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Alt 19.02.2016, 15:23   #37  
Servalan
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Standard Dante Alighieri: Das neue Leben / La vita nuova (zwischen 1292 und 1295)

Manesse Bibliothek Band 2, Manesse Verlag 1987, 87 Seiten (mit Anmerkungen und Nachwort)
http://gutenberg.spiegel.de/buch/vit...e-leben-7787/1 (Text bei Projekt Gutenberg-DE von Spiegel Online)
https://de.wikipedia.org/wiki/Vita_Nova
http://www.mein-italien.info/literatur/beatrice.htm
http://www.dante-gesellschaft.de/aktuelles/
http://www.enotes.com/topics/vita-nuova
http://mediaewiki.de/wiki/Der_vierfa...eri,_Vita_Nova)

Weite Teile der Medien beschäftigen sich heute mit der Liebe in all ihren Schattierungen, von der ersten zarten Schwärmerei über den ersten Kuß und das erste Zusammensein bis zu Eifersucht, Liebeskummer und Trennungsschmerz. Die meisten Geschichten, Songs oder Filme drehen sich in der Regel um gewöhnliche Menschen, wobei im Hintergrund meist unbemerkt das erfolgreiche Modell von Goethes Bestseller Die Leiden des jungen Werthers (1774) schwebt (für den Titelhelden Werther war das übrigens nicht erfolgreich, denn der ist am Schluß tot!).

Doch bis dahin war das ein weiter Weg. Und wer sich in der Geschichte und der Literatur auskennt, stößt vergleichsweise früh auf eine Epoche in noch prüdere Geschichten revolutionär und epochemachend gewesen sind.
Ende des 13. Jahrhunderts (um die Zeit spielt auch Ecos Der Name der Rose) war Europa eine rückständige Halbinsel von ungebildeten Despoten, die mit ihren Gangs raubten und plünderten, wenn sie ihre winzigen Fürstentümer und Königreiche vergrößern wollten. Was die muslimischen Araber vor dem Untergang der Antike gerettet hatten, wurde in Klöstern wachsam gehütet und mühsam von Hand kopiert.
In der Frührenaissance entdeckten reiche Fürstenfamilien wie die Medici, die Este und später die Borgia die Überreste der versunkenen Antike für sich: Dabei reichte das Spektrum von antiken Fundstücken und Ruinen, die in privaten Kunst- und Wunderkammern am Hofe gesammelt wurden (die Vorläufer der Museen), bis zu einen Revival (Renaissance ~ Wiedergeburt) der wiederentdeckten Traditionen.

Der Florentiner Dante Alighieri (1265-1321) schlug nach seinem Studium eine politische Laufbahn ein. Zu dieser Zeit wurde die italienische Halbinsel durch Krieg zwischen Guelfen und Ghibellinen geprägt, weshalb gewonnene oder verlorene Schlachten politische Karrieren bestimmten.
Leider zog Dante den kürzeren, wurde mit den Kirchenbann belegt und in Abwesenheit zu einer hohen Geldstrafe und zur Niederlegung all seiner öffentlichen Ämter genötigt. Deswegen mußte er fortan Florenz meiden und suchte sich in anderen Fürstentümer Schutzherren, für die er als Philosoph und Dichter tätig war.

Im Mittelalter galt eine strikte feudale Hierarchie, lediglich hinter Klöstermauern war sein sozialer Aufstieg möglich. Der Adel sicherte sich durch dynastische Heiraten seine Privilegien, und das Gesinde war häufig zu arm, um sich eine Heirat leisten zu können. Liebe und Leidenschaft gab es trotzdem, allerdings eher im Schatten des Rechts. Das römische Latein wurde zum Standard, obwohl (oder gerade weil) das gewöhnliche Volk schon längst andere Dialekte sprach.

Dantes Liebe zu seiner angeschmachteten Beatrice mischt in 42 kurzen und kürzesten Kapiteln in italienischer Umgangssprache Prosa und Gedichte in unterschiedlichen Formen. Einerseits greift er die mittelalterliche Minneliteratur auf, da seine Sehnsucht zu der unerreichbaren Adligen nicht über Schwärmerei herauskommt und das Edelfräulein Beatrice jung verstirbt. Andererseits dürfte das die erste Coming-of-Age-Story der europäischen Weltliteratur sein. Was Cervantes durch das als Dulcinea del Toboso von Don Quijote angehimmelte Bauernmädchen verspottet, ist gut 300 Jahre vorher bei Dante tragisch ernst gemeint.

Wer vor der wortgewaltigen Göttlichen Komödie (1307-1320) zurückschreckt, findet hier ein schmales Bändchen, mit dem sich Leute identifizieren können, die zum ersten Mal Schmetterlinge im Bauch haben und himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt sind. Das ist Dante for Beginners!

Geändert von Servalan (19.02.2016 um 16:48 Uhr)
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