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Alt 10.03.2016, 15:28   #71  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard "Ist das Kunst? Oder kann das weg?"

Die "gute alte Zeit" wird überschätzt und verklärt: Schreiben war ein mühsames, kostspieliges und selten ertragreiches Geschäft.
Sogar Manuskripte wurden in Schreibbüros aufwendig von Hand kopiert (siehe die Scrooge-Verfilmungen oder Nosferatu). Später versprachen mechanische Schreibmaschinen eine gewisse Erleichterung. Doch deren Schwanengesang erklang zum ersten Mal in den 1980er Jahren, als Personal Computer (PCs) langsam aber stetig Büros und private Räume eroberten.
In jener Zeit wurde das Utopia eines papierlosen Büros heraufbeschworen.

Papier wiegt einiges, was jeder beim Umzug im Rücken spürt. Außerdem verursachen der Kauf des toten Holzes und der Druck jeder Seite Kosten, hinzu kommt die Lagerung der Ordner oder Kartons.

Wer beruflich schreibt, bei der oder dem stapelt sich das Papier unausweichlich. Zum einen hilft es Leuten wie mir erheblich, im frisch Verfaßten Fehler, Mängel und andere Schlampereien zu erkennen und sofort zu korrigieren.

Als zweiter Faktor kommt die rasante technische Entwicklung hinzu: Was ich handschriftlich zu Papier gebracht oder ausgedruckt habe, das kann ich jederzeit wieder hervorziehen und mich aufs Neue damit befassen.
Bei den Speichermedien der letzten dreißig bis vierzig Jahre sieht es hingegen finster aus: Falls ich uralte Floppydisks oder 3.5"-Disketten auslesen möchte, muß ich umständlich technische Spezialisten konsultieren.
Häufig sind Dateien korrupt, also schadhaft. Weil ich nicht weiß, wie es mit den Speichermedien weitergeht, achte ich darauf, daß ich Manuskripte ausdrucke, die mir lieb und wichtig sind.

Über die Jahrzehnte sammeln sich diverse Regalmeter an oder Archivkartons stapeln sich im Keller bzw. auf dem Dachboden. Irgendwann droht ein Rappel, all die Staubfänger auszumisten und sich vom dem Krempel zu trennen, der allmählich vergilbt. Draußen lauert eine gefräßige Altpapiertonne.
Wer sich dazu überwindet, spürt, wie weh das tut.

Ein gewisser Ruf (frühestens ab 60 mit einer stattlichen Bibliographie!) geht mit Privilegien einher, die solche Entscheidungen erleichtern. Denn in diesem Fall helfen Institutionen und sorgen wieder für einen freien Blick, obwohl das Archiv keineswegs vernichtet, sondern erhalten wurde.

Die informelle Methode besteht in einem Freundeskreis, praktisch ein Kollektiv, das als Mäzen handelt. Dieser Freundeskreis gründet einen Verein oder eine Stiftung, die dann das Gesamtwerk (wie jeder andere Verlag auch) editiert, über die Autorin oder den Autor forscht sowie das Archiv lagert und betreut.

Je nach Stellung bieten sich die Archiv der Kommunen, der Länder und des Bundes an. Diese staatlichen Archive verwalten historische und andere wichtige Dokumente, Urkunden und Akten, weshalb sie mit Steuermitteln unterhalten werden (hier eine Liste).
In der Hauptsache werden die Nachlässe Verstorbener aufbewahrt. Bei wichtigen Personen der Zeitgeschichte liegen die Archive schon zu Lebzeiten auf der Lauer, denn das Aufbereiten des Materials bindet Personal, Kosten und natürlich Zeit. Wer angesprochen wird, kann die besten Konditionen für einen Vorlaß aushandeln.

Den belletristischen Olymp stellt das Deutsche Literaturarchiv Marbach dar, das seine Schätze regelmäßig in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert - und immer eine Reise wert ist.

Geändert von Servalan (10.03.2016 um 23:33 Uhr)
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