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Alt 03.10.2023, 16:30   #182  
Servalan
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Napoléon | Napoléon vu par Abel Gance (Frankreich 1927, Abel Gance), Produktion, Schnitt, Drehbuch und Regie: Abel Gance, Kurzfassung Opéra 5.200 Meter, Langfassung Apollo 12.800 Meter, letzte restaurierte Fassung von 2000: 7.452 Meter ~ 330 min

Der französische Filmpionier Abel Gance dürfte mittlerweile nur eingefleischten Cineasten bekannt sein, obwohl er in seinem Heimatland in etwa das geleistet hat, womit David Wark Griffith, Sergej Eisenstein und Leni Riefenstahl in die Filmgeschichte eingegangen sind.
Gance ist der uneheliche Sohn eines wohlhabenden Arztes, der bei seiner Mutter aufwuchs, die aus der Arbeiterschicht stammte. Seine Eltern wollten, daß er Rechtsanwalt wird, aber ihn zog es auf die Bühne. Mehr schlecht als recht schlug er sich als Schauspieler durch, lernte Drehbücher zu schreiben und gründete 1911 seine erste Produktionsfirma, um selbst Regie zu führen. Doch mit seinen frühen Filmen scheiterte er, weshalb er zunächst zum Theater zurückkehrte.
Weil er lange in ärmlichen Verhaltnissen gelebt hatte, war seine Gesundheit angeschlagen. Dennoch gelang es ihm, bei der Produktionsgesellschaft Le Film d’Art angestellt zu werden. Seine beiden erfolgreichen Filme Mater Dolorosa (1917) und La Dixieme Symphonie | Die zehnte Symphonie (1918) bescherten ihm den Durchbruch. Weil er dabei zum Beispiel Nahaufnahmen und Kamerafahrten einsetzte, galt er als "wilder Experimenteur", was ihm Ärger mit der Geschäftsführung einbrachte.
Es folgten weitere Filme, bis er mit Napoléon den Höhepunkt seiner Karriere erreichte, in dem er seine Kreativität voll entfalten konnte. Er drehte danach noch weitere Tonfilme für Studios, die ihn jedoch zügelten. Lange Zeit fühlte er sich verkannt, weil Filmhistoriker aus seiner Sicht Napoléon nicht ausreichend würdigten. Ein gewisser Respekt wurde ihm von seinen Kollegen schon entgegengebracht, denn 1953 war er Mitglied der Jury auf dem 6. Internationalen Filmfestival von Cannes.

Napoléon war der erste Teil eines größenwahnsinnigen Projekts, das je nach Quellenlage aus fünf bis sieben weiteren Teilen bestehen sollte. Das wäre ein monumentales Biopic über den korsischen Feldherren geworden, das vermutlich 60 bis 80 Stunden gedauert hätte. Die Dreharbeiten erstreckten sich schon für den ersten Teil über zwei halbe Jahre, und die kamen nur zustande, weil ihn der deutsche Industrielle Hugo Stinnes finanziell unterstützte. Mit 18 Kameras drehte er 450 Kilometer Rohfilm.
Der Film gilt als "Lexikon der Filmtechnik", weil er auf alle technischen Mittel zurückgreift, die sich im Stummfilm etabliert hatten, und erfindet weitere dazu. Gance experimentierte mit Farbfilm, 3D-Aufnahmen und nahm das Breitwandformat vorweg, weil er mit drei Kameras zugleich aufnahm. Außerdem setzte er Splitscreen ein. Dieser Aufwand schränkte natürlich den Verleih ein, weil nicht alle Kintopps drei Projektoren synchron einsetzen konnten.
Gance bearbeitete Napoléon für eine weitere Aufführung 1935. Eine weitere Version, produziert von Claude Lelouch, entstand 1971 unter der Aufsicht von André Malraux; dabei wurde auch Material verwendet, das Gance für andere Napoleon-Filme drehte.
Gance gelang es, zwei Drehbücher seiner Fortsetzungen ins Ausland zu verkaufen, deren Filme auch realisiert wurden. Natürlich wurde seine Vorlage dort weiterbearbeitet, und so entstand 1929 unter der Regie von Lupu Pick in Deutschland der 100 Minuten lange Streifen Napoleon auf St. Helena. Gance selbst drehte 1960 in Jugoslawien für eine französische Produktion das 166 Minuten lange Austerlitz.
Zu Gances Lebzeiten - er starb 1981 - entstanden schon die ersten restaurierten Fassungen. 1953 feierte eine Fassung ihre Premiere auf dem 14. Filmfestival von Venedig. Zwischen 1969 und 1982 restaurierte Kevin Brownlow für das British Film Institute (BFI) und die Cinémathèque française das Werk, so daß eine 6.630 Meter ~ 290 min lange Fassung auf dem Festival von Telluride 1979 präsentiert werden konnte. Brownlows zweite Restauration erfolgte 1983 ebenfalls für das BFI - 7.155 Meter ~ 313 min. 1991 und 1992 restaurierte Bambi Ballard für die Cinémathèque française den Klassiker - 7.500 Meter ~ 328 min. Die letzte Restauration unternahm wieder Brownlow, der sie 2000 in der Royal Festival Hall präsentierte.

Der Stummfilm beginnt im Winter 1781 in der Militärakademie Collège de Brienne mit einer Schneeballschlacht, bei der Napoleon Bonaparte auffällt. Er wird von zwei Mitschülern als Korse gemobbt. Bei der Schlacht teilt sich die Schülerschaft in zwei Teile, so daß sich Napoleons Truppe in der Unterzahl befindet. Durch sein strategisches Geschick gelingt ihm jedoch der Sieg. Die Leiter der Schule beobachten still das Spektakel von den Fenstern aus und applaudieren.
Der zweite Akt widmet sich der Französischen Revolution 1792, beginnend mit dem Club des Cordeliers, darunter Robespierre, Marat, Danton und Desmoulins, und der Marseillaise. Später lernt Napoleon in den Gassen von Paris Joséphine de Beauharnais kennen. Die Menschenrechte werden deklariert. Zuletzt kommt Napoleon mit seinen zwei Brüdern auf der Überfahrt nach Korsika Horatio Nelson in die Quere.
Charlotte Cordays Mord an Marat im Juli 1793 eröffnet den dritten Akt. Napoleon ist inzwischen Hauptmann bei der Artillerie und steigt durch sein strategisches Geschick immer weiter auf, bis zum Brigadegeneral.
Im vierten Akt wird Napoleon das Militärkommando über Paris angeboten, was er jedoch ausschlägt. In Paris wütet der Terror des Thermidor und Napoleon gelingt es nur knapp, Joséphine de Beauharnais vor den Schaffott zu retten. Ihr verdankt er es, daß der Konvent davon überzeugt ist, Napoleon sei der beste Mann, um die Royalisten zu besiegen. Der Akt endet am 16. April 1796, als Napoleon zu seinem ersten Italienfeldzug aufbricht.

Geändert von Servalan (04.10.2023 um 15:47 Uhr)
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