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Alt 26.06.2018, 17:15   #120  
Servalan
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Martin Vaughan-James: The Cage. A Visual Novel (Coach House Books 1975 und 2013), französischsprachige Ausgaben: Le Cage (Les Impressions Nouvelles 1986 und Les Impressions Nouvelles Traverses 2006), 180 Seiten (oder mehr)

Während dieses Werk des britischen Malers, Illustrators und gelegentlichen Schauspielers Martin Vaughan-James (1943 - 2009) im frankophonen Sprachraum zu den Meisterwerken der Comicgeschichte zählt, wird ein Großteil des Publikums sich wohl weigern, den Band überhaupt als Comic zu bezeichnen. Wer sich in Frankreich und Belgien professionell mit Comics beschäftigt (als Künstler, Kritiker oder Forscher), wird im Curriculum unweigerlich darauf stoßen.
Die französische Übersetzung erscheint im Verlag Les Nouvelles Impressions, an dem Thierry Groensteen beteiligt ist, einer der renommiertesten Comicforscher. Aus dessen Feder stammt die kleinformatige Monographie La construction de la cage (Les Impressions Nouvelles 2002, 96 Seiten), und die Neuedition der kanadischen Ausgabe erschien mit einem Vorwort des preisgekrönten Comicautors Seth.

Martin Vaughan-James wurde in Brighton geboren und ließ sich in Städten quer über die Welt nieder: London, Montréal, Tokio und Paris. Zuletzt erkor er Brüssel zu seiner Wahlheimat. Seit 1975 werden seine künstlerischen Werke weltweit ausgestellt.
Als er acht Jahre in Kanada lebte, entstanden vier Werke, in denen er mit dem Medium Comic spielt: Elephant (New Press 1970), The Projector (Coach House Books 1971), The Park (Coach House Books 1972) und The Cage. A Visual Novel (Coach House Books 1975). Mit einer gewissen Verzögerung erschienen auf französisch L'Enquêteur (Futuropolis Script 1984) und Chambres noires (Les Impressions Nouvelles 2007).
Vaughan-James nannte seine graphischen Werke zunächt "boovie" (eine Neuschöpfung aus "book" und "movie"), bevor er sie "visual novels" nannte. François Schuiten und Benoît Peeters setzten ihm in ihrer Comicserie Les Cités obscures | Die geheimnisvollen Städte in der Figur des Fotografen Augustin Desombres ein Denkmal.

In The Cage. A Visual Novel laufen Text und Bild auseinander. Die rätselhafte Bilderfolge umtanzt ein umzäumtes Gelände in Wüste, eben den Käfig. Die menschenleeren Panels zeigen eine postapokalytische Landschaft, die teilweise Gemälden Giorgio de Chiricos ähnelt. Wie in Andrej Tarkowskis Filmklassiker Stalker wird etwas beschrieben, das sich menschlichen Maßen entzieht.
Vaughan-James verfaßt in The Cage einen Comic nach den gleichen Prinzipien, die Alain Robbe-Grillet im Noveau Roman auf den reinen Text anwendet. Der Erzähler registriert nur Fakten, die sich objektiv belegen lassen, und erzählt die Geschichte auf diese Weise indirekt.

Eine deutschsprachige Ausgabe wäre sicher wünschenswert, aber ich befürchte, daß der Markt für solche Experimente zu klein ist. Allerdings könnte ich mir eine internationale, mehrsprachige (englisch, französisch, deutsch, spanisch, japanisch) Ausgabe im Taschen Verlag sehr gut vorstellen.

Geändert von Servalan (26.06.2018 um 17:39 Uhr)
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