Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 01.11.2019, 16:49   #134  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
Benutzerbild von Servalan
 
Ort: Südskandinavien
Beiträge: 10.322
Blog-Einträge: 3
Standard Warum soll das Wissen in die Geschichte? (Teil 4)

In der populären Kultur gibt es auffällige Ähnlichkeiten und Strukturen, die über einzelne Bücher, Autoren und Genres hinausreichen. Das sind keine sonderbaren Zufälle, sondern eher unbewußte Strömungen, in denen sich gemeinsame Ideen und Gedanken widerspiegeln. Vieles davon ergibt sich aus dem Zeitgeist und wächst organisch wie von selbst. Die einzelnen Autorinnen und Autoren brauchen sich dessen nicht bewußt zu sein; eher sind es Redakteure, Chefredakteure und Herausgeber von Reihen oder Serien, die übergeordnete Konzepte entwickeln und entscheiden, ob ein Manuskript im Verlagsprogramm erscheint oder abgelehnt wird, die dafür verantwortlich sind.

Mir geht es um die Gnostik in der populären Kultur, vor allem im Genre von Fantasy und Science Fiction sowie in den Comics, dort insbesondere im Superheldengenre. Gnostik ist eigentlich ein religionswissenschaftlicher Begriff, der eine bestimmte Art des Christentums meint. Darum geht es hier nicht.
Es geht mir um gnostische Ideen, die ähnlich wie Joseph Campbells Heldenreise, in mal kleineren, mal größeren Versatzstücken in erfolgreichen Büchern, Filmen und Serien auftauchen - der religiöse Weihrauch hat sich dabei verflüchtigt.

Bestimmte Elemente kommen dabei häufiger vor als andere, einige Elemente fallen komplett unter den Tisch; ich zeichne nur eine grobe Skizze mit den Kernelementen, die zum Verständnis notwendig sind.

Die gnostische Interpretation der Welt, geht von einer klaren Unterscheidung in gut und böse. Die materielle Welt ist böse, weil sie nicht vom ursprünglichen Gott geschaffen wurde, sondern von einer schadhaften Gottkopie, dem Demiurgen. Der ursprüngliche Gott hat sieben Kinder, Aeonen genannt, von denen der höchste der (männliche) Logos ist und die niedrigste die (weibliche) Sophia. Sophia wollte beweisen, daß sie so gut ist wie der ursprüngliche Gott und schuf dabei den Demiurgen, doch das ging schief. Nur das Wissen hilft in dieser korrupten Welt.
Jesus Christus ist in dieser Version nicht der einzige leibliche Sohn Gottes und letzte Instanz für alle Gläubigen, sondern bloß ein Beispiel für die Menschheit, die dadurch zu einem rettenden Weg inspiriert wird. Danach muß jeder sich wie im leuchtenden Vorbild und Beispiel selbst durch Wissen befreien.

In der populären Kultur sind das normale Menschen, die durch ein Ereignis zu Superhelden werden. Diese Superhelden haben etwas Göttliches an sich und in sich. Durch ihre Taten wird die Welt besser, weil die Bösewichte vernichtet oder besiegt werden. Diese Superhelden werden zu Vorbildern, zu Rollenmodellen, mit denen sich das Publikum identifizieren kann.

Es gibt allerdings auch Leute, die solche Ideen ablehnen: Leute, die antignostisch sind. Ein Teil von denen stammt aus christlich-religiösen Kreisen, Pfingstler, Adventisten und andere Bibelkundige, die in gnostischen Ideen etwas Böses sehen und Gnostik vehement ablehnen. In diesen Kreisen existiert eine Art Literatur, die wie ein Gegenmodell funktionieren soll. Diese Fiktionen gedeihen im Schatten des Mainstreams. Teilweise sehen sie in gnostischer Populärkultur ein Zeichen für eine Endzeit, für die Apokalypse.

Literaturtipp:
Bernd Gräfrath: Es fällt nicht leicht, ein Gott zu sein. Ethik für Weltenschöpfer von Leibniz bis Lem (Ethik im technischen Zeitalter, hrsg. von Vittorio Hösle, Beck'sche Reihe 1265), München: C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) 1998

Geändert von Servalan (05.02.2020 um 19:08 Uhr)
Servalan ist offline   Mit Zitat antworten