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Alt 02.05.2023, 15:37   #169  
Servalan
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Zu den experimentierfreudigsten Comicautoren zählt Chris Ware, dessen Werk für Kunstinteressierte sicherlich eine Fundgrube ist. Durch seinen Anspruch begreift den Comic als Ganzes, also über die Erzählung mit Bildern hinaus; seine Gestaltung des Objektes beginnt dabei mit vielfältigen Formaten, reicht über einen abstrahiert, fast piktographischen Stil bis hin zum Design von Paratexten wie Werbeanzeigen oder Spielzeugentwürfe.
Als Student wurde er von Art Spiegelman entdeckt, der ihm in seinem Magazin RAW eine Spielwiese bot, wodurch sich Ware ermuntert fühlte und Selbstvertrauen gewann. Wie sehr Ware von der Comicbranche geschätzt wird, zeigen seine Einsätze als Herausgeber und Designer für klassische Comics wie Krazy Kat und Gasoline Alley.
2002 gehörte Ware zu den ersten Comiczeichnern, die auf die Whitney Biennial im Whitney Museum of American Art in New York City eingeladen wurde, eine wichtige Veranstaltung der zeitgenössischen Kunstwelt. 2006 erhielt er das USA Hoi Fellow Stipendium der Stiftung United States Artists.
Am deutlichsten wird sein Verständnis von Comics in einer Serie und in einem mehrteiligen Werk.

Durch Spiegelman bestätigt, startete Chris Ware 1994 beim Verlag Fantagraphics seine Comicserie Acme Novelty Library, die zunächst als Anthologieserie mit unterschiedlichen Formaten daherkommt, in der es aber kontinuierlich fortgesetzte Geschichten gibt, die später als Graphic Novels erschienen. Dabei reichen die Formate von (gefalteter) Zeitungsgröße oder Plakaten über Hardcover, Booklets und Leporello bis zu klein- und querformatigen Comics. Ab Ausgabe #16 erscheint diese Serie im Selbstverlag und stellt mit 20.000 verkauften Exemplaren pro Ausgabe eine signifikante Größe im Bereich alternativer Comics dar.

Seinen künstlerischen Höhepunkt bildet der Konzeptcomic Building Stories (Pantheon 2012, Jonathan Cape 2012), der den handelsüblichen Rahmen einer Graphic Novel sprengt; gewissermaßen ist es die Acme Novelty Library im Quadrat. Building Stories besteht zunächst aus einer Schachtel, in der sich 14 Comics unterschiedlichster Größe befinden, die in jeder Kombination gelesen werden können. Eine Inspiration für dieses Werk war Marcel Duchamps "La Boîte-en-Valise | Box in a Valise" (1935 – 1941).
Inzwischen ist es ein Allgemeinplatz, das Layout einer Seite als pars pro toto für den Comic mit Architektur zu vergleichen. Ware macht sich diesen Umstand zunutze, indem er hier über das Leben einer namenlosen Frau in einem dreistöckigen Apartmenthaus in Chicago erzählt. Jeder der 14 Comics bildet ein Fragment, das wie ein Puzzle mit den anderen Teilen verbunden werden muß, um eine größere Geschichte zu erzählen.
Dafür wurde Ware mit zahlreichen renommierten Preisen geehrt, darunter drei Eisner Awards, ein Harvey Award und den Sonderpreis der Jury auf dem Festival international de la bande dessinée d'Angoulême 2015.

Sekundärliteratur gibt es (zur Zeit) leider nur auf Englisch:
  • David M. Ball und Martha B. Kuhlman (Hrsg.): The Comics of Chris Ware. Drawing is a Way of Thinking (University Press of Mississippi 2010), 288 Seiten
  • Jean Braithwaite (Hrsg.): Chris Ware. Conversations (University Press of Mississippi 2016), 298 Seiten
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