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Alt 20.06.2022, 20:14   #19  
Phantom
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Ich hoffe mal, dass Erfahrungsberichte auch hier in den Info-Thread passen, sonst einfach verschieben. Meine Comic-Salon-Erfahrung in diesem Jahr:

Lustig finde ich, wenn die Presse schreibt, dass "sich die Szene" am Comic-Salon "trifft". Wer ist denn die Szene? Es gibt sicher viele verschiedene Szenen, Zeichner, Händler, Verleger, Sammler, Leser. Wer trifft wen? Jede(r) erwartet etwas anderes, nimmt etwas anderes mit. Ich kenne fast niemanden, mich kennt fast niemand, die Rubrik "endlich hat man sich wieder persönlich getroffen und gequatscht" kann ich nicht füllen. Mir ist aber aufgefallen, dass viele, die ich kenne (aber nicht umgekehrt), doch grauer oder sogar weißer geworden sind. Hey, wir waren doch gestern noch Jungs und haben die Hefte am Kiosk durchgeblättert, wo ist die Zeit hingegangen?

Genug der Sentimentalitäten, ich hatte nur einen Tag für den Comic-Salon Zeit und bin am Freitag hingefahren. Erst ging es ins Kollegienhaus (da habe ich vor 30 Jahren studiert, der Parkettboden quietscht heute noch genauso stark wie damals, was etwas nervig ist, wenn Leute rein- und rausgehen). Es gab zwei Vorträge der ComFor. Erst sprach eine Kunsthistorikerin über ein schwarzes Quadrat, Wedekind, Mahler (Nicolas, nicht Gustav) und die Weiblichkeit, ich habe nicht viel verstanden. Der Vortrag wurde auch mehr oder weniger abgelesen, das finde ich langweilig, aber ich habe auch keine Ahnung von Kunstgeschichte. Weiter ging es mit dem Vortrag eines Soziologen zu den "Reisenden im Wind", einen Comic aus der prä-feministischen Ära (so habe ich gelernt), der aus männlicher Perspektive eine moderne Frau präsentiert (merke: starke Frauen ziehen sich immer aus, diese Botschaft habe ich mit Wohlwollen vernommen). Aus dem Publikum wurde angemerkt, ob der Begriff "moderne Frau" nicht auch aus einer männlichen Perspektive entstanden sei, während der Diskussion darüber sind meine Gedanken abgeschweift; was bin ich froh, dass ich mir beim Comic-Lesen keine solchen Gedanken machen muss, natürlich ist das nur meine männliche Perspektive, aber was soll ich machen, ich habe keine andere.

Dann ab in Halle A, viele Leute, manchmal Gedränge, kaum jemand außer mir hatte eine Maske auf. Hm. Leute stehen Schlange für Zeichnungen, zum Glück ist niemand da, dessen Unterschrift oder Zeichnungen es mir wert wären, stundenlang anzustehen. Es ist aber nett, den Leuten beim Zeichnen zuzusehen; Ralf König zum Beispiel oder Ulrich Schröder (der einfach nicht älter zu werden scheint).

Dann zur Diskussion über Comic-Fachmagazine. Gerhard Förster, Volker Hamann, Matthias Hofmann auf dem Podium, verspricht spannend zu werden. War es leider gar nicht. Ich war wohl nicht das Zielpublikum; ich lese (mit Unterbrechung) die Sprechblase seit 1982, die Reddition seit 1986, war schon 1984 auf dem ersten Comic-Salon, mir braucht niemand zu erklären, was die Unterschiede in den Konzepten der verschiedenen Magazine sind. Die einzigen interessanten Fragen hat Eckart Sackmann aus dem Publikum gestellt (wieviel Prozent finanzieren die Anzeigen, welche Rolle spielt das Internet für die Magazine), dann war das Panel schon wieder vorbei.

Na ja, ab in Halle B und C; in Halle C sehr viel Nippes, oje, schnell wieder raus (die arme Edition Comicographie, die da auch reingesetzt wurde). Also wieder in Halle A, Christian Blees zu seinem Phantom-Buch gratuliert. Dann kam plötzlich Markus Söder mit einer Blase an Fotografen und Bodyguards (nächstes Jahr ist Landtagswahl in Bayern, da muss man PR-Termine nutzen; bitte nicht naiv sein und glauben, dass Söder aus Eigeninteresse da ist, nur weil er als Kind auch viele Comics gelesen hat), daher bin ich schnell wieder zum Hintereingang raus (wo der bayerische Innenminister gerade reingehetzt kam; Söder hat wohl nicht auf ihn warten wollen) und rüber ins Kollegienhaus. Es warteten zwei Gesprächsrunden; zuerst ging es um kanadische Zeichner/-innen (interessant), dann um das Thema Comic-Übersetzungen mit Ulrich Pröfrock (sehr interessant).

Meinen Vorsatz, nichts einzukaufen, konnte ich einhalten (kein Platz, keine Zeit). Ich habe interessante Eindrücke gewonnen, aber auch gemerkt, dass mich viele vermeintlich aktuelle Themen ("Weiblichkeit", "Ukraine") in Bezug auf Comics überhaupt nicht interessieren. So richtig gepackt hat mich der Comic-Salon diesmal nicht, was aber sicher vor allem daran lag, dass ich nicht mehr Zeit hatte.
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