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Alt 16.06.2018, 16:40   #103  
Servalan
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Das Cabinet des Dr. Caligari (Deutschland 1920, Decla-Film-Ges. Holz & Co.), Drehbuch: Carl Mayer und Hans Janowitz, Regie: Robert Wiene, 1505 Meter ~ 55 min mit FSK: 12 bzw. rekonstruierte Fassung 72 min mit FSK: 6, schwarzweiß und stumm

Vom Deutschen Expressionismus war hier wiederholt die Rede, der natürlich auch im damals neuen Medium des Films seine Spuren hinterlassen hat.
Schon vor den (Ersten) Weltkrieg wendete sich die Malerei von der realistischen Wiedergabe der Realität (der Mimesis) ab, zumal die Künstler mit der Exaktheit und Geschwindigkeit von Fotografie und Film nicht konkurrieren konnten. Um die Jahrhundertwende explodierten die Avantgarden, die häufig mit Manifesten vor ihr Publikum traten. Im Mittelpunkt stand dabei das Gefühl der Künstler, eine intensive Emphase, die sich in der Bildgestaltung spiegelte. Die berühmtesten expressionistischen Künstlergruppen waren Die Brücke und Der Blaue Reiter.

1918 waren große Teile der Bevölkerung des ersten industrialisierten Krieges mit Millionen von Toten und zahllosen grausam Verstümmelten müde. Es kam in den folgenden Monaten zu Revolten, Stichworte Kieler Matrosenaufstand und Münchner Räterepublik, die blutig niedergeschlagen wurden.
Während des Krieges litt die Filmindustrie unter Blockaden und eingefrorenen Konten, das Kriegsende versprach bessere Zeiten. Doch die deutschen Studios mußten hart kalkulieren, und so wurde aus den Mängeln eine Tugend. Die ersten "vorexpressionistischen" Produktionen entstanden schon 1918, die meisten sind jedoch heute vergessen, verschollen oder nur wenigen Leute in der akademischen Forschung bekannt.
Das Cabinet des Dr. Caligari war nicht nur im heimischen Kintopp ein Erfolg, er zog auch bei den ehemaligen Kriegsgegnern Frankreich und USA ein breites Publikum. Dabei fiel der Begriff des "Caligarismus" für das gotische Schauerkino aus der Weimarer Republik. Bis 1925 wurde das Genre fortgesetzt und blühte auf. Darunter finden sich Meisterwerke wie Fritz Langs Dr. Mabuse, der Spieler (1922) und Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (1922).

Das frühe Kino hatte allmählich eine eigene Sprache entwickelt, jenseits des abgefilmten Theaters und pseudoliterarischer Klimmübungen. Das expressionistische Kino zeigte nun das Geschehen aus der inneren Sicht einer Filmfigur, die die Realität stark verzerrt und höchst subjektiv aufnimmt. Träume, Rausch und Wahnsinn prägen die Sicht der Dinge, und dem Gezeigten ist kaum zu trauen. Hier schlägt sich das zerstörte Vertrauen in die Menschen nieder, das leise, ferne Echo der Materialschlachten in Verdun und an der Somme.
Das Cabinet des Dr. Caligari befindet sich im Filmarchiv des Bundesarchivs, und Kommunale Kinos (oder andere Einrichtungen) leihen ihre Kopie heute von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Potsdam. 2014 lief eine restaurierte Fassung auf der Berlinale, die wenig später auf arte ausgestrahlt wurde.

Auf einer Bank erzählt der junge Francis einem alten Mann eine seltsame Geschichte, die er selbst erlebt hat. Mit seinem Freund Alan besuchte er in Holstenwall den Jahrmarkt. Dort hat Dr. Caligari seine Bude, in der der Somnambule (der Schlafwandler) Cesare die Zukunft voraussagt.
Der merkwürdig starre Cesare sagt Alan, der werde "bis zum Morgengrauen" leben. In derselben Nacht wird Alan von einem Schatten heimgesucht.
Am nächsten Morgen erfährt Francis, daß Alan erstochen worden ist. Francis verdächtig Cesare des Mordes und schaltet die Polizei ein. Der Schlafwandler wird von Dr. Olsen, dem Vater seiner Verlobten Jane, untersucht. Ein weiterer Mordversuch wird verhindert.
Francis bleibt Cesare und Dr. Caligari auf der Spur, weil er fürchtet, seine Jane solle das nächste Opfer des Serienmörders werden. Dabei kommt es eines Tages zu einer Verfolgungsjagd, bei der Dr. Caligari in eine Irrenanstalt flüchtet.


Geändert von Servalan (26.03.2024 um 18:37 Uhr)
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