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Alt 10.08.2018, 16:16   #37  
74basti
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TIBOR (kurz vor dem Ende, Teil 1)


1959, Hannover, Ferdinandstraße

„Mit Akim ist jetzt Schluß. Wir brauchen bis nächsten Montag das erste Heft einer neuen Dschungelserie“, mit diesen Worten ist Hansrudi Wäscher, der nach eigenen Worten niemals über die Hintergründe zu Entscheidungen des Verlags informiert worden ist, vom Lehning Verlag vor vollendete Tatsachen gestellt worden. (vgl. Interview mit Peter Orban 1977, zitiert nach Gerhard Förster, Das große Hansrudi Wäscher-Buch, Hethke, 1987, S.87)
Die Probleme bei einer so kurzfristigen Beauftragung lagen auf der Hand. Schon die Namensgebung gestaltete sich nicht sehr einfach und beanspruchte schon einige Arbeitszeit: „Mir fiel zunächst kein Name ein. Meiner Frau auch nicht. Wir überlegten Stundenlang, krochen schließlich über die Landkarte von Afrika und versuchten, einen zugkräftigen Namen zusammenzubasteln, Wir hatten schließlich eine Liste von ungefähr 80 Vorschlägen und kamen so auf den Namen TIBOR.“ (vgl. Interview mit Peter Orban, ebenda) Einige Tage später, nachdem er das erste Heft abgegeben hatte, bemerkte er eine Konzertankündigung. Der Vorname des Dirigenten war TIBOR. Leider war es mir auch mit Internetrecherche nicht möglich, den Nachnamen herauszugebommen. Einerlei, der Dirigent stand ja nicht Pate für den Vornamen des neuen Dschungelhelden. Und „neu“ war er in der Tat. Während Wäscher sich zuvor im Gewirr von Pedrazzas/Renzis Vorlage AKIM zurechtfinden musste, einschließlich der vagen geographischen Vorgaben und seiner Herkunftsgeschichte, konnte Wäscher sich einen eigenen Helden erschaffen.

Was war geschehen?

Walter-Lehning-GmbH und Marino Tomasina, haben ab dem 8. Mai 1953 verschiedene Verträge über die Verwertung diverser Comicserien geschlossen. Aber Rückgabe der Originale und ausstehende Zahlungen (und wohl auch das Weiterzeichnen eigener AKIM-Geschichten ließen die Vertragsparteien schon nach nur 3 Jahren zu Prozeßparteien werden. Unter dem Aktenzeichen 6 O 224/56 klagte der italienische Verleger vor dem Landgericht Hannover rund 920.000 Lira (rund 6.600 DM) inklusive Zinsen bis Vergleichseröffnung, sowie weiterer Zinsen. Die Verfahren zogen sich bis 1960 durch den gesamten deutschen Instanzenzug. Lehning zog stets den Kürzeren (vgl. Detlef Lorenz, Tibor Eine Legende in Afrika, Comics etc., 2009, S.6 ff; und das ist schon Stoff für einen eigenen eigenen, langen Artikel).
Jedenfalls erschien im September 1959 (nach der Aufstellung von Gerhard Förster, S.124) mit „Abgestürzt!“ der erste Piccolo-Titel von TIBOR bei LEHNING.

Wäscher lässt seinen neuen Helden mit dem bürgerlichen Namen Gary Swanson bei einem Flug nach Nairobi (mit einem Abstecher zum Kilimandscharo) in Kenia abstürzen und seine Abenteuer in Afrika erleben. Detlef Lorenz hat in seinem Buch TIBOR – Eine Legende in Afrika anhand der Angaben aus den Wäscher-Comics eine präzise geographische Einordnung vorgenommen. Als ausgewiesener Tarzan-Experte lobt er vor allem auch die schlüssige Origin der Comicfigur (im Gegensatz zu der von AKIM, vgl. Lorenz a.a.O., S. 20ff).

Bereits im Editoral der Sprechblase 210 (Dez. 2007) war nach dem Tode von Norbert Hethke, der viele Jahre lang TIBOR (und andere Comics Wäschers) in verschiedenen Varianten nachgedruckt hatte, klar, dass nicht mehr der Verlag, sondern die Agentur Becker Illustrators die Rechte Wäschers wahrnehmen werde. So wandern die einzelnen Serien nun zu verschiedenen Verlagen. Dort werden diese auch mit neuen Zeichnern fortgesetzt. Der Wildfeuerverlag sichert sich die Rechte für eine Fortsetzung an TIBOR. Die erste Geschichte der „dritten Serie“ mit dem Titel „Rätselhafter Tod“ erscheint (laut Impressum) im Mai 2008, also vor mehr als zehn Jahre, rechtzeitig, wie man im Vorwort betont, zum „Jubiläum“ (50 Jahre Tibor, genauer 49 2/3 Jahre). Damals wie heute kosten ein Einzelheft Euro 6,40.

Rückblende: 1959, Ort: Wilster, Norddeutschland, Volksschule, Klassenraum der vierten Klasse

Die Schulklasse wartet schon auf den Lehrer, da stürzt ein Schüler in den Klassenraum und schwenkt ein Piccolo in der Hand. „Es gibt jetzt eine neue Dschungelhelden-Serie: TIBUÄ Ich denke, TIBUÄ TIBUÄ, was für ein bescheuerter Name für einen Urwald-Helden. Die Jungens in der Klasse stürzen sich sofort auf die Neuigkeit. Erwartungsvoll pirsche ich mich an den Pulk meiner Mitschülerheran. Verzweifelt versuche ich, einen Blick darauf zu werfen“ (zitiert nach Michael Goetze, Es war eine wunderbare Zeit, Remo 1 bis 6). Goetze liest den Namen TIBOR (statt TIBUÄ) und Goetze nennt die Ankünsigung von TIBOR in der Rückschau eine „Sensation“ (Goetze a.a.O.).

Fast 50 Jahre später ist er nun Texter und Zeichner dieser Serie, die es bisher auf 104 Piccolos und 2 Großbände (zuzüglich drei von Goetze gezeichnete Großbände im Mohlberg-Verlag) bringt. Zu der Serie kommt bestimmt später einmal mehr, aber nicht heute.

"Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" - Francisco de Goya 1799

Geändert von 74basti (10.08.2018 um 16:21 Uhr)
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