Thema: Mark Twain
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Alt 21.11.2014, 17:23   #62  
Detlef Lorenz
Operator 50er Jahre
 
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Querkopf Wilson, Wilson der Spinner, Knallkopf Wilson, Wilson - der Wirrkopf

Das sind alles deutsche Titel des 1894 entstandenen Romans Pudd´nhead Wilson. Twain schrieb diesen Roman kurz nach seinem finanziellen Desaster mit der innovativen und erhofften erfolgreichen Beteiligung an einer neuartigen Setz- und Druckmaschine. Er steckte immer neues Geld in die Konstruktion, die sich am Ende aber als Fass ohne Boden erwies. War er naiv genug, sich ausnehmen zu lassen? Nein, Samuel Clemens war ein Technik-Narr, er war mit Nicola Tesla*, dem genialen aber finanziell erfolglosen (sic!) Erfinder befreundet, schrieb als erster Autor ein Buch-Manuskript mit der Schreibmaschine, benutzte, ebenfalls als einer der ersten, das Diktaphone und beschrieb 1900 in dem Roman „Aus der London Times von 1904“ ein Fernseh-Telefon!




Die Comicveröffentlichung innerhalb der deutschen IK-Reihe (Nr. 87, US-IK Nr. 93) erhielt den Titel „Wilson – der Wirrkopf“. Inhaltlich ist es ein von einer Protagonistin absichtlich herbeigeführtes Verwechslungsdrama. Zwei Babys, eines einer farbigen Sklavin und das andere ihres >>Herren<<, das sie als Amme betreute, wurden von ihr absichtlich vertauscht. Beide entwickeln sich sehr unterschiedlich, das bisherige Sklavenkind drangsaliert seinen Milchbruder, wird später exzessiver Trinker und Spieler und begeht schließlich an seinem vermeintlichen (Erb-)Onkel einen Mord. Er wäre beinahe damit durchgekommen (weil er sich während der Tat als Frau verkleidete), wenn nicht David Wilson (zuvor genannt Pudd´nhead Wilson) die Tat mittels des einige Jahre zuvor (1888) von Francis Galton** erfundenen Fingerabdruckvergleichsverfahrens gelöst hätte.




Der Schlusstext der hier abgebildeten letzten Seite lobte die Befreiung des unfreiwilligen Sklaven und er „trat sein Erbe mit ruhiger Sicherheit an, so dass man den echten Driscoll in ihm erkannte.“ Wesentlich realistischer schildert es Mark Twain (in der Robert-Lutz-Verlag- Ausgabe von 1923) im „Querkopf Wilson“: „Der echte Erbe war jetzt reich und frei, befand sich aber in einer äußerst unbehaglichen Lage. Er konnte weder lesen, noch schreiben und sprach nichts als den unverfälschtesten Negerdialekt aus dem Sklavenquartier. Sein Gang, seine Haltung, alle seine Bewegungen und Stellungen waren ungeschlacht und gewöhnlich, sein Wesen – das eines Sklaven…“ usw.

Auch der Schlusssatz im Comic, dass der Verurteilte als nunmehriger Sklave auf eine Plantage verkauft wird, ist zwar im Grundsatz richtig, aber es fehlt ihm ein wichtiger Hinweis. Twain stellt die Strafe nämlich, sicherlich der damaligen Rechtsprechung folgend, so dar – kurz zusammenfasst - dass Chambers zwar für den überführten Mord zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde, aber: „(…) Alle waren der Meinung, dass, wenn ´Tom` ein freier Weißer gewesen wäre, es ohne Zweifel gerecht sein würde, die Strafe über ihn zu verhängen – kein Mensch hätte einen Verlust dadurch gehabt. Aber einen wertvollen Sklaven auf Lebenszeit einzusperren – das war etwas ganz anderes. Als der Gouverneur die Sachlage begriffen hatte, begnadigte er `Tom´ auf der Stelle, und die Gläubiger (des Ermordeten, den `Tom´ beerbt hatte) verkauften ihn nach dem Süden `flussabwärts´.“ (um wenigstens etwas ihrem Geld wieder zurück zu bekommen).

Auch diese Redaktion war wohl um das Seelenheil der jugendlichen Leser besorgt und wollte ihnen anscheinend nicht die ganze Perfidität des Sklavenhaltersystems zumuten.

Die Zeichnungen von Kiefer, die Farben, der Druck sind für den IK-Standard durchaus gelungen.

*Tesla gilt als Erfinder des Wechselstroms, der sich gegenüber dem von Edison bevorzugten Gleichstrom durchsetzte.

** Francis Galton war ein Cousin von Charles Darwin und gilt auch als Begründer der – unseligen – Eugenik, die die unumstößliche Unterschiedlichkeit der menschlichen Rassen propagiert. In den 1850er Jahren bereiste er zusammen mit dem Schweden Anderson das damalige noch weitgehend unbekannte Südwestafrika. Nach Anderson ist heutzutage der Haupteingang des Etoscha National Parks benannt – war letztes Jahr im Urlaub unvergleichlich schön da.
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