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Alt 04.02.2015, 14:51   #47  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Den Dünkel der Hochkultur sollte dabei niemand vergessen.

Mit dem Kunstanspruch verbinden sich ja weitere Denkmuster, die mit der echten Qualität des Werken überhaupt nichts zu tun: Kunst soll am besten von einem einzelnen Künstler kommen und möglichst frei im Raum schweben, also wenig mit dem Leben der gewöhnlichen Menschen zu tun haben. Vielleicht ein bißchen intellektuell, vielleicht ein wenig experimentell und der eine oder andere Skandal kann auch werbeträchtig ausgeschlachtet werden. Letztlich wird da fleißig am Mythos des einsamen Künstlergenies gebastelt, und das Werk ist bloß Mittel zum Zweck. Wenn sich der Künstler noch rar und nur alle Jubeljahre mal ein Bändchen vorgelegt (wie Ransmayr im Literaturzirkus), dann funktionieren die eingefahrenen Routinen.

Wer sich mit der Comicgeschichte beschäftigt, wird aber häufiger Leute entdecken, die in rascher Folge ein umfangreiches Werk vorlegen: Vielzeichner und Vielschreiber, aber die gelten für gewöhnlich eher als mittelmäßige Fabrikarbeiter. Wobei der Begriff "Fabrik" an sich wertfrei betrachtet werden sollte, ohne blöde Vorurteile. Denn schon die alten Meister, die mit ihren Fresken die italienischen Bauwerke seit dem späten Mittelalter verschönert haben, über Rembrandt und die Flamen bis hin zu Andy Warhols Factory zeigen ja, daß eine Schule oder Studio nützlich sein kann und nichts über die Qualität aussagt.
Einige der besten Werke sind solche Schnellschüsse, die quasi am Fließband produziert worden sind: Will Eisner war sich dessen bewußt. Nachlesen läßt sich das in seinem autobiographischen Comic über seine Anfänge als (Teenager-)Unternehmer im Eisner/Iger-Studio in Der Träumer. Eine gewisse Routine gehört dazu, damit die Seiten locker von der Hand gehen. Verkrampfte und steife Sachen hemmen den Lesefluß. Diese Regel gilt sowohl für Zeichner wie auch Szenaristen.
Bei Jean Van Hamme drückt sich das in seinem Spitznamen aus: "Monsieur 10%". Im Comic ist das eher die Regel. Auf Anhieb fallen mir da heute über jeden Verdacht erhabene Namen wie Stan "The Man" Lee, Alan Moore, Jack Kirby, René Goscinny, Albert Uderzo, Morris, Franquin, Jijé, Moebius, Jiro Taniguchi, Naoko Urusawa usw. usf. ein. Und wenn ich an jüngste Generation denke, gibt es Lewis Trondheim, Bastien Vivès, Wilfrid Lupano ... In Deutschland gehören Stephan Hagenow und Levin Kurio eher zu diesem Kreis als all die Absolventen der Kunsthochschulen.
Die probieren mal was aus und sind sich für nichts zu schade.
Sicher, der eine oder andere Comic darunter ist nicht das Gelbe vom Ei. Aber was soll's? Über kurz oder entstehen auf diese Weise die Klassiker von morgen und übermorgen, wenn die Kreativen ihre Betriebstemperatur halten können. Solange es genügend Titel mit langer Backlist gibt, die ständig lieferbar sind und quer durch die Generationen gelesen werden, möglichst zu einem Preis, der nicht den Rahmen (von z.B. 10 €) sprengt - solange leben die Comics.
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