bisschen genauer darf es schon sein. Welches Haus ist nun unser Ziel?", fragte ich mit etwas mehr Nachdruck, da ich Milds Geheimniskrämerei langsam überdrüssig wurde.

"Hier", sagte Mild mit einer vagen Geste zur Straße hin. "Genau hier."

Der Wagen bog in Richtung einer spanischen Hütte im Woodhaven Drive ab.

Mild fuhr fort zu reden als wir ausstiegen. "Mr. Hughes mag seine Frauen und er hat genug Geld um sich in dieser Frage mit Qualität und Quantität zu umgeben. Orte wie diesen hat er überall in der Stadt und in jedem ein anderes Mädchen. Wird er einer Frau überdrüssig, zahlt er sie aus, setzt sie vor die Tür und holt sich die nächste."

"Wir haben dafür einen Namen", ließ sich Dan vernehmen. "Wir nennen sie "Matratzen"."

"Charmant", entgegnete ich als ich dem Weg aus Terrakottafliesen zur Eingangstür folgte. Einer schönen Tür. Spanisch mit üppigen maurischen Verzierungen.

Mild durchsuchte seine Taschen nach dem Schlüssel. "Aktuell ist hier kein Vögelchen untergebracht. Das letzte Mädchen wurde Mr. Hughes zu fett und so hat er sie vor die Tür gesetzt." Mild fand den Schlüssel und öffnete. "Bis Mr. Hughes ein neues Betthäschen gefunden hat nutzt er diesen Ort als Versteck."

"Versteck?", fragte ich. "Vor wem versteckt er sich?"

"Wie ich schon sagte, Mr. Hughes wird ihnen das persönlich beantworten."

"Ich kann es kaum erwarten", sagte ich den untauglichen Versuch startend nicht allzu sarkastisch zu klingen.

Wir gingen durch die maurisch wirkende Empfangshalle zum zentralen Wohnbereich, der durch eine geschnitzte Tür abgetrennt war.

"Treten sie ein", sagte Mild als er sie öffnete, "ich darf ihnen..."

Mild verstummte als wir beide in den Raum starrten und Zeugen einer einzigartig seltsamen Szene wurden. Hughes Leibwächter waren ausnahmslos tot und boten einen äußerst blutigen Anblick. Howard Hughes selbst lag auf einem Sofa während ein Mann versuchte ihn zu erdrosseln. Gekleidet in übertrieben grellen viktorianischem Stil mit einem lächerlich großen Hut auf dem Kopf sah er auf und uns mit wildem Blick an.

"Warum ist ein Rabe wie ein Schreibtisch?" fragte er.

Er war offensichtlich verrückt wie ein Hutmacher.



Geändert von LaLe (29.01.2022 um 13:27 Uhr)
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