Thema: Filmklassiker
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Alt 10.02.2024, 06:26   #1890  
Peter L. Opmann
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Der letzte Film des Dritten Reichs: „Shiva und die Galgenblume“ (1945) von Hans Steinhoff. In vielen Büchern ist er nicht verzeichnet, denn er blieb unvollendet, die gedrehten Szenen waren noch nicht mit Ton versehen. Jahrzehnte waren die 13 vorhandenen Filmrollen weggeschlossen, zuletzt im Bundesarchiv Berlin-Friedrichshagen. 1993 unternahmen Hans Georg Andres und Michaela Krützen den Versuch, diesen Kriminalfilm nachzuvertonen und um wichtige Szenen zu ergänzen. Zugleich fügten sie Dokumentarmaterial über die letzten Kriegsmonate in Deutschland und dem sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren sowie Aussagen und Erinnerungen von noch lebenden Beteiligten an die Dreharbeiten. Dieser Film lief 1993 im Fernsehen und 1994 auch im Kino.

„Shiva und die Galgenblume“, ein Kriminalfilm, galt als kriegswichtig. Er wurde für die Nachkriegszeit gedreht; das Deutsche Reich wollte ihn international verwerten und auf diese Weise wieder Geld in die Kasse bekommen. Man meinte, man werde die Filmproduktion schneller als andere (wohl europäische) Länder wieder in Gang bringen. Der Krimi sollte ursprünglich in Berlin gedreht werden; da aber das Bombardement auf Berlin begann, wich das Filmteam nach Prag aus. Anfang 1945 begannen die Dreharbeiten und dauerten bis März/April. Zuletzt flohen Stab und Schauspieler vor der anrückenden Roten Armee nach Österreich. Nach Aussagen von Zeitzeugen waren nur Steinhoff und der Kameramann überzeugte Nazis; die übrigen Beteiligten und die tschechischen Mitarbeiter waren vor allem bestrebt, die Dreharbeiten in die Länge zu ziehen, um nicht noch in den Kriegswirren zu sterben.

Was sieht man von der Filmhandlung? Bei einem Einbruch in eine Villa wird ein Gemälde gestohlen, das einen Mann am Galgen zeigt. Merkwürdigerweise ist es relativ wertlos, während die Einbrecher etliche sehr teure Bilder hängen ließen. In der Folge geht es um gefälschte 50-Mark-Scheine, die plötzlich in Umlauf kommen. Kriminalrat Hans Albers kümmert sich um die Sache und stellt eine Verbindung zu dem gestohlenen Gemälde her: Die gefälschten Scheine zeigen ein Detail des Galgen-Bildes. Gottlieb Sambor, ein russischer Adeliger, will Albers einen Hinweis geben. Aber der entlarvt ihn als den Maler des Bildes und zugleich als den Geldfälscher. Obwohl der Film ein paar Gruselelemente besitzt, ist vom Krieg natürlich überhaupt nichts wahrzunehmen. Wenn aber das Hausmädchen (Grethe Weiser) sich fürchtet, weil jemand ums Haus schleichen könnte, und man dazu Dokumentaraufnahmen von Bomben auf deutsche Städte sieht, bekommen solche Szenen eine ganz neue Bedeutung. Manfred Zapatka und Hans Michael Rehberg spielen einige nicht vorhandene Szenen nach und synchronisieren den Film.

Die Schauspielerinnen Margot Hielscher und Mady Rahl berichten von den Dreharbeiten in Prag. Aus ihrer Sicht konnten sie hier die Kriegsgefahr vergessen und es sich gut gehen lassen. In Prag hatte der Zweite Weltkrieg Anfang 1945 noch keine Spuren hinterlassen. Ihr Verhältnis zu den tschechischen Mitarbeitern sei gut gewesen. Die Tschechen im Stab stellen das ganz anders dar. Ihr Leben war aus Sicht der deutschen Besatzung nicht viel wert; sie konnten es nicht wagen aufzubegehren. Nur hatten sie ebenso wie die Deutschen großes Interesse daran, daß die Dreharbeiten sich möglichst hinzogen. Im Februar gab es den ersten Bombenangriff auf Prag, aber erst als die Russen kamen, wurde es ernst. Obwohl Regisseur Steinhoff streng verboten hatte, die Dreharbeiten zu verlassen, machten sich die Mitarbeiter nach und nach davon. Steinhoff selbst setzte sich früh nach Berlin ab und wollte dann aus der schon eingekreisten Stadt mit dem Flugzeug nach Spanien. Es wurde bei Glienig abgeschossen, alle Insassen kamen ums Leben.

In meiner Hans-Albers-Biografie von Joachim Cadenbach erinnert sich Schauspieler Hubert von Meyerinck an die Dreharbeiten: „Wir filmten in Prag, Grethe Weiser, Harald Paulsen und ich, wir verbrachten unser Weekend oft auf einem jahrhundertealten Schloß des Grafen von Nostitz in Miecic, wo unsere ehemalige Kollegin Trude Brionne schon lange glücklich als Gräfin Nostitz lebte, wo es ein eigenes Theater gab, in dem Mozart schon dirigiert hat. Das war Anfang April 1945. Einmal nur überraschte uns ein Bomenangriff mitten auf der Fahrt von Prag nach Miecic. Der Zug hielt, und wir hasteten in die Wiesen. Wir hatten das Gefühl, die Bomben liefen hinter uns her. Grethe im Nerz mit allen Brillanten – damals trug man ja immer das Wertvollste bei sich. Das ist ja das Inferno, sagte ich. Inferno, schrie sie mich an, du bist wohl total irrsinnig. Das Inferno ist ein KdF-Vergnügen dagegen. Und wir lachten mitten unter dem Bombenhagel.“

Es scheint mir, als hätte „Shiva und die Galgenblume“ ein ganz ordentlicher Kriminalreißer werden können. Auch wenn Steinhoff ein Nazi war, war er wohl doch auch ein versierter Filmregisseur. Es war der 15. Farbfilm, der während der Nazizeit gedreht wurde, hatte ein Budget von mehr als zwei Millionen Mark und sollte wohl ein ähnliches Qualitätsprodukt werden wie „Münchhausen“ zwei Jahre zuvor. Die Zukunft der Filmindustrie sah dann aber ganz anders aus, als es sich die Macher vermutlich vorgestellt hatten.

Geändert von Peter L. Opmann (10.02.2024 um 14:50 Uhr)
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