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Alt 16.04.2018, 15:24   #88  
Servalan
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Besuch bei Van Gogh - ein utopischer Film (Deutsche Demokratische Republik 1985, DEFA-Gruppe Roter Kreis und Allianz Filmproduktion GmbH), Szenarium: Horst Seemann und Heinz Kahlau frei nah der Erzählung Vincent van Gogh (1972) von Sewer Gansowski | Север Феликсович Гансовский, Drehbuch: Horst Seemann, Dramaturgie: Christel Gräf, Musik und Regie: Horst Seemann, 105 min

Als der Science-Fiction-Film im Oktober 1985 in den Kinos der DDR anlief, war Michail Gorbatschow | Михаил Сергеевич Горбачёв zwar schon einige Monate Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Präsident der Sowjetunion wurde er jedoch erst im März 1990. Seit einiger Zeit schwirrten die Schlagwörter Glasnost und Perestroika herum, die für eine neue Offenheit warben. Die Regierung der DDR und die kommunistische SED vertrauten lieber der traditionellen Linie und wahrten deutlichen Abstand zum neuen Kurs. Insofern verblüfft das dystopische Zukunftsbild.
Der sowjetische Science-Fiction-Autor Sewer Gansowski (1919 - 1990) zählte in der DDR, in Polen und der Tschechoslowakei zu den festen Größen des Genres, was sich in zahlreichen Übersetzungen zeigt. Horst Seemann und die DEFA-Gruppe Roter Kreis nutzen die Möglichkeiten, indem sie die Hauptrollen prominent mit Stars wie der Polin Grazyna Szapolowska und der Tschechin Dagmar Patrasová (Xenia in Die Märchenbraut, Emilia Fernandez in Die Besucher) besetzten.
Gansowskis Zeitreisegeschichte wandelt sich immer stärker zum Biopic eines Künstlers, wodurch die Hauptfigur eine eigensinnige Entscheidung trifft.

Im 22. Jahrhundert leben die Menschen in einer künstlichen Welt aus Glas und Plastik. Viele Entscheidungen treffen umständlich programmierte Computer, bezahlt wird in kostbaren Energieeinheiten.
Der größte Fluch ist jedoch die Staubkrankheit, durch die eine Depression der gesamten Menschheit droht. Die junge Marie Grafenstein forscht an einem Gegenmittel und scheint auf dem richtigen Weg sein; allerdings fehlen ihr die Mittel. Deswegen wendet sie sich an Andreas Bergk, einen alten Bekannten, der die Energieeinheiten verwaltet. Der verspricht ihr, etwas zu deichseln.
Dabei erwähnt er, daß das Regionalmuseum zwei Millionen Energieeinheiten für das Gemälde "Die Kartoffelesser | De Aardappeleters" (1885) ausgebeben hat. Zeitreisen sind zwar technisch möglich, sind aber verboten.
Dennoch planen Bergk und Grafenstein eine Zeitreise, um Theo van Goghs Witwe Johanna van Gogh[-Bonger] (1862 - 1925) ebendieses Gemälde aus dem Nachlaß abzukaufen. Zu ihrem Erstaunen weigert sich die Witwe des Künsthändlers standhaft, denn ihrer Meinung nach gehören van Goghs Werke der Menschheit.
Also führt die zweite Zeitreise weiter zurück, denn Marie Grafenstein nimmt sich vor, Vincent van Gogh (1853 - 1890) das Gemälde abzukaufen, bevor die Farbe getrocknet ist. Mit dem Wert des merkwürdigen Papiers namens Geld hat die Amerikanerin Marie Miller, wie Marie Grafenstein sich nennt, so ihre Schwierigkeiten, zumal sie nur 1000-Gulden-Scheine dabei hat.
Van Gogh weigert sich beharrlich, mehr als 125 Gulden zu nehmen, mit denen er seine Unkosten decken kann. Wie von ihm erwartet, hat Marie Miller Schwierigkeiten, den großen Schein zu wechseln. Irgendwie gelingt es Marie, in den Besitz des Gemäldes zu gelangen.


In einer Szene beklagt sich Vincent van Gogh über den Kunstmarkt: Dort werden für Werke toter Maler Millionen gezahlt, während die lebenden Künstler am Hungertuch nagen.
Ansonsten bleibt das notorische Zeitparadox ziemlich schwach, sobald es um den Kunstmarkt geht: Wenn van Gogh schon zu Lebzeiten eine treue, freigiebige Sammlerin gehabt hätte, wäre das nicht unbemerkt geblieben. Denn Marie Miller nimmt eine ähnliche Stellung ein wie später Peggy Guggenheim. Das da so überhaupt nichts passiert, ist enttäuschend.

Geändert von Servalan (24.03.2024 um 10:51 Uhr)
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