Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 07.12.2018, 20:10   #422  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.507
Spinne (Williams) 91

Erscheinungstermin: 8/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 90
2) Mighty Thor # 127

Story-Titel:
1) Der Tod wird kommen!
2) ohne Titel (Der Hammer und die Katastrophe!)

Original-Storytitel:
1) And Death shall come!
2) The Hammer and the Holocaust!

Zeichnungen:
1) Gil Kane / John Romita
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Diese Ausgabe hat mich schon als Jungen aufgeregt. Es werden hier Serienbegrenzungen aufgehoben, indem Gwens Vater, Captain George Stacy, der Tod ereilt. Ohne Zweifel: So etwas passiert in Comicserien eigentlich nicht. Stacy ist zwar nur eine Nebenfigur, ähnlich wie Frederic Foswell (umgekommen in # 53), Franklin Storm (FV # 28) oder Barney Barton (Rächer # 63). Aber er hatte schon seit längerem eine wichtige Funktion in Peter Parkers Umfeld: Ihn hätte Peter fragen müssen, wenn er Gwen hätte heiraten wollen, und Captain Stacy stand immer im Verdacht, der Enttarnung seiner Geheimidentität nahe zu sein. Stan Lee mag sich gedacht haben: Wirklich demaskieren wird Stacy die Spinne niemals (wie könnte es dann weitergehen?), also lasse ich ihn lieber sterben. Er gab der Sache dann noch einen etwas anderen Dreh. Der Hintergrund dieser Episode ist konventionell. Es zeichnet sich in etwa das Muster ab: Die Spinne wurde von ihrem Gegner im ersten Zusammentreffen besiegt, nun bereitet sie sich auf die zweite Runde vor, in der sie ihn mit einem Trick ausschalten will. Aber in der Story gibt es doch ein paar Überraschungsmomente.

Zu Beginn wird die Spinne vom Dach eines Hochhauses gestürzt. Schon beim ersten Lesen dürfte ich mir gedacht haben: Das wird sie wohl überstehen – mit ihren akrobatischen Fähigkeiten und Reflexen. So ist es auch. Sie packt die Tentakel und bricht durch ein Fenster ins Haus hinein. Aber nun kommt eine erste Überraschung: Die Arme von Doc Ock folgen ihr, und zwar durch mehrere Zimmer und schließlich in einen Lüftungsschacht, wo sich die Spinne verstecken will. Eigentlich Unsinn, denn Ock ist nicht Mr. Fantastic, der seine Arme beliebig weit dehnen kann. Zudem: Woher wissen die Tentakel, daß die Spinne in den Lüftungsschacht klettert? Erst ganz kurz, bevor die Arme sie zu fassen bekommen, wird Ock offenbar unsicher und zieht sie zurück. Die Spinne klebt ihnen schnell einen Spinnenspürer an. – Naja, spannend ist die Szene schon.

Ich sollte festhalten: Auf wen da der Tod wartet, ist bisher unbekannt. Auf dem Cover von Gil Kane und John Romita trägt die Spinne eine leblose Gestalt davon, deren Gesicht völlig verschattet ist. Nun aber bekommt Captain Stacy noch einmal einen bewegenden Auftritt. Peter, wieder in Zivil, wankt nach Hause, benommen und ganz in Gedanken, und läuft dabei Stacy in die Arme, der sich über seinen Zustand wundert. Peter geht gern auf eine Vermutung Stacys ein, er habe seine Grippe noch nicht auskuriert (von Doc Ock erzählt er lieber nichts). Und schon fällt er Stacy ohnmächtig in die Arme. In dessen Wohnung kommt er wieder zu sich, und Gwen sitzt an seinem Bett. Peter grübelt einmal mehr, ob Stacy mehr über ihn weiß, als er zugibt. Aber, augenblicklich erholt (das kennen wir aber schon aus früheren Ausgaben), kehrt er in sein Apartment zurück (Zimmerkumpel Harry Osborn schläft tief und fest) und bereitet eine Waffe gegen Ock vor.

Zwei Seiten lang sucht die Spinne – trotz des Spinnenspürers – nach dem Mann mit den Tentakeln, dann scheint sie ihn in einer Hochhauswohnung gefunden zu haben. Aber Ock hat den Spürer entdeckt, präpariert und greift vom Dach aus an. Drei Seiten harter Kampf, dann setzt die Spinne ihre neue Waffe ein. Sie verschießt ein Spezialnetz, das die Kontrolle über die Arme blockiert. Ocks Arme verselbständigen sich und wenden sich gegen ihren Träger. Auch das ist eine Idee, die logisch nicht ganz hinhaut; jedenfalls wird überhaupt nicht erklärt, wie die mentale Verbindung unterbrochen wird. Aber sie ermöglicht eine wichtige Wendung: Die Arme zerstören blindwütig alles in ihrer Reichweite, auch einen Schornstein, dessen Bruchstücke auf die Straße stürzen. Captain Stacy ist selbstverständlich vor Ort und will die Straße räumen. Doch schon regnen die Schornsteintrümmer auf einen kleinen Jungen herab. Heldenmütig stößt Stacy das Kind beiseite und wird selbst von den Steinbrocken getroffen, verschwindet unter einem Schuttberg.

Der pensionierte Polizeioffizier ist nicht sofort tot, sondern bekommt (wie Winnetou) eine herzzerreißende Sterbeszene. Die Spinne will ihn zum Arzt bringen, aber dafür ist es schon zu spät. Stacy verlangt, hingelegt zu werden; er will der Spinne noch etwas Wichtiges sagen: „Es… geht um Gwen! Wenn ich tot bin… ist niemand da, der sich um sie kümmern kann… niemand, Peter, außer dir!“ Mit seinen letzten Worten macht er klar, daß er weiß, wer die Spinne ist (woher er das weiß, bleibt unklar). Peter verspricht, Gwen immer zu unterstützen, schiebt aber gleich hinterher: Was ist, wenn sie die Spinne für den Tod ihres Vaters verantwortlich macht? Da wird eine neue Konfliktlinie aufgebaut. Stacy so tragisch aus der Serie zu nehmen, war schon ein mutiger Schachzug von Lee; es war etwa so, als würde in der „Superman“-Serie zum Beispiel Perry White sterben.

Wahrscheinlichkeit und Plausibilität – egal. Diese Episode hat starke Szenen. Der Leser ist nicht so sehr schockiert, daß es Captain Stacy trifft, denn eine so sympathische Figur war er vorher nicht. Dazu wird er hier eben noch ein wenig aufgebaut. Aber es ist ein Schock, daß überhaupt eine Figur stirbt, an die man sich etliche Ausgaben lang gewöhnt hatte. Bisher galt: Sie kann verschwinden, indem sie irgendwohin reist, aber nicht durch Tod. Marvel zeigt: Es geht doch.

Auf einer redaktionellen Seite wird die Kriegsserie „Death Patrol“ von Dave Berg vorgestellt. Sie stammt offenbar aus dem Zweiten Weltkrieg. Warum sie in den Marvels auftaucht, bleibt offen, aber uninteressant ist der Text mit ansprechender Ligne-Claire-Zeichnung von Berg nicht. Zudem kehrt die Checkliste, die letztes Mal fehlte, zurück.

Geändert von Peter L. Opmann (08.12.2018 um 08:48 Uhr)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten