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Alt 09.04.2018, 16:11   #56  
Peter L. Opmann
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Die Spinne (Williams) 12

Erscheinungstermin: 6/1974

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 10
2) Tales to Astonish # 83

Story-Titel:
1) Die Vollstrecker
2) Der Aquarius schlägt zu!

Original-Storytitel:
1) The Enforcers!
2) The Sub-Mariner strikes!

Zeichnungen:
1) Steve Ditko
2) Jack Kirby / Dick Ayers

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Zunächst hat mich das Cover beschäftigt. Die Spinne wirkt hier recht ungelenk gezeichnet. Der Big Boss und seine Vollstrecker sind in der Art von Steve Ditko gezeichnet, aber der Held im Vordergrund? In der Marvel-Wikia ist zu erfahren, daß Jack Kirby am Cover mitgewirkt hat. Er hat Mühe mit dem Netzmuster auf dem Kostüm; seine Spinne hält den Netzfaden, an dem sie hängt, auf ungewöhnliche Weise, und die ganze Figur wirkt ziemlich uninspiriert. Kirby hat vermutlich in Ditkos Coverzeichnung eingegriffen und dessen Spider-Man ersetzt, aber ich vermute, auf die Schnelle ist ihm nicht viel Besseres geglückt. Die Williams-Redaktion hat ungelenk eine Sprechblase eingefügt, die die Spinne sagen läßt: „Na, Freunde – wer von euch möchte als Erster behandelt werden?“ Dabei waren ja Sprechblasen auf dem Cover nicht Pflicht.

Unbefriedigend ist das ganze Heft: Wieder fehlen drei Seiten „Submariner“, aber auch zwei Seiten „Spider-Man“. Auf die Idee, die Zweitstory in zwei Teilen zu bringen, war man offenbar noch nicht gekommen. Oder die Spinne-Story lag nur in gekürzter Form vor. Eine Seite mußte auf jeden Fall für das angekündigte Preisausschreiben abgezweigt werden; hier wird Serienwissen abgefragt, und wer sich im Marvel-Universum auskennt (also alle bisherigen Hefte gelesen hat), kann eine Spielfigur gewinnen.

Die vorliegende Spinne-Geschichte zähle ich zu den schwächeren, aber sie ist dennoch nicht ganz uninteressant. Denn sie liefert mit der Gangsterbande, die von einem mysteriösen Unterwelt-Boß mit Geheimidentität angeführt wird, die Blaupause für zahlreiche spätere Storys – auch bei „Daredevil“ gab es das Muster häufiger. Dieser Boß heißt hier einfach „der Boß“ (im Original „Big Man“, was sich nicht direkt übersetzen läßt). Er wird gleich zu Beginn mit einem „raffiniert“ geplanten Einbruch eingeführt. Der Einbrecher wird, bevor ihn die Polizei schnappen kann, einfach mit einem Hubschrauber abgeholt. Die zufällig anwesende Spinne hängt sich zwar an, wird aber abgeschüttelt.

Dann werden die Vollstrecker eingeführt, aus heutiger Sicht eher eine Zirkustruppe: Ein Kraftprotz, ein Lassowerfer und ein Männchen, das Karate beherrscht. Die drei schüchtern jedoch zunächst die anderen Gangsterbosse New Yorks ein und setzen dann Betty Brant unter Druck, die dem Boß Geld schuldet (warum, erfahren wir hier noch nicht). Grund genug für die Spinne einzugreifen. Aber mit den Vollstreckern wird sie nicht so einfach fertig (da hätte ich den Spinnenkräften aber schon mehr zugetraut). Jonah Jameson hat wieder dieselbe Idee wie bei Electro: Der Boß muß mit der Spinne identisch sein. Rasch wird eine neue Figur eingeführt (nicht ohne Grund, wie wir noch sehen werden): Redakteur Frederic Foswell, der für ihn die Sensationsstory schreiben soll. Ein Journalist mit hohem Berufsethos – er würde auch schreiben, daß Richard Nixon der Boß ist, wenn es sein Verleger wünscht (und damit läge er auch näher an der Wahrheit).

Peter Parker hat dagegen Jameson im Verdacht, der Boß zu sein. Die Spinne zieht nochmal los, besiegt die Vollstrecker und übergibt sie der Polizei, während der Boß noch einmal fliehen kann. Die Rätselauflösung ist eine Enttäuschung: Nicht Jameson, sondern Foswell ist der Boß; die Polizei entlarvt ihn, indem sie seine Verkleidung in seinem Auto findet. Als er wieder allein ist, enthüllt Jameson uns Lesern, warum er die Spinne so sehr haßt: Geldverdienen befriedigt ihn nicht mehr – er beneidet die Spinne darum, ein Held und von allen geliebt zu sein. Was ja so nicht stimmt: Mit seiner Pressekampagne ist er dafür verantwortlich, daß viele Bürger sie für eine Bedrohung halten.

Peter Parker steht am Ende – anders als in den vorherigen Ausgaben – mit einigen Problemen da: Tante May ist jetzt zwar zur Erholung in Florida, aber ihr Gesundheitszustand macht immer noch Sorgen. Betty ist verschwunden. Und wir sehen auch sie noch einmal: Untergetaucht in Pennsylvania, in ziemlich labilem psychischem Zustand. Ihr Geheimnis soll nun in der nächsten Ausgabe gelüftet werden.

Lee und Ditko üben hier ein Storymuster. Das merkt man ziemlich deutlich. Die Story ist unbeholfen zusammengezwungen. Manche Dinge sind zwar nicht unlogisch, aber recht unwahrscheinlich, vor allem das Doppelspiel von Frederic Foswell. Aber auch daß er mit seinen drei Zirkuskünstlern die Unterwelt New Yorks beherrscht, ist schwer nachzuvollziehen. Schußwaffen kommen hier praktisch nicht vor, vermutlich wegen des Comics Code. Es sind auch Bösewichte ohne Geschichte, was die Story ziemlich eindimensional macht und den Figuren viel von ihrem Schrecken nimmt.
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